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Das Hohelied 10
Wie Heerscharen und Morgenröte (Hld 6,4 - 8,14)
Dr. Johannes Hartl
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Die Schönheit und den „guten Geschmack“ des Bräutigams, sowie die Zuverlässigkeit seiner
Führung erkennt man im Blick auf die Schönheit der reifen Braut. Hier ist auch der Sitz gesunder
Bewunderung geistlicher Vorbilder und Heiliger. Das Endziel der göttlichen Vorbereitung sind
einzelne Gläubige und die ganze Kirche, die in göttlichem Glanz strahlen (vgl. Off 21,9). Diese
Schönheit ist unmittelbares und direktes Ergebnis der vorbereitenden Nacht und Bedrängnis.
1. Schönheit geistlicher Autorität (Hld 6,4-12)
Mitten in der Nacht durchbricht der Bräutigam das Schweigen mit Bestärkungen der Braut. Inmitten
der Prüfung ist sie betörend schön in seinen Augen. Doch mehr als das: in ihr ist eine Reife und
Bereitschaft zum geistlichen Kampf gewachsen, die sie auf positive Weise gefährlich macht. Unser
Durchhalten in der Nacht und unser Kampf gegen die eigenen Halbheiten ist wunderschön und
bezaubernd in seinen Augen.
2. Schönheit für Andere (Hld 7,1-10)
Die innere Schönheit einer gereiften Braut kann nicht verborgen bleiben. Sie spornt automatisch
andere Gläubige an. Ihre Schönheit ist nicht „nur hübsch“, sondern spricht von Fruchtbarkeit
(geistlicher Vater- und Mutterschaft). Sie ist fruchtbringend für Andere, bietet auch ihnen Schutz
und Versorgung.
3. Vereinigung des Willens (Hld 7,11)
Von den Mystikern als zentrale Stufe geistlicher Reifung beschrieben gibt es im geistlichen Leben
das Moment totaler Kapitulation des eigenen Willens an Gott. Dieser wird sosehr in Gott
umgeformt und mit seinem gleichgestaltet, dass der eigene Willen keine Dissonanz mehr zum
Willen Gottes darstellt, sondern mit ihm völlig gleichschwingt.
4. Einheit von Kontemplation und Apostolat (Hld 7,12 - 8,5)
Für viele Christen ist die Spannung zwischen dem eigenen geistlichen Leben und den
Erfordernissen des Dienstes Gegenstand vieler Kämpfe. Das Endziel ist nicht der völlige Rückzug
in die Beschaulichkeit, sondern Reich-Gottes-Frucht. Diese gehen aber nun in großer Natürlichkeit
direkt aus dem geistlichen Leben hervor und sind deshalb übernatürlich fruchtbar. „Dahin zielt das
innere Gebet, dazu dient die geistliche Vermählung, nämlich dass ihr immerfort Werke
entsprießen, Werke.“ (Teresa von Avila, Burg 7 W4,6) Es ist die starke Schwachheit eines ganz auf
Gottes Kraft geworfenen Menschen (vgl. 2 Kor 12,7-10).
5. Geistliche Vermählung (Hld 8,6-7)
Die Mystiker beschreiben die höchste Vereinigung des Menschen mit Gott als eine ständige und
bleibende Verbindung aller Seelenkräfte mit Gott: „in Gott eingetaucht wie ein Schwann in den
Ozean“ (Teresa von Avila). Dieses bleibende Siegel der Liebe Gottes haben viele Meister des
geistlichen Lebens auch körperlich (bzw. ekstatisch, visionär) erfahren.
6. Unbegrenzte Fruchtbarkeit (Hld 8,8-14)
Der Blick des geistlich reifen Menschen geht automatisch „nach draußen“, es drängt ihn zum
Apostolat. Dieses zielt jedoch nun nicht mehr darauf ab, einfach Menschen zu beeinflussen,
sondern möchte sie in die gleiche geistliche Reife führen, in der er selbst lebt. Wir erreichen
andere Menschen grundsätzlich nur in der Tiefe zu uns selbst und zu Gott, auf der wir selbst
stehen.