32 Wirtschaft und Abrechnung KV-Blatt 09.2015 Ärzteatlas der AOK 2015 Kein gravierender Ärztemangel, vielmehr eine Frage der Verteilung Wie viele Ärzte sind genug? Ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der medizinischen Versorgung eines Landes ist die Ärztedichte in Relation zur Bevölkerungszahl. Deutschland liegt mit rund vier Ärzten auf 1.000 Einwohner in der Spitzengruppe der OECD-Staaten. Der neue Ärzteatlas 2015 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hat die Verteilung der Ärzte nach KV-Bezirken und Fachgruppen untersucht und kommt zum Ergebnis, dass von einem Ärztemangel keine Rede sein könne, wohl aber von einer fehlenden angemessenen Verteilung. Nach Angaben der Bundesärztekammer (BÄK) waren Ende 2014 in Deutschland 365.247 Ärzte (niedergelassen, angestellt, verbeamtet, in der Klinik) tätig, davon 166.230 Frauen (45 %); in Berlin waren 19.737 berufstätige Mediziner registriert. Das Bundesarztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) weist zum Stichtag 31.12.2014 bundesweit 164.947 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte und Psychotherapeuten aus, davon 71.250 Frauen (43 %). Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin sind in der Hauptstadt gegenwärtig rund 6.800 Ärztinnen und Ärzte niedergelassen, weiter 1.600 psychologische Psychotherapeuten sowie Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten. Das WIdO kommt im Ärzteatlas 2015, der die Versorgungsdichte von Vertragsärzten untersucht, zu dem Resultat: „Über alle Arztgruppen hinweg wird das Plansoll bundesweit um fast ein Drittel übertroffen.“ Das WIdO nimmt für seine Darstellung die aktuell gültigen Kennziffern der vertragsärztlichen Bedarfsplanung, wie sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen und in der Bedarfsplanungsrichtlinie dokumentiert sind, zum Maßstab. Diese definiert auf der Ebene der KV-Bezirke für die hausärztliche Versorgung ein Soll-Verhältnis (Index = 100 %) von einem Hausarzt auf 1.671 Einwohner; bei der allgemeinen fachärztlichen Versorgung reicht auf Soll-Ist-Vergleich – Gesamtversorgungsgrade der Hausärzte * nach KVen 2014 Baden-Württemberg 109,1 Bayern 117,8 Berlin 120,3 Brandenburg 103,3 Bremen 109,2 Hamburg 117,8 Hessen 111,6 Mecklenburg-Vorpommern 102,7 Niedersachsen 107,7 Nordhein 110,4 Rheinland-Pfalz 110,3 Saarland 108,0 Sachsen 101,3 Sachsen-Anhalt 99,6 Schleswig-Holstein 113,7 Thüringen 109,2 107,8 Westfaler-Lippe 110,4 Gesamt 0 20 40 60 80 100 Gesamtversorgungsgrad Hausärzte in % 120 * Allgemeinärzte,praktischeÄrzte,nichtfachärztlichtätigeInternistenohne Kinderärzte.Quelle:MeldungenderKassenärztlichenVereinigungundeigeneBerechnungen. WIdo 2015 der Ebene der Planungsbereiche (PB) die Spanne zwischen 3.079 (Psychotherapie, PB Typ 1) und 52.845 (Urologie, PB Typ 3) Einwohnern pro Facharzt. Eine Überversorgung eines KV-Bezirks resp. regionalen PB wird ab einem Wert von 110 %, nach dem im Juli 2015 verabschiedeten GKV-VSG ab 140 % angenommen. Die Ergebnisse seiner Erhebung kommentiert das Institut wie folgt: „Es gibt in Deutschland Regionen, die für eine ärztliche Niederlassung attraktiv sind und solche, die für eine Niederlassung weniger attraktiv sind. Daraus ergibt sich ein Nebeneinander von Regionen, die mit Ärzten überversorgt sind und solchen, in denen es Unterversorgung gibt oder eine solche droht.“ Was bundesweit in puncto ausreichender vertragsärztlicher Versorgung gelten mag, muss auf der Ebene der KVBezirke und erst recht einzelner Regionen längst keine Gültigkeit haben, wie die fachgruppenspezifischen Analysen des WIdo belegen. Heterogene Verteilung von Haus- und Fachärzten In der Hausärztlichen Versorgung sind bundesweit 52.738 Mediziner tätig, nach der Bedarfsplanung sollten es lediglich 47.788 sein. Berlin kommt auf einen Versorgungsgrad von 120,3 % (2.536 Ärzte, davon 843 > 60 Jahre), Bayern auf 117,8 %, Brandenburg auf Wirtschaft und Abrechnung KV-Blatt 09.2015 103,3 %. Sachsen-Anhalt mit 99,6 % kann als nahezu ideal versorgt bezeichnet werden. Weitaus drastischer fällt die Spreizung auf der Ebene der Planungsbereiche aus: Westerland auf Sylt meldet komfortable 189,4 % hausärztlicher Versorgung, Ansbach Nord muss sich mit 57,3 % bescheiden. In der Augenärztlichen Versorgung sind 5.399 Niedergelassene tätig, 4.331 sieht die Bedarfsplanung vor. MecklenburgVorpommern ist mit 137,6 % versorgt, Sachsen-Anhalt mit 131,6 %, Bremen mit 130,3 % und Berlin mit 122,5 %. Regional betrachtet, liegt der Planungsbereich Würzburg mit einer Quote von 262,3 % an der Spitze, das Schlusslicht bildet der Odenwaldkreis mit einer Unterversorgung von 44,8 %. In der ambulanten Psychotherapeutischen Versorgung arbeiten 23.757 Psychotherapeuten, 8.658 mehr, als der Bedarf vorsieht. Hessen erreicht eine Deckung von 200 %, Berlin kommt auf 194,8 %, Bremen auf 192,2 % und Westfalen-Lippe auf 170,1 %. Der Planungsbereich Tübingen hat eine spektakuläre Quote von 581,7 % zu bieten, UeckerRandow nur bedenkliche 45,1 %. Ausreichende ambulante Versorgung abhängig von mehreren Faktoren Bereits diese Beispiele zeigen, wie schwer es ist, eine angemessene ambulante Versorgung der Bevölkerung in Zahlen abzubilden. Rein statistisch betrachtet, arbeiten in sämtlichen ärztlichen Fachgruppen mehr Mediziner, als es die Bedarfsplanung will (so lautet für die Gynäkologie das Verhältnis 9.900 : 7.886, für die Orthopädie 5.395 : 3.915, für die Fachinternistische Versorgung 8.238 : 3.688 und für die Radiologie 2.602 : 1.611). Doch kann es kaum eine Lösung sein, die bundesweit nach dieser Rechnung als überzählig anzusehenden 33.941 Arztsitze zur Disposition zu stellen; zu sehr korrelieren Quantität und Qualität der vertragsärztlichen Versorgung mit Faktoren wie dem demografischen Wandel, sozioökonomischen Verhältnissen, regionaler Morbidität, der Anziehungskraft der Metropolen, örtlicher Infrastruktur, dem Verhältnis von ambulanter und stationärer Versorgung und nicht zuletzt einer Feminisierung des Berufes mit einem sich ändernden Lebens- und Arbeitskonzept. Das WIdo befindet denn auch relativierend: „In Bezug auf die Sicherung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung greift die Analyse von Arztzahlen möglicherweise zu kurz: Hier sollte auch die Frage diskutiert werden, inwieweit nichtärztliche Gesundheitsberufe, auch vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und einer Zunahme von chronischen Erkrankungen, verstärkt (arztentlastend) eingebunden werden können und sollen.“ Der Medizinerberuf, auch und gerade in der Niederlassung, ist über die Jahre immer attraktiver geworden; so hat sich in Deutschland die Arztdichte seit 1980 verdoppelt, so nahm in Berlin die Zahl der Ärzte seit 1991 um 23,9 % zu. Ohnehin liegen die Stadtstaaten vorn in der vertragsärztlichen Versorgung, die allerdings Teile des Umlandes einschließt. Der Ärzteatlas 2015 zeigt, dass es vor allem ein Verteilungsproblem gerade im hausärztlichen Bereich gibt, das sich perspektivisch noch verschär- fen wird und dem die einzelnen KVen in den Flächenstaaten bereits mit Anwerbungen potenzieller Niederlassungswilliger beizukommen versuchen. In einer Stellungnahme zur Veröffentlichung des Ärzteatlas 2015 erinnert Dipl.-Med. Regina Feldmann, Vize-Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), daran, dass die Planung von Arztsitzen gemeinsam durch Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen erfolge: „Das heißt: Für Sitze, die zusätzlich zur Planungsgrenze von 110 % hinzugekommen sind, hat auch aus Sicht der Krankenkassen eine Notwendigkeit für die Versorgung der Patienten bestanden.“ Überdies sei es ein Irrglaube, allein durch eine veränderte Planung junge Medizinerinnen dazu zu bringen, in der Provinz eine Praxis zu eröffnen. Es sei vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vertragsärztliche Versorgung in statistisch unterversorgten Gebieten sicherzustellen. Den zitierten Ärzteatlas 2015 finden Sie im Netz unter www.wido.de/aerzteatlas2015.html Andrea Bronstering KV-Service-Center und betriebswirtschaftliche Beratung Telefon: (030) 310 03-999 [email protected] Mo, Di, Do 8.30 –17 Uhr, Mi, Fr 8.30 –15 Uhr 33
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