Gedanken zum Jakobsweg zur Einweihung des Freisinger Jakobsweges am 2.Oktober 2015 von Dr. Elvira Baier, langjährige Jakobspilgerin und spirituelle Pilgerbegleiterin Ein großes Netz von Jakobswegen durchzieht Europa. Wie Wasser in kleine Bäche, dann in größere und immer noch größere fließt, die schließlich zur Mündung führen, münden die kleinen Wege in immer größere Wege und schließlich in Hauptwege, die zum gemeinsamen Ziel – Santiago de Compostela – führen. Der Legende nach liegt dort der Heilige Apostel Jakobus begraben. Übersetzt heißt Santiago de Compostela: Heiliger Jakob auf dem Sternenfeld. Diese Stadt liegt in Galizien / Nordwest-Spanien, drei Tagesmärsche entfernt vom Atlantik bzw. dem Kap Finisterre, das noch im Mittelalter als das Ende der Welt galt. Jeder persönliche Jakobsweg beginnt vor der eigenen Haustür. Die Freisinger Bürgerinnen und Bürger führt der ausgeschilderte Jakobsweg über Vötting, Hohenbachern und Kranzberg ins Ampertal und dann weiter Amper aufwärts. Am Ammersee (Nordufer) mündet er in den Münchner Jakobsweg, der an den Bodensee führt. Weiter geht es durch die Schweiz bis zum Genfer See und durch Frankreich (Via Gebennensis; Via Podiensis). Nach der Überquerung der Pyrenäen führt der Weg parallel zur Nordküste nach Santiago. Viele, die sich noch nicht näher mit dem Jakobsweg beschäftigt haben, meinen, dass nur dieser letzte spanische Teil der Jakobswege „der Jakobsweg“ sei. Von Freising bis Santiago de Compostela sind es ca. 2800 km. Wer täglich 30 Kilometer geht, braucht dafür ca. 100 Tage (genau: 93,33), wer 20 Kilometer täglich geht, braucht 140 Tage. Die europäischen Jakobswege sind – fußend auf rudimentär vorhandenen historischen Quellen und dank engagierter Einzelpersonen, den Jakobusgesellschaften, einigen Wanderfreunden und Tourismusverbänden vor Ort, sowie der EU – heute durchgängig mit dem Muschelsymbol markiert. Die Rippen der Muschel laufen an einem Punkt zusammen. Wenn das Symbol richtig aufgehängt ist, weist dieses Muschelzentrum dem Pilger den Weg in Richtung Santiago. Auch viele Pilger tragen eine Muschel als äußeres Zeichen ihrer Pilgerschaft – meist am Rucksack. Die Muschel ist schon seit dem 12. Jahrhundert das Zeichen der Pilger. Sie ist auch in vielen Darstellungen des Heiligen Jakobus, dem Patron der Pilger, zu sehen. Weitere Attribute sind der Schlapphut, die Pelegrine (Umhang), der Pilgerstab und die Kalebasse (Trinkflasche). Das Muschelsymbol findet sich aber nicht nur als Wegmarkierung, an den Pilgerrucksäcken und beim Heiligen Jakobus, sondern auch an Pilgerquartieren, Kulturdenkmälern, Kirchen, Kapellen und Verweilplätzen, zuweilen sogar an Gasthäusern und Kaufläden, die am Weg liegen. Der Jakobspilger sammelt unterwegs Pilgerstempel – zumeist sammelt er sie in einem Pilgerausweis, den er zum Beispiel bei den Jakobusgesellschaften bekommen hat. Sie dienen der Erinnerung und der Dokumentation seines Weges. Auch in der Vöttinger Jakobuskirche liegt ein Pilgerstempel auf. Das Jakobusgrab wurde im 9. Jahrhundert wiederentdeckt und bekannt (818-834). Im 11. und 12. Jahrhundert setzte eine große Pilgerschaft zum Jakobusgrab ein. Santiago de Compostela gehört seit dem Mittelalter mit Rom und Jerusalem zu den drei Hauptorten der christlichen Pilgerziele. Über die Jahrhunderte ging es mit der Pilgerschaft extrem auf und ab. In den vergangenen drei Jahrzehnten erleben wir eine Renaissance, die nicht zuletzt auch durch politische Entwicklungen befördert wurde und wird. 1987 erklärte der Europarat den Jakobsweg zum ersten europäischen Kulturweg. 1993 wurde der Hauptweg in Spanien zum Weltkulturerbe ernannt, und 1998 wurden ebenso die drei Hauptwege in Frankreich zum Weltkulturerbe. Während 1987 in Santiago 5000 Pilger registriert wurden, sind es seit 2013 mehr als 200.000 pro Jahr. Als Pilger werden dabei nur Menschen gezählt, welche die letzten 100 bzw. 200 Kilometer zu Fuß (95%), per Fahrrad (4 %) oder mit Hilfe von Pferden, Eseln o. ä. (<1%) zurückgelegt haben. Über 90 Prozent der Pilger haben religiöse Motive. In Deutschland hat auch das Buch von Harke Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ viele angeregt aufzubrechen. Mancher fragt sich schon, ob dieser starke Anstieg der Pilgerzahlen auch Zeichen des Ausbrechens einer neuen Gottessehnsucht ist? Sicher ist, dass viele Menschen fasziniert sind vom „Auf-dem-Weg-sein“. „Wer sich – und sei es auch nur für einen oder wenige Tage mit leichtem Gepäck – auf den Weg macht, offen für das, was der Tag bringt, wird reich beschenkt: durch die Begegnung mit der Natur und mit Menschen, durch die Stille der Kirchen am Weg und oft durch ganz unerwartete Hilfe unterwegs.“ (Quelle: Der Münchener Jakobsweg. Folder o.J.) Vom Wandern unterscheidet sich das Pilgern durch die spirituelle Komponente. Vom Wallfahrten grenzt es sich dadurch ab, dass das Pilgern auf das eigene Leben und die Ganzheit von Körper, Geist, Seele und Sozialem fokussiert. Pilgern betont besonders die Entschleunigung und Achtsamkeit, die Begegnung, das Begleitetsein durch eine höhere Macht, die wir Christen Gott nennen, und auch die Wahrnehmung des heilen tiefen inneren Kerns des Menschen. Es geht um das Innehalten und um Reflexion. Möge der Jakobsweg vielen Menschen zu diesem Innehalten verhelfen, das in unserer Zeit notwendiger ist denn je.
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