Professur für Spiritual Care Institut für Sozialethik Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie Institut für Biomedizinische Ethik u. Medizingeschichte Soziologisches Institut Erzählen über das Sterben – Erzählen über das Leben Die sprachliche Verhandlung der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit in mündlichen Erzählungen von Krebspatienten Workshop mit Dr. phil. Sandra Adami / Freiburg i. Br. Datum: Ort: Mittwoch, 25.11.2015, 14.00 Uhr bis 17.30 Uhr Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Winterthurerstrasse 30, 8006 Zürich, Raum E01 In dem Workshop wird eine Forschungsarbeit zum Erzählen über das Leben und den Tod aus der Perspektive von Krebspatienten vorgestellt. Mittels qualitativer Interviews mit Krebspatienten wurde die sprachliche Verhandlung der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit analysiert, unabhängig davon, ob sich die Patienten in einer palliativen Situation befanden oder nicht. Anhand der vorliegenden Ergebnisse sollen sowohl methodische als auch inhaltliche Besonderheiten bei der Forschung mit mündlichen Erzählungen zu Tod und Sterben in den Blick genommen werden. Durch praktische Beispiele und Übungen werden die Analysemethodik der Rekonstruktion der narrativen Identität und die Besonderheit der mündlichen Narrative über Tod und Sterben herausgearbeitet. Der Workshop richtet sich an interessierte Forscher/innen aus allen Disziplinen. Anmeldung erforderlich an: [email protected] (bis 18.11.2015) Dr. phil. Sandra Adami hat viele Jahre als Psychologin in der Sterbe- und Trauerbegleitung auf einer Palliativstation gearbeitet und hat im Bereich der Sterbenarrative von Krebspatienten promoviert. Vorbereitende Lektüre: Lucius-Hoene, G. (2010). Narrative Analysen. In G. Mey & K. Mruck (Hrsg.), Handbuch qualitative Forschung in der Psychologie (S. 584–600). Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss. Frank, A. (2010). The necessity and dangers of illness narratives, especially at the end of life. In Y. Gunaratnam & D. Oliviere (Hrsg.), Narrative and stories in health care. Illness, dying and bereavement (S. 161-175). Oxford: Oxford University Press. Fakultativ: Adami, S. (2015). Zwischen Annäherung und Distanzierung. Die sprachliche Verhandlung der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit bei der Diagnose Darmkrebs. Eine qualitative Analyse. Dissertation Albert-LudwigsUniversität Freiburg. (online: https://www.freidok.uni-freiburg.de/data/10055 ) Daraus Kapitel 5.3: Die (Un)beschreibbarkeit des Todes, S. 221-281. Zusammenfassung der Forschungsarbeit, die vorgestellt wird: Adami, S. (2015). Zwischen Annäherung und Distanzierung. Die sprachliche Verhandlung der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit bei der Diagnose Darmkrebs. Eine qualitative Analyse. Dissertation Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Einleitung: Von der Bewusstwerdung der eigenen Endlichkeit zu erzählen, stellt uns vor große Herausforderungen. Wenn Menschen aufgrund einer Krebserkrankung damit konfrontiert werden, müssen sie mit der Angst vor dem Tod umgehen. Aus der narrativen Bewältigungsforschung ist bekannt, dass das Erzählen von Geschichten helfen kann, den Erfahrungen Sinn zu verleihen und Kontrolle über die Interpretation ihrer Erfahrungen zu erlangen. Methode: Im Rahmen des Projektes krankheitserfahrungen.de wurden narrative Interviews mit 43 Darmkrebspatienten über deren Krankheitserleben geführt. Dabei fiel auf, dass das Thema der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit eine zentrale Rolle in den Erzählungen der Patienten einnahm, unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt des Interviews eine konkrete Bedrohung des Lebens bestand oder nicht. Mithilfe eines Codierungsansatzes und Kategorienbildungen und narrativen Analysen nach Lucius-Hoene und Deppermann (2004b) wurden die Erzählungen analysiert, um die subjektiven Erlebenswelten von Darmkrebspatienten zu verstehen und die verschiedenen sprachlichinteraktiven sowie performatorischen Verhandlungen des Themas Tod und Endlichkeit und deren Auswirkungen auf die Erzähler sichtbar zu machen. Gleichzeitig wurde ausgearbeitet, wie das Erzählen auch der Bewältigung der Konfrontation mit der Endlichkeit dient. Ergebnisse: Die Geschichten der Erzähler zur Endlichkeit konnten in verschiedene Topoi eingeteilt werden. Geschichten über den Tod von anderen, die Kommunikation mit den Ärzten, die Reaktionen von Außenstehenden, Erfahrungen mit Operationen, Prognosen und der Auseinandersetzung mit dem Stoma im Vergleich zur Lebensbedrohung sowie Geschichten über die Planung des eigenen Abschieds und der Frage nach dem Lebenssinn bilden die Vielfalt der sprachlichen Auseinandersetzung ab. Darüber hinaus wurde ein übergreifendes Modell der Ambivalenz des Sprechens über Tod und Sterben erarbeitet, dass die Funktionen der Erzählens (Sinnherstellung, Emotionsaktualisierung, soziale Integration und Ausdruck von Kontrolle) mit den verschiedenen sprachlichen Strategien wie Humor, Metaphern, Perspektivierung, Unbeschreibbarkeit oder Zuhöreradressierung verbindet. Diskussion: Es zeigte sich, dass im Sprechen über die eigene Endlichkeit immer eine Ambivalenz deutlich wird, die im Erzählen selbst narrativ bewältigt werden kann. Hierfür ist es wichtig, dass ein empathisches Gegenüber die Möglichkeit bietet, die Geschichten zu erzählen. Diese Erkenntnisse erweitern die narrative Bewältigungsforschung um die Perspektive der Konfrontation mit der Endlichkeit aufgrund einer Krebserkrankung und sind somit für den onkologischen und palliativmedizinischen Bereich von Bedeutung. Insbesondere die Umsetzung einer personzentrierten Haltung in der medizinischen Versorgung ist unumgänglich, um den Patienten das Erzählen von Geschichten nicht erst am Lebensende, sondern bereits viel früher zu ermöglichen und ihnen zu einer individuellen Auseinandersetzung mit Sinn und Hoffnung zu verhelfen. Schlagworte: Narrative, Erzählanalyse, Krebs, Darmkrebs, Tod und Sterben, Psychoonkologie, Palliative Care
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