Was Schiiten und Sunniten trennt

Was Schiiten und Sunniten trennt
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Die muslimische Welt kennt verschiedene Glaubensrichtungen. Die größten Gruppen sind Sunniten und Schiiten, die sich immer
wieder heftig bekämpfen.
Von Markus C. Schulte von Drach
Die weltweite islamische Religionsgemeinschaft teilt sich in mehrere Gruppen, von denen die der Sunniten die mit Abstand größte
ist: Etwa 90 Prozent der Muslime weltweit gehören ihr an.
Es gibt allerdings mehrere Staaten, in denen Muslime mit schiitischem Glauben die Mehrheit darstellen: Iran (92 Prozent),
Aserbaidschan und Bahrain (je 70 Prozent). Große Teile der Bevölkerung stellen Schiiten im Libanon (35 bis 50 Prozent), im
Jemen (etwa 37 Prozent), in Kuwait (20 bis 30 Prozent), in Syrien (etwa 17 Prozent), in den Vereinigten Arabischen Emiraten (bis
zu 20 Prozent) und in Saudi-Arabien (etwa zehn Prozent).
Im Irak zählen etwa zwei Drittel der Bevölkerung zu den Schiiten, ein Drittel zu den Sunniten. Nicht-Muslime machen nur etwa
drei Prozent aus. Die Muslime sind hier überwiegend Araber. Der Anteil der arabischen Sunniten liegt bei 15 bis 20 Prozent. Dem
sunnitischen Glauben gehören hier auch die meisten Kurden an.
Die übrigen Einwohner sind vor allem Turkmenen, Jesiden, chaldäische, armenische und aramäische Christen.
Schiiten
Der Begriff Schiiten bezieht sich auf die Schia Ali, die Partei von Ali Ibn Abi Talib, einem Cousin und Schwiegersohn des
Propheten Mohammed.
Ali übernahm nach dem Tod der ersten drei Nachfolger des Religionsgründers Mohammed im 7. Jahrhundert als vierter weltlicher
und geistiger Führer (Kalif) die Leitung der noch jungen islamischen Gemeinde. Die Schiiten betrachten ihn als den damals
einzigen legitimen Nachfolger Mohammeds. Sie traten dafür ein, dass nur ein Familienangehöriger des Propheten - also Ali und
seine Söhne, die Enkel Mohammeds - dessen Nachfolge antreten durften.
Die Mehrheit der Muslime dagegen forderte die Wahl eines Anführers aus dem Stamme Mohammeds, der kein Familienmitglied
des Propheten sein musste. Diese Gruppe, die als Sunniten (s.u.) bezeichnet wird, setzte nach dem Tod Mohammeds (632) zuerst
die Wahl des Mohammed-Vertrauten Abu Bakr zum ersten Kalifen durch, auf den Umar Ibn al-Chattab und Uthman Ibn Affan
folgten. Aus Sicht der Schiiten waren diese Kalifen unrechtmäßig.
Erst im Jahre 656 konnte Ali zum Kalifen gewählt werden. Er wurde während der Streitigkeiten und Kämpfe um die Führung der
islamischen Gläubigen allerdings im Jahre 661 ermordet.
Die Imam-Ali-Moschee in Nadschaf, Irak. Für Schiiten ist sie eines der wichtigsten Heiligtümer, weil sie davon ausgehen, dass hier Ali
Ibn Abi Talib beerdigt wurde. Sunnitische Extremisten haben in der Umgebung der Moschee wiederholt Anschläge auf schiitische
Gläubige verübt.
Sein Sohn Hasan, ein Enkel des Propheten, hätte nach der Überzeugung der Schiiten sein Nachfolger werden müssen. Er ließ
seine Ansprüche allerdings zugunsten seines militärisch überlegenen sunnitischen Konkurrenten Muawiya ibn Abu Sufyan fallen.
Auch Hasans Bruder Hussein wurde von den Sunniten nicht anerkannt. 680 starb er bei einer Schlacht zwischen seinen
Anhängern und den Truppen des sunnitischen Umayyaden-Kalifen Jasid I.
Hussein wurde damit zum schiitischen Märtyrer. Seinen Todestag begehen die Schiiten als wichtigen Trauertag.
Da die Schiiten keinen leiblichen Nachfahren Mohammeds als weltlichen Führer durchsetzen konnten, entwickelten die Schiiten
das Konzept der geistlichen Herrschaft durch einen Imam. Die weltliche Herrschaft der Kalifen bei den Sunniten erkennen sie
nicht an. Die schiitischen Imame stammten aus der Familie von Ali und waren über ihre Mutter Fatima, die Tochter Mohammeds,
Nachfahren des Propheten.
Die Grabstätten von Ali Ibn Abi Talibs in Nadschaf und von Hussein in der Stadt Kerbala gehören zu den bedeutendsten
Heiligtümern der Schiiten.
Die Schiiten haben sich in verschiedene Gruppen aufgespalten, die sich vor allem in der Zahl der als unfehlbar anerkannten
Nachfahren und Nachfolger Mohammeds (Imame) unterscheiden:
Die Imamiten (Zwölfer-Schiiten) leben hauptsächlich im Iran, Irak und im Libanon. Der zwölfte Imam lebt ihrem Glauben
zufolge im Verborgenen, wird am Ende der Welt als "Mahdi" auftreten und ein Reich des Friedens errichten. Darüber hinaus gibt
es die Ismailiten (Siebener-Schiiten) in Syrien, Afghanistan, Pakistan und Indien und die Zaiditen (Fünfer-Schiiten) im Jemen.
Eine Gruppe, die gewissermaßen eine schiitische Sekte darstellt, sind die Alaviten, die hauptsächlich in Syrien, der Türkei und im
Libanon leben.
Sunniten
Für die Mehrheit der Anhänger Mohammeds setzte sich der Brauch durch, den Führer unabhängig von seiner Abstammung zu
wählen - er soll allerdings dem Stamme Mohammeds, den Quarisch, angehören. Dieser Kalif ist Richter und Heerführer. Religiöse
Lehrautorität hat er für die Sunniten nicht.
Für diese Sunniten ist Ali lediglich der letzte der "vier rechtmäßigen Kalifen". Die folgenden Kalifen waren umstritten. So setzte
sich nach Alis Tod dessen Gegner Muawiya ibn Abu Sufyan gegen Alis Sohn Hussein durch. Muawiya, ehemals Sekretär
Mohammeds, ließ sich zum Kalifen machen und führte die Erbfolge ein: Es entstand die Kalifen-Dynastie der Umayyaden.
Auf diese folgten die Abbasiden- sowie Gegenkalifate wie das der Fatimiden. Das bislang letzte existierende Kalifat - das
osmanische - wurde durch die türkische Regierung 1924 endgültig abgeschafft. Seitdem erhoben muslimische Könige Anspruch
auf das Kalifat, konnten sich aber nicht durchsetzen.
Bild
Die Kaaba im Innenhof der Al-Haram-Moschee in Mekka ist das wichtigste Wallfahrtsziel der Muslime.
Der Begriff Sunniten leitet sich von dem Wort Sunna, Brauch, ab. Für die Sunniten beinhaltet al-Sunna die Überlieferungen und
Verhaltensnormen, die auf den Propheten Mohammed und seine frühen Anhänger zurückgehen.
Der sunnitische Glauben unterscheidet vier Rechtsschulen, die die Sunna unterschiedlich auslegen - jedoch alle als rechtgläubig
gelten. Eine konservative und dogmatische Form des sunnitischen Glaubens ist der Wahhabismus, der etwa in Saudi-Arabien
Staatsreligion ist. Ebenfalls konservativ sind die Salafisten: Sunniten, die eine Gesellschaft errichten wollen, die dem Ur-Islam
des 7. und 8. Jahrhunderts entsprechen soll.
Ibaditen
Eine dritte größere muslimische Gruppe sind die Ibaditen, die allerdings fast nur in Oman leben und dort die
Bevölkerungsmehrheit bilden. Sie sind aus den Charidschiten hervorgegangen, die bereits den dritten und vierten Kalifen
ablehnten und sich so von den übrigen Muslimen abtrennten.
Linktipps:
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Ausgezeichnete Karten (engl.) bietet The Gulf/2000 Project an der School of International and Public Affairs der
Columbia University in New York City
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