Kampf gegen Infektionskrankheiten und Impfmüdigkeit ernst nehmen

BÜRGERSCHAFT
DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
21. Wahlperiode
Drucksache
21/482
13.05.15
Antrag
der Abgeordneten Birgit Stöver, Karin Prien, Philipp Heißner, Dennis Thering,
Stephan Gamm (CDU) und Fraktion
Betr.:
Kampf gegen Infektionskrankheiten und Impfmüdigkeit ernst nehmen –
Datenlage verbessern und Impfraten insbesondere bei Personal in sensiblen Bereichen erhöhen
Seit dem Spätherbst 2014 ist es in mehreren Bundesländern zu beängstigenden Ausbrüchen von Masernerkrankungen gekommen. Infektionsschwerpunkt ist Berlin, wo
die Erkrankungswelle im Herbst 2014 in einem Flüchtlingsheim ausgebrochen war.
Alleine seit Jahresbeginn bis zum Stichtag 22. April 2015 erkrankten laut des Melderegisters des Robert Koch-Instituts (RKI) bereits 1.032 Personen an Masern. Doch
auch die Fallzahlentwicklung in Hamburg gibt Grund zur Sorge. So hatten sich laut
Drs. 21/167 mit Stichtag 7. April 2015 in Hamburg 45 Personen mit Masern infiziert,
am 22. April 2015 waren es laut RKI-Melderegister bereits 51 Personen. Im gesamten
Jahr 2014 hatte es hingegen nur 17 Masernfälle gegeben. Masern zeichnen sich
durch eine besonders hohe Ansteckungsrate aus und die Ansteckung betrifft nicht nur
Kinder, sondern zunehmend Erwachsene. Ein an Masern Erkrankter infiziert durchschnittlich zehn bis 15 weitere Personen. Aus diesem Grund hatte Mitte März auch
der Fall eines an Masern erkrankten Mitarbeiters eines Paketzustelldienstes in Altona
für Aufregung gesorgt.
Politischer Handlungsdruck für Hamburg ergibt sich umso mehr daraus, dass die über
die Schuleingangsuntersuchungen bei Kindern im Einschulungsalter festgestellten
Durchimpfungsraten bei Masern in anderen Bundesländern deutlich über den Hamburger Werten liegen. Auch 2014 lag die bei der Schuleingangsuntersuchung für
Hamburg ermittelte Durchimpfungsrate von Kindern im Einschulungsalter mit 93,1
Prozent deutlich unter dem 95-Prozent-Kriterium der Weltgesundheitsorganisation
(WHO). Hier gilt es zudem zu bedenken, dass laut Drs. 21/29 13,6 Prozent beziehungsweise 2.159 der zu untersuchenden Kinder gar nicht untersucht worden sind.
Dies gilt offensichtlich auch für andere Infektionskrankheiten. So war es im Januar und
Februar dieses Jahres zu Ausbrüchen von Mumpserkrankungen an zwei Hamburger
Schulen gekommen. Aufgrund des mangelnden Impfschutzes mussten dort mehrere
Dutzend Schüler und Lehrer bis auf weiteres zwangsweise der Schule fernbleiben.
Neben der Gesundheitsgefährdung wurde aufgrund der vermehrten Erkrankung von
Erwachsenen vor allem der Schulbetrieb erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
Diese verhältnismäßig kleinen Ausbrüche legen das Grundproblem des Kampfes
gegen Infektionskrankheiten in Hamburg offen. Der öffentliche Gesundheitsdienst
(ÖGD) in Form des zuständigen Referates in der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) oder der jeweiligen Gesundheitsämter reagiert in den Bezirken
erst, wenn es bereits zum Ausbruch einer Infektionskrankheit gekommen ist. Die
Anweisung von Betreuungsverboten für betroffenes Personal und von Besuchsverboten für betroffene Kinder und Jugendliche stellt hierbei lediglich eine Reaktion dar und
keine Aktion im Sinne der Prävention dar.
Dabei liegen mit den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim RKI empfohlenen Standardimpfungen so gute Präventionsinstrumente vor, wie in fast keinem
anderen Bereich der Medizin. Das Erreichen der für die Herdenimmunität notwendi-
Drucksache 21/482
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode
gen Schwellenwerte scheitert in Hamburg allerdings schon daran, dass die Stadt als
Arbeitgeber keinerlei Kenntnis über den Impfstatus ihrer Beschäftigten hat. Dies hat
Drs. 21/29 in schonungsloser Klarheit offengelegt. Ohne dieses Wissen wiederum
kann zukünftigen Ausbrüchen in besonders sensiblen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften nicht systematisch
präventiv begegnet werden.
Dabei hat die Freie und Hansestadt Hamburg zumindest hinsichtlich der Einrichtungen
in staatlicher Trägerschaft direkte Zugriffsmöglichkeiten und kann zudem aktiv auf
freie und/oder privatgewerbliche Träger direkt zugehen, um die aktuelle Situation zu
verbessern.
Einen aktiven Beitrag zur Verbesserung des Kampfes gegen Infektionskrankheiten
und Impfmüdigkeit kann der Senat auch auf Ebene der Gesundheitsministerkonferenz
der Länder (GMK) leisten. Außer den 2001 auf Basis des Infektionsschutzgesetzes
(IfSG) bundesweit eingeführten Schuleingangsuntersuchungen gibt es für keine andere Altersgruppe eine regelmäßige Erhebung bundesweit vergleichbarer repräsentativer Impfdaten.
Die Bürgerschaft möge daher beschließen:
Der Senat wird aufgefordert,
1.
ein System zur vollständigen Erfassung des Impf- beziehungsweise Immunitätsstatus aller Beschäftigten in Einrichtungen, in denen Kinder, aber auch immungeschwächte Ältere und Kranke, betreut werden – zum Beispiel in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften in staatlicher
Trägerschaft –, zu entwickeln.
2.
daran anknüpfend ein Maßnahmenpaket mit dem Ziel aufzulegen, eine möglichst
vollständige Immunisierung aller Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen,
Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften in staatlicher Trägerschaft
mit den von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen zu erreichen.
3.
nach Rücksprache mit entsprechenden Trägern darzustellen, ob, und wenn ja,
wie der Impf- beziehungsweise Immunisierungsstatus von Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften in
freier oder privatgewerblicher Trägerschaft erfasst wird und welche Maßnahmen
gegebenenfalls dort zur Anhebung der Durchimpfungsrate des Personals durchgeführt werden.
4.
daran anknüpfend im Einvernehmen mit den freien oder privatgewerblichen Trägern von Kindertageseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften ein Maßnahmenpaket zu erarbeiten, mit dem Ziel, bei möglichst allen
Beschäftigtem dieser Einrichtungen eine möglichst vollständige Immunisierung
mit den von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen zu erreichen.
5.
zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie die vollständige Immunisierung in Form der
von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen zur Einstellungsvoraussetzung
bei
a)
staatlich betriebenen und
b)
von freien oder privatgewerblichen Trägern betriebenen
Kindertageseinrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Flüchtlingsunterkünften
gemacht werden könnte.
6.
auf Ebene der Gesundheitsministerkonferenz der Länder prüfen zu lassen, wie
die Datenlage hinsichtlich repräsentativer Impfdaten über die Schuleingangsuntersuchungen hinaus gesteigert werden kann.
7.
der Bürgerschaft bis zum 31. August 2015 zu berichten.
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