VG Bayreuth, Urteil v. 26.10.2015 – 3 K 14.47 Titel: VG Bayreuth: Kostenübernahme, SGB VIII, Kinderhort, SGB XII, Tageseinrichtung, Caritas, Rechtsquelle, Beklagte, Einkommensberechnung, Zuschuss, Email, Verwaltungshandeln, wirtschaftliche Verhältnisse, Empfangsbekenntnis, Hort, Familienmitglied, Haushaltsgemeinschaft, Neuberechnung, Familienzuschlag Normenketten: SGB VIII §§ 22, 90 III SGB XII § 85 GG Art. 3 I, 6 I § 85 SGB XII Art. 3 Abs. 1 GG Art. 6 Abs. 1 GG SGB VIII §§ 22, 90 III Schlagworte: Kostenübernahme, Jugendhilfe, Gebührenbelastung, Bedarfsgrenze, Elternbeitrag, Kindertagesstätte, Einkommensgrenze Tenor 1. Unter Aufhebung seines Bescheides vom 13.12.2013 wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.08.2013 einen monatlichen Zuschuss von 32,45 EUR (= insgesamt 389,40 EUR) zu den Kosten für den Besuch ihres Kindes im Kinderhort ... zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. 3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Die Klägerin begehrt die (teilweise) Übernahme der Kosten für den Besuch ihres Sohnes ... im Kinderhort der Caritas ... Mit Schreiben vom 17.07.2012 beantragte die Klägerin die Übernahme dieser Kosten für den Zeitraum von 01.09.2012 bis 31.08.2013. Der Beklagte lehnte mit bestandskräftigem Bescheid vom 09.10.2012 diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das anrechenbare Familieneinkommen über der Bedarfsgrenze liege und deshalb die Gebührenbelastung für die Klägerin zumutbar sei. Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 11.04.2013 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 09.10.2012 und gegebenenfalls die Übernahme der Kosten für den Besuch des Kinderhortes für ihren Sohn ab dem heutigen Tag, weil nicht nachvollziehbar sei, warum sie ein zu hohes Einkommen haben solle. Der Beklagte übersandte an den Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 19.04.2013 die entsprechenden Antragsformulare mit der Bitte, sie ausgefüllt und unterschrieben mit den erforderlichen Unterlagen zurückzusenden, wobei eine eventuelle Kostenübernahme frühestens ab dem Monat des Antragseingangs zulässig sei. Der Bevollmächtigte der Klägerin wies mit Schriftsatz vom 17.06.2013 darauf hin, dass der Beklagte seinen Bescheid vom 09.10.2012 von Amts wegen aufzuheben habe, weswegen das Verwaltungshandeln nochmals zu überprüfen sei. Im Übrigen sei der Antrag auf Kostenübernahme von ihm bereits mit Schreiben vom 11.04.2013 gestellt worden. Am 06.08.2013 ging der Antrag der Klägerin vom 24.06.2013 auf Übernahme der Gebühren für den Besuch des Kinderhorts durch ihren Sohn ab dem 01.09.2012 per Email beim Beklagten ein. Mit Bescheid vom 13.12.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab, weil ihr Einkommen ausreichend und ihr somit zumutbar sei, die Gebühren selbst zu tragen. Die der Entscheidung zugrunde liegende Einkommensberechnung war beigefügt. Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 17.12.2013 mit Empfangsbekenntnis zugestellten Bescheid ließ die Klägerin mit dessen Schriftsatz vom 15.01.2014, der am selben Tag bei Gericht einging, Klage gegen den Beklagten erheben und beantragen, seinen Bescheid vom 13.12.2013 aufzuheben und ihr die beantragte Kostenübernahme zu gewähren. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 08.04.2014 ausgeführt, dass die Klägerin für ihre Tochter ... ebenfalls einen Antrag auf Kostenübernahme gestellt habe, über den der Beklagte mit Bescheid vom 23.10.2012 positiv entschieden habe. Offenbar habe der Beklagte seinen Bescheiden also unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse zugrunde gelegt. Es liege jedoch ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Zudem seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII nicht sämtliche Familienmitglieder berücksichtigt worden, insbesondere sei bei der Berechnung betreffend dem Sohn der Klägerin der Familienzuschlag für den anderen Elternteil nicht in Ansatz gebracht worden. Dadurch sei ein Betrag von 268,00 EUR außen vor geblieben; wäre dieser einbezogen worden, ergebe sich ein Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe von wenigstens 70,00 EUR/Monat. Mit Schriftsatz vom 15.05.2014 beantragte der Beklagte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe in ihrem Antrag angegeben, alleinerziehend zu sein. Mit dem Vater von ... lebe sie nicht zusammen, sondern mit ihrem Ehemann und ihrer gemeinsamen Tochter ... habe den Hort nur bis einschließlich August 2013 besucht und sei für das Schuljahr 2013/2014 abgemeldet worden. Eine Neuberechnung habe ergeben, dass es der Klägerin aufgrund ihres Familieneinkommens nach wie vor zumutbar sei, die Kosten für den Besuch des Kinderhorts durch ihren Sohn ... selbst zu übernehmen. Bei der Berechnung der zumutbaren Belastung sei bei dem Kind ... das Einkommen der Klägerin zugrunde gelegt worden, weil er mit ihr in einer Haushaltsgemeinschaft lebe. Hinzu komme das auf ihn entfallene Kindergeld und der vom anderen Elternteil zufließende Unterhalt. Für die Kinder ... und ..., die von der Klägerin überwiegend unterhalten würden, sei ein Familienzuschlag eingerechnet worden. Für den Ehemann der Klägerin sei dies nicht möglich, weil er nicht der Vater des nachfragenden Kindes ... sei. Zudem unterhalte die Klägerin ihren Ehemann auch nicht überwiegend, vielmehr sei dieser selbstständig, so dass davon ausgegangen werden könne, dass er ausreichende Einkünfte erziele, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Deswegen seien bei den Kosten der Unterkunft der Mietanteil des Ehemannes genauso unberücksichtigt geblieben wie seine Einkünfte und Belastungen, die von ihm im Antragsverfahren für die Tochter ... hätten geltend gemacht werden können. Unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse seien nur insoweit zugrunde gelegt worden, als in die Berechnung für das Kind ... sein Stiefvater nicht einzubeziehen gewesen sei. Auf Hinweis des Gerichts nahm der Beklagte eine Neuberechnung der maßgeblichen Einkommensgrenze unter Einbeziehung der Nebenkosten der Unterkunft vor und teilte mit Schriftsatz vom 06.10.2014 mit, dass sich für die Klägerin ein monatlicher Zuschuss in Höhe von 32,45 EUR zu den Kosten ergebe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen. Entscheidungsgründe Die zulässige Klage hat nur insoweit Erfolg, als der Beklagte die Kosten der Unterkunft nicht in die Ermittlung der maßgeblichen Einkommensgrenze einbezogen hat. Hingegen wurde der Ehemann der Klägerin und Stiefvater des Kindes ... zu Recht dabei nicht berücksichtigt. Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 SGB VIII soll der Elternbeitrag für den Besuch einer Kindertagesstätte ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Diese Soll-Vorschrift bewirkt im Regelfall eine Ermessensreduzierung auf Null, also immer dann, wenn Unzumutbarkeit vorliegt und keine atypische Sondersituation besteht, wofür hier weder etwas vorgetragen, noch sonst ersichtlich ist, so dass sich beim Vorliegen der finanziellen Unzumutbarkeit die Rechtspflicht zur Kostenübernahme ergibt. Dabei hat der Beklagte auf den erneuten Antrag der Klägerin vom 24.06.2013 auf Übernahme der Gebühren für den Besuch ihres Sohnes im Kinderhort ... ab dem 01.09.2012 dahingehend reagiert, dass er eine neue Berechnung der maßgeblichen Einkommensgrenze vorgenommen und sich nicht auf die Bestandskraft seines Bescheides vom 09.10.2012 bezogen hat. Zwar hat er im streitgegenständlichen Bescheid nur eine Neuberechnung für den Monat August 2013 vorgenommen und dies damit begründet, dass die von der Klägerin am 24.06.2013 ausgefüllten förmlichen Antragsunterlagen erst am 06.08.2013 bei ihm eingegangen seien. Im SGB VIII gibt es jedoch keine Vorschrift, die für einen derartigen Antrag die Formgebundenheit vorschreibt, vielmehr gilt der Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens nach § 9 SGB X. Der Antrag kann somit schriftlich gestellt werden und es besteht keine Pflicht, bestimmte Antragsformulare zu benutzen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hatte sich bereits mit Schreiben vom 11.04.2013 an den Beklagten gewandt und beantragt, seinen Bescheid vom 09.10.2012 zu überprüfen und festzustellen, dass der Klägerin Leistungen, wie mit Antrag vom 17.07.2012 beantragt, zustehen. Dieser Antrag betraf den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.08.2013. Wenn der Beklagte dann in das bestandskräftig abgeschlossene Verfahren wieder einsteigt und in der Sache entscheidet, steht der gesamte Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.08.2013 wieder im Streit, auch wenn er nur eine Entscheidung für den Monat August 2013 getroffen hat, denn der Antrag der Klägerin bezog sich nicht nur auf diesen Monat. Der Beklagte hat somit entweder eine weitergehende Entscheidung unterlassen, die zur Auslegung der Klage als Untätigkeitsklage führen müsste, oder inzident eine erneute Entscheidung für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.07.2013 abgelehnt. Hinsichtlich der Ermittlung der maßgeblichen Einkommensgrenze hat der Beklagte bei den Kosten der Unterkunft nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25.04.2013, Az. B 8 SO 8/12 R) nicht beachtet, wonach auch die Nebenkosten für die Unterkunft in die Berechnung einzubeziehen sind. Der bestandskräftige Bescheid vom 09.10.2012 wäre deshalb nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurück zu nehmen. Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 05.11.2014 mitgeteilt, dass sich dadurch ein monatlicher Zuschuss für die Klägerin in Höhe von 32,45 EUR ergibt, wogegen sie nichts einwendet. Hingegen ist es zutreffend, dass der Beklagte die Einkünfte des Ehemannes der Klägerin und eventuelle Belastungen, die auf ihn entfallen, nicht einbezogen hat. Der Ehemann der Klägerin ist nicht der leibliche, sondern der Stiefvater des Sohnes ... der Klägerin und somit diesem gegenüber nicht unterhaltspflichtig. Konsequent wurde er daher auch nicht in die Berechnung der Unterkunftskosten einbezogen (VG Augsburg, Beschluss vom 22.09.2010, Az. Au 3 E 10.1301; VG Oldenburg, Beschluss vom 10.03.2004, Az. 13 B 486/04; siehe auch OVG Lüneburg, Urteil vom 07.09.1999, Az. 9 L 1171/99). Ebenso konsequent hat der Beklagte bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII für den Ehemann der Klägerin keinen Familienzuschlag angesetzt. Diese Vorgehensweise ist rechtmäßig und verstößt weder gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG. Denn für die Feststellung der zumutbaren Belastung ist das Einkommen des Kindes oder des Jugendlichen sowie der Elternteile, mit denen das Kind oder der Jugendliche zusammen lebt, zugrunde zu legen. Lebt das Kind nur mit einem Elternteil zusammen, so tritt dieser an die Stelle der Eltern (§ 90 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 90 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Der Ehemann der Klägerin ist aber weder der leibliche noch der rechtliche Vater von ..., so dass der Ehemann der Klägerin auch kein Elternteil für ... im Rechtssinne ist. Mit seinem leiblichen Vater lebt ... nicht zusammen. Dementsprechend ist lediglich das Einkommen der Klägerin maßgeblich. Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG ist daher im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Es liegt auch keine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vor, weil es einen sachlichen Grund dafür gibt, die Berechnung der Leistung nach § 90 Abs. 3 SGB VIII für ... und ... unterschiedlich auszugestalten. Der sachliche Grund liegt darin, dass der Ehemann der Klägerin der leibliche Vater und damit auch Elternteil von ... ist. Der Beklagte hat damit die unterschiedlichen Berechnungen für die Kostenbeiträge bezüglich der Kinder der Klägerin dargelegt und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen. Das Gericht nimmt entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO darauf Bezug. Die Kostenentscheidung für das nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Verfahren beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.
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