1. Übungsfall

Dr. Irene Faber, Pflichtübung aus Zivilverfahrensrecht, Wintersemester 2015/16
Übungseinheit 1 (Prozessvoraussetzungen)
Fall 1:
Die Iso GmbH (Sitz in St. Pölten) führt im Auftrag der Baufix GmbH (Sitz in 1030 Wien), mit
der sie in laufender Geschäftsbeziehung steht, Isolierungsarbeiten durch. Diesen Arbeiten
liegen die Kostenvoranschläge vom 19.7.2014 (Bauvorhaben Kindergarten) und vom
21.10.2014 (Bauvorhaben Bank) zugrunde. Darin war jeweils festgehalten, dass das
tatsächlich isolierte Ausmaß gemäß ÖNORM B2260 zur Verrechnung gelange. Am 15.3.2015
legt die Iso GmbH jeweils Rechnung, und zwar über EUR 6.988,80 (Bauvorhaben
Kindergarten) und EUR 9.214,30 (Bauvorhaben Bank).
Nachdem die Baufix GmbH nicht zahlt, bringt die Iso GmbH am 1.9.2015 Klage beim LG St.
Pölten ein, mit der sie die Zahlung von EUR 16.203,10 begehrt. Das LG St. Pölten weist die
Klage zurück.
Zu Recht? Welche Vorgangsweise würden Sie der Anwältin der Isofix GmbH raten?
Variante:
Über Antrag der Klägerin wird die Klage an das BG Innere Stadt Wien überwiesen.
Ist dieses Gericht zuständig? Kann eine allfällige Unzuständigkeit vom Gericht oder den
Parteien aufgegriffen werden?
Fall 2:
Die Holzglanz GmbH mit Sitz in Korneuburg bringt beim LG Korneuburg Mahnklage gegen
Sigmund Freund, per Adresse 1090 Wien, ein. Sie begehrt die Zahlung von 17.439,40 EUR
an Werklohn. Sie habe eine Einbauküche geliefert und montiert; der Beklagte habe den
Werklohn trotz Fälligkeit nicht gezahlt. Zur Zuständigkeit wird vorgebracht, Korneuburg sei als
Gerichtsstand vereinbart worden.
Sigmunds Freunds Rechtsanwältin erhebt fristgerecht Einspruch. Die begehrte Leistung sei
nicht fällig. Anstatt der vereinbarten Furnier „Buche“ sei die Einbauküche im Farbton
„Eiche“ ausgeführt worden; die beklagte Partei verweigere den Austausch. Zudem bestreitet
Freunds Anwältin die Zuständigkeit des LG Korneuburg mit der Begründung, Sigmund Freund
sei Verbraucher und habe seinen Wohnsitz in 1090 Wien.
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Sie sind Rechtspraktikant/in am LG Korneuburg und mit der Aktenvorbereitung für Ihre
Ausbildungsrichterin betraut. Welche Erledigung werden Sie vorbereiten? Ausgehend vom
Parteienvorbringen, welches Gericht ist zuständig? Was würden Sie der klagenden Partei
raten?
Fall 3:
Die Klägerin ist Steuerberaterin; sie war jahrelang Mitglied des Tierzüchtervereins „Bello“.
Nach einem in den Lokalmedien erbittert ausgetragenen Konflikt, in dem die Klägerin dem
Vereinsobmann
Tierquälerei
vorwirft,
beschließt
die
Generalversammlung
ihren
Vereinsausschluss.
Die Klägerin bringt daraufhin eine Klage ein, mit der sie die Feststellung begehrt, dass ihre
Vereinsmitgliedschaft ungeachtet des Ausschlusses weiterhin aufrecht sei; zudem begehrt sie
ein Honorar von EUR 6.000,- für ihre für den Verein erbrachten Steuerberatungsleistungen.
Der beklagte Verein wendet ein, dass der Vereinsausschluss wegen vereinsschädigenden
Verhaltens zu Recht erfolgte; weiters, dass die Klägerin die Steuerberatungsleistungen
ehrenamtlich erbracht habe.
Die
Vereinsstatuten
enthalten
die
Bestimmung:
„Zur
Schlichtung
aller
aus
dem
Vereinsverhältnis entstehenden Streitigkeiten ist das vereinsinterne Schiedsgericht berufen.“
Wie wird das angerufene Gericht vorgehen?
Lesen Sie §§ 41, 42, 43, 65, 104 JN, §§ 227, 230a, 239, 240, 261 ZPO, § 14 KSchG, §
8 VerG. Informieren Sie sich über die gerichtliche Zuständigkeit, die Zulässigkeit des
Rechtswegs und die Wahrnehmung von Prozesseinreden.
§ 8 Abs 1 VereinsG: Streitschlichtung:
Die Statuten haben vorzusehen, dass Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis vor einer
Schlichtungseinrichtung auszutragen sind. Sofern das Verfahren vor der Schlichtungseinrichtung nicht
früher beendet ist, steht für Rechtsstreitigkeiten nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der
Schlichtungseinrichtung der ordentliche Rechtsweg offen. Die Anrufung des ordentlichen Gerichts kann
nur insofern ausgeschlossen werden, als ein Schiedsgericht nach den §§ 577 ff ZPO eingerichtet wird.
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