Geschichte und Geschichten - Spaziergänge durch die

Geschichte und Geschichten - Spaziergänge durch die Hofer Vergangenheit
von Arnd Kluge, Stadtarchiv Hof
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Spaziergang 2: Sagenhaftes Hof – Von der Neustädter Schule zum Schloss
Hofeck
Die ältesten Hofer Sagen überliefert Enoch Widman in seiner bekannten handschriftlichen Stadtchronik, die um 1600 entstanden ist. Aus dem 17. und 18. Jahrhundert gibt es nur wenige Sagen, während
im 19. Jahrhundert die große Zeit der Sagensammlungen beginnt. Die bekannteste Sammlung für Hof
und die umliegende Region stammt von dem Volksschullehrer Andreas Reichold; sie wird mittlerweile in der 9. Auflage verkauft. Reichold bediente sich – wie viele andere Sagensammler – ohne
Quellenangabe bei älteren Sagensammlungen und erfand selbst neue Geschichten. Sagen sind keine
authentischen Dokumente des „Volksglaubens“; sie spiegeln vielmehr die Weltanschauung dessen, der
sie der Nachwelt überliefert, und geben nur selten Auskunft über die Verhältnisse zu der Zeit, in der
sie (angeblich) spielen. Heutzutage liest oder hört man sie vor allem, weil sie spannend oder amüsant
sind und eine Prise Wunderglauben in den grauen Alltag mischen. Der folgende Spaziergang wurde
für Kinder konzipiert, macht aber auch Erwachsenen Spaß.
Der Spaziergang beginnt an der Neustädter Schule, neben dem Jean-Paul-Gymnasium in der Theaterstraße, mit der prominentesten Sage der Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach bzw. –Bayreuth, der
Sage von der Weißen Frau. Die Sage, die um 1298 spielen soll und zuerst von Caspar Brusch 1551
überliefert wurde, handelt von der Gräfin Beatrix von Orlamünde, die aus Liebe zu Burggraf Albrecht
zu Nürnberg heimlich ihre zwei kleinen Kinder durch Stiche in den Kopf ermordet habe. Diese seien
im Kloster Himmelkron begraben worden, wo sie Besuchern später als Kuriosum vorgezeigt wurden.
Die Sage, die in Himmelkron und auf der Plassenburg spielt, wurde im 18. Jahrhundert auf das Hofer
Klarakloster übertragen, in das die Mörderin aus Reue eingetreten sei.
Die weiße Frau in der Neustädter Schule
Andreas Reichold berichtet: „Während des Unterrichts kam einmal die weiße Frau in ein Klassenzimmer der Neustädter Schule. Kaum hatten sie die Schüler gesehen, so sprangen sie auf, eilten zur Türe
hinaus und jagten die Treppen hinunter und zum Haus hinaus.“
Andreas Reichold war seit 1903 Lehrer an Hofer Volksschulen. Die Deutsche Schule (im Unterschied
zur höheren Lateinischen Schule) war seit 1545 im Ostflügel des aufgelassenen Franziskanerklosters
untergebracht. Nach dem Abriss der Klosterkirche im Jahr 1902 erhielt sie (unter dem Namen Neustädter Schule) einen Anbau. Der Schulsitz im vormaligen Kloster, in das die weiße Frau nach ihrer
Mordtat eingetreten sein soll, könnte für die Entstehung der Sage verantwortlich sein. Die dürftigen
historischen Angaben der Sage lassen es nicht zu, ihre Entstehungszeit genau zu bestimmen. Die unterstellte Abhängigkeit der Sage von dem Eintritt der weißen Frau in das Klarakloster ergäbe eine früheste Zeitgrenze von 1749, als diese Meinung aufkam; eine wesentlich spätere Entstehung ist nicht
auszuschließen.
Der Zwerg in der Neustädter Schule
Ebenfalls von Reichold stammt die folgende Geschichte: „Einmal gingen zwei Mädchen des Neustädter Schulhauses in das Gewölbe hinter der Turnhalle, da hörten sie etwas rufen. Als die Leute
nachschauten, fanden sie ein Männlein mit einer Axt in der Hand. Seitdem ist das Gewölbe verschlossen.“
Die Neustädter Turnhalle wurde 1867 erbaut. Für eine Volkssage ist dieser Entstehungszeitpunkt ungewöhnlich spät. Sollte man dem Sagensammler Reichold einen Bären aufgebunden haben?
Der Teufel straft ein ungezogenes Schulkind
Enoch Widman schildert folgende Begebenheit: „Umb diese zeit, des 1560. Jars, alß Johannes
Pflöckner, ein armer Schuler, eines schulmeisters zu Conradsreut Sohn, mit andern seines gleichen
bösen buben, an einem Sonn- oder feiertag unter der vesper, in der mittlern stuben der Closterschul
gespielet, unnd allerlei mutwillen getrieben: Hat er neben seinen gesellen ein unbekandtes klingeln
unnd geleut vor der Stuben gehört, unnd da solches zum drittenmal geschehen, unnd die andern vor
furcht unnd schrecken davon gelauffen, ist Pflöckner vom Teuffel, zu einem fenster gegen dem schulhof heraus gehencket worden, allda er sich gantz schwerlich enthalten können, biß man ihm nach vollendter vesper zu hülff kommen: hette sich sonsten uff dem pflaster zu tod fallen mussen.“
In Hof gab es seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts eine Lateinschule, eine höhere Bildungseinrichtung. Als das frühere Franziskanerkloster nach der Reformation leer stand, gründete man in diesem
Gebäude ein Gymnasium, das heutige Jean-Paul-Gymnasium, das 1546 seinen Betrieb als Nachfolger
der Lateinschule aufnahm. Da das Gymnasium bis zum 19. Jahrhundert Schüler aus dem weiteren
Umkreis Hofs aufnahm, gehörte ein Internat, ein sogenanntes Alumneum, dazu, in dem Schüler unterkamen, die auswärts wohnten und sich keine private Unterkunft in Hof leisten konnten. Die Finanzierung der Schule und des Alumneums erfolgte aus den Bezügen des ehemaligen Franziskanerklosters
sowie aus Spenden und Stiftungen. Für das Alumneum wurde das Sommerhaus der Mönche um ein
zweites Obergeschoss aufgestockt. Dieses aus Fachwerk, billig und schnell, gebaute Geschoss wurde
1746 wieder abgerissen.
Die Theaterstraße aufwärts in Richtung Schlossplatz gehend, gelangt man zu einem Mauerrest, der
einst zum Hofer Schloss gehörte. Das Schloss, der Amtssitz des „Landeshauptmanns“ von Hof (des
vom Landesherrn eingesetzten Verwalters) stand bis zum Brand 1743 ungefähr an der Stelle des heutigen Wöhrl-Parkhauses.
Das Hofer Schloss
Der ungetreue Kornknecht
Am früheren Hofer Schloss soll sich Reichold zufolge die Sage vom ungetreuen Kornknecht zugetragen haben: „Manchem Bewohner der Häuser am Klostertor und an der Hindenburgstraße [heutige
Lessingstraße] und manchem Bürger, der in mitternächtlicher Stunde seinem Hause auf diesen Wegen
zustrebte, mag in dieser nachtschlafenden Zeit ein öfter aufeinanderfolgendes kurzes eigentümliches
Rauschen aufgefallen sein. Es klingt, als wenn Sand auf die Schieferdächer gestreut würde.
Das verursacht der ungetreue Kornknecht!
Die Vögte von Weida sammelten in der großen Scheune ihres Schlosses in Hof a. d. S. im Herbste den
Zehnten an körnerschweren Getreidegarben, den ihnen ihre Untertanen im Regnitzlande schuldig waren. Im Winter wurde er gedroschen.
Der Kornknecht, den sie über die Drescher gesetzt hatten, war ein Dieb. Wenn er am Feierabend die
Fröner entlassen hatte, füllte er sich sein Säcklein voll Körner und verbarg es in seiner Kleidung. Dann
sperrte er die Scheune ab, gab dem Pförtner den Schlüssel und ging in sein Gütlein jenseits der Stadtmauer am Hang oberhalb der Saale. Das trieb er viele Jahre und kam dadurch zu Geld. Dieses reizte
ihn, immer mehr Körner zu stehlen.
Endlich fiel es dem Kastner auf, daß in den Getreideböden nicht mehr die Haufen Körner lagen, die
hier in früheren Jahren gelegen hatten. Man beschuldigte die Fröner, die die Körner aufschütten mußten, des Diebstahls. Da einem von ihnen nachgesagt werden konnte, daß er einmal eine Hand voll
Körner in die Tasche geschoben habe, so wurden ihm zur Strafe und den andern zur Warnung beide
Ohren abgeschnitten. Der so Gebrandmarkte schwor dem unbekannten Diebe blutige Rache. Er beobachtete von da an unauffällig alles Gesinde.
Lange vermochte er nichts zu entdecken.
Wie es so sein sollte, ging er an einem Winterabende, an dem es leicht schneite, auf dem Heimwege
hinter dem Kornknechte her. Da bemerkte er auf der weißen Schneedecke und in den frischen Fußspuren Körner. Er schöpfte Argwohn, beschleunigte seine Schritte und sah dann deutlich, wie sie aus der
Hose des allgewaltigen Kornknechts rieselten.
Sofort stellte er ihn darob zur Rede. Es gab Streit und er erstach ihn in seiner Wut.
Als man den Toten fand, steckte in seiner Hose ein Säcklein Körner, das aufgefahren war. Nun kannte
man den Dieb.
Der aber, dem man hatte unschuldig die Ohren abschneiden lassen, wurde für die erlittene Schmach
nun Kornknecht. Von seinem Totschlag wußte man ja nichts. Er veruntreute Zeit seines Lebens kein
Körnlein, schon um seine schwere Schuld zu sühnen.
Der ungetreue Kornknecht, der inmitten seiner Sünden aus dem Leben gerissen wurde, kann im Tode
keine Ruhe finden. Jede Mitternacht muß er als Geist zum Schlosse schweben, Getreidekörner holen
und in sein Anwesen bringen. Dabei muß er allmählich auf seinem Weg durch die Lüfte soviel
verstreuen, als er seinerzeit verloren hatte.
Wenn er das letzte Körnlein versät hat, das er entwendete, dann ist er erlöst.
Wer weiß, wie lange das noch dauert!
So lange wird es von den Dächern der Häuser an der Hindenburgstraße und am Klostertor her in der
Geisterstunde allnächtlich einige Augenblicke rauschen.“
Diese Geschichte, die vordergründig ganz harmlos daherkommt, ist ein Beispiel übelster politischer
Propaganda. Sie spielt in der Gegenwart der Niederschrift, obwohl es doch jedem Hofer klar war, dass
es schon lange kein Schloss mehr gab und man auch auf den Hofer Straßen keine Körner fand, die das
mitternächtliche Gespenst ausgestreut haben soll. Einem Dieb hätte man im Mittelalter – als „spiegelnde Strafe“ - vielleicht die Hände abgeschlagen, aber kaum die Ohren! Obwohl er sich um ein sagenhaftes Gewand für seine Geschichte bemüht, etwa durch die Feststellung, Erlösung werde erst nach
der vollkommenen Wiedergutmachung des Schadens gewährt, kann es Reicholds Absicht nicht gewesen sein, eine überzeugende Sage aus früheren Zeiten zu erzählen, sondern einen bestimmten Eindruck
bei seinen Mitmenschen zu hinterlassen. Seine Geschichte, die er 1933 veröffentlichte, passt in eine
Zeit, in der infolge der verbreiteten Armut in Hof, der Weltwirtschaftskrise und der Autarkiepolitik der
Nationalsozialisten ein sparsamer Umgang mit den Grundnahrungsmitteln geboten war. Den Nationalsozialisten, zu denen sich Reichold bekannte, war dies ein besonderes Anliegen, das sie mit zahlreichen Kampagnen unterstützten. Außerdem propagierten sie, dass sie sich gegen die angeblich systemimmanente Verbrechermentalität der Weimarer Republik stellten und dafür sorgen wollten, unter
„korrupten“ Führungskräften aufzuräumen. In Hof wurde unter dem Vorwand, öffentliche Mittel veruntreut zu haben, im Jahr 1933 Oberbürgermeister Dr. Buhl auf Betreiben der Nationalsozialisten aus
dem Dienst entfernt. Dieses Verfahren wandten die neuen Machthaber an vielen Orten an, um missliebige politische Konkurrenten loszuwerden.
Von hier aus gelangt man über den Schloßplatz und das Jean-Paul-Gäßchen zum Oberen Torplatz.
Neben dem Gebäude des Hofer Anzeiger führt der Rähmberg abwärts zur Fischergasse. Die folgende
Sage der Fischergasse spielt etwas südlich von diesem Standpunkt, die zweite leicht nördlich, die
dritte irgendwo in der Fischergasse. Alle drei Sagen sind aus der Sammlung Andreas Reicholds.
Die goldenen Kröten
„Als noch die Altstadt nicht stund, zogen sich an dem Hang zur Fischergasse hinab Gärten, Wiesen
und Felder. Dort richtete eines Frühjahrs ein Hofer Bürger mit seiner Frau die Wurzgärtchen zurecht.
Fleißig hackten sie die Erde auf. Jeder Stein, der zum Vorschein kam, wurde in das bereitstehende
Schänzchen geworfen, um auf den Fahrweg getragen zu werden.
Da löste die Frau eine neue Scholle. Aus ihr fiel ein braunes Ding. Wie sie das anfaßte, rührte es sich
und streckte vier Beine hinaus. Es war eine Kröte. Mißmutig warf sie das Tier beiseite, wo es ruhig
liegen blieb. Nach einiger Zeit kommt wieder eine zum Vorschein und so noch 10-12 Stück. Da ward
ihr etwas ängstlich zumute und sie sagt zu ihrem Manne: „Schau nur die ekelhaften Kröten, die ich da
fort ausgrabe!“ Dieser trat hinzu und stieß mit dem Fuß nach der zunächstliegenden. Da war sie ein
blitzender Dukaten. Er hob ihn freudig auf und stieß das nächste Tier an. Da war es ebenso. In der
Weise ging es zu, bis er alle Kröten angestoßen hatte.
Nun grub die Frau weiter und der Mann paßte schon auf die nächste Kröte. Aber solange sie auch graben mochte, es fielen keine mehr aus den Schollen. Da sagte der Mann unwirsch: ‚Hättest das Maul
gehalten, dann wären wir reich wie die Kurfürsten geworden. Sein Glück darf man doch nicht beschreien. Aber so ists aus mit den Kröten.‘ Dies Vorkommnis erzählten die Bürgersleute dann daheim
in der Neustadt. Von ihm blieb die Redensart: ‚Es ist aus mit den Kröten!‘ wenn einer kein Geld mehr
hat.“
Laut Reichold spielt die Sage, als „noch die Altstadt nicht stund“, aber die Neustadt, deren Bürger in
der Geschichte agieren. Dies ist historisch falsch, da die Neustadt, wie es ihr Name ausdrückt, nach
der Altstadt gebaut wurde. Hinter den Häusern der Altstadt befinden sich bis heute langgestreckte
Grundstücke, die bis zur Fischergasse reichen. Der Wunsch, statt Steinen und Kröten bei der schweren
Landarbeit auf den zumeist kargen Böden der Hofer Region Gold zu ernten, der aus der Sage spricht,
ist verständlich. Die sprichwörtlichen „Kröten“ als Synonym für Geld werden von SchildkrötenBildern auf altgriechischen Münzen abgeleitet. Reicholds verquere Datierung, die allen stadtgeschichtlichen Überlieferungen widerspricht und die Sage in der „grauen Vorzeit“ ansiedeln will, ist
Ausdruck seines Bemühens, sagenhafte Anknüpfungspunkte für das Germanentum in Hof zu erfinden.
Anzunehmen ist daher, dass die Sage von Reichold selbst oder von geistesverwandten Gewährsleuten
erst kurz vor ihrer Veröffentlichung im Jahr 1933 geschaffen worden ist.
Die Kröten im Tischschub
„In der Nähe des Sachsturms hauste ein Bürger, der war so reich, daß er, um satt zu werden, von den
Heringen nur die Augen essen brauchte und die Fische auf den Mist werfen konnte. Als er sich in den
Sechziger Jahren seines Lebens befand, starb ihm sein Weib. Nun bat ihn sein Sohn und seine
Schwiegertochter, ihnen das Geschäft samt dem Vermögen zu übergeben und sich ins Austragstübchen zu einem beschaulichen Leben zurückzuziehen. Sie versprachen ihm hiefür alles zu tun, was sie
ihm nur von den Augen absehen könnten, er sollte in seinen alten Tagen herrlich und in Freuden leben. Der alte Mann ließ sich durch diese immerwährenden Vorspiegelungen betören und übergab seinem Sohne Geschäft und Geld und zog in das hiefür eingerichtete Bodenkämmerchen in den Ausding.
Doch als die jungen Leute in dem gut gehenden Geschäfte viel verdienten und vom Geld des Vaters
schwere Zinsen einnahmen, zogen Geiz und Habsucht in ihr Herz und verhärteten es ganz und gar.
Dadurch wurden sie des alten, guten, fast bedürfnislosen Mannes überdrüssig und empfanden ihn als
eine unangenehme Last. Sie ließen es an seiner Verpflegung immer mehr fehlen. Oft fielen auch harte
Worte. Weil der Greis zu stolz war, auf sein Recht zu pochen, so kümmerten sie sich mit der Zeit
nichts mehr um ihn und er verging vor Hunger und Kummer. Vom Todestag des Alten ab saßen nun
immerfort im Tischkasten der Jungen auf dem Brote Kröten. Die ekelhaften Tiere ließen sich durch
nichts vertreiben. Von dem Augenblick an hatte der Sohn und seine Frau Mißgeschick über Mißge-
schick. Ihr Reichtum wurde weniger und weniger. Die Schuld rächte sich an ihnen. Sie verdarben und
starben. Da waren die Kröten für immer verschwunden.“
Der Sachsturm stand bis 1824 etwa beim jetzigen Haus Ludwigstraße 83.
Der Lehrer und Erzieher spricht: Kinder, sorgt für eure Eltern, sonst wird es euch einmal schlecht gehen! Hier handelt es sich nicht um eine klassische Sage, da außer einer vagen Ortsangabe keine historischen Hintergründe zu erkennen sind, sondern um eine märchenhaft ausgeschmückte Parabel. Möglicherweise hat Reichold sich die Vorlage aus Köhlers Sammlung Thüringer Sagen aus dem Jahr 1867
besorgt, wo mit einer ähnlichen Geschichte erklärt wird, warum am Rathaus in Neustadt an der Orla
an einer eisernen Kette ein steinernes Brot hänge, auf dem eine Kröte sitzt. Indem die Sage von Neustadt nach Hof transferiert wurde, mutierte sie zu einem Märchen.
Die Goldgräber in der Fischergasse
„Als die Fischergasse in Hof noch ein schmales Weglein war, das an dem Hange vom Fuße des Klausenberges nach dem Sachsturm hinführte, wurde dort in verschiedenen Gruben Eisenerz zu Tage gefördert. Da hätte doch mancher statt des Eisens lieber Gold aus dem Berge geholt, um rasch reich zu
werden. Die Habgier trieb wohl den und jenen an die Stollen, um nach diesem gleißenden Gute zu
forschen. Da kamen wie von ungefähr böse Geister in Gestalt des einen oder andern Bergmannes zu
ihm und zeigten ihm eine Stelle, wo Gold verborgen in der Erde läge.
Der Leichtgläubige begann dann nächtens mit Pickel und Schaufel ein Loch in den Berg zu graben.
War er einige Manneslängen tief eingedrungen, so fand er hie und da ein silbernes oder gar ein goldiges Steinchen. Wenn er es aber daheim in die glühende Schmelzpfanne tat, dann zerfloß es zu Rauch
und höhnisches Lachen erscholl. Hatte der Goldgräber ja einmal einen gelben Klumpen Erzes in der
Hand, so erwies es sich zu Hause als taubes Gestein, das des Heimtragens nicht wert gewesen war. Er
war zum Besten gehalten.
Dies wäre wohl noch das geringste Übel gewesen, das die bösen Geister verursachten. Sie lockerten
auch das Gestein der Stollendecke, daß es beim geringsten Anhieb auf die Goldsucher fiel und sie so
zudeckte, daß sie nur mit vieler Mühe dem Tode entrannen. Dann füllten sie den bereits tief in die
Erde getriebenen Schacht so zu, daß er nimmer zu finden war. Oder sie verunreinigten die Grube dergestalt, daß wegen des teuflischen Gestankes darin nicht mehr weitergebaut werden konnte. Auch
verlöschten sie die Grubenlichter und standen dann als schreckhafte Wesen vor dem zitternden Goldgräber, der nun so rasch als möglich zu Tage fuhr. Doch an den Ausgang hatten sie große Steine gelegt, sodaß er bei der Eile heftig hinschlug und sich meistens nicht unbedeutend verletzte. Dann erklang spöttisches Gelächter.
Diese Geister trieben ihren Spuck so stark, daß sich kein Mensch mehr Gold zu graben wagte. Von
nun an errang man sich nur mehr auf des ehrbaren Handels und Gewerbes goldnen Boden Wohlstand
und Bürgerglück.“
Reichold stellt sein Wissen über Geistersagen zum Bergbau vor und verletzt dabei – wie bei anderen
seiner „Sagen“ - das Prinzip, dass eine „echte Sage einepisodisch ist, also kurz“ (Erwin Herrmann).
In Hof gab es im 15. und 16. Jahrhundert einzelne kleine Bergwerke. Am Theresienstein wurde auf
Gold geschürft, in Leimitz auf Eisen. Ob es auch in der Fischergasse Bergbau gab, ist unbekannt. Wegen der geringen Ergiebigkeit der Gruben und der aufwändigen Wasserhaltung erlosch der Bergbau
bereits nach kurzer Zeit. Erneute Versuche im 19. Jahrhundert blieben trotz der fortgeschrittenen
Technik ebenso erfolglos. Die Sage veranschaulicht den spekulativen Charakter des Bergbaus vor dem
19. Jahrhundert, als nur rudimentäre Kenntnisse von erzhaltigen Gebirgsformationen vorlagen, und die
große Gefährdung der Bergleute in schlecht abgesicherten Kleinbergwerken. Die in der Fischergasse
und an vielen anderen Stellen in Hof anzutreffenden, oft ausgemauerten Gänge im Berg sind in der
Regel keine Bergbaustollen, sondern Keller, die zur Lagerung von Lebensmitteln (Produkte der von
vielen Hofern bis in das 19. Jahrhundert im Nebenerwerb ausgeübten Landwirtschaft, Bier der Kommunbrauer) dienten.
Von der Fischergasse geht es saaleabwärts bis zum Mittleren Anger, wo der Weg direkt an der Saale
(auf dem Saaleradweg) verläuft. Am „Schlangenspielplatz“ in der Nähe der Mittleren Angerbrücke
befindet sich die nächste Station. An der Saale spielen zahlreiche Sagen, von denen zwei, wiederum
nach Reichold, hier wiedergegeben werden sollen.
Der Vogtsteufel
„Eine Anzahl der vielen Schlösser des alten Regnitzlandes gehörte ehedem einem äußerst strengen und
gewalttätigen Vogte. Wegen seines sündhaften Wesens nannte man ihn nur den Vogtsteufel. Sein
wirklicher Name ward darob vergessen. Wer ihn von seinen Hörigen sah, der wich ihm aus, denn er
war stets darauf erpicht, die Leute zu drangsalieren. Wegen geringer Vergehen ließ er seinen Untertanen Nase oder Ohren abschneiden oder gar die Hände abhacken.
Alle Tage durchjagte er mit einer von vier Rappen gezogenen Kutsche sein Gebiet, das sich an beiden
Ufern der Saale ausbreitete. Wie ein Teufel war er hinter seinen armen Bauern und Gütlern her. Viele
behaupteten, er habe seine Seele dem Gottseibeiuns verschrieben gehabt, sonst hätte er nicht gar so
häßlich mit seinen Leuten sein können, und dieser habe sich ihn auch geholt, als er ihm nicht mehr zu
Willen sein wollte. Zwischen Weihnachten und Neujahr kamen nämlich seine Pferde mit dem Schlitten allein ins Schloß zurück und ihn fand man mit umgedrehtem Kopfe tot irgendwo auf dem Wege.
Um seine große Schuld zu büßen, muß er nun in den unteren Nächten in einem Gefährte, das von vier
feuerschnaubenden Rossen gezogen wird, sein Gebiet durchhetzen. Bald saust er auf den Straßen der
Ebene dahin, bald fegt er durch die Lüfte über die Täler hinweg, wenn er von einem seiner Höfe zum
andern rast.
Gar mancher Einwohner Hofs und seiner Umgebung hat ihn schon vom Labyrinthberge zum Teufelsberge oder sonstwo in den Lüften über die Saale mit Peitschengeknall und wüstem Geschrei seine
Pferde antreibend fahren hören. So war es gut für ihn, denn wenn er an jemandem auf der Straße vorüberfährt, den schlägt er mit seiner Peitsche so unmenschlich, daß er dauernden Schaden davonträgt.
Viele Hinkende und Buckelige sollen ihr Gebresten davon her haben.
Manchen Wanderer, der noch in später Nacht seinem Hause zustrebte, hat er Mitleid heuchelnd nach
seinem Wege gefragt und ihn aufsetzen heißen, aber wer weiß wohin gefahren. Dort stieß er ihn so
hart aus dem Wagen, daß er sich einen Denkzettel holte.“
In der Hofer Region herrschten von 1248 bis 1373 die Vögte von Weida. Nach ihnen wurde das
Vogtland benannt. Das Vogtland-Bewusstsein, die Erinnerung an die Vögte von Weida und die Meinung, Bestandteil des Vogtlandes zu sein, wurden in der Hofer Region gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder zum Leben erweckt, als sich die Heimatforschung zu entwickeln begann, die nach den
Wurzeln der Region im Mittelalter fragte. In dieser Zeit wurde auch der lange vergessene Begriff des
Regnitzlandes neu entdeckt. Die Sage kann daher frühestens um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gebildet worden sein.
Die feurigen Männer an der Saale
„Vorzeiten war es nachts an der Saale nicht geheuer. Auch der beherzteste Mann soll sich damals nach
Eintritt der Dunkelheit nicht den Fußweg zu benützen gewagt haben, der in der Nähe der Saale von der
Staudenmühle bei Hof zur Orlaleite und von da zum Teufelsberge führte.
Da trieben feurige Männer ihr Unwesen. Sie neckten und schreckten die Leute. Mußte jemand in der
Nachtzeit den Steig benützen, so gingen sie vor ihm her. Folgte er ihnen, so kam er vom Wege ab und
fiel in ein Wasserloch oder gar in die Saale. Höhnisches Lachen erscholl dann. Sie umhüpften den
Tropfnassen und schnitten ihm schreckliche Gesichter.
Einstmals hatte sich eine Frau in der Mühle verspätet und benützte trotz aller Warnungen, nachdem es
schon dämmerig geworden war, den verrufenen Fußweg. Bald umtanzten sie die feurigen Männer. Sie
fürchtete sich nicht und schritt rüstig fürbaß. Als sie den Steig zu verlieren drohte, befahl sie ihnen,
daß sie ihr den Pfad beleuchten sollten. Sie folgten ihr wirklich. Als sie beim Teufelsberg die feste
Hofecker Straße erreicht hatte, rief sie: ‚Habt Gottes Dank!‘ Da erhob sich im Gestein des Teufelsberges ein entsetzliches Geprassel. Von da an ist kein feuriger Mann mehr beobachtet worden. Dies Dankeswort hatte sie erlöst.“
Diese „Sage“ steht für die Kunst, aus bekannten Motiven eine neue, in sich stimmige und gleichzeitig
unterhaltsame Geschichte zu konstruieren. Mysteriöse Orte (ein Fluss, eine Mühle, eine „Teufelsberg“
genannte Erhebung), der einsame Heimweg in nächtlicher Dunkelheit, eine Schar Teufel als Irrlichter
und die Erlösung der Geister dank der christlich motivierten Beherztheit der Hauptperson kreieren eine
typische Sagen- oder Märchenstimmung. Die Erlösung männlicher Geister durch mutige Mädchen
oder Frauen ist ein mehrfach von Reichold benutztes Motiv. Schon Johann Theodor Benjamin Helfrecht berichtete im Jahr 1800 vom Aberglauben des Fichtelgebirges: „Sogenannte feurige Männer,
deren leichte, zähe, klebrichte phosphorescirende Materie sich bald vereiniget, bald theilt, bald auf und
niederschwebt und endlich verschwindet, wenn der brennbare Stoff sich verzehrt hat, sind ebenfalls
nichts seltenes.“ Robert Eisel erzählte 1871 aus der Gegend von Neustadt an der Orla: „Einer armen
Frau mit einem Schubkarren erschien er [ein feuriger Mann ohne Kopf] auch einst und ging mit ihr
von der Neustädter Mühle her nach dem Moderwitzer Silberberge, um ihr zu leuchten. Habe Dank,
sagte da die Frau, lieber Feuermann. Da ist der Feuermann verschwunden und von fernerem Umgange
erlöst gewesen.“ Auch in der Bayreuther Region und in der Oberpfalz wird vielerorts von feurigen
Männern berichtet.
Auf Höhe der Michaeliskirche wird der Saaleradweg verlassen. Man wendet sich an der Kirche vorbei
den Kirchberg hoch und weiter bis zur Ludwigstraße, der man abwärts folgt. Über die Straßenkreuzung hinweg geht es zur Hospitalstiftung, deren Gebäude hinter der kleinen, hübschen Hospitalkirche
einen grünen Innenhof umrahmen: linker Hand das Museum Bayerisches Vogtland, rechter Hand das
Stadtarchiv und die Konventstube (ein Vortragssaal) und im hinteren Teil des Hofes das Altenheim.
Die Hospitalstiftung pflegt die Tradition des Altenheims an diesem Standort seit dem Mittelalter ohne
Unterbrechung. Von den Versorgungsschwierigkeiten der Insassen (Pfründner) während des Dreißigjährigen Krieges berichtet die folgende Sage des Hofer Kriegschronisten Jobst Rüthner.
Ein gespenst im Hospital eräugnet sich.
„Diese woche über hat sich im Hospital ein Geist oder Gespenst, oder was es sonst gewesen, so der
gemeine Mann ein Ungethumb geheissn, öffentlich hören lassen, mit vielen Leuten geredet, unnd sich
genennet Maria Judith eine Rabensteinerin, so 400 f. in das Spital gestiftet hätte unnd wäre vor etlichen 30 Jahren verstorben, da es gefragt worden, ob es ein Christ, Item an Gott Vater, Sohn unnd heiligen Geist glaubete hat es alles mit Ja beantwortet, drohete darneben, man solte die armen Leute aus
dem Hospital thun, es wolte es anzünden, es könte die Unbilligkeit nicht mehr leiden, auch nicht ruhen, unnd solte man sonderlich den Becken aus dem Spital schaffen, der veruntreuete das Brod und
die Schweine, hat auch etliche entwendete unnd versteckte Sachen offenbahret. Item die Pfründner
nachts in ihren Zellen eingesperret, unnd Schlösser vor die Thüren geschlagen, Stöck und Plöcher
fürgelegt, unnd dergleichen mehr Sachen verübet, hat zwar niemanden an Leibe Schaden gethan, ob es
wohl zum öftern durch verschlossene Thüren und Fenster Steine und andere Sachen eingeworfen, hat
es doch niemand getroffen, Item da man gefragt, ob es H[errn] M[agister] Paul Reinel als Spitalprediger kenne, hat es ia gesagt, da man ihm fürgehalten, man wolte ihn holen, hat es nicht gewolt, sondern
gesagt es rede nicht mit ihm, er habe es einen Lügengeist geheissen, darüber es sich zuvorhero auch
gar kläglich vernehmen lassen; Es wäre kein Lügengeist, sondern obgedachte Maria Judith Rabensteinin.“
Paul Reinel war ab 1613 Spitalprediger und ab 1622 Spitalpfarrer in Hof, als welcher er bis zu seinem
Tod am 9.6.1661 amtierte. Die Geschichte endet abrupt, ohne dass man erfährt, was aus dem Gespenst
geworden ist und ob die Pfründner ihr Recht bekommen haben. Für die Erlösung des Gespenstes wäre
es unabdingbar gewesen, dass seine Forderung erfüllt wurde. Dem Autor scheint es nicht in erster
Linie um eine Gespenstergeschichte klassischen Formats gegangen zu sein. In Johann Nikolaus
Prückners Hospitalgeschichte sind zwei Briefe der Hospitalpfründner an den Stadtrat wegen dieser
Sache vom 12.7.1634 und vom 27.10.1634 in Abschrift erhalten, in denen kein Geist erwähnt wird.
Die Pfründner baten in diesen Briefen um Erhöhung ihrer durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Bezüge, insbesondere um die Verbesserung der Ernährung und Holzversorgung. Da sich der
zweite Brief direkt auf den ersten bezieht, hat es zwischen beiden Briefen offenbar keinen weiteren
gegeben. Die Geschichte Rüthners dürfte ihrem Autor also lediglich dazu gedient haben, die Erbärmlichkeit der Pfründnerversorgung, die sogar Gespenster anzog, zu unterstreichen, um die negativen
Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges zu betonen, das Hauptthema seiner Chronik.
Die Rabensteiner, ein reiches Geschlecht aus Döhlau und Tauperlitz, hatten dem Hospital große Stiftungen vermacht und dafür das Recht erhalten, einmal jährlich an der ihnen zu Ehren ausgerichteten
„Rabensteiner Mahlzeit“ teilzunehmen. Eine Maria Judith Rabensteiner ist hingegen nicht bekannt;
der Name dürfte erfunden worden sein.
Unmittelbar hinter der Hospitalkirche befindet sich eine kleine Parkanlage, der frühere, 1955 zugeschüttete, Hospitalgraben. Durch diese Parkanlage führt der Weg weiter an der Rückseite der Hospitalgebäude vorbei bis zum neuen Altenheim der Hospitalstiftung, das an der Gerbergasse liegt. In der
Gerbergasse siedelt Reichold eine unterhaltsame Geschichte an.
Der Teufelsgeselle
„In Hof war vor langer, langer Zeit unterhalb des Sigmundsgrabens, als dort erst einige Häuser standen, am Ufer der Saale in der Nähe des Wehres das altertümliche Anwesen eines Gerbers. Da war es
nicht geheuer. Nur unter Aufbringung besonderen Mutes gingen auch beherzte Menschen bei Nacht
über die Peunte zu der Einzel. Der Besitzer war ein guter Kerl, der keinen Bettler unbeschenkt vom
Hause gehen ließ und den Armen und dem Spitale zusehends Zuwendungen machte. Aber sein Anblick erregte Grauen. Das Gesicht war ihm durch einen Säbelhieb, der über die beiden Backen und die
Nase eine tiefe Narbe hinterlassen hatte, entsetzlich entstellt. Durch sie war seine Oberlippe hochgezogen und seine breiten gelben Schneidezähne traten furchtgebietend unter einem borstigen schwarzen
Schnauzbart, dessen Enden wie Rattenschwänze herabhingen, hervor. Seinen Kopf bedeckte meist ein
alter Filzhut, auf dem eine rote Hahnenfeder steckte und aus dessen Löchern stets Schöppel seines
struppigen Haares herausstachen. Er konnte keinem Menschen offen ins Gesicht sehen. Sein stechender Blick schon verjagte die Buben, die auf seinem Floße schaukeln wollten. Aus kleinen Anfängen
hatte er sich durch Tüchtigkeit und Sparsamkeit zu einem vermögenden Manne emporgearbeitet.
‚Der hat den Teufel! Das ist ein Teufelsgeselle!‘ raunte man sich zu, wenn in finsteren Nächten aus
seines Hauses Schornstein der Luftzug von der Lohkuchenfeuerung die Funken in die Luft wirbelte.
‚Der bekommt vom Teufel die Goldstücke durch den Schlot in die Stube geworfen, weil er ihm seine
Seele verschrieben hat. Da ist leicht reich sein! Wie er das tat, soll er den Bösen sogar betrogen haben.
Der wollte ihm dafür nur seinen Hut voll Goldgulden geben. Der Gerber hielt diesen dann über den
Tisch. Als der Teufel aus seiner Geldkatze die Münzen hineinschüttete, fielen sie im gleichen Augenblick durch die Löcher in die dort stehende Schanze, und der Hut blieb leer. Als das der Satan merkte,
drückte er den Hut in das Geld und schüttete den Rest seiner Geldkatze hinein. Da war der Hut voll
und die Seele war sein.‘
Wenn die Leute aber bei ihm einkauften und von der freigebigen Hausfrau drei Ochseneier als Imbiß
vorgesetzt erhielten, da langten auch die Verleumder zu. Sie beschuldigten die Gerberin als Hexe,
obwohl sie keinen Grund hiefür fanden. Es hingen keine Frauenhaare am Gartenzaun. Die Frau vergriff sich nicht an den Besen, wenn sie hutzen kam. Niemals konnte sie beobachtet werden, daß sie
nachts die Stuben ausfegte und das Kehricht in die Winde warf. Aber keiner der Käufer wagte sich
über den Teller mit den Spiegeleiern das Kreuzeszeichen zu machen, um zu sehen, ob sie von einer
Hexe aufgetragen worden waren. Dann wäre das leckere Gericht ja ein Kuhfladen geworden. Doch
bekam man Geld von ihr, so vermischte man es nicht mit dem eignen, sondern schaffte es raschestens
wieder aus dem Hause. Man glaubte, daß das Teufelsgeld nicht bei dem, der es empfangen hat, bleibt,
sondern auch dessen Münzen mit den Erhaltenen zu seinem Besitzer lockt.
In einer stürmischen Herbstnacht brannte das alte Holzhaus plötzlich lichterloh. Ehe der Knecht und
der Geselle Hilfe herbeirufen konnten, fiel das Gebäude in sich zusammen und begrub die alten Gerbersleute, die noch retten wollten, was möglich war, unter sich.
Ganz Gescheite wollen gesehen haben, wie sie der Teufel im Feuerwagen mit sich zur Hölle fuhr.“
Die Kurzgeschichte vereint die Beschreibung zweier Sonderlinge mit einer Ansammlung übler Nachrede, von der sich der Autor distanziert. Lediglich der kurze Bericht über die Geldzahlungen des Teufels in den löchrigen Hut des Gerbers und die Hexeneigenschaften seiner Frau können als Sagenbestandteil angesehen werden, die Reichold vermutlich aus einem in Hof seinerzeit sehr verbreiteten
Buch von Heinrich Wirth übernommen hat. Der sozialkritische Aspekt der Geschichte wird nicht bis
zum Schluss durchgehalten, da das Ende der sozial Deklassierten zwar tragisch ist, aber ohne ursächliche Beziehung zu ihrem schlechten Ruf oder gar zu ihrer unterstellten Teufelsbekanntschaft.
Die Gerber wohnten in Hof – wie typischerweise in den meisten Orten – wegen ihres stinkenden und
gewässerverschmutzenden Gewerbes am Ortsrand, wo der Fluss den Ort verließ. Trotzdem waren sie
angesehene Bürger und bis zum 19. Jahrhundert Mitglieder einer Zunft, konnten öffentliche Ämter
bekleiden und sogar Mitglied des Stadtrates werden. Reichold, als Volksschullehrer dem Bürgertum
zugehörig, heiratete 1908 eine Hofer Rotgerbermeisterstochter. Der Gerberberuf und die geografische
Randlage der Gerberbehausung reichen nicht aus, um die Protagonisten als Außenseiter zu kennzeichnen, weshalb Reichold eine Verstümmelung im Gesicht hinzu erfindet. Sein Interesse am Schicksal
von Sonderlingen führte ihn zur Publikation eines Buches, in dem er Hofer Originale liebevoll-kauzig
porträtierte.
Weiter an der Saale flussabwärts, über die Lessingstraße hinweg und durch die Uferstraße bis zum
Schloßweg. Südlich des Schloßwegs und westlich des Unterkotzauer Wegs befindet sich der Teufelsberg, von dem Enoch Widman Schreckliches zu berichten weiß.
Der Teufelsberg
„Was der Satan fur gauckelei unnd buberei bei dem Teuffelsberg allhie vor alters getriben, unnd die
furubergehenden, sonderlich bei der nacht, in die Saal unnd sonsten verfuhret und beschedigt, oder
aber mit seltzamen gesichten erschrecket, das mancher daruber gestorben, ist aus seinem Namen zu
schlisen, in dem er noch heutigs tags der Teuffelsberg genennet wird, auch darumb, dieweil, bei unser
voreltern zeiten, der böse feindt sich sichtiglich, in unseglicher grosser gestalt, sehen lassen, den einen
fus uff dem Teuffelsberg, den andern uff dem Eichelberg gegen uber gehabt, auch ein warzeichen
seines tritts gelassen, welchs man uff der einen seiten des Teuffelsbergs nochmal sihet, alß wann ein
langer grosser trit darein gehawen were: wie man dann auch, nach alter Tradition, ein runde figur, so
ein wenig in den berg gesencket, den kindern zeiget, die man des Teuffels schussel heiset, alß hetten
ettwan die Zauberinnen den Satan allda gespeiset, oder were ihm im heidenthumb daselbsten geopffert
worden. Die Mitten, do derselb Berg uffgespalten, hat man die helle genennet, vieleicht darumb, daß
sich solche Teuffelsgespenst darinnen uffgehalten, unnd den leuten erschinnen sindt.“
Die Namenssage soll bei dem kämpferischen Lutheraner Widman den vorher in seine Chronik eingeführten teuflischen Aspekt des Papsttums weiter verstärken, wobei Widman eine gewisse innere Distanz erkennen lässt („Tradition“, wird den Kindern erzählt). Die Bezeichnungen „Teufelsberg“ und
„Hölle“ kommen in Nordostoberfranken des öfteren vor. Die Ableitung des Namensbestandteils „Teufel“ ist unklar, vielleicht von „Tafel“? Gustav Schmidt leitet den Namen „Hölle“ vom unheimlichen
Aussehen der Plätze ab, eine Ableitung von „Hül“, d.h. Wasserloch, auch Erdeinbruch, könnte ebenso
gut in Frage kommen.
Schloßweg, Frauenlobstraße und Schloßstraße hinauf bis zum Schloss Hofeck. Um dieses Schloss
rankt sich eine Reihe Sagen. Schloss Hofeck wurde als „Murringhof“ zum ersten Mal im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Von seinen ursprünglichen Besitzern, dem Adelsgeschlecht der Murring,
ging das Schloss in späteren Jahrhunderten durch zahlreiche Hände, bis es – halb verfallen – im Jahr
1972 der Fabrikant Hans Vießmann erwarb, der es gründlich restaurieren ließ. Von 1790 bis 1874, in
der Zeit, in der die folgenden Sagen vermutlich spielen, war Schloss Hofeck im Besitz der Familien
von Plotho und von Sichart.
Schloss Hofeck, 18. Jahrhundert
Die weiße Frau im Schloss Hofeck
„Weiße Frau und Teufel im Schlosse Hofeck
Im Schlosse Hofeck hält sich die weiße Frau auf. Nachts spielt sie mit dem Teufel Karten. Beide befestigen oft im Saale Stricke an der Decke und laufen Rundlauf. Währenddem schimmert das ganze
Gemach von Gold und Edelstein. Sind sie müde, so pflegen sie in einem Bette der Ruhe, in dem sie oft
auch Tags über schlafen. Kommt jemand ins Zimmer, so verschwinden sie schnell in die Höhlen des
Schloßberges. Findet man den Eingang zu einer solchen Höhle und legt eine Kerze hinein, so holt sie
der Teufel und zündet sie an, daß es in der Höhle nicht so finster ist.
Einst fing ein Knecht die weiße Frau. Wie er sie faßte, war sie tot. Man verwahrte sie in einem gläsernen Sarge. Aber der Teufel kam und trug sie in die Höhlen. Auch den Teufel wollte der Knecht fangen, doch der ging ihm nicht in die Falle, so kunstvoll und geschickt er sie auch aufstellte. ...
Die weiße Frau durchwandert alle Tage in der Geisterstunde das Schloß und kehrt auf dem Röhrenwege dann wieder zur Gruft zurück. Hierbei soll sie ihren Schatz spazieren führen. Der Gärtner beobachtete sie oft. Ihr Gesicht glich einer Spinnwebe. In seinem Bette ließ sie niemand anders als ihn
schlafen. Lag ja einmal jemand anders drin, so warf sie den fremden Gast heraus. In einer dunklen
Nacht kehrte ein Knecht von einer Besorgung zum Schlosse zurück. Da ergriff sie ihn bei der Hand
und führte ihn heim. Zugleich hörte man vom Schloß her ein Rauschen. Als beide an der Gruft vorüber kamen, ließ sie seine Hand los, verschwand, und das Sausen hörte auf.
Einem andern Knechte begegnete sie beim Brunnen in Hofeck, ging mit ihm den Schloßberg hinan bis
hinter das Tor und verschwand. Als er im Bette war, kam sie wieder und fragte: „Kennst du mich
nicht?“ – Die Knechte, die nicht aufstehen wollten, warf sie zum Bett hinaus.
Als ein Verwalter spät nachts von der Wirtschaft heim ging, war das Hoftor verschlossen. Da er keinen Schlüssel hatte, stieg er hinüber. Wie er oben saß und auf der andern Seite hinabklettern wollte,
kam die weiße Frau dahergeschwebt und gab ihm eine solche Schelle, daß man am anderen Morgen
noch die Finger auf der Backe sah. – Die Kinder schreckt man mit dem Hinweis auf die weiße Frau,
indem man ihnen erzählt: ‚In einem Flur des Schlosses ist eine Tür mit Glasfenstern, die mit einem
Vorhang verhängt sind. Hier schaut die weiße Frau heraus. Die unartigen Kinder, die dort vorüberkommen, beißt sie mit ihren langen Zähnen.‘“
Reichold präsentiert eine bunt gemischte Ansammlung sagenhafter Erzählungen rund um die Komplexe „weiße Frau“ und „Schloss Hofeck“. Während die weiße Frau in den älteren Versionen der Geschichte die Menschen, denen sie erscheint, in Angst und Schrecken versetzt, ist sie hier eine harmlose, teils sogar hilfsbereite, gelegentlich erzieherische Person, vor der sich höchstens die kleinen Kinder
fürchten. Mit dem Teufel, ihrem fürsorglichen Freund, tanzt sie Ringelreihen. Weiße Frau und Teufel
sind putzige Wesen; keine Spur von der alten Gespensterfurcht. Da die weiße Frau nach alten Überlieferungen in Schlössern der Hohenzollern spukt, ist der Bezug zum Schloss Hofeck, das nie ein Hohenzollernschloss war, auffallend. Von einer Familiengruft beim Schloss Hofeck wird erst zum Jahr 1809
berichtet.
Der ruhelose schwarze Pudel
„Unter den Dorfbewohnern erhielt sich der Glaube, ein schwarzer Pudel umkreise nächtlich die Fluren
des Schlosses.“
Nach Schöppners bayerischer Sagensammlung ist die Sage mündlich überliefert worden. Reichold
machte aus dem einen Satz der Originalvorlage eine ausführliche, die Habgier thematisierende Geschichte, in die er Motive geographisch benachbarter Sagen einarbeitete:
„Der Rainfresser.
In Hofeck wirtschaftete ein habgieriger Bauer, der seine Mitmenschen übervorteilte, wo er nur konnte.
Damit die Fläche seiner Felder immer größer würde, machte er seine Raine zu Ackerland; ja er scheute
sich nicht vom Boden seiner Nachbarn wegzupflügen. Darob gab es viel Unzuträglichkeiten und gar
manchen Streit. Alle verwünschten sie diesen Rainfresser.
Wegen der irdischen Gesinnung hat sein Geist bei den Abgeschiedenen kein Bleibens. Mitternacht für
Mitternacht hetzt er in Gestalt eines schwarzen Pudels um seine Äcker und scharrt bald da, bald dort
Erdreich von den Nachbargrundstücken auf seine. Wer ihn hiebei antrifft und ihm drei Hand voll
fremder Erde auf den Pelz wirft, der kann ihn erlösen.“
Das Motiv des schwarzen Hundes kann älteren Datums sein (schwarz als Farbe des Teufels), während
dies für das Motiv vom Rainfresser zweifelhaft ist. Auch die Deutung des schwarzen Hundes als Pudel
ist neueren Datums. Pudel sind seit dem 18. Jahrhundert eine gern gehaltene Hunderasse.
Der Reiter ohne Kopf
„In der Geisterstunde sieht man in dem Hofe des Schlosses Hofeck einen Reiter ohne Kopf umherreiten. Geht man auf ihn zu, dann ist er verschwunden. Es soll einer der grausamem Raubritter sein, die
die Leute im Burgverließ schrecklich zu Tode marterten. Heute noch kann man sich mit einem Seil da
hinablassen und die Haken in den Wänden sehen, an die die Gefangenen gehängt und dann hingeschlachtet wurden.“
Reichold gibt seinem Leser die Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt dieser Sage zu überprüfen, indem er
sie in der Gegenwart spielen lässt. Da eine solche Prüfung sofort die Erfindung verraten würde, kann
es dem Autor nicht um die Übermittlung einer echten Sage, die Erwachsene Erwachsenen erzählt haben, gegangen sein. Offenbar wendet er sich an Kinder, die zur Geisterstunde in ihren Betten liegen
und nicht in alten Schlössern herumklettern. Ihnen präsentiert der Volksschullehrer alle Klischees vom
finsteren Mittelalter, die man beim Anblick einer halbverfallenen Burg erwartet: Dort lebten grausame
Raubritter, die willkürlich Leute im Burgverließ einsperrten und brutal hinschlachteten. Zur Strafe
wurden sie in Gespenster verwandelt.
Auch zwischen Benk und Weißdorf ritt – wie an vielen anderen Orten - „in alter Zeit“ ein kopfloser
Mann durch den nächtlichen Wald. Robert Eisel fand zahlreiche Orte im thüringischen Vogtland,
Franz Xaver von Schönwerth solche in der nördlichen Oberpfalz, an denen kopflose Männer spukten.