kapitel brasilien

K-Ö
Marktinformation der AgrarMarkt Austria
OECD-FAO Agricultural Outlook 2015-2024
Studie, Juli 2015
Kapitel 2 Brasiliens Landwirtschaft: Aussichten und Herausforderungen
DIE LEISTUNGEN VON BRASILIENS LANDWIRTSCHAFT
Brasilien gehört mit einem BIP von über 2 Mrd. USD zu den 10 größten Volkswirtschaften der Welt, es hat die
fünfthöchste Bevölkerungsrate (> 200 Mio.) und die fünftgrößte Landesfläche. Obschon große Fortschritte bei
der Bekämpfung der Armut gemacht wurden, liegt das Pro-Kopf-Einkommen in über der Hälfte der Haushalte
nur um oder unter dem Mindestlohn und die Einkommensverteilung im Land ist extrem unausgeglichen.
Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle zur Stärkung der brasilianischen Wirtschaft, die landwirtschaftliche Produktion wurde seit 1990 mehr als verdoppelt, die Tierproduktion beinahe verdreifacht. Der Sektor trägt
bedeutend zur Handelsbilanz des Landes bei. Exporte der Agrar- und Ernährungsindustrie betrugen 2013
wertmäßig 36% der Gesamtexporte, sie gleichen Defizite aus anderen Sektoren mehr als aus. Brasiliens ist
mit Agrarexporten im Wert von 89,5 Mrd. USD (2013) der weltweit zweitgrößte Agrarexporteur und der größte
Anbieter von Zucker, Orangensaft und Kaffee. 2013 überholte das Land die USA als größter Sojabohnenanbieter, auch die Exporte von Tabak und Geflügel sind bedeutend sowie die Produktion von Mais, Reis und
Rindfleisch, wovon der Großteil im eigenen Land gebraucht wird. Das Wachstum blieb dennoch durch strukturelle Schwächen in der Wirtschaft, wie schlechte Infrastruktur, beschwerliche administrative Abläufe sowie ein
geringes Bildungs- und Ausbildungsniveau eingeschränkt.
Unter den Faktoren, die das Produktivitätswachstum stärkten, sind die langjährigen Investitionen in die landwirtschaftliche Forschung zu nennen, die Brasilien ermöglichten, die bestentwickelte Technologie für die tropische Landwirtschaft zu entwickeln. Produktivitätsverbesserungen der letzten 15 Jahre wurden durch tiefgreifende wirtschaftliche Reformen seit den 90er-Jahren ermöglicht. Es wurden unter anderem Exportgebühren,
Lizenzen und Mengenbeschränkungen abgebaut sowie Preisinterventionen verringert. Durch Etablierung eines mehr wettbewerbsausgerichteten Umfeldes stärkten die Reformen die Bemühungen der Produzenten zur
Erhöhung der Produktivität und zur Tätigung von Investitionen. Die liberalisierte Agrarpolitik ließ die Kapitalumverteilung und die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft und der zugehörigen Industrie zu.
Durch Veränderungen fand ein bedeutender Wandel der Betriebsstrukturen statt, wenig effiziente Erzeuger
gaben auf, stattdessen entwickelten sich Großbetriebe, die den technischen Fortschritt und den Größenvorteil
ausnutzen konnten, insbesondere im zentralen Westen. Auf der anderen Seite wurden zwischen 2003 und
2009 beinahe 600.000 Familien auf etwa 48 Mio. ha angesiedelt. Die Reformen, die in den späten 90ern zunahmen, boten gebührenfreie Ansiedlungen für benachteiligte Personen und Erleichterungen beim Landkauf
für den Start landwirtschaftlicher Aktivitäten. Bestehende und neu niedergelassene Kleinbetriebe erhielten
umfangreiche Kreditkonzessionen und profitierten von einer Anzahl weiterer Programme zur ländlichen Entwicklung und Sozialprogrammen für die arme Bevölkerung.
Für Brasilien hat Chinas Bedeutung als Agrarimportland insbesondere in den letzten fünf Jahren enorm zugenommen, 2013 war China an 1. Stelle mit Importen im Wert von 20,5 Mrd. USD bzw. 23%. Der zweitgrößte
Markt für Brasilien ist die EU mit 18,3 Mrd. USD (fast 20%) Importvolumen, gefolgt von den USA, die um etwa
4,6 Mrd. USD Agrargüter aus Brasilien importieren. Hauptexportprodukte nach China sind Ölsaaten, pflanzliche Öle, Baumwolle Zucker und Geflügelfleisch. Generell trägt eine relativ kleine Produktpalette zum Großteil
der Exporteinkommen des Sektors bei. 2013 hatten alleine die Sojaexporte einen Wert von 23 Mrd. USD, das
waren 26% der gesamten Exporteinnahmen des Agrarsektors.
Auch die Importe an Lebensmitteln haben seit 2000 zugenommen und lagen 2013 in der Höhe von 11,1 Mrd.
USD. Weizen machte 20% der importierten Werte aus, auch große Mengen an Milchprodukten, Olivenöl und
unterschiedlichen Lebensmittelzubereitungen wurden importiert.
Seit 1931 in Brasilien erstmals Ethanol aus Zuckerrohr mit Benzin vermischt wurde, erlebte die EthanolIndustrie einige Auf und Abs. Im nationalen Programm „Proálcool“ wurde eine obligatorische Beimischung von
absolutem Ethanol zu Benzin (genannt „Gasohol“) vorgeschrieben. 2003 wurden in Brasilien „flex-fuel vehicles“, die mit Benzin, Ethanol, Methanol oder beliebigen Mischungen fahren, eingeführt und 2014 betrug der
Anteil dieser Fahrzeuge an allen verkauften PKW bereits 88%. 2007 wurde Ethanol aus Zuckerrohr im amerikanischen „Renewable Fuel Standard“ (RFS2) als fortschrittlicher Treibstoff eingestuft, was die Nachfrage
nach Brasiliens Ethanol am internationalen Markt steigen ließ. Die globale Wirtschaftskrise am Ende des letz-
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ten Jahrzehnts unterbrach den Aufwärtstrend, sodass sich die Ethanol-Industrie immer noch in einer kritischen
Phase befindet.
Die Zunahme der Produktivität war zwar der Haupttreiber des landwirtschaftlichen Wachstums, aber auch eine
Ausdehnung der Agrarflächen um 34 Mio. ha zwischen 1990 und 2012 trug dazu bei. Der Umwelteinfluss
durch die Ausweitung der agrarischen Nutzung in der Amazonas-Region und der umliegenden CerradoSavanne zog großes öffentliches Interesse im In- und Ausland auf sich. Ein bedeutender Anteil der Entwaldung geht auf illegale Holzgewinnung zurück, wobei das Land in Folge als Weideland genutzt wurde.
DIE VORAUSSCHAU FÜR BRASILIENS AGRARSEKTOR
Für die kommende Dekade wird von einem verlangsamten Wachstum der brasilianischen Landwirtschaft,
beruhend auf weiteren Ertragszuwächsen und Ausweitungen der landwirtschaftlichen Flächen, ausgegangen.
Für die Hauptfrüchte (Ölsaaten, Grobgetreide, Reis, Weizen, Zuckerrohr und Baumwolle) wird eine Zunahme
der Landnutzung bis zum Jahr 2024 auf 69,4 Mio. ha vermutet, das sind 20% mehr als der Durchschnitt der
Jahre 2012-14. Sojabohnen werden die Hälfte der zusätzlichen Fläche, in Summe 34,3 Mio. ha ausmachen.
Ein wachsender heimischer Markt wird voraussichtlich den Großteil der zusätzlichen Grobgetreide- und Zuckerrohrproduktion aufnehmen. Im Fall von Grobgetreide ist der expandierende Viehhaltungssektor für den
Mehrbedarf zuständig, im Falle von Zuckerrohr der sich ebenfalls ausweitende Ethanol-Markt. Im Fall von
Baumwolle und Ölsaaten deuten die Prognosen auf einen höheren Anteil der Produktion für den Weltmarkt
hin. Es wird erwartet, dass in der Vorschauperiode die Investitionen in die hochmechanisierte Zuckerrohrkultur
wieder zunehmen werden, was zu marginalen Ertragsverbesserungen führen wird. Beim Getreide – Weizen,
Grobgetreide und Reis – wird mit beträchtlichen Ertragszuwächsen gerechnet.
Brasiliens Sojaproduktion ist stark von der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas abhängig. China ist der weltgrößte Importmarkt und Brasiliens größter Kunde. Sollte Chinas Nachfrage sinken, würden nicht nur die brasilianischen Ölsaatenexporte nach China zurückgehen sondern auch die Ölsaatenexporte in andere Länder und
Brasilien müsste seine Produktion rasch an die sinkende Nachfrage anpassen.
Von den erwarteten 89 Mio. t Grobgetreide, die im Jahr 2024 produziert werden, würden 49,9 Mio. t in die
Tierfütterung gehen. Das mit Abstand wichtigste Grobgetreide in Brasilien ist Mais.
95% des verbrauchten Weizens werden als Nahrungsmittel gebraucht. In der kommenden Dekade wird, insbesondere durch verbesserte Erträge, eine Steigerung der Produktion von 6,0 Mio. t auf 7,8 Mio. t erwartet.
Das Inlandsangebot kann gerade mit der zunehmenden Nachfrage Schritt halten, sodass bei den Importen
eine fast gleichbleibende Menge von 6,6 Mio. t vorausgesagt wird.
Reis ist gemeinsam mit Weizen und Hülsenfrüchten ein wesentlicher Teil der Ernährung in Brasilien. Für 2024
wird von einer durch steigenden Ertrag erzielten Ernte von 9,5 Mio. t ausgegangen. Brasilien kann vom
Reisimporteur zum Reisexporteur werden.
Brasilien wird der weltgrößte Zuckerproduzent bleiben. Es wird prognostiziert, dass die Preise sowohl für raffinierten Zucker als auch für Zuckerrohr steigen, als Folge wird ein Anwachsen der Zuckerrohrproduktion bis
2024 auf 884 Mio. t (42% über dem Basisniveau) erwartet, was vor allem durch Zuwächse der Anbaufläche
herbeigeführt werden soll. Die steigenden Preise sind vor allem auf Maßnahmen zur Ankurbelung der EthanolProduktion zurückzuführen.
Brasilien ist der fünftgrößte Baumwollproduzent mit Erträgen, die doppelt so hoch sind wie der Weltdurchschnitt und einem größeren Wachstumspotential als in den anderen wichtigen Baumwollproduktionsgebieten,
insbesondere aufgrund der vorhandenen Landreserven. 2024 wird mit einer Produktion von 23,4 Mio. t gerechnet.
Brasilien gehört zu den weltgrößten Produzenten und Exporteuren von Geflügel-, Rind-, Kalb- und Schweinefleisch. Es wird erwartet, dass sich das rasche Wachstum der Fleischproduktion in der kommenden Dekade
fortsetzt. Unter anderem die Abwertung von Brasiliens Real gegenüber dem US Dollar und die voraussichtlich
geringeren Futterkosten sollten die Ausweitung der brasilianischen Fleischproduktion tragen. Die Produktion
von Geflügelfleisch wird für mehr als die Hälfte des prognostizierten Anstiegs der Fleischproduktion verantwortlich zeichnen, angeheizt durch die heimische und internationale Nachfrage. Brasiliens Anteil am GeflügelWeltmarkt könnte auf über 31% ansteigen.
Bei Milch und Milchprodukten ist Brasilien grundsätzlich Selbstversorger und es werden während der Projektionsperiode keine großen strukturellen Veränderungen erwartet.
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Hülsenfrüchte, insbesondere Bohnen, sind Teil der Basisernährung in Brasilien, deshalb ist diese Frucht gemeinsam mit Reis besonders wichtig für die Ernährungssicherung. Die Erträge sind sehr wetterabhängig, was
zu einer starken Fluktuation mit Werten zwischen 2,8 Mio. t und dem Rekordwert von 3,6 Mio. t aus dem Jahr
2011 führt. Der Inlandsmarkt braucht etwa 3,5 Mio. t Bohnen jährlich, dieser Wert wird wahrscheinlich auf 3,6
Mio. t ansteigen. Importe sind notwendig um die Lücke zu schließen.
Brasilien ist der weltgrößte Kaffee-Produzent und –Exporteur, verantwortlich für etwa ein Drittel der globalen
Produktion und Exporte und wird das mit einem vorhergesagten Anstieg der Produktion um 25% in der kommenden Dekade auch bleiben. Das Land ist ebenso der weltgrößte Exporteur von verarbeiteten Zitrusfrüchten, bis 2024 sollen die Exporte von Orangensaft auf 2,6 Mio. t ansteigen. Die zahlreichen anderen produzierten Obstsorten werden großteils am heimischen Markt verbraucht.
Der Fischerei- und Aquakultursektor spielt in Brasilien eine wichtige Rolle für die Ernährungssicherung, da er
eine wichtige Eiweißquelle darstellt und Lebensunterhalt für Millionen Haushalte bietet. Der Sektor befindet
sich in eine Umstrukturierungsphase, effektivere Planung und verbessertes Management sollen unter anderem Umweltprobleme, die durch Überfischung entstanden sind, hintanhalten. Trotz der großen Inlandsproduktion sind bedeutende Importe notwendig und wird sogar eine Zunahme der Importe in der nächsten Dekade
um 46% (mengenmäßig) vorausgesagt.
DIE AUSWIRKUNGEN DER POLITIK AUF DIE AGRARMÄRKTE BRASILIENS
Brasiliens Regierung verfolgt im wesentlichen drei Arten von Politik im landwirtschaftlichen Sektor: eine wirtschaftliche, ausgerichtet auf die Unterstützung fortgesetzten Wachstums und die Schaffung der damit in Verbindung stehenden Einkommen; eine soziale, die sich mit dem Lebensunterhalt ärmerer Haushalte und deren
Aufwänden für Lebensmitteleinkäufe befasst; und eine umweltbezogene zum Schutz der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität. Steuer- und Kreditanreize sollen private Investitionen in die schwache Infrastruktur,
z.B. die Verkehrswege, erhöhen. Auch die Verbesserung der Ausbildung ist ein politischer Schwerpunkt.
Die wichtigsten Instrumente der Agrarpolitik sind Preisstützung, Vergabe begünstigter Kredite und Unterstützung bei Versicherungen. Agrarische Exporte sind von bestimmten Abgaben (Steuern u.a.) befreit, die für den
Export anderer Rohmaterialien und Halbfabrikate zu entrichten sind. Diese Bevorzugung ist seit ihrer Einführung Mitte der 90er Jahre einer der Faktoren, die zur Ausweitung der Agrarexporte beigetragen haben.
Wissenschaft und Technik spielen eine bedeutende Rolle in der bemerkenswerten Entwicklung des brasilianischen Agrarsektors. Brasilien betreibt Auslandskooperationen und wirkt in globalen und regionalen landwirtschaftlichen Forschungs-Netzwerken mit. Die Zusammenarbeit zwischen dem privaten Sektor und den Behörden wird unterstützt („private-public partnerships“).
2003 wurde das „Zero Hunger“-Programm ins Leben gerufen, das mit Hilfe eines integrativen Ansatzes die
schrittweise Umsetzung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung, das 2010 in Brasiliens Verfassung
verankert wurde, umsetzt. Im Rahmen dieses Programms werden auch insbesondere die landwirtschaftlichen
Familienbetriebe durch unterschiedliche Maßnahmen gestärkt, um deren Einkommen zu heben und ihre Ernährung zu sichern. Diese stellen mehr als 80% aller Produktionseinheiten dar und beschäftigen mehr als 12
Mio. Personen. Sie tragen zu 38% zum Bruttowert der agrarischen Produktion bei (2006).
Die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft wird gefördert, indem z.B. die Kreditvergabe an die Umsetzung umweltverträglicher landwirtschaftlicher Aktivitäten geknüpft wird. Brasilien hat sich auch freiwillig verpflichtet, die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 zu senken. Es gibt eine Reihe spezifischer Programme mit
dem Ziel, eine bessere Ordnung der Landnutzung zu erreichen, Flussufer zu erhalten, die Entwaldung im
Amazonasgebiet zu reduzieren und die Aufforstungsbemühungen zu verstärken. Eine Reihe von AgrarEnergie-Konzepten auf der Basis von Zuckerrohr, Plantagenholz und Biodiesel wurden entwickelt.
STRATEGISCHE HERAUSFORDERUNGEN
Eine der vorrangigen Herausforderungen für Brasiliens Landwirtschaft ist die langfristige Weiterführung des
Produktivitätswachstums und die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitigen Fortschritten in der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit. Das angestrebte nachhaltige Wachstum ermöglicht
beides. Brasilien hat auch noch ein großes Ausmaß an Landreserven, das für agrarische Produktion genutzt
werden kann ohne weiter in den Amazonas Regenwald einzugreifen. Das setzt allerdings strengere Regeln
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hinsichtlich illegaler Aktivitäten sowie technische und finanzielle Hilfe voraus. Auch klarere Eigentumsrechte
würden die Tragfähigkeit der Landnutzung in bestimmten Regionen verbessern.
Unter den Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit des brasilianischen Agrarsektors beeinflussen, haben Verbesserungen der Logistik und der Transportinfrastruktur höchste Priorität. Das würde allen Bauern den Zugang zu den heimischen Märkten erleichtern und exportorientierten Produzenten Kosten und Zeit sparen. Das
Fehlen einer WTO Vereinbarung aus der Doha-Runde hat den brasilianischen Produzenten den Marktzugang
zu vielen Teilen der Welt zwar erschwert, aber da sich Chinas Wachstum verlangsamt, werden andere asiatische Märkte zunehmend bedeutend.
(23.09.2015)
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