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W E LT K U N S T
SAMMLER
SEMINAR
Nº 19
Bild: Ringo Paulusch
DDR-Möbel
Entdecken und vertiefen Sie ein Sammelgebiet. Welches sind die Schlüsselwerke?
Wo wird man fündig? Was sagt der Markt? Plus: praktische Tipps und hilfreiche Adressen
Die nächste Folge: Scrimshaw Zuletzt erschienen: Italienische Renaissancezeichnungen
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S A M M L E R SE M I N A R
Made in GDR
Schöner wohnen wollte man auch im Osten Deutschlands. Junge Designer, geprägt
von den Ideen des Bauhauses, entwarfen vor allem in den Aufbaujahren der
DDR innovative Möbel, die heute von Sammlern zunehmend entdeckt werden
VON
STEPH A N SCH I LGEN
A
Als die Mauer fiel war ich 22, studierte an der
FU Berlin und begab mich lustvoll in die
charmante Morbidität Ost-Berlins, wo ich im
Sommer 1990 nachmittags im Grenzstau der
Bornholmer Brücke durchs offene Autofenster einen Typen ansprach, mir seinen Fiat 500
aus dem Jahr 1958 zu verkaufen. In der DDR
war dieser Oldtimer ein Gebrauchsfahrzeug.
Ich fuhr einen B Coupé von ’67 und das war
der erste Berührungspunkt. Von da an trafen
wir uns öfter, erkundeten gemeinsam verlassene militärische Objekte in und um Berlin,
stöberten im gigantischen Leerstand öffentlicher Gebäude und durchkämmten die illegalen Müllberge, die sich überall angehäuft
hatten. Die Leute misteten aus, neue Zeiten
brachen an. Leichten Herzens trennten sie
sich von ihren marxistisch-leninistischen
Buchbeständen, kauften Videorekorder und
tauschten VEB Möbelbau gegen Ikea.
Es war wie so oft in der Geschichte:
Kriege und Revolutionen ziehen bilderstürmerische Phasen des Verschwindens nach
sich, alte Zöpfe werden abgeschnitten und
im modernisierenden Eifer oft Kostbarkeiten
als Plunder entsorgt.
Eines Nachts im Februar 1991, wieder
war ich mit meinem neuen Freund auf Tour,
diesmal am Kollwitzplatz im Prenzlauer
Berg, löste sich aus einem riesigen Haufen
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FOTOS
R I N G O PAU LU S C H
gebündelter Zeitungen eine Schlagzeile vom
Oktober ’89, die den 40. Jahrestag der DDR
feierte. Nur 16 Monate, aber einige gravierende gesellschaftliche Veränderungen später, rezitierten wir den dadaistischen Titel
feierlich brüllend unter einer Laterne: »Die
DDR erhob sich wie Phönix aus der Asche
und ward zum Symbol einer besseren Welt.«
Wir prusteten, als sich im ersten Stock ein
Fenster öffnete und ein dickes Ding herausflog, das als Holzstuhl knapp neben mir landete. Der Freund behielt die historisch wertvolle Zeitung und ich das fragil stabile
Sitzmöbel, das sich später als Erich Menzels
Entwurf »50642« herausstellen sollte. Damals wär’s mir umgekehrt lieber gewesen.
Und noch etwas irritierte: dass der Stuhl den
Wurf überlebt hatte.
Heute finden sich einige jener »Menzel
Chairs« in unserem K-Star-Fundus, er ist der
schönste mir bekannte Stuhl aus frühen
DDR-Tagen, eine historisch wertvolle Rarität.
Der Ost-Designexperte Günter Höhne verriet mir über das genial durchdachte und aufwendig gefertigte Schichtholzmöbel, dass
eine ganze Wagenladung davon 1951, direkt
nach dessen erster Produktion, von der Pritsche des Auslieferungsfahrzeugs auf den Hof
der Kunsthochschule Berlin-Weißensee gekippt worden war. Was für eine Provokation!
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Die Sputniklampen der Siebzigerjahre aus
dem VEB Leuchtenbau haben unter Vintage­
sammlern längst Kultstatus. Li. Seite: Der
1950 von Erich Menzel entworfene Schicht­
holzstuhl »50642« der Hellerauer Werk­
stätten. Vorige Seite: der von Rudolf Horn
1967 verbesserte »Barcelona Chair«
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bis heute fünf Millionen mal verkauft wurde.
Erich Menzel und seinen vier Kilogramm
leichten Klassiker kennen dagegen nur Insider. Allein um den Erfinder zu würdigen,
müsste man ihn dringend neu auflegen.
Im selben Jahr, also 1950, wurde der ehemalige Bauhausstudent Selman SelmanagiĆ
als Professor für Architektur an die Kunsthochschule Weißensee nach Berlin geholt.
Bereits seit 1945 war er als Architekt für die
Deutschen Werkstätten Hellerau tätig und
gestaltete in dieser Eigenschaft den vollendetsten Sessel, den die DDR in ihren Aufbaujahren hervorbrachte. Durch sein Leicht­
gewicht bringt der »DW Hellerau Armlehnstuhl« die angenehme Eigenschaft mit
sich, auch von Frauen ein paar Schritte durch
die Wohnung getragen werden zu können,
wenn der Mann gerade keine Zeit hat zu helfen. Wie beim »Menzel Chair« wurde geschichtetes Furnierholz als Werkstoff verwendet und auch hier sind Vorderbein,
Sitz- und Rückenleiste aus einem Stück geformt. Die Armlehne wird im kühnen
Schwung zum Hinterbein und bildet mit
dem Rest einen in seiner zierlichen Form
vollendeten Komfortsessel, der durch robuste Zeitlosigkeit besticht. Die schon in den Dreißigerjahren von Erich
Dieckmann entworfenen Gelenka-Relax­
sessel mit Tragegriff wurden in den Fünfzi­
gerjahren in Thüringen in Serie hergestellt
Als Bruchtest war die eigentlich politisch motivierte Aktion inszeniert, aber kein einziges
Exemplar sei dabei kaputtgegangen. Seine
Stabilität erreichte der Klassiker durch 29
längs- und querverleimte Furnierlagen. Vorderbeine, Sitz- und Rückenstränge wurden
unter Dampf aus je einer Linie gebogen, die
geschwungenen Hinterbeine hat man den
Sitzstreben stumpf untergeschoben, was die
Konstruktion harmonisch komplettiert und
als optische Besonderheit gilt. Keinerlei metallische Verschraubungen verbinden stabilisierend, das besorgen Holzdübel, wie in alten Zeiten. Seine elegante, verständliche
Form und seine Materialkonsistenz machen
den »50642« archetypisch und gleichzeitig futuristisch. Chronisten werden dereinst festhalten müssen: Erich Menzel entwarf diesen
Furnierstuhl im Jahre 1950, noch bevor Arne
Jacobsen 1951 zusammen mit Verner Panton
seine taillierte Sitzschale F7 entwickelte, bekannt auch als »Ameise«, deren Nachfolger
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Pflege des Bauhaus-Erbes
Irgendwann Mitte der Neunzigerjahre entdeckte ich dann die wundervollen Möbel
von Franz Ehrlich, die wie selbstverständlich
mit den Ideen der klassischen Sachlichkeit
spielen und die der funktionalen Strenge mit
glücklich kalkulierten Details, wie konischen Beinchen oder lieblich geschwungenen Schubladengriffen bei aller modernen
Strenge dezente Verspieltheit geben. So wirkt
alles an der Möbelserie »602« von 1957 harmonisch und maßvoll, bleibt hochwertige
Schreinerarbeit und verschönert jeden Raum.
Als am Bauhaus gelernter Tischler hatte auch
Ehrlich es bis zum Chefarchitekten der Deutschen Werkstätten Hellerau gebracht.
Wen seine Einbauten, Täfelungen, Möbel und Raumgestaltungen interessieren, der
sollte sich einen Besichtigungstermin im ehemaligen Funkhaus Nalepastraße in Berlin organisieren. Ehrlichs typische MidcenturyEinrichtung des Clubs der Kulturschaffenden
in Berlin-Mitte von 1957 stellt ihn als ganzheitlichen Raumgestalter neben große Interior-Kompositeure wie Charlotte Perriand
oder Jean Prouvé.
Worauf man in den Neunzigerjahren in
der ehemaligen DDR auf der Suche nach
Sitzmöbeln am häufigsten stieß, war der organische Z-Stuhl; eine Schale, deren Sitz und
Rückenlehne stark an den »Panton Chair« erinnern, wobei Beine und Füße das Gesamtbild gehörig stören und den Stuhl in der Sil-
Die Pusteblumen-Lampen, vom VEB Kristalleuchte Ebersbach produ­
ziert, waren ein beliebtes Schmuckstück in DDR-Wohnzimmern. Sie
waren allerdings schwer zu bekommen, die meisten Exemplare waren
für den Export in die Sowjetunion bestimmt. Links: »Senftenberger ­
Sitzei« nannte man in den Siebzigerjahren die klappbaren Kunststoff­
sessel für den Außengebrauch. Unten: Die Rattanstühle mit Stahl­gestell wurden um 1958 von der Eisu KG Themar für Terrassen gebaut
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houette wie einen hockenden Mann
aussehen lassen. Kaum jemand weiß, dass der
im VEB PCK Schwedt aus Polyurethanschaum hergestellte Gartenstuhl seit 1968
nach einem Entwurf des westdeutschen Designers Ernst Moeckl als Variopur-Stuhl unter dem Spitznamen »Känguru« bei Horn in
der BRD produziert wurde. Sein Lizenzbau
gelangte in der DDR zur Massenware. Der »DDR-Barcelona-Chair«
Auch das sogenannte »Senftenberger Sitzei«,
gefertigt im dortigem VEB Synthesewerk,
ein im geschlossenen Zustand pillenförmiger und wasserdichter Pop-Art-Sessel für
draußen, dessen Rückenlehne im aufgeklappten Deckel sitzt, schien mir viele Jahre
ein original ostdeutsches Kultobjekt. Dabei
rühmt es sich ebenfalls westdeutscher Provenienz, als Entwurf des Designers Peter
Ghyczy von 1968. Solche gestalterischen
Grenzüberschreitungen waren damals trotz
Mauer nicht unüblich.
Der »Barcelona Chair« ist hinlänglich bekannt. Klassik-Guru Mies van der Rohe hatte
ihn als Architekt des Deutschen Pavillons anlässlich der Weltausstellung 1929 kreiert, damit das spanische Königspaar der Eröffnungszeremonie sitzend beiwohnen konnte.
Ergonomisch fragwürdig, mit schwimmenden Polstern, genügt er als Showmöbel rein
ästhetischen Ansprüchen, steht als universale
Kunst aber abseits jeder Bewertung.
Rudolf Horn, der vielleicht wichtigste
DDR-Gestalter, der sich zeitlebens zwischen
Kreation, Entwicklung, Lehre, Rechtfertigung und Kompromiss bewegen musste, hat
während der Mangelwirtschaft unzählige
Zugeständnisse gemacht und dabei trotzdem Wegweisendes geschaffen: etwa Möbel-
blenden aus gewachstem Papier oder experimentelle Wohnungen, in denen die Mieter
ihre Wände nach Bedarf verschieben können.
1966 kam es zum Sakrileg, denn Rudolf
Horn beschloss nach persönlichen Tests, den
»Barcelona Chair« neu zu gestalten, und zwar
bequemer; heute würde man sagen, zu re­
launchen. Das starre, römischer Sitzkultur
entnommene X-Gestell, wollte er durch ein
federndes Z-Gestell ersetzen. Dessen großzügiges Auskragen der Bandeisen nach hinten bewahrte den Lounger zwar davor, rückwärts zu kippen, klaute ihm allerdings auch
ein Stück seines ästhetischen Reizes – seine
Seitenansicht bestätigt dies. Der Sitzkomfort
wurde durch den federnden Aufbau und den
stärker geneigten, fest gepolsterten Sitz deutlich verbessert. Der sogenannte »DDR-Barcelona-Chair« wurde in Potsdam von der Firma Röhl als Exportartikel produziert und im
Westen unter der Bezeichnung »Comfortstar« vertrieben. Glücklich seien all diejenigen, die ihn heute ihr Eigen nennen dürfen.
Das sind nur einige Beispiele aus dem
Fundus des DDR-Designs, zu dem auch die
beliebten Pusteblumen- oder Sputniklampen oder formschöne, alltagstaugliche Tischwaren gehören. Sie sind vielleicht nicht so
hochwertig wie ihre westlichen Brüder und
Schwestern, dafür kurioser, exotischer und
mindestens genauso innovativ. Als Sammler
muss man nicht nach Ergänzung der vielen
Baureihen bis zur Vollständigkeit streben,
das ist ohnehin nicht erreichbar. Viel wichtiger ist, dass wir mit jedem Teil, das wir vorm
Vergessen retten und in unsere Wohnwelten
aufnehmen, für unsere Kinder ein Stück Geschichte erhalten.
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Stephan Schilgen ist Raumgestalter in Berlin
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Der populäre Z-Stuhl ist ein typisches Bei­
spiel für die neuen Kunststoffmöbel der
Siebzigerjahre. Unten: Das formschönste
Sitzmöbel des Ostens war der Armlehn­
stuhl »52693«, den Selman Selmanagić 1957 ­
designte. ­Linke Seite: Schreibtisch aus der
Hellerau-Typenserie »602«, nach einem Ent­
wurf des Bauhaus-Schülers Franz Ehrlich