Kindergrundsicherung für alle Kinder und

Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen – eine Übersicht
(2. aktualisierte Fassung, Juni 2015, Erweiterung um Beschlüsse Partei,
Forderungen des VAMV, Evangelische Organisationen/Diakonie Deutschland)
1. Beschlusslagen Partei DIE LINKE
Auszug aus dem Programm der Partei DIE LINKE.:
"Die LINKE streitet für eine Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen,
welche Kinder- und Jugendarmut verhindert und allen Kindern und Jugendlichen
gute Teilhabe- und Entfaltungsmöglichkeiten bietet sowie vor Ausgrenzungen und
Diskriminierungen schützt."
Auszug aus dem Wahlprogramm der Partei DIE LINKE. zur Bundestagswahl 2013:
"Gemeinsam mit zahlreichen Wohlfahrtsverbänden wird sich DIE LINKE für eine
Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen einsetzen. Sie ist am
tatsächlichen, verfassungsrechtlichen Existenzminimum der Kinder zu
orientieren. Dieses liegt derzeit bei 536 Euro. Als Sofortmaßnahme ist das
Kindergeld zu erhöhen: für die ersten zwei Kinder auf 200, für alle weiteren Kinder
entsprechend gestaffelt. Die Hartz-IV-Sätze müssen verfassungsgerecht berechnet
und entsprechend erhöht […] werden. Das Kindergeld darf nicht auf Transferleistungen wie Hartz IV angerechnet werden."
"Das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden. Stattdessen wollen wir eine
individuelle Besteuerung einführen. Damit Lebensgemeinschaften mit Kindern
nicht schlechter gestellt werden, wollen wir die Einsparungen nutzen, um das
Zusammenleben mit Kindern zu fördern."
Beschluss auf dem Bielefelder Parteitag DIE LINKE. am 06. Juni 2015:
"Kinderarmut muss wirksam bekämpft werden. Jedes Kind ist uns gleich viel wert.
Wir brauchen eine eigenständige Kindergrundsicherung für alle Kinder und
Jugendlichen, gebührenfreie Kindertagesstätten, gebührenfreies und gesundes
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Mittagessen in Kitas und Schulen sowie den Ausbau der öffentlichen sozialen und
kulturellen Infrastruktur und Angebote, die alle Kinder und Jugendliche - unabhängig
vom Geldbeutel der Eltern - nutzen können."
Gemäß dieser Beschlusslagen finden sich ähnlich formulierte Beschlüsse in
Wahlprogrammen bzw. Leitlinien der LINKEN Landesverbände bzw.
Landtagsfraktionen (z. B. auch in Brandenburg, Sachsen, Thüringen).
2. Beschlusslagen in anderen Parteien
Wahlprogramm SPD 2013
"Gleichzeitig gelingt es im aktuellen System nicht, materielle Kinderarmut wirksam zu
bekämpfen. Deshalb werden wir den Familienleistungsausgleich vom Kopf auf die
Füße stellen. Mit unserem „sozial gestaffelten Kindergeld” werden wir ein
einkommensabhängiges Kindergeld für geringe und untere mittlere Einkommen
einführen, in das wir den bisherigen Kinderzuschlag integrieren.
Es wird künftig Familien mit kleineren Einkommen überdurchschnittlich fördern
und nicht mehr die mit den höchsten Einkommen. Beispielsweise sollen berufstätige
Familien mit zwei Kindern und einem Einkommen von unter 3.000 Euro monatlich
künftig ein um bis zu 140 Euro pro Kind und Monat erhöhtes Kindergeld erhalten.
Alle anderen Familien erhalten je Kind einheitlich wie bisher ein Kindergeld von 184
Euro im Monat. Der darüber hinaus gehende bisherige Steuervorteil für Familien mit
hohen Einkommen entfällt. Für dritte und weitere Kinder bleibt es bei den erhöhten
Kindergeldsätzen. Für die Finanzierung des sozial gestaffelten Kindergeldes werden
wir auch die Familienleistungen einer Überprüfung unterziehen."
Landesverbände der SPD machen sich allerdings auch für eine Kindergrundsicherung in Anlehnung an das Bündnis für Kindergrundsicherung stark, z. B.
Sachsen.
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Wahlprogramm BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2013
"Unser Ziel bleibt eine Gesellschaft, der jedes Kind gleich viel wert ist. Jedes Kind,
unabhängig vom Einkommen seiner Familie, soll die gleiche finanzielle Unterstützung
vom Staat erhalten. Wir wollen nicht mehr die Ehe, sondern Kinder fördern.
Deshalb wollen wir das Ehegattensplitting wie im Kapitel „Besser haushalten“
beschrieben schrittweise abbauen und damit auch eine Kindergrundsicherung
aufbauen. Die Kindergrundsicherung wird somit aus dem Familienleistungsausgleich
finanziert. Sie ist keine zusätzliche Transferleistung, sondern ersetzt vorhandene
Transfers und Vergünstigungen. Die Kindergrundsicherung kann dazu beitragen,
eine übermäßige Belastung kinderreicher Familien durch das Abschmelzen des
Splittings zu vermeiden. Wir streben ein Modell an, das Kinderregelsätze,
Kinderzuschläge sowie die steuerlichen Kinderfreibeträge vollständig obsolet macht.
Ziel ist eine Kindergrundsicherung, die der Höhe nach so bemessen ist, dass die
Kinderfreibeträge verfassungskonform abgeschafft werden können. Oft sind Eltern
nicht verheiratet. Ehegattensplitting hat mit deren Lebenssituation nichts zu tun. Eine
Kindergrundsicherung hingegen gäbe ihnen die Chance, wirkliche Förderung zu
erfahren. Das gilt insbesondere für Alleinerziehende."
"Für eine gerechte Familienförderung – in die Kindergrundsicherung einsteigen
In unserem reichen Land leben viele Kinder in Armut. Unser Ziel ist eine
Gesellschaft, in der kein Kind in Armut lebt und in der jedes Kind gleich viel wert ist.
Jedes Kind, unabhängig vom Einkommen seiner Familie, soll die gleiche finanzielle
Unterstützung vom Staat erhalten. Wir wollen in der nächsten Legislaturperiode
den Einstieg in eine Kindergrundsicherung schaffen. In der Kindergrundsicherung
gehen Kinderregelsätze, Kinderzuschlag sowie die steuerlichen Kinderfreibeträge
vollständig auf. Wir wollen dafür auch Mittel nutzen, die durch die Veränderung des
Ehegattensplittings frei werden. In einem ersten Schritt werden wir unter anderem
die Regelsätze für Kinder anheben, damit sie die tatsächlichen Bedarfe der Kinder
abdecken."
Viele Landesverbände von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen sich ebenfalls für
eine Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen in Anlehnung an das
Bündnis für Kindergrundsicherung stark, z. B. Thüringen, Brandenburg und Sachsen.
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3. Bündnis für Kindergrundsicherung
Das Bündnis für Kindergrundsicherung streitet für eine Kindergrundsicherung für alle
Kinder und Jugendlichen in Höhe von 536 Euro (siehe auch Bezug um
Wahlprogramm DIE LINKE oben), die alle kindbezogenen monetären Leistungen
zusammenfasst (nicht die Sonderleistungen). Bündnismitgliedern sind u.a.:
Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Kinderschutzbund, Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft, Bundesverband pro familia, Naturfreunde, Verband berufstätiger
Mütter, Zukunftsforum Familie und renommierten Wissenschaftler/-innen wie Prof.
Jutta Allmendinger (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung), Prof. Heiner
Keupp (Ludwig-Maximilians- Universität München), Prof. Hans Bertram (HumboldtUniversität zu Berlin), Prof. Walter Hanesch (Hochschule Darmstadt), Prof. ErnstUlrich Huster (Evangelische Fachhochschule RWL/Universität Gießen), Prof. Ronald
Lutz (Fachhochschule Erfurt), Prof. Ullrich Gintzel (Evangelische Fachhochschule
Dresden), Dr. Gisela Notz (Berlin).
Das Konzept des Bündnisses für eine Kindergrundsicherung findet sich auf der
Website und in der Broschüre des Bündnisses:
Darin:
"Unser Vorschlag lautet, künftig alle Kinder mit einer Kindergrundsicherung in Höhe
von 536 Euro monatlich abzusichern. Damit wird der grundlegende Bedarf, den
Kinder für ihre Entwicklung benötigen und den das Bundesverfassungsgericht
festgestellt hat, aus öffentlichen Mitteln gedeckt. Die Höhe unserer
Kindergrundsicherung orientiert sich dabei am aktuellen soziokulturellen
Existenzminimum und soll stetig an die Inflationsrate angepasst werden.
Wir favorisieren eine gestufte Kindergrundsicherung, die allen Kindern das sächliche
Existenzminimum in Höhe von 356 Euro als unbürokratische Leistung garantiert. Bis
der Staat sämtliche Leistungen für Bildung, Betreuung und Erziehung gebührenfrei
zur Verfügung stellt, fordern wir einen weiteren Betrag in Höhe von 180 Euro.
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Um sie sozial gerecht bzw. entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit der
Eltern auszugestalten, soll sie mit dem Grenzsteuersatz des elterlichen Einkommens
versteuert werden. Im Ergebnis erhalten Kinder und ihre Familien einen
Mindestbetrag von ca. 280 Euro, der in etwa der maximalen Entlastung durch die
derzeitigen Kinderfreibeträge entspricht. Je niedriger das Familieneinkommen ist,
desto höher fällt der Betrag der Kindergrundsicherung aus. Familien ohne oder nur
mit geringem Einkommen erhalten die gesamte Leistung in Höhe von 536 Euro.
Die Kindergrundsicherung soll weitgehend vorrangig vor anderen Sozialleistungen
sein, damit Kinder aus dem stigmatisierenden Bezug insbesondere von SGB IILeistungen und der verdeckten Armut herausgeholt werden. Bei einigen
kindbedingten Transferbestandteilen bleibt die Notwendigkeit der Anpassung bzw.
Harmonisierung der Kindergrundsicherung mit weiter bestehenden Sozialleistungen.
Dies betrifft beispielsweise die Anrechnung des kindbedingten Wohnkostenanteils.
Die Leistung wird für alle Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr gewährt.
Junge Erwachsene in Ausbildung oder im Studium erhalten analog zum Kindergeld
bis zum 25. Lebensjahr den Mindestbetrag der Kindergrundsicherung von 280 Euro
als Pauschale. Gleichzeitig bleibt der Anspruch auf BAföG und ähnliche
Förderleistungen neben dem pauschalen Betrag der Kindergrundsicherung
bestehen."
4. Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV e. V.)
Die Forderung des VAMV (auch hier) – neben Forderungen zum Ausbau der
sozialen Infrastruktur und Dienstleistungen wie auch beim Bündnis für
Kindergrundsicherung – von 2009 ist: 500 Euro für jedes Kind bis zum 27.
Lebensjahr, Finanzierung aus Zusammenfassung aller kindbezogenen
Transferleistungen und Einkommensteuerprogression (vertikale Steuergerechtigkeit),
Anrechnung auf Unterhaltsbedarf. Hervorgehoben wird u a. das Prinzip, dass jedes
Kind der Gesellschaft gleich viel wert ist, die Herauslösung der Kinder in ärmeren
Familien aus den stigmatisierenden Leistungsbezügen wie Hartz IV, Reduzierung
von Unterhaltsprozessen und Bürokratie.
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5. Evangelische Organisationen und Diakonie Deutschland
In der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen ist die
Kindergrundsicherung umstritten, einzelne Landesorganisationen unterstützen aber
die Kindergrundsicherung neben dem Ausbau der sozialen Infrastruktur und
Dienstleistungen, so z. B. Bayern: "Wir schließen uns der bereits von vielen Experten
und Fachverbänden formulierten Forderung nach einer eigenständigen
Kindergrundsicherung an, die von der Erwerbssituation der Eltern stärker entkoppelt
und am tatsächlichen Bedarf der Kinder und Jugendlichen orientiert ist,
 weil die Einführung einer Kindergrundsicherung einen wichtigen Beitrag zur
finanziellen Unterstützung von Familien und damit zur Bekämpfung von Kinderarmut
leistet,
 weil die Berechnungen von Verteilungswissenschaftlern deutlich zeigen, dass die
Kindergrundsicherung das effizienteste Mittel zur Bekämpfung von Kinderarmut ist,
 weil die Einführung einer Kindergrundsicherung als das beste (nachhaltigste,
effektivste) Konzept zu sein scheint, das gesamte System der Familienförderung
langfristig zu entbürokratisieren sowie transparenter und sozial gerechter zu
gestalten."
Die Diakonie Deutschland befürwortet neben dem Ausbau der sozialen Infrastruktur
und Dienstleistungen eine einheitliche soziale Sicherung von allen Kindern und
Jugendlichen in gleicher Höhe". Es wird im Positionspapier "Soziale Sicherung für
Kinder und Jugendliche einfach, transparent und zielgenau ausgestalten"
(Positionspapier 03.2013) formuliert: "Ziel muss eine einheitliche soziale Sicherung
von allen Kindern und Jugendlichen in gleicher Höhe sein, die ihre Grundbedarfe
gewährleistet. Dem muss eine Bedarfsermittlung vorausgehen, die einerseits wie
bisher nach dem SGB II und XII anhand der Einkommens- und Verbrauchsstudie
vorgenommen wird, andererseits aber vergleichende Plausibilitätsprüfungen
einbezieht. Ein Ansatz für einen in sich stimmigen finanziellen Ausgleich für Kinder
und Jugendliche besteht darin, die bisherigen Einzelleistungen
- Kindergeld – Kinderfreibeträge - Kinderzuschlag - Kinder-Regelsätze in den SGB II
und XII - Kinder-Regelsätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - monatlicher
Förderbetrag für Sport oder kulturelle Erziehung aus dem Bildungs- und
Teilhabepaket
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in einer Leistung zusammenzufassen. Die aufgezählten Leistungen würden
insgesamt durch eine neue Leistung abgelöst. Die bisher für diese Einzelleistungen
verwendeten Steuermittel stünden für die Finanzierung der neuen Leistung zur
Verfügung. Die Diakonie schlägt vor, wie bisher schon in der Grundsicherung die
Leistungshöhe nach Altersgruppen der zu fördernden Kinder, nicht jedoch nach
Anzahl der Kinder in einer Familie zu differenzieren. Neben der einheitlichen
finanziellen Absicherung von Kindern und Jugendlichen sollten Eheleute in eine
solche gleichmäßige Förderung einbezogen werden. Es ist sinnvoll, das
Ehegattensplitting auf die gemeinsame steuerliche Absetzbarkeit des
Existenzminimums zu beschränken.39 So würden unterschiedliche Effekte nach
Einkommenshöhe und Erwerbssituation vermieden. Die damit erzielbaren
Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe können der direkten Förderung von Kindern
und Familien zugutekommen."
Gleichzeitig wird die Erfassung von Bedarfen durch EVS-Statistikmethode kritisiert:
"Durch eine Setzung der unteren 20 Prozent der Einkommen als Vergleichsgruppe
wie bisher im SGB II und XII wird in vielen Bedarfsbereichen einfach bestehender
Mangel abgebildet. Daher sind ergänzende Gutachten notwendig zur Feststellung
der Grundbedarfe, zum Beispiel für eine gesunde Ernährung oder angemessene
Kleidung. Hierfür ist eine unabhängige Kommission aus Wissenschaft,
Wohlfahrtsverbänden, familienpolitischen Interessenvertretungen sowie aus
Selbsthilfeorganisationen zu bilden."
6. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Nationale
Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Auch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Nationale
Akademie der Wissenschaften Leopoldina schlägt eine Grundsicherung für alle
Kinder vor.
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In der Studie "ZUKUNFT MIT KINDERN" 1 heißt es (S. 52 f.):
"Weiterentwicklung staatlicher Transferleistungen in Richtung einer
Kindergrundsicherung
Wir empfehlen, die Transferleistungen für Kinder in Richtung einer universellen
Kindergrundsicherung weiterzuentwickeln. Eine Kindergrundsicherung bündelt
sämtliche kindbezogenen Transferleistungen in einer einzigen existenzsichernden
und zu besteuernden Leistung für alle Kinder. Sie koppelt alle Transferzahlungen
an das Vorhandensein von Kindern im Haushalt. Ziel ist die unmittelbare Sicherung
des materiellen Wohlbefindens von allen Kindern, eine erwünschte Folge ist die
Gleichstellung unterschiedlicher familialer Lebensformen.
Gleichzeitig hat die Kindergrundsicherung den Vorteil, eine Stigmatisierung von
Familien durch Bedürftigkeitsprüfungen zu vermeiden, da grundsätzlich alle
Familien von der Leistung profitieren und eine entsprechende Umverteilung
über die Besteuerung erfolgt. Um den teilweise unterschiedlichen regionalen
Lebenshaltungskosten in allen drei Ländern unserer Analyse gerecht zu werden,
können in den föderalen Staaten zusätzliche regionalisierte Transferleistungen
eine sinnvolle Option darstellen. Ein solches Element ist zum Beispiel in der
bedarfsorientierten Mindestsicherung in Österreich eingebaut, bei der die
Bundesländer den bundeseinheitlichen Mindeststandard für Kinder erhöhen können.
Bei einer Weiterentwicklung der familienbezogenen Geldleistungen in Richtung
einer Kindergrundsicherung könnten vielfältige Transferleistungen für Kinder,
beispielsweise in Deutschland das Kindergeld, der Kinderzuschlag und diverse
Ausgaben der deutschen Mindestsicherungssysteme, in einer Leistung gebündelt
werden. Die fiskalischen Kosten von Kindergrundsicherungsmodellen in
Deutschland wurden von unterschiedlichen Akteuren geschätzt – die Kosten sind
erheblich, müssen aber stets mit dem entsprechenden Nutzen in Relation gesetzt
werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung solcher Pläne steigt, wenn sie mit
konkreten Vorschlägen zu einer Gegenfinanzierung verbunden sind. Entsprechende
Überlegungen sollten von daher auch von politischer Seite konkretisiert werden."
1
Weitere Kernaussagen dieser Studie werden in der Anlage 1 aufgeführt.
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7. Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte eine sehr aufschlussreiche Studie zur Reform des Kinderlastenausgleichs, also der staatlichen
Maßnahmen, die auf eine Entlastung der Eltern von einem Teil der Kosten für ihre
Kinder abzielen. Die Studie trägt den Titel: Kindergrundsicherung, Kindergeld und
Kinderzuschlag. Eine vergleichende Analyse aktueller Reformvorschläge.
(Becker/Hauser 2010) Sie wurde von zwei renommierten Armuts- und
SozialwissenschaftlerInnen, Irene Becker und Richard Hauser, vor vier Jahren
erstellt.
Fazit:
Der Betrag (damals mit 454 bzw. 502 Euro angegeben) der Kindergrundsicherung
für alle Kinder und Jugendlichen ist so hoch, dass sowohl das sächliche
Existenzminimum als auch der BEA-Bedarf gedeckt ist. Kinder und Jugendliche
werden außerdem nicht auf den allgemeinen Leistungsbezug nach dem SGB II bzw.
SGB XII oder auf den Kinderzuschlag verwiesen. Damit ist verdeckte Armut von
Kindern und Jugendlichen bzw. eine systembedingte Nichtinanspruchnahme von
zustehenden Leistungen nicht mehr möglich, denn die einheitliche
Kindergrundsicherung wird ohne eine sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung allen
Kindern und Jugendlichen in gleicher Höhe zugestanden (zumindest bis zum 18.
Lebensjahr). Sie ist ein universeller Transfer für eine bestimmte Altersgruppe. Die
systembedingten Ursachen für verdeckte Armut und für Nichtinanspruchnahmen von
Transfers sind restlos beseitigt. Die Bürokratie wird auf ein absolutes Mindestmaß
beschränkt. Da kindbedingte steuerliche Freibeträge wegfallen, wird die mit diesen
Freibeträgen verbundene Bevorteilung der Familien mit hohem Einkommen
verhindert.
Für das erhöhte Kindergeld (damals mit 238 bzw. 322 Euro angegeben) ist
grundsätzlich festzustellen, dass die bisher im Bezug von bedürftigkeitsgeprüften
Grundsicherungsleistungen stehenden Kinder und Jugendlichen bzw. Familien zum
großen Teil im SGB-II-/XII-Bezug verbleiben – mit allen Folgen hinsichtlich der
verdeckten Armut bezüglich SGB II/XII (rund 50 Prozent, vgl. Becker/Hauser 2010:
9
138). Durch die Beibehaltung des bürokratischen und bedürftigkeitsgeprüften
Kinderzuschlags (und des möglichen Wohngeldanteils für Kinder/Jugendliche) kann
auch in diesem Bereich weiterhin von einer hohen Quote der
Nichtinanspruchnahme dieser Leistung ausgegangen werden (derzeit
durchschnittlich 86 Prozent, vgl. Becker/Hauser 2010: 141). Da der Erhöhungsbetrag
des Kindergeldes bei der Bemessung von Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII
nicht angerechnet wird, wirkt die Kindergelderhöhung faktisch wie eine
Regelleistungserhöhung. Damit wäre bei dieser Gruppe der Bedarf für Betreuung,
Erziehung und Ausbildung teilweise gedeckt, der sonst im SGB II und SGB XII nicht
vorgesehen ist. Da auch im darüber liegenden Einkommensbereich der
Kinderzuschlag und das mögliche Wohngeld für die Kinder/Jugendlichen gewährt
werden, würde die Summe aus dem erhöhten Kindergeld und dem unveränderten
(maximalen) Kinderzuschlag das sächliche Existenzminimum des Kindes übersteigen
und somit auch für diese Gruppe zumindest einen Teil des BEA-Bedarfs decken.
Allerdings: „Bei Kindern in verdeckter Armut und bei Kindern in Familien knapp
oberhalb der SGB II-Grenze bzw. der für den Kinderzuschlag geltenden
Höchsteinkommensgrenze bliebe […] nach wie vor der BEA-Aufwand
unberücksichtigt […].“ (Becker/Hauser 2010: 29) Zum Konzept gehört, dass auch die
kindbedingten Steuerfreibeträge wegfallen sollen, das Kindergeld wird allen
ausgezahlt. Damit wäre die Bevorteilung der Familien mit hohem Einkommen im
jetzigen System ebenfalls beseitigt.
Grundsätzlich lässt sich für einen verbesserten altersgestaffelten
Kinderzuschlag feststellen, dass dadurch nur eine kleine Gruppe von Kindern und
Jugendlichen aus dem Leistungsbezug des SGB II herausgeholt werden kann,
nämlich die Kinder und Jugendlichen, deren Eltern ein geringes eigenes (Erwerbs-)
Einkommen haben. Hierbei muss allerdings noch berücksichtigt werden, dass die
vorgesehene Wahlfreiheit zwischen SGB-II-Leistungen und dem Kinderzuschlag
(plus möglichem Wohngeld für das/die Kind/er) diese Wirkung konterkarieren kann.
An der verdeckten Armut, bezogen auf das SGB II/XII, würde sich kaum etwas
ändern. Da sich an der bürokratischen Ausgestaltung des Kinderzuschlags und der
mit dem Kinderzuschlag verbundenen Bedürftigkeitsprüfung grundsätzlich nichts
ändert, ist auch nicht zu erwarten, dass die Nichtinanspruchnahme des
Kinderzuschlags zurückgedrängt wird.
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8. Schlussbemerkung
Einigkeit besteht darin: Das Konzept einer eigenständigen Kindergrundsicherung für
alle Kinder und Jugendlichen soll vier Ziele vereinigen und erreichen:
1. Beseitigung von Armut von Kindern und Jugendlichen
2. Befreiung aus stigmatisierenden und diskriminierenden
Leistungsbezügen wie Hartz IV
3. Beseitigung der Ausgrenzung aus dem Bezug sozialer Leistungen für
Kinder und Jugendliche in armen Familien (Nichtinanspruchnahme
durch bürokratische und bedürftigkeitsgeprüfte Leistung)
4. Abbau von Bürokratie
Das Konzept der Kindergrundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen ist
verbunden mit Konzepten der Entwicklung der Infrastruktur und Dienstleistungen für
alle Kinder und Jugendlichen im Bereich Bildung, Soziales, Kultur, Sport und der
Entwicklung von Sonderleistungen für bestimmte Gruppen von Kindern und
Jugendlichen.
Beim Bündnis für Kindergrundsicherung ist zu lesen:
"Geldleistungen und Infrastrukturleistungen des Staates dürfen nicht gegeneinander
ausgespielt werden, wie dies in der öffentlichen Debatte über Kinderarmut häufig
geschieht. Kinder und deren Familien benötigen beides, und für beides sind
finanzielle Mittel nötig."
"Unser Modell sieht vor, dass nur pauschal bemessene Transfers ersetzt werden
sollen. Für Sonder- oder Mehrbedarfe im Falle behinderter oder kranker Kinder oder
bei überdurchschnittlichen Wohnkosten, Umzügen und Klassenreisen soll weiterhin
der Grundsicherungsträger zuständig sein."
Ähnlich wird in den o. g. Partei-/Fraktionsbeschlüssen und o. g. Papieren und
Positionen argumentiert.
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Anlage 1
Familienpolitische Trias:
Universelle Kindergrundsicherung, Zeitsouveränität und Ausrichtung der
Infrastrukturen an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern
(anlässlich der Tour der Bundestagsfraktion und sächsischen Landtagsfraktion DIE
LINKE im Mai 2011)
Die Studie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der
Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina "Zukunft mit Kindern" von
2012 empfiehlt konkrete politische Maßnahmen für eine eltern- und kinderfreundliche
Gesellschaft.
Als wir mit der Bundestagsfraktion und der sächsischen Landtagsfraktion der
LINKEN im Mai 2011 auf einer Tour durch Sachsen waren, diskutierten wir
verschiedene Möglichkeiten, wie man der Kinderarmut begegnen kann. Ein wichtiges
Thema war die Kindergrundsicherung. Ich erinnere mich noch genau, wie ein
Sozialarbeiter von den Problemen erwerbsloser Eltern berichtete. Es gibt
verschiedene finanzielle Unterstützungen, die auch noch zum Teil gegenseitig
verrechnet werden: vom Kindergeld über den Kinderzuschlag und das Sozialgeld bei
Hartz IV. Dieser Umstand und die Bedürftigkeitsprüfungen bei vielen Leistungen
führen dazu, dass die zustehenden Leistungen gerade die Ärmsten nicht erreichen.
Die Armutsforscherin Irene Becker hat errechnet, dass z. B. der Kinderzuschlag nur
32 Prozent derjenigen bekommen, die Anspruch darauf hätten. Darüber hinaus:
Rund 42 Prozent der Kinder unter 15 Jahren, die Anspruch auf eine Leistung nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Hartz IV) haben, erhalten diese ihnen
zustehenden Leistungen nicht.
DIE LINKE hat sich daher folgerichtig im Parteiprogramm gegen eine bürokratische,
bedürftigkeitsgeprüfte und für eine universelle Absicherung aller Kinder und
Jugendlichen ausgesprochen: „Die LINKE streitet für eine Kindergrundsicherung für
alle Kinder und Jugendlichen, welche Kinder- und Jugendarmut verhindert und allen
Kindern und Jugendlichen gute Teilhabe- und Entfaltungsmöglichkeiten bietet sowie
vor Ausgrenzungen und Diskriminierungen schützt.“
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Die Studie "Zukunft mit Kindern", die u. a. von der Nationalen Akademie der
Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften angefertigt worden ist, zeigt, dass DIE LINKE, aber auch das
Bündnis für eine Kindergrundsicherung auf dem richtigen Weg sind. Es heißt in den
Empfehlungen der WissenschaftlerInnen für ein kinder- und elternfreundliches Land:
"Wir empfehlen, die Transferleistungen für Kinder in Richtung einer universellen
Kindergrundsicherung weiterzuentwickeln. Eine Kindergrundsicherung bündelt
sämtliche kindbezogenen Transferleistungen in einer einzigen existenzsichernden
und zu besteuernden Leistung für alle Kinder. […] Ziel ist die unmittelbare Sicherung
des materiellen Wohlbefindens von allen Kindern, eine erwünschte Folge ist die
Gleichstellung unterschiedlicher familialer Lebensformen. Gleichzeitig hat die
Kindergrundsicherung den Vorteil, eine Stigmatisierung von Familien durch
Bedürftigkeitsprüfungen zu vermeiden, da grundsätzlich alle Familien von der
Leistung profitieren und eine entsprechende Umverteilung über die Besteuerung
erfolgt."
Die Studie offenbart aber noch mehr Übereinstimmungen mit LINKEN politischen
Ansätzen und Diskussionen. Die gesellschaftpolitischen Empfehlungen für ein kinderund elternfreundliches Land werden von den WissenschaftlerInnen in drei Bereichen
dargelegt: Zeitpolitik, Geldpolitik und Infrastrukturpolitik – die familienpolitische Trias.
Unter der Rubrik Zeitpolitik werden konkrete politische Vorschläge zur
selbstbestimmten Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Zeit für Sorgearbeit und
Bildung gemacht. Hervorgehoben wird, dass sowohl den Präferenzen der Eltern
gemäße Verkürzungen von Erwerbsarbeitszeit ermöglicht werden müssen als auch
auf den gesamten Lebenslauf bezogene Kontingente an Familienzeit (Auszeiten aus
dem Beruf für die Familie). Die steigende Zeitsouveränität muss natürlich auch durch
entsprechende finanzielle Leistungen zur Kompensation des Lohnausfalls sowie
arbeits- und sozialversicherungsrechtlich abgesichert werden. Die AutorInnen der
Studie sehen in der Zeitsouveränität der Eltern einen wichtigen Schlüssel für eine
kinder- und elternfreundliche Gesellschaft.
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Unter der Rubrik Geldpolitik wird die o. g. universelle Kindergrundsicherung
empfohlen, die entsprechend regionaler Unterschiede der Lebenshaltungskosten mit
regionalisierten Zuschüssen ergänzt werden kann.
Für den Bereich der Infrastrukturpolitik empfehlen die AutorInnen der Studie:
"Infrastrukturpolitik muss einerseits einem kohärenten Gesamtkonzept folgen,
damit die einzelnen Institutionen aufeinander abgestimmt sind und Kindern
unabhängig von ihrer regionalen Zuordnung gleiche Lebenschancen ermöglicht
werden. Andererseits muss sie der Vielfalt von Lebensformen, Betreuungskulturen,
Zeiterfordernissen und regionalen Rahmenbedingungen entsprechen.
Die Berücksichtigung dieser Vielfalt entspricht der Pluralität und den
unterschiedlichen Präferenzen von Familien. Für einige Eltern können institutionelle
Betreuungsangebote in Kindertageseinrichtungen sinnvoll sein, andere Eltern mögen
Tagespflegemodelle präferieren und wieder andere wollen keine außerfamiliale
Betreuung für ihre Kinder." Unter dem Punkt "Abstimmung der Institutionen" müssen
meines Erachtens auch dringend praktische Wege gefunden werden, damit
Arbeitszeiten und Betreuungszeiten für Kinder besser zueinander passen. Kennen
wir doch den Stress, den Eltern und Kinder ausgesetzt sind, wenn sie von der
Erwerbsarbeit zur Kindereinrichtung oder umgekehrt hetzen. Es könnten zum
Beispiel vor und nach den normalen Öffnungszeiten von Kindertagesstätten
Betreuungen für Kinder von Eltern angeboten werden, die im Kultur- oder
Projektbereich arbeiten.
Die AutorInnen der Studie gehen mit ihren Empfehlungen noch weiter. Nicht nur die
Infrastrukturen für Kinder – wie Kindertagesstätten und Ganztagesangebote für
Schulkinder – müssen ausgebaut und in hoher pädagogischer Qualität zur Verfügung
stehen: "Die Schaffung einer familienfreundlichen Gesellschaft erfordert nicht nur
den Um- und Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für Kinder, darüber hinaus müssen
die Räume, in denen Menschen leben, familienfreundlich gestaltet sein.
Stadtentwicklung muss sich auch an den Bedürfnissen und Erlebnisinteressen von
Familien als einem zentralen Planungskriterium orientieren, sodass Kinder sich frei
und unabhängig von ihren Eltern im öffentlichen Raum bewegen können."
Beispielhaft werden genannt: "Die räumliche Verinselung der kindlichen Lebenswelt
kann in vielen Fällen durch einfache stadtplanerische Maßnahmen überwunden
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werden, beispielsweise durch gut angelegte Radwege und eine kindgerechte
Verkehrsführung. Durch eine solche Anpassung des Stadtraumes erfahren
Menschen im Alltag, dass Elternschaft eine Lebensoption sein kann, auf die
Rücksicht genommen wird. Gleichzeitig werden Eltern, die durch den häufigen
Transport ihrer Kinder zeitlich und materiell stark belastet sind, entlastet. Eine
derartige familiengerechte Raumgestaltung kommt auch den Mobilitäts- und
Sicherheitsbedürfnissen der älteren Generation entgegen."
Einem der letzten Sätze der Empfehlungen der WissenschafterInnen kann ebenso
voll zugestimmt werden: "Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich stärker an die
Bedürfnisse von Familien und Generationen anpassen – nicht umgekehrt" – zum
Beispiel durch eine an den Bedürfnissen der Kinder und Eltern orientierte Zeit-, Geldund Infrastrukturpolitik, wie sie in der vorliegenden Studie konzipiert ist.
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