Unternehmensbewertung Ein Merkblatt der Industrie- und Handelskammer Hannover 1. Allgemeines Ein zentraler Aspekt beim Unternehmenskauf bzw. -verkauf ist die Frage, wie viel das Unternehmen wert ist. Den absolut richtigen und objektiven Unternehmenswert gibt es nicht. In der Regel ist der Kaufpreis das Ergebnis längerer, häufig zäher Verhandlungen zwischen Verkäufer und Käufer. Der abgebende Unternehmer überschätzt häufig den Wert seines Unternehmens. Das ist verständlich, da er in das Unternehmen viele Jahre Mühe und Arbeit eingebracht hat. Der Übernehmer hingegen möchte einen möglichst geringen Kaufpreis zahlen, um nicht in Finanzierungsschwierigkeiten zu geraten und womöglich die Kapitaldienstfähigkeit des Unternehmens zu gefährden. In die Verkaufsverhandlungen fließen neben den objektiven Kriterien auch die subjektiven Wertvorstellungen der Vertragsparteien mit ein. Bei der Kaufpreisermittlung spielen somit nicht nur der Unternehmenswert bzw. die betrieblichen Faktoren eine wichtige Rolle, sondern auch außerbetriebliche Faktoren, wie das Alter des Veräußerers und des Erwerbers, die finanzielle Lage des Veräußerers und des Erwerbers, die Risikobereitschaft des Erwerbers und alternative Angebote. Bei der Kaufpreisermittlung sollte ebenfalls berücksichtigt werden, ob das Unternehmen an ein Familienmitglied, einen Mitarbeiter, einen externen Übernehmer oder an einen Investor verkauft wird. Der Wert eines Unternehmens kann aufgrund dieser unterschiedlichen Sichtweisen durchaus variieren. Der Begriff „Wert“ ist daher recht vieldeutig. 2. Bewertungsverfahren Für die Unternehmensbewertung gibt es kein allgemein gültiges Verfahren. Vielmehr finden unterschiedliche Methoden Anwendung und nicht jede Bewertungsmethode liefert für ein und dasselbe Unternehmen sinnvolle Ergebnisse. Im Folgenden werden die in der Praxis wichtigsten Verfahren zur Bewertung kleiner und mittelgroßer Unternehmen in ihren Grundzügen vorgestellt. Das sind die Substanzwertmethode, das Ertragswertverfahren sowie die Multiplikatorenmethode. Die hier vorgestellten Bewertungsverfahren müssen im Einzelfall modifiziert werden, um die Besonderheiten des zu bewertenden Unternehmens zu berücksichtigen. 2.1. Substanzwertverfahren Unter Substanzwertverfahren versteht man eine Methode zur Ermittlung des Wertes eines Unternehmens anhand dessen Substanz. Dazu wird das Vermögen eines Unternehmens zu dessen Marktwert, Wiederbeschaffungswert oder Liquidationswert bewertet. Von dem so ermittelten Wert werden die Schulden des Unternehmens abgezogen. 1/9 2.1.1. Wiederbeschaffungswert Der traditionelle Substanzwert bezeichnet den Betrag, den ein Käufer für die Errichtung einer „Kopie“ des Unternehmens aufwenden müsste. Der Wiederbeschaffungswert bzw. Reproduktionswert markiert dabei die Wertobergrenze für den potenziellen Käufer. Im ersten Schritt wird zunächst das betriebsnotwendige Vermögen (z.B. Warenbestand, Fuhrpark, Maschinen) auf Basis der Inventarliste einzeln bewertet. Dazu werden die einzelnen Gegenstände nach ihrem Wiederbeschaffungskosten beurteilt. Nicht betriebsnotwendiges Vermögen ist mit dem sogenannten Liquidationswert (siehe unten) zu bewerten. Von dem so ermittelten Wert sind die zu übernehmenden Schulden abzuziehen. Ergebnis ist der sogenannte Teilreproduktionswert. Die Inventarliste enthält weder die immateriellen Wirtschaftsgüter (z.B. selbstgeschaffene Patente und Software) noch den Firmenwert (z.B. Kundenstamm, Lieferbeziehungen, Standort, Know How der Mitarbeiter). In einem zweiten Schritt ist daher zu überlegen, welche Aufwendungen erforderlich sind, um die entsprechenden immateriellen Wirtschaftsgüter und den Firmenwert zu rekonstruieren. Hierbei ist man auf Schätzungen angewiesen. Werden zum bereits ermittelten Teilreproduktionswert die immateriellen Werte hinzugerechnet, ergibt sich der Vollreproduktionswert. Beispiel: Einzelunternehmer Müller (65 Jahre) führt ein kleines Einzelhandelsgeschäft, welches er altersbedingt an Herrn Schulz veräußern will. Das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit vor Steuern betrug in den letzten Jahren ca. € 25.000. Im Angestelltenverhältnis würde Herr Müller ca. € 30.000 pro Jahr verdienen. Wirtschaftsgüter und Schulden, die übernommen werden Ladeneinrichtung Kleintransporter Waren Forderungen übernommene Schulden Buchvermögen Teilreproduktionswert Zerschlagungswert ursprüngliche Anschaffungskosten in € 10.000 20.000 17.000 - aktueller Buchwert in € 3.000 9.000 15.000 2.500 -16.000 13.500 Wiederbeschaferzielbare fungskosten Einzelveräußerungspreise in € in € 4.500 2.500 12.000 10.000 17.000 15.000 2.500 2.500 -16.000 -16.000 20.000 14.000 Ergebnis: Das Ladengeschäft ist wenig profitabel, da Herr Müller im Angestelltenverhältnis mehr verdienen würde. Da auch künftig nicht mit hohen Gewinnsteigerungen zu rechnen ist, kommen Herr Müller und Herr Schulz zum Ergebnis, dass ein Kundenstamm zwar vorhanden ist, aufgrund der geringen Profitabilität des Ladengeschäftes diesem jedoch kein wirtschaftlicher Wert zugerechnet werden kann. Da somit weder Firmenwert noch immaterielle Wirtschaftsgüter vorhanden sind, ergibt sich der Unternehmenswert allein aus den materiellen Wirtschaftsgütern. Wertuntergrenze für Herrn Müller ist der Zerschlagungswert (€ 14.000), Wertobergrenze für Herrn Schulz ist der Reproduktionswert in Höhe von € 20.000. Herr Müller und Herr Schulz einigen sich in der Mitte, bei € 17.000, da so beide Vertragsparteien in gleicher Höhe profitieren. 2/9 2.1.2. Liquidationswert Bei dieser Variante der Substanzwertmethode werden die Vermögensgegenstände laut Inventarliste nicht mit den Wiederbeschaffungskosten sondern mit den am Markt erzielbaren - teilweise deutlich niedrigeren – Verkaufspreisen bewertet. Es geht im Ergebnis darum zu ermitteln, welcher Wert bei der Zerschlagung des Unternehmens zu erzielen wäre. Der Liquidationswert markiert damit die Wertuntergrenze des Unternehmens. 2.1.3. Beurteilung der Substanzwertmethode Der Vorteil der Substanzwertmethode liegt in der einfachen Anwendung, weil keine Zukunftsprognosen erforderlich sind. Problematisch ist die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen, wie ein langjährig eingeführter Markenname und ein Kundenstamm. Diese lassen sich kurzfristig nur schwer reproduzieren. Noch gravierender ist der Mangel, dass eine Einzel- und keine Gesamtbewertung erfolgt. Entscheidend für den Wert eines Unternehmens ist aber gerade das Zusammenspiel der einzelnen Wirtschaftsgüter. Und ob dieses Zusammenspiel gut oder schlecht ist, drückt sich letztlich in den künftigen Gewinnen des Unternehmens aus. Die maßgebende Größe für den Unternehmenswert – nämlich die Profitabilität eines Unternehmens (=Teil des Firmenwertes) – findet bei der Substanzwertmethode jedoch gerade keine Berücksichtigung, da hier auf Zukunftsprognosen verzichtet wird. Darüber hinaus ist die Reproduktion eines unprofitablen Unternehmens oder von Überkapazitäten keine sinnvolle Alternative. Aufgrund dieser gravierenden Mängel hat die Substanzwertmethode grundsätzlich nur eine Hilfsfunktion. Die Bewertungsmethode ist dennoch bei solchen Unternehmen geeignet, bei denen ein hohes Anlagevermögen vorhanden ist und immaterielle Wirtschaftsgüter und Firmenwerte nur im geringen Umfang vorhanden sind. Auch für kleinere Unternehmen, deren Ertragskraft im Branchendurchschnitt eher gering und von der Unternehmerpersönlichkeit geprägt ist, hat die Substanzwertmethode ihre Berechtigung. 2.2. Ertragswertmethode Dem Ertragswertverfahren liegt die Annahme zugrunde, dass ein Käufer nur in ein Unternehmen investiert, dessen Rendite größer ist als die zu erwartenden Erträge einer bekannten Alternativanlage, nämlich der Anlage am Aktienmarkt. Die Ertragskraft eines Unternehmens entscheidet somit über den Kaufanreiz und den Kaufpreis. Der Käufer muss die Gewissheit haben, dass der vom Unternehmen erwirtschaftete nachhaltige Gewinn eine angemessene Verzinsung darstellt und das die Erträge zur Deckung aller Zins- und Tilgungszahlungen sowie zur Finanzierung neuer Investitionen ausreichen. Vereinfacht ausgedrückt ist die Ertragswertmethode das „umgekehrte“ einer Geldanlage: Die Anlage von € 10.000 bei einer Bank mit einem Zins von 5 % führt zu unendlich fließenden Zinserträgen von € 500 p.a. (€ 10.000 x 5 % = € 500). Bei der Ertragswertmethode werden die zu erwartenden Erträge und der zu dem Risiko der Erträge passende Zins gesucht, um daraus den Ertragswert (also den Unternehmenswert) abzuleiten. Bei (unendlich) erwarteten Erträge von € 500 und einem Zins von 5 % ergibt sich ein Unternehmenswert von € 10.000 (€ 500 / 5 % = € 10.000). Kern der Methode ist somit die Prognose der Erträge und die Ermittlung des dem individuellen Risiko angepassten Zinssatzes. 3/9 2.2.1. Überschlägige Ertragswertberechnung bei kleinen Unternehmen Bei kleinen Unternehmen ist der Betrieb für den Unternehmer oft die einzige Finanzanlage, nicht selten mit einer hohen Fremdkapitalquote, da viele Kreditfinanzierungen in Anspruch genommen werden. Zusätzlich muss beachtet werden, dass Inhaber von kleinen Unternehmen nicht nur Gewinnziele verfolgen, sondern auch nicht-monetäre Ziele. Erschwerend für die Bewertung kommt hinzu, dass eine Unternehmensplanung meist nur im Kopf des Eigentümers existiert, die aufbereiteten Unterlagen aus dem Rechnungswesen erhebliche Mängel aufweisen können, die Jahresabschlüsse gegebenenfalls nicht plausibel sind oder die Kostenrechnung und das Controlling, sofern sie denn existieren, weniger aussagekräftig sind als in Großunternehmen. Da basierend auf mangelhaften Unterlagen umfassende Prognoseberechnungen nicht möglich sind und zudem aufgrund der relativ geringen Kaufpreishöhe die Berechnungen einfach gehalten werden sollen, begnügt man sich in der Praxis mit überschlägigen Ertragswertberechnungen. Dabei gibt es eine Vielfalt an Ausprägungen, von rein vergangenheitsorientierten bis hin zu rein zukunftsorientierten Betrachtungen. Eine mögliche Vorgehensweise ist folgende: 1. Schritt: Als Grundlage werden die Gewinne der letzten zwei Jahre, des laufenden Geschäftsjahres sowie die Planzahlen der nächsten drei Jahre herangezogen. Hierbei sollten die Gewinne vor Steuern und Zinsen sowie sonstigen Finanzierungsaufwendungen oder -erträgen (Ergebnis vor Zinsen und Ertragssteuern - EBIT) gewählt werden, um die Gewinne um Positionen zu bereinigen, die nicht durch die eigentliche betriebliche Tätigkeit entstanden sind. Bei Einzelunternehmen und ggf. bei Personengesellschaften muss vom Gewinn ein sogenannter kalkulatorischer Unternehmerlohn abgezogen werden. Der kalkulatorische Unternehmerlohn ist der Gegenwert für die Arbeitsleistung des Inhabers. Die Höhe bestimmt sich nach der Höhe der Bezüge eines angestellten Geschäftsführers eines hinsichtlich Größe und Profitabilität vergleichbaren Unternehmens. Bei Kapitalgesellschaften, bspw. einer GmbH, mindert das Gehalt des Gesellschaftergeschäftsführers bereits als Personalaufwand den Gewinn. Sofern die Höhe des Geschäftsführergehaltes angemessen ist, sind bei der GmbH daher keine kalkulatorischen Kosten anzusetzen. Was zum Unternehmerlohn gesagt wurde, gilt entsprechend auch für kalkulatorische Mieten, wenn das Unternehmen bisher in eigenen Räumlichkeiten betrieben wurde und diese Räumlichkeiten nicht mit veräußert werden. Des Weiteren ist der Gewinn um einmalige Aufwands- und Ertragsposten zu korrigieren, wie beispielsweise Sonderabschreibungen oder Versicherungsentschädigungen, also Positionen, die nicht dem unmittelbaren Geschäft zuzurechnen sind. 2. Schritt: Die bereinigten jährlichen Gewinne werden addiert und anschließend durch die Anzahl der betrachteten Perioden geteilt, um den durchschnittlichen Gewinn zu erhalten. 3. Schritt: Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes: Der Kapitalisierungszinssatz legt jene Verzinsung fest, die der Kapitalgeber unter Beachtung alternativer Kapitalanlagen mit vergleichbarem Risiko vom Bewertungsobjekt erwartet. Diese Zinsen stellen die Mindestverzinsung dar, die das Unternehmen erwirtschaften muss. Dabei ist die Höhe des Kapitalisierungszinssatzes von großer Bedeutung. Dieser besteht in der Regel zumeist aus zwei Komponenten, einem Basiszinssatz, der die Verzinsung einer alternativen Kapitalanlage z. B. in sicheren Staatsanleihen darstellt, und einem Risikoaufschlag für das externe und das interne unternehmerische Risiko. 4/9 Zur Ermittlung des externen unternehmerischen Risikozuschlags, von dem alle Unternehmen betroffen sind (daher auch allgemeines Marktrisiko), wird die langfristige Wertentwicklung (30 Jahre) von risikobehafteten Aktien im Vergleich zu risikoarmen Bundesanleihen betrachtet. Im Ergebnis schneiden Aktien im Durchschnitt ca. 5,5 Prozentpunkte besser ab als Bundesanleihen. Wird hingegen unterstellt, dass in der Zukunft die Kursschwankungen am Aktienmarkt geringer sind als in der Vergangenheit, wäre die Marktrisikoprämie geringer (z.B. 4,5 Prozentpunkte). Die Ermittlung des internen unternehmerischen Risikos gestaltet sich insbesondere bei kleinen Unternehmen schwierig. Da diese Unternehmer einen großen Teil ihres Vermögens in das Unternehmen investieren bzw. investiert haben, scheidet die Anwendung standardisierter, kapitalmarktbezogener Risikoprämien aus. Anders als beispielsweise Finanzinvestoren, die die finanziellen Mittel haben, um ihre Vermögensanlagen zu streuen, ist für diese Käufer-/Verkäufergruppe das rein unternehmensspezifische Risiko (z.B. Insolvenzrisiko = unsystematisches Risiko) um ein vielfaches höher. Die Inhaberabhängigkeit und betriebsspezifische Risikofaktoren, die auch nach dem Verkauf eine Zeit lang nachwirken, verlangen daher eine individuelle Bewertung. Je niedriger das Risiko anzusetzen ist, desto niedriger fällt der Zuschlag aus. Üblicherweise liegen die Risikozuschläge für das interne unternehmerische Risiko zwischen 5 und 15 Prozentpunkten. 4. Schritt: Der Unternehmenswert errechnet sich nun, indem der nachhaltige Ertrag durch den Kapitalisierungszinssatz geteilt wird. 5. Schritt: Verkaufsverhandlung: Der Käufer hat analog zur dargestellten Vorgehensweise des Verkäufers seinen subjektiven Ertragswert zu ermitteln, wobei der Minimalpreis des Verkäufers durch den Liquidationswert markiert wird. Da der Käufer beispielsweise die künftigen Risiken und Chancen anders einschätzt als der Verkäufer, weicht der subjektive Ertragswert des Verkäufers in der Regel von dem des Käufers ab. In der Verkaufsverhandlung versuchen nun Käufer und Verkäufer ihren subjektiven Ertragswert so weit wie nur möglich zu erreichen. Beispiel: Floristin Schneider (63) hat zur Vorbereitung ihrer Unternehmensbewertung die nachstehenden Zahlen ermittelt. Aufgrund eines festen Kundenstamms und bereits geschlossener Verträge kalkuliert sie auch in den nächsten Jahren mit ähnlich hohen Gewinnen. 1. Schritt: Bereinigung der Gewinne: Jahr 2013 € 2014 € 2015 € 2016 € 2017 € 2018 € Gewinne vor Steuern und Zinsen (EBIT) 44.000 48.500 44.000 40.400 40.000 40.000 ./. außerordentliche Erträge (z.B. Verkauf eines ausgedienten Lieferwagens und anderer Wirtschaftsgüter) -7.000 -2.200 -3.000 + außerordentliche Aufwendungen (z.B. Reparaturen aufgrund eines Wasserschadens, Sonderabschreibungen) 500 1.000 500 ./. Kalkulatorischer Unternehmerlohn -27.000 -27.000 -27.000 -27.000 -27.000 -27.000 = Korrigierte Gewinne 10.500 21.500 15.800 10.900 13.000 13.000 5/9 2. Schritt: Ermittlung des durchschnittlichen Gewinns: (€ 10.500 + € 21.500 + € 15.800 + € 10.900 + € 13.000 + € 13.000) / 6 = € 14.117 3. Schritt: Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes: Frau Schneider bewertet zusammen mit ihrem Berater die Marktrisikoprämie mit 5,5 % und das unternehmensspezifische Risiko mit 8 %. Die Ermittlung des Zinssatzes für langfristige Bundesanleihen ergab 0,7 %. Somit beträgt der Kapitalisierungszinssatz 14,2 % (= 0,7 % + 5,5 % + 8 %). 4. Schritt: Ermittlung des Ertragswerts: € 14.117 / 0,142 = € 99.413. 5. Schritt: Verkaufsverhandlung. 2.2.2. Beurteilung der Methode Die klassische Ertragswertmethode ist die theoretisch korrekte und bei Rechtstreitigkeiten weit überwiegend einzig anerkannte Methode. Die Komplexität und das Prognoseproblem wirken abschreckend, daher ist sie in der Praxis für kleine und mittelgroße Unternehmen nicht besonders beliebt. Zumindest das Komplexitätsproblem ist EDVtechnisch lösbar. Auch überschlägige Ertragswertberechnungen vermeiden diese Problematik. Die Unsicherheit über die Höhe der künftig zu erzielenden Erträge und über den richtigen Kapitalisierungszinssatz bleibt jedoch in beiden Fällen bestehen. 2.3. Vereinfachtes Ertragswertverfahren Für steuerliche Zwecke, insbesondere für die Erbschaftsteuer, existiert das sogenannte „vereinfachte Ertragswertverfahren“ (§§ 199 ff. Bewertungsgesetz). Hier werden die Ermittlung des nachhaltigen Ertrags sowie des Kapitalisierungszinses normiert: Die Erträge ergeben sich aus dem bereinigten Durchschnitt der letzten drei Jahre. Der Zinssatz wird jährlich vom Bundesfinanzministerium festgelegt. Details siehe IHK-Merkblatt zum vereinfachten Ertragswertverfahren. 2.4. Discounted-Cash-Flow-Methode Das Bewertungsprinzip der Discounted-Cash-Flow-Methode (DCF-Methode) ist grundsätzlich gleich zum Ertragswertverfahren. Eine Überschussgröße wird auf den Gegenwartswert diskontiert. Im Unterschied zum Ertragswertverfahren wird bei der DCFMethode der zukünftige Cash-Flow als Basis herangezogen. Der Cash-Flow zeigt an, welcher eigenerwirtschaftete Betrag im Unternehmen für Investitionen, Kredittilgungen, Steuern, Ausgleich von drohenden Engpässen usw. zur Verfügung steht. Einfach ausgedrückt ist der Cash-Flow die Differenz zwischen den unternehmensbezogenen Einnahmen und den unternehmensbezogenen Ausgaben innerhalb einer bestimmten Periode. Somit sagt der Cash-Flow mehr über die Finanzkraft eines Unternehmens aus als der Gewinn. Wenn ein Unternehmen beispielsweise ein Produkt oder eine Leistung verkauft, wird dieser Verkauf als Gewinn im Unternehmen verbucht. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass der Kunde auch bezahlt. Der Cash-Flow spiegelt also den Kapitalfluss eines Unternehmens wieder. 6/9 Bei der DCF-Methode wird der ermittelte Cash-Flow für drei Planjahre hochgerechnet und auf den heutigen Kapitalwert abgezinst: Unternehmenswert = hochgerechneter Cash-Flow x 100 Kapitalisierungszins Die DCF-Methode ist ein rein zukunftsorientiertes Verfahren und wird vor allem bei größeren Unternehmen angewandt, die eine detaillierte Planungsrechnung betreiben. Für die Bewertung von kleinen und mittelgroßen Unternehmen kommt die Methode eher selten zum Einsatz, da umfassende Prognoseberechnungen hier die Ausnahme sind. 2.5. Multiplikatorenmethode In der Praxis gibt es unterschiedliche Varianten der Multiplikatorenmethode. Eine Variante stellt auf den Umsatz ab. Ein anderer Multiplikator bezieht sich, wie das Ertragswertverfahren, auf das operative Betriebsergebnis (Gewinn vor Zinsen und Ertragssteuern EBIT). Kalkulatorische Kosten (insbesondere der kalkulatorische Unternehmerlohn) sind ebenso zu berücksichtigen. Bei beiden Varianten wird der Durchschnitt des Umsatzes bzw. des Gewinns aus insgesamt sechs Geschäftsjahren gebildet: Aus den letzten beiden Geschäftsjahren und aus dem prognostizierten Wert des aktuellen Geschäftsjahres sowie der folgenden drei Jahre. Das Ergebnis, der sogenannte nachhaltige Umsatz bzw. der nachhaltige Gewinn, wird dann mit einem Faktor der entsprechenden Branche multipliziert. Multiplikatoren, die auf Markteinschätzungen von Bewertungsexperten basieren, veröffentlicht beispielsweise das „FINANCE“ Magazin vier Mal jährlich, jeweils zum Ende eines Quartals (FINANCE-Multiples). Dabei werden Bandbreiten für die EBIT- und Umsatz-Multiples von insgesamt 16 Branchen abgefragt und gemittelt. Beispiel (in Anlehnung an das Rechenbeispiel unter www.finance-magazin.de): Die Müller GmbH ist in der Elektronikbranche tätig und hat einen Jahresumsatz von T€ 861,8 und einen EBIT von T€ 74,7. Die Bandbreite für ein Unternehmen der Elektronikbranche mit einem Jahresumsatz unter 50 Mio. Euro (Small Cap) liegt im Juli/August 2015 hinsichtlich des Gewinnmultiplikators (EBIT) zwischen 6,8 und 9,1 und hinsichtlich des Umsatzmultiplikators zwischen 0,61 und 0,96. Anhaltspunkte zur Positionierung eines Unternehmens innerhalb der Bandbreite geben die „bewertungsrelevanten Fragen“. Diese wurden tendenziell positiv beantwortet. Gewinnmultiplikator und der Umsatzmultiplikator liegen daher jeweils am oberen Ende der Bandbreite (9,1 bzw. 0,96). Ermittlung des Unternehmenswertes anhand Gewinnmultiplikator: Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) x Gewinnmultiplikator (für die Branche Elektronik) = Unternehmenswert ohne Übernahme der Nettofinanzverschuldung - Nettofinanzverschuldung* = Unternehmenswert mit Übernahme der Nettofinanzverschuldung in T€ 74,7 9,1 679,8 -190,0 489,8 7/9 Ermittlung des Unternehmenswertes anhand Umsatzmultiplikator: Umsatzerlöse x Umsatzmultiplikator (für die Branche Elektronik) = Unternehmenswert ohne Übernahme der Nettofinanzverschuldung - Nettofinanzverschuldung* = Unternehmenswert mit Übernahme der Nettofinanzverschuldung 861,8 0,96 827,3 -190,0 637,3 Der Ergebnisunterschied zwischen dem Unternehmenswert anhand des Gewinn- und dem anhand des Umsatzmultiplikators deutet darauf hin, dass die Profitabilität des Unternehmens unter dem Branchendurchschnitt liegt. *Die Nettofinanzverschuldung errechnet sich aus der Summe der zinstragenden Verbindlichkeiten abzüglich der überschüssigen Barreserven. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen werden nicht eingerechnet, da sie zum laufenden Geschäftsbetrieb gehören und in der Regel nicht zinstragend sind. Die überschüssigen Barreserven bestehen aus Bargeld, Sichteinlagen und kurzfristigen Geldanlagen, die nicht aus reinen Liquiditätsgesichtspunkten zur Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit erforderlich sind. Stichtag ist immer der Tag der Unternehmensbewertung (Quelle: FINANCE Magazin). Vorteilhaft an dieser Methode ist, dass sie einfach zu handhaben ist, da die Komplexität der Unternehmensbewertung stark reduziert wird. Deutlich relevanter als der Umsatzmultiplikator ist bei dieser Methode der Gewinnmultiplikator. Denn Vorteile erhält der Käufer letztlich durch Gewinne und nicht durch Umsätze. Problematisch an dieser Methode ist vor allem die Annahme, dass das Gesamtrisiko bzw. die Zukunftsaussichten primär von der Branchenzugehörigkeit des jeweiligen Unternehmens abhängen. Insbesondere bei kleineren Unternehmen können andere Aspekte, wie beispielsweise der Standort oder die Inhaberabhängigkeit, für den Zukunftserfolg wesentlich wichtiger sein. Auch wenn die Multiplikatorenmethode nicht allein angewendet werden sollte, ist sie beispielsweise für die Überprüfung der Ergebnisse der Ertragswertmethode auf Plausibilität gut geeignet. Nach Ermittlung eines Ertragswertes kann der nach der Multiplikatorenmethode (insbesondere Gewinnmultiplikator) ermittelte Unternehmenswert ggf. als zusätzliches Argument zur Unterstützung der eigenen Position im Rahmen der Kaufpreisverhandlungen eingebracht werden. 3. Zusammenfassung Im Internetangebot der IHK Hannover in der Rubrik „Nachfolge & Steuern“ ist ein Berechnungstool abrufbar, in der alle wesentlichen, hier dargestellten Verfahren enthalten sind. Die Eingabefelder sind grün hinterlegt, so dass eigene Unternehmenszahlen und Annahmen eintragen werden können. Mit dem Berechnungstool kann überschlägig überprüft werden, ob beispielsweise die Größenordnung eines Kaufpreises realistisch ist oder nicht. Auch erhält man durch das Berechnungstool einen Eindruck davon, wie stark die Ergebnisse der einzelnen Bewertungsmethoden voneinander abweichen und wie groß die Sensitivität des Unternehmenswertes von den getroffenen Annahmen ist. Hilfestellung bei der Ermittlung des Unternehmenswertes bieten spezialisierte Steuerberater, Unternehmensberater und Wirtschaftsprüfer. Kontakte zu entsprechenden Fach- 8/9 leuten sind beispielweise über die Beraterbörse der KfW Bankengruppe(www.kfwberaterboerse.de), die Bundessteuerberaterkammer, die Wirtschaftsprüferkammer (www.wpk.de) oder den Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (www.bdu.de) zu finden. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Unternehmensbewertung sind im Sachverständigenverzeichnis der IHK gelistet (https://svv.ihk.de). Wichtig bei der Auswahl externer Berater ist sowohl die Erfahrung in Bewertungen, als auch die Kenntnis über die Marktsituation von Unternehmen aus der Branche. Die Beratungskosten können unter bestimmten Voraussetzungen durch die Beratungsförderung des Bundes bezuschusst werden, wenn sie Teil einer umfassenderen Betriebsberatung sind. Informationen hierzu sind beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle erhältlich. Hinweis Dieses Merkblatt soll – als Service der Industrie- und Handelskammer Hannover – nur erste Hinweise geben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung auf die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden. Stand: August 2015 Ansprechpartner: Für Mitgliedsunternehmen der IHK Hannover stehen folgende Ansprechpartner für weitere Fragen gern zur Verfügung. Unternehmen aus anderen IHK-Bezirken bitten wir, bei ihrer jeweiligen IHK nachzufragen. Katrin Rolof Tel. (0511) 3107-228 Fax (0511) 3107-435 [email protected] Thorsten Kropp Tel. (0511) 3107-230 Fax (0511) 3107-435 [email protected] Industrie- und Handelskammer Hannover Schiffgraben 49 30175 Hannover www.hannover.ihk.de 9/9
© Copyright 2024 ExpyDoc