HANNOVER NR. 96 | SONNABEND, 25. APRIL 2015 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG | 17 Von Toten lernen Pro Jahr vermachen 100 Menschen ihre Körper der MHH. Die Leichname werden konserviert und dienen Studenten und Ärzten für Lehre und Forschung. Und wie ist das für die Angehörigen? Neu im Zoo Hannover: Max. Ein 2,7 Tonnen schwerer Charmeur Flusspferdbulle Max soll im Zoo für Nachwuchs sorgen Von gunnar Menkens D er Tod eines Menschen betrifft nicht allein ihn selbst. Trauernde Partner bleiben zurück, Freunde und Familie. Und manchmal äußern Verstorbene zu Lebzeiten Wünsche, die für Hinterbliebene nicht leicht zu verstehen sind. Irmtraud Behrend war lange klar, dass sie nach ihrem Tod keine Belastung für ihre drei Kinder sein wollte. Beerdigung, Trauerfeier, Grabpflege, um diese Dinge sollten sie sich nicht kümmern müssen. Als sie von einer Nachbarin hörte, wie so etwas gehen könnte, entschied sie sich, es ihr gleichzutun. Nach ihrem Tod sollte ihre Leiche der Medizinischen Hochschule Hannover gehören. „Dann habt ihr keine Arbeit mit mir, das hat sie damals gesagt“, erinnert sich ihre Tochter Karin Fischer. Zwei Jahrzehnte ist das her. Vor drei Monaten ist Irmtraud Behrend gestorben, sie war 87 Jahre alt, und es ging ihr nicht gut. Nach einem Schlaganfall neun Jahre zuvor konnte sie nicht mehr sprechen, alles, was zum Leben notwendig ist, wurde zur Qual, schlucken, essen und trinken. Die Entscheidung, ob ihre Mutter über eine Magensonde zwangsernährt werden sollte, nahm der Tod den Kindern ab. Jetzt liegt Irmtraud Behrends Leichnam in einem kühlen Kellerraum der Universitätsklinik. Er wurde bearbeitet, wie es Anatomen mit allen gespendeten Körpern tun: Über einen Zugang in der Arterie fließen zehn bis 15 Liter einer Fixierungslösung in den Körper, wo sie sich über mehrere Stunden verteilt. Dadurch wird die Verwesung gestoppt, und der Körper bleibt in dem Zustand, in dem die MHH ihn bekommen hat. Die Konservierung macht ihn steifer, die Haut wird härter und dunkler, im Innern verhärten sich die Organe. Um Leichname auch von außen zu erhalten, werden sie danach vollständig in eine Küvette gelegt und komplett in eine alkoholhaltige Fixierlösung eingetaucht. Meist dauert es etwa ein Jahr, ehe der unversehrte und komplett rasierte Körper aus seinem Behälter geholt wird. Von einem Tuch bedeckt liegt er auf einem Tisch – bereit, Stoff zu sein für Studenten und Ärzte, für Lehre und Weiterbildung. Nach einem Kurs und 23 Unterrichtseinheiten wird dieser Körper nicht mehr aus einem Stück bestehen. Matthias Ochs, Direktor des Instituts für Funktionelle und Angewandte Anatomie, beschreibt es nüchtern: „Das Ziel ist die Zergliederung. Die Zerlegung des Körpers mit seinen Nerven, Blutgefäßen, Organen ist eine Form, Erkenntnisse zu gewinnen.“ An den Körperspenden lernen Medizinstudenten, wie es im Innern eines Menschen aussieht. Nerven, Blutgefäße, Organe, sie sind bei jedem Menschen anders und nie so perfekt wie in Atlanten der Anatomie. Junge Männer und Frauen, von denen viele noch nie einen Toten gesehen haben, schneiden in Haut, sehen und fühlen in Körper hinein, trennen Arme und Beine ab, entnehmen Organe und präparieren sie. Mit dieser praktischen Erfahrung begründet Ochs die Notwendigkeit, an Toten zu lernen statt am Computer. „Es ist ein Unterschied, ob ich ein Land wirklich besuche oder mir einen Fotoband angucke. Jeder Mensch sieht anders aus, das muss man sinnlich erfahren.“ Die Toten dienen selbst ausgebildeten Ärzten noch als Übungsob- Berliner Flüchtlinge besuchen Camp am Weißekreuzplatz Der „Refugee Bus“, zu deutsch Flüchtlingsbus, ist gestern im Flüchtlingscamp am Weißekreuzplatz angekommen. 15 Flüchtlinge vom Berliner Oranienplatz und der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule fahren durch Deutschland, um sich mit anderen Flüchtlingen zu vernetzen. Die Busgruppe war seit dem 19. April bereits unter anderem in Hamburg, Kiel und Bremen und will bis zum 14. Mai alle Bundesländer bereisen. Die Gruppe will andere Flüchtlinge motivieren, sich zu informieren und für ihre Rechte zu kämpfen – so wie es die hannoverschen Sudanesen bereits tun. „Hier sind sie schon draußen und protestieren“, sagt Napuli Paul, eine der Reisenden im Flüchtlingsbus. Gestern Abend traf man sich in großer Runde, um sich auszutauschen. Außerdem wollen die Initiatoren mit der Busreise gegen die bevorstehenden Veränderungen im Asylrecht protestieren. saf Foto: Wilde Von sarah Franke Leiche für die Lehre: An den Körperspenden lernen Medizinstudenten der Medizinischen Hochschule, wie es im Innern eines Menschen aussieht. jekt. Chirurgen üben, künstliche Kehlköpfe einzusetzen, Hüftund Knieprothesen zu operieren und Cochlea-Implantate ins Ohr zu setzen. Mediziner üben an Toten, damit es bei Patienten im Klinikalltag funktioniert. Irmtraut Behrend hat das so gewollt. In der Familie haben sie damals kaum über den Wunsch der Mutter gesprochen. Was dem einen erschien wie eine Organspende, bereitet der Christin Karin Fischer bis heute Probleme. Eine gute Tat, zweifelsohne. „Aber ich habe mir immer vorgestellt, dass meine Mutter dort nackt in einer Badewanne liegt, einbalsamiert.“ Irgendwann werden Studenten an diesem echten toten Körper ihre Kenntnisse vom Bau des gesunden Körpers verbessern, bis nichts mehr dort ist, wo es hingehörte. „Irgendwie zerpflückt“, erscheint Karin Fischer diese Vorstellung, „leer geräumt, und das war es dann.“ In der MHH melden sich jährlich rund 200 Menschen, die Interesse an einer Körperspende haben. Tatsächlich schließen dann gut 100 Männer und Frauen eine Vereinbarung mit der Hochschule ab. Den Nachkommen Arbeit ersparen, wie Irmtraud Behrend, das ist ein Motiv. Manche wollen sich auf diese Art bei der Hochschule bedanken, weil sie Patienten waren, viele litten an schweren Erkrankungen. Andere glauben, sie seien zu alt für eine Organspende, einzelne Spender Mehr Bilder vom Flusspferd finden Sie unter haz.li/max Gedenknacht erinnert an Tschernobyl Andreas Schmiedl (links) und Matthias Ochs wissen: Kein Körper ist so perfekt wie ein Modell. haben keine Angehörigen mehr. Was wohl viele verbindet, ist der Wunsch, ihren Körper noch für etwas Sinnvolles zu verwenden. „Die meisten erklären ihr Vermächtnis uns gegenüber am Telefon“, sagt Institutsmitarbeiter Andreas Schmiedl, die Absichtserklärung kommt dann per Post. Gespräche in der MHH gibt es selten. In welchem Zustand sich der Leichnam befindet, ob er gesund ist oder von einer schweren Krankheit be- fallen, spielt für die Lehre keine Rolle. Der beste Ort zum Sterben ist aus Sicht der klinischen Anatomie jedoch ein Krankenhaus. Tote können hier schnell gekühlt werden. Sterben Menschen zu Hause oder im Altenheim dauert es eine Zeit, bis die MHH verständigt ist und der Bestatter die Leiche in die Hochschule transportiert hat. Schmiedl nennt das Problem: „Bettwärme, Zimmertemperatur und Körperwärme fördern die Verwe- Wer seinen Körper spendet, zahlt 1200 Euro Wer seinen Leichnam der MHH zur Verfügung stellen will, muss zuvor, bei geistiger Gesundheit, ein Vermächtnis zur Körperspende ausstellen. Liegt dieses Vermächtnis nicht vor, können nicht etwa Angehörige den Leichnam der Hochschule überlassen. Der Spender bekommt kein Geld von der MHH, sondern muss selbst 1200 Euro zahlen. Er kann dies entweder unmittelbar nach Unterzeichnung des Vermächtnisses selbst tun, Bürgen angeben oder Foto: Hagemann (Archiv) eine Sterbeversicherung abschließen. Das Institut für Funktionelle und Angewandte Anatomie deckt damit Ausgaben für Überführung, Einäscherung und Beisetzung des Leichnams. Körperspender erhalten einen Ausweis, den sie, wie Organspender, immer bei sich tragen sollten – um ihren Willen zu bekunden und weil darauf die Telefonnummer der MHH notiert ist. Spender, die sich anders entscheiden, können jederzeit vom Vermächtnis zurücktreten. Auch die Hochschule hat diese Möglichkeit: Leichname, die durch einen Unfall entstellt oder von einer schweren Infektion gezeichnet sind, verwendet das Institut nicht. Die Familie des Körperspenders kann in einem Trauerraum in der MHH vom Toten Abschied nehmen. Nach der gesetzlich vorgeschriebenen Einäscherung eines konservierten Körpers richten die beteiligten Medizinstudenten eine Feierstunde aus. gum Fotos: Schaarschmidt (2) sung.“ Eine Trauerfeier für Irmtraud Behrend und weitere Körperspender wird es später geben, veranstaltet von Studierenden, die am Körper von Irmtraud Behrend praktische Erfahrung sammeln durften. Es ist ihr Dank an die Toten. Die Einzelteile des Leichnams werden zuvor verbrannt, Arme, Beine, Organe, jeder Körper für sich. Es ist keine Zeremonie, die Karin Fischer besonders gut gefällt. „Da gehe ich nicht hin, da liegt nur Hülle.“ Ihr Abschied war unmittelbarer. Sie saß lange am Totenbett ihrer Mutter, gleich nach den letzten Atemzügen im Krankenhaus. Lieb und freundlich habe sie dort gelegen, diese Momente wird sie in Erinnerung behalten, „das hat mir einen guten Abschied gegeben“. In der Zeitungsannonce, die die Welt über den Tod von Irmtraut Behrend informierte, fehlten die üblichen Angaben. Es gab keine Trauerfeier, die in aller Stille stattgefunden hätte und keinen Termin für ein Begräbnis. Die Urne mit ihrer Asche wird auf einem Gräberfeld bestattet. Irgendwann, anonym auf einem Friedhof in Celle. Kündigung wegen 4,10 Euro hat Bestand Rossmann-Kassiererin nutzte fremde Gutschein-Karte / Vergleich vor dem Arbeitsgericht Von Michael Zgoll Das kleine Drama rund um den Fehltritt einer Rossmann-Kassiererin, die vergangenen Dezember 4,10 Euro unterschlug und Knall auf Fall vor die Tür gesetzt wurde, hat ein versöhnliches Ende gefunden. Bei einem Vergleich am Arbeitsgericht Hannover vereinbarten die 52-Jährige und der Drogeriefilialist, dass die fristlose Kündigung in eine fristgerechte umgewandelt wird, dass die ehemalige Angestellte noch für zweieinhalb Monate nach dem Rauswurf ihren Lohn und ein gutes Arbeitszeugnis ausgestellt bekommt. Ihr Glück ist es, dass sie ab dem 1. März in einer Bäckerei eine neue Anstellung gefunden hat. Als der Gerichtstermin vorbei war, vergoss die Verkäuferin vor Erleichterung ein paar Tränen – das Verfahren hatte ihr doch arg zugesetzt. 13 Jahre lang arbeitete die Angestellte bei Rossmann. Ein Zwischenzeugnis, Die Flusspferdweibchen im Hippo-Canyon des Zoos Hannover drücken sich die Nase an der Trennscheibe im Wasserbecken platt. Dahinter ruht der 2,7 Tonnen schwere Neuzugang des Zoos: Max. Der 19 Jahre alte Flusspferdbulle stammt aus dem Opel-Zoo im hessischen Kronberg. Seine Aufgabe in der neuen Heimat soll es sein, Nachwuchs zu zeugen. Die Zeichen dafür stehen gut, denn die vier Flusspferdweibchen Himba, Kiboko, Victoria und Cherry scheinen vernarrt in ihren neuen Mitbewohner zu sein. Schon als Max zum ersten Mal den Stall betrat, wurde er von lautstarken Rufen der Weibchen begrüßt. Kaum stapfte er in sein separates Innenbecken, versuchten sich die Damen im Klettern, um die trennende Mauer zu überwinden. Geklappt hat das nicht, klettern gehört nicht zu den Stärken von Flusspferden. Zuerst wird die 16-jährige Flusspferddame Cherry mit dem Bullen zusammengeführt. Sollte die Chemie zwischen beiden stimmen, findet die Paarung im Wasser statt. Bis zu einer halben Stunde ist das Weibchen dabei völlig untergetaucht und streckt nur gelegentlich die Nase zum Luftholen aus dem Wasser. Das wird aber erst passieren, wenn sich Max in seinem neuen Zuhause richtig eingelebt hat. Auch Tierpfleger Markus Köchling hofft, dass es klappt. Es wäre das erste Flusspferdbaby im Zoo Hannover seit 2006. so hatte ihr Anwalt Peter Pistorius vor der 7. Kammer erklärt, habe ihr 2013 ein freundliches Wesen, hohe Zuverlässigkeit und große Beliebtheit bei den Kunden bescheinigt. Anfang Dezember 2014 ging es der Frau aus persönlichen Gründen schlecht: Sie erfuhr, dass die Chemotherapie bei ihrem krebskranken Vater eingestellt werde, da es keine Hoffnung mehr gebe. Einen Tag nach dieser Nachricht kam es zu der Unterschlagung – beruhend auf einer emotionalen Ausnahmesituation? Ein Arzt hatte die Frau krankschreiben wollen, doch mochte sie ihre Kolleginnen im Vorweihnachtsgeschäft nicht im Stich lassen und erschien zur Arbeit. Am Tattag hatte eine Kundin eine GutscheinKarte auf dem Warenlaufband an der Kasse vergessen. Die Kassiererin steckte sie ein – und benutzte sie, kurz vor Feierabend. In zwei Chargen buchte sie ein paar Kleinigkeiten, Drogerieartikel und ein Getränk, von der fremden Karte ab. Der Wert: 4,10 Euro. Sonderlich schlau war dieses Vorgehen nicht. Weil die Kundin kurz darauf den Verlust ihres Gutschein-Coupons meldete und die Firma rekonstruieren konnte, wann und wo der letzte Betrag abgebucht wurde, hatte man die Kassiererin schnell als Schuldige identifiziert. Richter Axel von der Straten betonte bei einer ersten Güteverhandlung im Januar, dass es sich bei der illeStein des Anstoßes für den Rechtsstreit: Die Gutschein-Karte des Drogeriefilialisten. galen Abbuchung eindeutig um eine Fundunterschlagung gehandelt habe. Dann aber unterbreitete die Kammer dem Arbeitgeber großzügige Vergleichsvorschläge, basierend auf dem geringen Schaden, der langen Betriebszugehörigkeit der Verkäuferin und ihrer schwierigen persönlichen Lage – der Vater starb wenige Wochen später. So brachte von der Straten ein zehnmonatiges Aussetzen des Arbeitsverhältnisses ins Gespräch sowie eine mehrmonatige Weiterbeschäftigung bei halbem Lohn. Doch Rossmann winkte ab: Eine Kassiererin müsse nun einmal grundehrlich sein, und bei der Tat habe es sich um einen eklatanten Vertrauensbruch gehandelt. Heute sagt die 52-Jährige, sie habe ihre Lektion gelernt. Dazu zählt, dass sie ihrem neuen Arbeitgeber den Fehltritt aus der Vorweihnachtszeit nicht verschwiegen hat – und dieser ihr das Vertrauen entgegenbringt, sie in einer seiner Bäckereifilialen arbeiten zu lassen. An die Atomkatastrophe von Tschernobyl erinnern an diesem Wochenende der Jugendverband Janun und die HeinrichBöll-Stiftung mit einer Nachtveranstaltung in den Vereinsräumen von Stadtteilleben in der Lindener Fröbelstraße 5. Der Unfall hatte sich in der Nacht auf den 26. April ereignet. Start ist daher am Sonnabend um 17 Uhr mit einem Workshop, ab 20.30 Uhr gibt es Musik, ab 22.30 Uhr wird bis morgens im „Tschernobyl“-Buch gelesen, unterbrochen von Gitarrenmusik. Die Teilnahme ist kostenlos, Konzertbesucher werden um eine kleine Spende gebeten. med Audi-Fahrerin flüchtet nach Unfall Die Polizei sucht nach einer Autofahrerin, die gestern in einen Unfall in Hainholz verwickelt war. Dabei wurde ein 60-Jähriger leicht verletzt. Er war um 8.50 Uhr mit seinem Rennrad auf der Krepenstraße in Richtung Osten unterwegs, dann wollte er nach links in die Voltmerstraße abbiegen und gab kurz vor der Einmündung Handzeichen. Dennoch überholte ihn ein silberner Audi – dabei kam es zum Zusammenstoß. Die Autofahrerin fuhr dennoch weiter und bog in die Voltmerstraße ab. Zeugen melden sich (05 11) 1 09 18 88. jki Andacht für Ertrunkene In einem besonderen Gottesdienst wird am morgigen Sonntag um 18 Uhr in der Marktkirche der ertrunkenen Flüchtlinge gedacht. Mit dabei sind Landesbischof Ralf Meister, Marktkirchenpastorin Hanna Kreisel-Liebermann, Abayomi Bankole vom Afrikanischen Dachverband Norddeutschland und Antonio Umberto Riccò von der Projektgruppe „Unser Herz schlägt für Lampedusa“. An der Orgel spielt Ulfert Smidt. Für die ertrunkenen Flüchtlinge werden 900 Kerzen angezündet. lok Shanaya dreht Sonntag Video am Kröpcke Die hannoversche Band Shanaya dreht am morgigen Sonntag, 11 Uhr, ihr Video zum Song „Rot. Gelb. Grün. Blau“ am Kröpcke. Passanten dürfen mitmachen. Der Termin war zunächst irrtümlich für Sonnabend angekündigt worden. lok
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