energie tanken. - Ärztekammer für Wien

Wien
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DONNERSTAG, 11. FEBRUAR 2016
Arbeitszeitgesetz: Bilanz der Ärzte vernichtend
Gesundheit. Das Ergebnis der Befragung von Wiener Spitalsärzten zu den Auswirkungen des neuen Arbeitszeitgesetzes
fällt katastrophal aus. Nur ein Prozent der Mediziner erkennt eine Verbesserung der Situation für die Patienten.
Wien. 87 Prozent der Wiener Spitalsärzte sind
der Meinung, dass sich seit Inkrafttreten des
neuen Ärztearbeitszeitgesetzes Anfang 2015
die Versorgung der Patienten verschlechtert
hat – innerhalb der Belegschaft der Gemeindespitäler (also des Krankenanstaltenverbunds, KAV) sind es sogar 90 Prozent. 74 Prozent nehmen eine Verschärfung der Zweiklassenmedizin wahr, in KAV-Spitälern sind
es 77 Prozent. Der administrative Aufwand in
den Abteilungen ist nach Meinung von
65 Prozent der Mediziner mehr geworden.
82 Prozent beobachten längere Wartezeiten
auf Operationen, 79 Prozent in den Ambulanzen (siehe auch Grafik rechts).
Das ist das vernichtende Ergebnis einer
anonymen Onlinebefragung der Ärzte zu
den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes.
Angeschrieben wurden durch die Wiener
Ärztekammer 7385 Spitalsärzte, 2090 von ihnen haben an der Befragung teilgenommen,
das entspricht 28,3 Prozent. 73 Prozent davon sind Angestellte des KAV, das macht
mehr als 40 Prozent aller dort beschäftigten
Mediziner aus. Laut Nadja Rappold vom PRUnternehmen Brunswick, die die Umfrage
durchgeführt hat, sind die Ergebnisse „repräsentativ und höchst aussagekräftig“. Im Folgenden die wichtigsten Erkenntnisse.
1
74 Prozent der Ärzte sehen eine Verschärfung
des Problems der Zweiklassenmedizin.
82 Prozent der befragten Ärzte beobachten
längere Wartezeiten auf Operationen, 79 Prozent in den Ambulanzen. In Spitälern des
KAV sind es sogar 86 bzw. 80 Prozent. Kein
einziger Mediziner hat angegeben, dass sich
die Wartezeiten nach Einführung des neuen
Arbeitszeitgesetzes verkürzt haben. „Die Patienten leiden eindeutig am meisten“, sagt
Kammerpräsident Thomas Szekeres. „Die
Tatsache, dass sich die Wartezeiten sowohl
bei den Operationen als auch in den Ambulanzen verlängert haben, ist auf einen eklatanten Personalmangel zurückzuführen.“ Er
fordert daher vom KAV die „rasche Aufstockung des ärztlichen Personals“.
Umfrage zu den Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes
2090 befragte Wiener Ärzte im Jänner 2016, Zustimmung in Prozent
74%
Quelle: Brunswick, Ärztekammer Wien · Grafik: „Die Presse“ · GK
Veränderung der Wartezeiten . . .
. . . in Ambulanzen in ihrer Abteilung
Stark verbessert
meinen, die
Ausbildungssituation
habe sich verschlechtert.
Verkürzt
81%
. . . für OP-Termine in der Abteilung
haben mehr
Arbeitsaufwand.
87%
18
Gleich gebleiben
21
… mehr geworden.
… sehr viel mehr
geworden.
47
32
74%
nehmen eine Verschärfung der
Zwei-Klassen-Medizin wahr.
32 Prozent der Ärzte machen unbezahlte
Überstunden.
Das neue Arbeitszeitgesetz für Spitalsärzte
sieht unter anderem eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit von 60 auf 48 Stunden vor. Fast ein Drittel gab an, ihr Pensum
in dieser Zeit nicht erfüllen zu können und
unbezahlte Überstunden zu machen. 20 Prozent von ihnen in „hohem Ausmaß“ und
zwölf Prozent in „sehr hohem Ausmaß“.
Szekeres: „Das sind Hunderte Kollegen, die
unbezahlt arbeiten müssen, weil sie mit ihrer
Arbeit nicht fertig werden (können).“ Dadurch habe sich auch bei 36 Prozent der Befragten die Work-Life-Balance verschlechtert, hier vor allem bei den älteren Ärzten.
Nur 44 Prozent der befragten Ärzte können
sich im Übrigen die Inanspruchnahme der
Opt-out-Regel vorstellen. Das ist die Möglichkeit einer Betriebsvereinbarung, die längere Arbeitszeiten zulässt – vorausgesetzt,
die betroffenen Ärzte stimmen zu.
KAV-Chef sieht Forderungen
der Kammer schon teils erfüllt
Umfrage. Udo Janßen kritisiert seinerseits die Wiener Ärztekammer. Es
sei „nicht hilfreich, mit falschen Behauptungen Stimmung zu machen“.
Wien. Unbeeindruckt von dem Ergebnis der
aber die betriebliche Realität sehe anders aus.
Ärztekammer-Umfrage zum neuen Arbeits- Dass Personen, „die noch nie eine unternehzeitgesetz zeigt sich der Krankenanstaltenver- merische Verantwortung für einen Gesundbund (KAV). Als „verantwortungsvoller Ar- heitsbetrieb“ gehabt hätten, Managementratbeitgeber“ greife man die Bedenken von Mit- schläge erteilen wollten, sei jedenfalls „interarbeitern natürlich auf, die Forderungen der essant“. Die Behauptung, Ärzte würden „im
Kammer seien aber schon umgesetzt bzw. auf großen Stil“ unbezahlte Überstunden madem Weg dorthin. Zudem sei „dahingestellt“, chen, die nicht einmal in Freizeit abgegolten
bei einer Umfrage mit einem
würden, entspreche schlicht
Rücklauf von knapp 30 Prozent
nicht der Wahrheit. „Es gibt keivon einer „repräsentativen Bene unbezahlten Überstunden im
fragung“ zu sprechen.
KAV“, so Janßen. Sollten „in
Im „für alle Berufsgruppen
nennenswertem Umfang“ Überherausfordernden
Verändestunden gemacht werden, ohne
rungsprozess“ sei es nicht hilfdiese anzugeben, hätte das nicht
reich, „mit falschen Behauptunnur „versicherungstechnische
gen Stimmung zu machen“, sagt
Problemsphären“, sondern sei
Generaldirektor Udo Janßen. So
auch mit den „Dienstpflichten
sei man in der Umsetzung des Udo Janßen, Generaldi- im KAV nicht vereinbar“, da Armitverantwortlichen Tätigkeits- rektor des KAV, weist die beitszeiten dokumentiert gehörbereichs schon weit fortgeschrit- Vorwürfe der Ärztekam- ten. Auch könne von einem ge[ APA ]
ten: „Allein zur Entlastung der mer zurück.
nerellen Ärztemangel keine
Ärzte und Pflegekräfte auf den
Rede sein. Es gebe zwar „ManStationen haben wir 145 neue Dienstposten gelfächer“, etwa die Kinder- und Jugendpsyfür Stationssekretäre geschaffen.“ Die zentra- chiatrie bzw. Anästhesie, das habe aber nichts
len Notaufnahmen würden ebenfalls zügig mit der mangelnden Attraktivität von Dienstvoranschreiten. Die Forderung der Ärztekam- stellen im KAV zu tun, sondern sei ein
mer, wonach ihre Umsetzung noch schneller „Marktgeschehen“. In diesen Bereichen Facherfolgen müsse, sei ein „hehrer Wunsch“, ärzte zu finden, sei eben schwierig.
(kb)
3
36
Der Arbeitsaufwand ist . . .
… weniger geworden. 2
… gleich geblieben.
0
Deutlich verlängert
39
Verschlechtert
29
Verlängert
23
Nicht geändert
53
Deutlich verlängert
2
Verbessert
Verlängert
sehen eine Verschlechterung
der Patientensituation.
2
0
Gleich gebleiben
Verkürzt
Veränderung der
Work-Life-Balance
17
48
33
65%
nehmen einen erhöhten
administrativen Aufwand wahr.
74 Prozent sind der Meinung, dass sich die
Ausbildungssituation verschlechtert hat.
Der administrative Aufwand ist für 65 Prozent der Ärzte mehr geworden, für 81 Prozent der generelle Arbeitsaufwand. 49 Prozent der Befragten haben angegeben, dass
© St. Martins Therme & Lodge
VON KÖKSAL BALTACI
ihre Tagespräsenz weniger geworden ist, im
KAV sind es 54 Prozent. „Wenn die Kollegen
durch unnötige Bürokratie zwangsbeschäftigt werden, kann keine Zeit mehr für Patienten übrig bleiben“, sagt Szekeres. „Es ist daher nicht verwunderlich, wenn bei einem
größeren Andrang Ambulanzen überfüllt
sind.“ Das wirke sich auch auf die Ausbildungssituation der Ärzte aus. 43 Prozent der
Ärzte sehen zudem das Arbeitspaket 7 nur
„zu einem kleineren Teil“ oder „gar nicht“
umgesetzt. Dabei handelt es sich um eine
Vereinbarung, die sicherstellen soll, dass vor
allem Turnusärzte von pflegerischen Tätigkeiten entlastet werden und das Pflegepersonal mehr Tätigkeiten am Patienten ausübt.
„Zugesagte Reformen wurden nicht umgesetzt“, beklagt Szekeres. „Der administrative
Aufwand für Ärzte muss geringer werden.“
4
60 Prozent sehen die angekündigten zentralen Notaufnahmen nicht umgesetzt.
Die mit der Stadt vereinbarten zentralen Notaufnahmen sollen Patienten über Nacht aufnehmen, um die Belegschaft in den Stationen
zu entlasten. Erst dann soll entschieden werden, ob sie aufgenommen werden und wenn
ja, in welchen Stationen. „Diese Versäumnisse der Stadt und des KAV sind ein Schlag ins
Gesicht der Kollegen, die letztes Jahr für diese
Änderungen so hart gekämpft haben“, sagt
Szekeres. Und fordert „die sofortige Umsetzung der zentralen Notaufnahmen“.
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