Predigt Nr

Predigt über Jesaja 43,18-25
THEMA: BLICK NACH VORNE
Pfr. Daniel Eschbach am 07.02.2016 in der EMK Oberglatt
Liebe Gemeinde,
‚unsere Zeit steht in Gottes Händen.‘ Im Vertrauen darauf können wir vorwärts schauen, vorwärts leben.
Viele biblische Texte unterstreichen: Wer sich unter Gottes Schutz weiss und auf seinen Segen vertraut,
kann zuversichtlich vorwärts schauen und der Zukunft entgegen gehen. In dieser Richtung soll das Leben
schliesslich gelebt werden. Aus der Bibel gehört haben wir heute bereits eine göttliche Zukunftsvision
gehört sowie die Warnung Jesu davor, die Hand an den Pflug zu legen und zurückzuschauen. Und am
radikalsten formuliert – wie heute als Grusswort zu hören war – Paulus: „Ich will alles vergessen, was
hinter mir liegt, und schaue nur noch auf das Ziel vor mir. Mit aller Kraft laufe ich darauf zu!“
Das Thema meiner heutigen Predigt lautet: BLICK NACH VORNE (oder besser: Schau nicht zurück?). Dazu lese
ich jetzt noch einen ‚vorwärts gerichteten‘ Bibelabschnitt, Jes 43,18-25, in einer Übertragung von Fabian
Vogt.
Denkt nicht immer an das Vergangene,
und klammert euch nicht an das,
was früher war.
Ich will etwas ganz Neues erschaffen.
Merkt Ihr denn gar nicht,
dass es schon begonnen hat?
Ich sorge für einen Weg in der Steppe
und für Wasser in der Wüste.
Selbst die wilden Tiere,
die Schakale und Strausse,
loben mich dafür,
dass ich Wasser in die Trockenheit bringe,
dabei will ich damit
vor allem das Volk tränken,
das ich auserwählt habe.
Denn dieses Volk soll überall
von meiner Grösse erzählen.
Ihr Nachkommen Jakobs, du Volk Israel!
Du hast mich nicht
eingeladen zu kommen
oder dich ernsthaft um mich bemüht.
Du hast mir keine Schafe
auf dem Altar geopfert
und mir auch keine Tiere dargebracht.
Geschenke habe ich von dir genau so wenig
bekommen wie edle Düfte,
und du hast mich weder
mit köstlichen Gewürzen,
noch mit fetten Fleischstücken erfreut.
Im Gegenteil: Du hast mir
mit deinen andauernden
Verfehlungen viel Arbeit gemacht
und mich mit deinen Verbrechen betrübt.
Aberjetzt möchte ich um meinetwillen
alle deine Untaten vergeben
und nicht mehr an deine Sünden denken. Jesaja 43,18-25 (Übs Fabian Vogt )
Der Prophet redet im Namen Gottes zum Volk. Dabei gestaltet er seine Rede so, als wäre sie Teil einer
Gerichtsverhandlung. Das ist im ganzen Kapitel Jesaja 43 der Fall. Allerdings braucht Jesaja das Bild der
Gerichtsverhandlung nicht einheitlich. Im ersten Teil des Kapitels geht es um einen Rechtsstreit zwischen
JHWH, dem Gott Israels und allen anderen Göttern: Wer hat recht? Wer ist wirklich Gott? JHWH, oder El
und Baal der Kanaanäer oder Marduk der Babylonier? Das Volk Israel wird aufgefordert, in diesem Prozess als Zeuge für seinen Gott aufzutreten, für ihn und gegen die anderen Götter auszusagen.
Dann verschiebt sich das Bild. Zwar sind wir immer noch vor Gericht. Doch nun geht es um einen Streit
zwischen JHWH und seinem Volk. Die Israeliten werfen ihrem Gott vor, dass er seine Versprechen nicht
gehalten habe, während sie ihm doch treu gedient hätten. Er habe Israel trotz der Verheissung seines
Beistandes fallen gelassen und dem Untergang preisgegeben. Wie anders sollte zu erklären sein, dass
der übriggebliebene Teil des Volkes jetzt in Babylon im Exil schmachtet? – Die eben gelesenen Verse 1825 sind nun ein Teil von Gottes Antwort. Er verteidigt sich und weist die Vorwürfe zurück. Nicht Gott hat
sich verfehlt, sondern das Volk hat den Bund gebrochen. Es hat zwar wohl geopfert und Gottesdienste
gefeiert, aber als Alibi-Übung. Israel war mit dem Herzen nicht dabei, hat Gott quasi billig abzuspeisen
versucht. Dazu haben die Israeliten im Alltag nicht gelebt, wovon im Gottesdienst die Rede war. Sie haben
auf Kosten der Armen gelebt, sie haben im Alltag gar nicht mehr an Gott gedacht etc….
Dennoch geht es in dieser Gerichtsverhandlung nicht darum, das Volk zu bestrafen oder auch nur zu
verurteilen. Vielmehr sucht Gott einen NEUANFANG. Er will die Beziehung, den Bund mit Israel neu gründen
und dann vorwärts gehen, mit seinem Volk eine neue Zukunft anfangen: „Denkt nicht immer an das Vergangene … Ich will etwas ganz Neues erschaffen.“
Tja, wie ist das mit der Vergangenheit? Darum gibt es auch heute immer wieder Auseinandersetzungen.
Wie weit muss man sich mit der Vergangenheit beschäftigen? Muss man alles ‚aufarbeiten’, was gewesen
ist? Oder lässt man am besten einfach auf sich beruhen, was vorbei ist?
Tatsache ist, dass sich viele Menschen in ihrem Handeln an der Vergangenheit orientieren. Sie tun das,
was sie schon immer getan haben, oder richten sich nach dem, was andere vor ihnen gemacht haben.
Das ist ja auch gar nicht nur schlecht. Das meiste, was wir können, haben wir durch Nachahmung gelernt.
Und man sagt ja auch: „Aus Erfahrung wird man klug!“ Aber es gibt Grenzen. Wer immer nach demselben
Schema ‚F’ vorgeht, gerät womöglich immer und immer wieder an die gleichen toten Punkte. Ausserdem
kann sein, dass Manches, was früher gut funktionierte, heute in eine Sackgasse führt. Die Umstände
ändern sich. Und wenn sich Neues Bahn bricht, tun wir gut daran, uns nicht zu sehr an der Vergangenheit
zu orientieren. Darum geht es in Jes 43,18ff.
Dieser Prophet wirkte in einer Zeit absoluter Depression und Hoffnungslosigkeit. Im Jahr 586 vor Christus
hatte der babylonische König Nebukadnezar Jerusalem zerstört und die Bevölkerung nach Babylon verschleppt: Der absolute GAU für Israel. Damit waren sein Glaube, sein Gott, seine Zukunft radikal in Frage
gestellt! Jahre-, jahrzehntelang blieb es dabei. Darum haderten die Juden in Babylon mit sich und Gott
und ihrem Schicksal. Man hatte die Zukunft verloren, trauerte aber umso mehr der ‚guten alten Zeit’ nach.
In diese Situation hinein sagt Jesaja: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn
siehe, ich (Jahwe) will ein Neues schaffen.“ Diesen Zusammenhang zu beachten ist wichtig. Denn es ist
ja überhaupt nicht so, dass Erinnerungen oder Traditionen grundsätzlich schlecht wären.
I. SINN DER BESCHÄFTIGUNG MIT DER VERGANGENHEIT
Zum Beispiel kann man aus der Vergangenheit lernen. Positive Erfahrungen können uns Mut machen und
Wege aufzeigen, neue Herausforderungen anzupacken. Sogar negative Erfahrungen können uns zum
Gewinn werden. Aus Fehlern können wir klug werden, wenn wir bereit sind, sie anzuschauen und Korrekturen vorzunehmen. HENRY FORD sagte: „Scheitern ist eine wunderbare Gelegenheit, Dinge auf der Basis
neu gewonnener Erkenntnisse in Zukunft besser zu machen." Diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind verurteilt, sie erneut zu durchleben und alte Fehler endlos zu wiederholen.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hilft auch, die Gegenwart zu verstehen. Wer sich nicht mit Geschichte beschäftigt, versteht den Lauf der Welt nicht. Und wer sich nicht mit der eigenen Geschichte
beschäftigt, wird sich selbst nie verstehen. Er wird immer wieder die gleichen Fehler machen, immer wieder an den gleichen Punkte anstehen und fragen: Warum passiert das gerade mir?
Drittens gibt uns die Vergangenheit Erfahrungen und positive Routinen vor, mit denen wir das Leben bewältigen können. Keiner von uns muss das Rad, die Sprache oder die Schrift neu erfinden und jeder von
uns, der einen Beruf lernt, eine Medizin braucht oder auch nur eine Reise macht, kann auf den Erfahrungen anderer aufbauen - Gott sei Dank! Auch auf religiösem Gebiet ist Tradition sehr wichtig. Stellen Sie
sich vor, es gäbe keine Tradition. Das wäre furchtbar! Wir alle würden Steine und Hölzer anbeten, bis
einer darauf käme, dass Gott die Liebe ist usw.
Der Satz: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!" ist also kein Aufruf zu geschichtslosem Denken. Die Möglichkeit, dass wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen und auseinandersetzen und auf ihr aufbauen, ist geradezu ein Geschenk Gottes. Aber es gibt auch ein Mass an Beschäftigung mit der Vergangenheit, das ungesund ist. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit soll uns
zukunftsfroh und zukunftsfähig machen. Wenn wir aber in der Vergangenheit stecken bleiben, dann brauchen wir jemanden, der uns herausholt. Die Vergangenheit kann nämlich eine so enorme Sogwirkung
haben, dass wir aus eigener Kraft gar nicht mehr von ihr loskommen.
II. GEFAHREN DER BESCHÄFTIGUNG MIT DER VERGANGENHEIT
Es gibt also auch negative Arten, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Sie sind nicht weniger als
lebensgefährlich. Denn sie absorbieren unsere Energie, unsere Lebenskraft und verhindern, dass wir uns
neuen und positiven Lebensmöglichkeiten öffnen. Ich nenne einige Stichworte
a) Die Verklärung der Vergangenheit: Wenn man einmal in „Babylon" sitzt und daran nichts ändern kann,
fängt man an, die Vergangenheit zu verklären: „Früher war alles viel leichter, schöner, besser…“, heisst
es dann. - Das kann schnell schwierig werden. Man neigt dann dazu, die Vergangenheit schönzufärben
oder schönzureden. Negatives, das es früher genauso gab, wird ausgeblendet und verdrängt, dafür
übersieht man das Positive, das in der Gegenwart auch exisitiert. Und sogar wenn in der Vergangenheit
tatsächlich alles viel besser gewesen sein sollte (was meistens überhaupt nicht stimmt), raubt einem der
verklärende Blick zurück jedenfalls alle Kraft und alle Motivation für aktuelle Aufgaben und Herausforderungen..
b) Die Suche nach einem Schuldigen: Wenn irgendetwas schief läuft in unserem Leben, verbohren wir
uns gerne in dem Gedanken, dass jemand anderes daran schuld ist. Das kommt ja tatsächlich auch
vor. Aber so ein Denken führt uns in aller Regel auf ein totes Gleis. Schuldzuweisungen, die wir endlos
wiederkäuen, machen uns krank … selbst wenn sie dem Inhalt nach berechtigt sind. Ausserdem: Wenn
ich mich auf die Schuld desjenigen fixiere, der ‚mir Armem’ so übel mitgespielt hat, verdränge ich meinen eigenen Anteil an dem, was passiert ist. Ich verweigere die Verantwortung für das eigene Leben
undschiebe sie an andere ab. So macht man sich selbst zum Opfer: Wem du die Schuld gibst, dem
gibst du die Macht! Schliesslich zielt die Schuldzuweisung immer auf Dinge, die nicht mehr zu ändern
sind. Konstruktives Denken schaut lieber nach vorne und fragt, was hier und heute zu tun ist.
c) Selbstanklagen und Schuldgefühle: Das ist die Steigerung des eben Gesagten. Genauso, wie ein
Mensch sich in Schuldzuweisungen an andere verzehren kann, kann er auch sich selbst mit Vorwürfen
quälen. Die Bibel ist zwar sehr dafür, dass sich Menschen mit ihrer Schuld auseinandersetzen, … aber
nie in einem selbstzerstörerischen, sondern immer in einem konstruktiven Sinn. Es geht dann darum,
Fehler als solche zu erkennen, um Vergebung zu bitten und notwendige Korrekturen vorzunehmen
können. Im Horizont der Vergebung Gottes werden Selbstanklagen überwunden und Schuldgefühle
hinfällig.
d) Der Wunsch, man hätte anders gehandelt: Es ist gut, wenn man aus gemachten Fehlern lernt und sie
künftig zu vermeiden sucht. Aber man sollte nicht im Teufelskreis des: „Ach wäre doch ..., hätte ich
doch ..., warum musste ...“ hängen bleiben. Fehler der Vergangenheit sind als Realität zu akzeptieren.
So wie es wenig hilft, nach der Geographieprüfung zu beten, Paris möge doch bitte die Hauptstadt von
England sein.
e) Festhalten an alten Formen: Tradition ist gut, Traditionalismus ist gefährlich. Wir alle kommen immerwieder im Leben in Situationen, in denen wir vor etwas völlig Neuem stehen und die alte Erfahrung
nicht mehr ausreicht. Es macht keinen Sinn, auf alten Wegen zu beharren, wenn sich die Umstände
völlig gewandelt haben. In solchen Fällen muss man die alten Wege verlassen und etwas Neues riskieren. Wenn wir uns an die Lösungen von gestern klammern, werden wir an den Problemen von morgen scheitern.
III. GOTT WILL NEUES SCHAFFEN
„Gedenkt nicht an das Frühere!"- Das ist kein Satz aus einem Selbsthilfebuch. Der Prophet sagt diesen
Satz nicht vom Menschen her, nicht als menschliche Möglichkeit, nicht als Lebensweisheit, sondern er
sagt ihn als Bote Gottes, er sagt ihn von Gott her. Die Frage ist: Wer hat die Macht, uns aus dem Würgegriff
der Verzweiflung oder Resignation herauszuholen? Wer lässt uns wieder vorwärts schauen? Jesaja sagt:
Der Gott, der die Welt und uns Menschen geschaffen hat, hat die Macht. Dieser Gott ist noch nicht fertig
mit seiner Schöpfung. Er kann und will auch in unserem Leben Neues schaffen.
Jesaja bezieht sich hier also auf die Schöpfermacht Gottes. Das ist schon speziell. Denn viele Menschen
glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat wie ein Uhrmacher, der eine Uhr herstellt und aufzieht und sie
dann laufen lässt. Anders bei Jesaja. Da sagt Gott: „Siehe, ich will Neues schaffen.“ Gottes Schöpfung
fand nicht nur am Anfang statt. Sie geht weiter. Wie ein Regenguss, der die Wüste zum Blühen bringt,
kann Gott unserem verfahrenen Leben eine neue Perspektive geben. Haben Sie schon einmal erlebt /
beobachtet /erzählt bekommen, wie sich die Wüste durch Regen verändert? Wo vorher nur Trockenheit
war, explodiert auf einmal das Leben. Überall schiesst es grün hervor.
„Na und?", sagt der Verzweifelte. „Danach wird's wieder trocken. Es ist ein ewiger Kreislauf, und am
Schluss setzt sich die Wüste durch.“ Klar, wenn Gott die Welt lediglich am Anfang einmal „aufgezogen"
und dann in Ruhe gelassen hat, dann wird es nicht mehr, sondern immer weniger, weil die Kraft des
Uhrwerks im Lauf der Zeit mehr und mehr nachlässt. Dann würde sich die Wüste letztendlich durchsetzen.
Dann hätten wir allen Grund, zurückzuschauen und unsere Vergangenheit zu glorifizieren, allen Grund,
Verlorenem nachzutrauern. Unsere Zukunft wäre von unserer Vergangenheit bestimmt. Unser Scheitern
und unsere Fehlschläge würden uns ein für allemal festlegen.
Viele glauben, das sei so. Aber das ist nicht der Glaube der Bibel. Gott ist nicht abhängig von unserer oder
irgendeiner Vergangenheit. Gott ist der souveräne Schöpfer, der dort Wasser und Fruchtbarkeit und Lebensfreude schenkt, wo vorher nur Wüste war. Vielleicht wird das nirgends so schön deutlich wie am
Phänomen der Vergebung: „Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden
nicht.“ Wenn Gott einen neuen Anfang mit uns macht, dann ist das eine neue Schöpfung, dann ist das
nicht in irgendetwas Altem begründet. Gottes neue Schöpfung ist weder in unserem Wohlverhalten begründet, noch können wir sie durch unser Fehlverhalten bremsen. Gottes Vergebung basiert allein auf
seiner Barmherzigkeit und Treue und Liebe.
Glauben heisst: nach vorne schauen, wenn die Verzweiflung, Resignation, Frust unseren Blick nach hinten
zwingen wollen. Jesaja ist davon überzeugt: Die Schöpfung liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Gott
kommt uns von vorn entgegen. Wir können das nicht herbeiführen, wir können es aber auch nicht verhindern. Unsere Aufgabe ist es, den Blick nach vorne zu richten, nach Anzeichen Ausschau zu halten und
Ihm - unserem Gott – auch schon zum Voraus zu danken und ihn zu loben. Und wenn es dann regnet, zu
springen und zu tanzen und - wie es hier steht - seinen Ruhm zu verkündigen. Gott sagt: „Ich sorge für
einen Weg in der Steppe und für Wasser in der Wüste ... damit will ich das Volk tränken, das ich
auserwählt habe. Denn dieses Volk soll überall von meiner Grösse erzählen.
Amen