Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag 25. Juli 2015, 11.05 – 12.00 Uhr Ungewisse Zukunft – Die Azoren suchen ein neues Geschäftsmodell Mit Reportagen von Tilo Wagner Redakteur am Mikrofon: Norbert Weber Musikauswahl und Regie: Babette Michel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – 1 Opening: (Stimmen) Musik Hier auf der Insel ist es schwer. Es gibt kaum Jobs. Viele kleine Bauunternehmen sind Pleite gegangen, und die großen kämpfen ums Überleben. Auf den Azoren verdient man nichts. Vier- bis Fünfhundert Euro im Monat für schwerste körperliche Arbeit. Das ist zu wenig. Das mache ich nicht. Mod Die wirtschaftliche Situation auf den Azoren ist angespannt. Ein großer Arbeitgeber, die US-Militärbasis, reduziert drastisch sein Personal. Die Suche nach alternativen Einnahmequellen hat längst begonnen. Häufig stehen wir an der Küste und schauen aufs Meer und sehen die riesigen Schiffe vorbeiziehen. Es sind wirklich sehr viele. Und deshalb glaube ich, dass wir das irgendwie nutzen müssen. Wir sollten doch auch vom wachsenden Welthandel profitieren können. Gesichter Europas. Ungewisse Zukunft – Die Azoren suchen ein neues Geschäftsmodell. Eine Sendung mit Reportagen von Tilo Wagner. Am Mikrofon begrüßt Sie Norbert Weber. Musik Mod Neun größere und mehrere kleinere Inseln sind es – mitten im Atlantischen Ozean – 1643 Kilometer westlich vom europäischen Festland und 3889 Kilometer ostwärts von Nordamerika. Die Azoren mit ihren rund 250.000 Einwohnern sind eine autonome Region Portugals und gehören politisch somit zur Europäischen Union. Die Inselgruppe war seit der Entdeckung durch die Portugiesen im 15. Jahrhundert ein wichtiger Verbindungspunkt zwischen den Kontinenten. Zuerst für die Seefahrer und später für die kommerzielle Dampfschifffahrt. Das erste Unterseekabel lief über die Inseln. Und später entdeckten die Amerikaner den Archipel zunächst für die zivile, dann für die militärische Luftfahrt. Atmo Der Kalte Krieg hätte ohne die Azoren von den Amerikanern ganz anders geplant werden müssen. Doch zu einem Zeitpunkt, an dem das Abkommen über den freien transatlantischen Handel umgesetzt werden könnte, verlieren die Azoren ihre strategische militärische Bedeutung. Die USA haben beschlossen, ihr Personal auf der Militärbasis Lajes auf ein Minimum herunterzufahren. Tausende Arbeitsplätze sind in Gefahr, das Phänomen der Massenauswanderung droht zurückzukommen. Rep 1 2 Atmo Versammlung Arbeiter Es ist wie eine Zeitreise in ein amerikanisches Vorstadtkino der 1990er Jahre: Popcorn für 2 Dollar, Colaflecken auf dem ausgefranzten Teppichboden, nächste Vorstellung: Independence Day. Doch auf den Klappsitzen aus rotem Plüsch sitzen keine GI‘s mehr, sondern portugiesische Arbeiter. 800 sind auf der Militärbasis Lajes auf der Azoreninsel Terceira derzeit noch beschäftigt. Über die Hälfte muss gehen. Vertreter der Regionalregierung und des Arbeitsamtes stehen vor der Bühne und informieren über die Zukunft, die für viele keine Perspektive bietet: Abfindungszahlungen, Arbeitslosengeld, Umschulung. Die Stimmung ist angespannt. Atmo Arbeiter spricht Ein kräftiger Herr mittleren Alters hat sich das Mikrofon geschnappt: Die Behörden würden ihn wie einen unqualifizierten Arbeiter behandeln – und das sei eine Schande. Schließlich habe er Elektriker gelernt und sogar Kurse in Amerika abgeschlossen. Im Saal herrscht nun allgemeine Unruhe. Da steht ein schmaler Mann im Poloshirt und Segelschuhen aus der ersten Reihe auf und stellt sich vor die Menschenmenge. João Ormonde ist Mitglied der Arbeiterkommission, die den Stellenabbau der portugiesischen Beschäftigten auf der Militärbasis begleitet. Der 52-Jährige zieht seine buschigen Augenbrauen nach oben und versucht die Menschen im Saal zu beschwichtigen: „Ich rate euch allen: Lasst euch eure Qualifikationen, die ihr hier auf der Militärbasis erworben habt, unbedingt anerkennen. Wir wissen ja noch nicht, wen es wirklich trifft!“ Verhaltener Applaus, die Plüschsitze klappen hoch, das Kino leert sich schnell. João Ormonde steht noch eine Weile mit den Verantwortlichen des Arbeitsamtes zusammen, verlässt dann das Kino, steigt in seinen alten Mercedes und fährt zurück in sein Büro. Atmo Auto João lenkt den Wagen über die breiten Straßen. Seit über drei Jahrzehnten arbeitet er auf dem hügeligen Landstrich zwischen dem Flugplatz und dem Meer, der von hohen Drahtzäunen eingegrenzt ist. Er hat sich um Bauanträge gekümmert und mit seinem Team Häuser und Grünflächen instand gehalten. João zeigt auf eine Reihe von ockerfarbenen Gebäuden am Straßenrand. Eine Spur Resignation schwingt mit, wenn er erklärt, was mit der Militärbasis passiert: die Polizeiwache – mit reduziertem Personal, das Krankenhaus – geschlossen, die Fernseh- und Radiostation – auf Sparflamme. Der Flugplatz 3 mitten im Atlantik hat in den amerikanisch-portugiesischen Beziehungen eine entscheide Rolle gespielt. João Ormonde erinnert sich: „Mein Vater hat hier auf der Basis seit Ende der 1940er Jahre gearbeitet. Und dadurch hatten wir Kontakt zu den Amerikanern. Er brachte Spielsachen mit, Schokolade und später Whiskey. Jim Beam. Jack Daniel‘s. Das gab es ja alles sonst nicht. Wir waren sehr arm. Wir lebten von der Landwirtschaft. Neben dem Job auf der Basis hatte mein Vater noch ein paar Kühe, und wir mussten alle mithelfen, damit wir über die Runden kamen. Eigentlich konnten wir uns kein richtiges Badezimmer leisten. Aber wer auf dem Flugplatz arbeitete, der schraubte einfach mal einen Wasserhahn ab und nahm ihn mit nach Hause. Mit anderen Worten: Wir klauten. Und die Amerikaner haben das geduldet. Sie waren ja viel reicher als wir, und es war ihre Form dazu beizutragen, dass sich unser Leben hier auf der Insel langsam verbesserte.“ Sprecher Die amerikanischen Soldaten lebten auf Terceira mit ihren Familien. Manche innerhalb der eingegrenzten Militärbasis, andere in den kleinen Fischerdörfern rundherum. Sie brachten die Popmusik auf die abgeschiedene Insel, die wie ganz Portugal unter dem autoritären erzkonservativen Salazar-Regime litt. Als João Ormonde aufwuchs, nahm die soziale Hilfe der Amerikaner eine geregeltere Form an. „In den sechziger Jahren gab es das Programm „People to people“. Die Amerikaner fuhren über die ganze Insel und verteilten Geschenke. Über die Schokolade haben wir uns alle gefreut, nur mit den Basketbällen hatten wir Probleme. Entweder sie wussten einfach nicht, dass wir mit Basketbällen nichts anfangen konnten, oder sie wollten uns bewusst „amerikanisieren“. Vielleicht hatten sie auch einfach keine Fußbälle, sondern nur Basketbälle. Wir haben dann versucht damit Fußball zu spielen. Doch das ging in die Hose. Basketbälle sind einfach zu schwer. Sie sind geplatzt.“ Atmo Papier In seinem Büro in einer fast unbewohnten fünfstöckigen Kaserne zieht João Ormonde eine dicke Mappe hervor. Atmo Mann spricht „Seit drei Jahren führen wir diesen Zwist", sagt er. Es ist ein komplexes Verfahren. Zwei Nationen mit sensiblen bilateralen Beziehungen, eine Insel, die durch direkte und indirekte Folgen den Verlust von zirka 13 Prozent seiner Arbeitsplätze fürchtet. Im Irakkrieg hatte der Flugplatz noch eine wichtige Rolle gespielt. Tankflugzeuge hoben regelmäßig von der über drei Kilometer langen Piste ab, 4 um amerikanische Kampfjets über dem Atlantik mit Kerosin zu versorgen. Doch als Barak Obama ins Weiße Haus einzog, fing das Pentagon an, auch die Truppengröße auf Terceira zu überdenken. Erst blieben die Familien der Soldaten zu Hause. Jetzt sollen die Streitkräfte auf 168 Militärs reduziert werden. Atmo Karte Auf einer Karte umkreist João Ormonde mit seinem Zeigefinger ein großes Areal östlich der Landebahn. Dutzende frisch renovierte, moderne Einfamilienhäuser mit unverstelltem Blick auf den Atlantik, in denen die amerikanischen Familien einst wohnten. ‚Proposed facilities to return to host nation‘ steht auf der Kartenlegende. „Das kann nur ein vergiftetes Geschenk sein. Diese Wohngebiete hier sind wirklich sehr schön, aber sie sollen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt an die portugiesische Regierung übergeben werden. Wir haben hier auf der Insel ein Überangebot an Immobilien. Den seit der Krise passiert hier nichts mehr. Niemand kauft, niemand verkauft, nicht einmal vermieten kann man die Häuser, weil niemand Geld hat.“ João streicht sich mit den Fingern durch die akkurat geschnittenen kurzen, grauen Haare. Er hofft, dass zumindest der Stellenabbau einigermaßen glimpflich verläuft. Wenn alle Älteren wirklich gehen, dann droht nur wenigen Jungen die Arbeitslosigkeit. João schließt den Reißverschluss seiner Aktentasche. Er hat seine Entscheidung längst getroffen. „Ich bin jetzt fast 53 Jahre alt. Ich bekomme eine Abfindung gemäß meiner 34jährigen Dienstzeit und dazu meine Rente. Aber das schlimmste ist: Ich bin einfach demotiviert. Denn das, was jetzt kommt, hat mit meinem früheren Alltag nichts mehr zu tun. Die Militärbasis wird nicht mehr die sein, die sie einmal war. Und ich will bei ihrem Niedergang nicht zuschauen müssen. Und deshalb gehe ich.“ João Ormonde schließt die Tür hinter sich und läuft die Treppen der menschenleeren Kaserne hinunter. Draußen weht der frische Atlantikwind, aber hier im Treppenhaus hängt immer noch ein Geruch in der Luft: Es riecht wie im Korridor einer amerikanischen High School. Atmo Ormonde geht aus der Tür und läuft die Treppe hinunter Musik Mod 5 In ihrem Gedicht Biographie schreibt die 1919 in Porto geborene und 2004 in Lissabon verstorbene portugiesische Schriftstellerin Sophia de Mello Breyner Andresen: „Ich habe mich gesucht im Licht, im Meer, im Wind.“ Sie selbst, ihre Seele, so schrieb sie, sei aus dem Meer. Das Meer, vor allem der Atlantik, sei Teil ihrer Seele. Kaum ein europäischer Dichter hat so viele wortmächtige Gedichte über das Meer und die Meeresstrände geschrieben wie sie. In einem weiteren Gedichte beschreibt und benennt sie den Zusammenhang zwischen ihr, ihrem Selbst-Bild und der sie umgebenden (Meeres-) Natur noch deutlicher. Musik Lit 1 Lit 1 Meer Von allen Ecken und Enden dieser Welt Lieb ich mit stärkster tiefster Liebe Den nackten, den verzückten Strand, wo ich eins wurde mit dem Meer, dem Wind, dem Mond Ich rieche die Erde, die Bäume und den Wind, die der Frühling mit Düften erfüllt. Doch darin begehre und suche ich einzig Den wilden Atem der Wellen, der aufsteigt zu den Sternen wie ein reiner Schrei. Musik hoch Mod Atmo Vogelgezwitscher Die Flugrouten auf die Azoren und zwischen den neun Inseln des Archipels wurden jahrzehntelang von zwei staatlichen portugiesischen Fluggesellschaften kontrolliert. Die Flüge waren dementsprechend teuer, der Urlaub mitten im Atlantik ein Geheimtipp. Jetzt ist der Flugverkehr liberalisiert worden und seit einiger Zeit steuern Billigfluglinien die größte Azoreninsel Sao Miguel täglich an. Damit wird sich auch der Tourismus verändern. Welche Chancen entstehen, welche Ressentiments werden geweckt? Rep. 2 Atmo am Pool 6 In einem kleinen Garten im westlichen Stadtteil von Ponta Delgada herrscht entspannte Ruhe. Vögel zwitschern. Eine Mutter spielt mit ihrem Kind am Swimmingpool. Gelegentlich fährt ein Auto durch eine enge Gasse. Vom Atlantik weht eine milde Brise über die Dächer und trägt den Geruch von frische grollten Zigarren aus einer nahe gelegenen Tabakfabrik in den Garten. Atmo Flugzeug Plötzlich heulen die Düsen eines Airbus 319 auf. Ein Billigflieger setzt zum Landeanflug auf den nur drei Kilometer entfernte Flughafen an. Rita Monteiro schaut glücklich in den Himmel: „Dieser Lärm bedeutet Wandel. Wandel im positiven Sinne. Lange Zeit waren die Azoren ein Ort mit sehr wenig Tourismus. Das hat sie natürlich für diejenigen, die gekommen sind, sehr interessant gemacht. Und jetzt wollen natürlich immer mehr Leute aus Europa die Inseln kennenlernen, weil es einfach immer noch ein Geheimtipp ist. Das hat dazu geführt, dass die Natur sehr gut erhalten ist, aber gleichzeitig haben wir Azorianer und unsere lokale Wirtschaft nicht richtig davon profitiert. Viele Leute, die hier leben, haben große Hoffnung, dass die Billig-Flüge mehr Touristen bringen, die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen.“ Atmo Garten Rita hat zusammen mit ihrem Mann Miguel vor vier Monaten ein Hostel aufgemacht. Genau an dem Tag, als der erste Billigflieger auf dem Flughafen in Ponta Delgada landete. Und aus dem Flieger kamen gleich zwei Touristen direkt zu ihnen in die Stadt. Atmo Frau spricht Es war wirklich ein Zufall, sagt die 35-Jährige mit den langen rotbrauen Haaren und lacht ironisch. Atmo Gemeinschaftsküche Seit der Eröffnung Ende März ist das Hostel zu über 80 Prozent ausgebucht. Das Konzept stimmt: Ein schönes altes Haus mit dem landestypischen schwarzen Vulkanstein an der Fassade, großer Gemeinschaftsküche und Pool im Garten. Das Hostel ist für die gelernte Sprachtherapeutin auch ein Neuanfang. Bis vor ein paar Jahren haben Miguel und Rita noch in Porto gelebt. Atmo Frau spricht Doch irgendwann, erzählt Rita, hatten sie das Leben in der nordportugiesischen Metropole satt. Der Stress, die schlecht bezahlten Jobs, die langen Arbeitszeiten. Rita wirkt nachdenklich. Man merkt ihr an, die Zeit hat Spuren hinterlassen. Sie hätte ihren Beruf gerne weiter ausgeübt, aber wie so viele junge Portugiesen aus ihrer Generation hat sie nicht das Gefühl gehabt, dass ihre Qualifikationen und ihr Engagement gebührend gewürdigt worden seien. 7 Also trafen Rita und Miguel eine Entscheidung: Neustart in Ritas Heimat auf der größte Azoreninsel São Miguel. Atmo Garten Die passende Immobilie für ihr Projekt zu finden, war nicht einfach. Fündig wurden sie schließlich im Westteil der 40.000 Einwohner zählenden Regionalhauptstadt – ein ehemaliges Arbeiterviertel, das nicht weit vom historischen Zentrum entfernt liegt. Atmo Mann spricht Das Haus, erzählt Miguel, hatte ein reicher Salzhändler im 19. Jahrhundert gebaut, der Geschäfte mit Brasilien und Portugal betrieb. Es war heruntergekommen und seit Jahren unbewohnt, aber für Miguel, einem gelernten Architekten, war die Hausrenovierung wie die Erfüllung eines Lebenstraums. Der 40-Jährige streicht sich durch seine welligen angegrauten Haare und fängt an, über Vulkansteine und Holzböden zu reden. Er zeigt auf ein paar Balken, die er auswechseln musste, und berichtet von den Schwierigkeiten, die ein Bauvorhaben auf einer Insel mitten im Nordatlantik mit sich bringt. „Solche Projekte lassen sich hier auf der Insel schwer realisieren. Es gibt ein paar Baufirmen hier, die früher noch gut gefüllte Lager hatten. Aber die Krise hat das Baugewerbe schwer getroffen und das Material ist knapp geworden. Außer Sand und Zement gibt es fast nichts mehr, dass man einfach so im Geschäft kaufen kann. Wenn ich nach einer relativ einfachen Türklinke gefragt habe oder nach irgendwelchen anderen Utensilien, kam immer die gleiche Antwort: Das dauert drei Wochen, drei Wochen, drei Wochen.“ Die Inneneinrichtung bestellte Miguel im Internet. Auf der ursprünglichen Einkaufsliste standen auch vier Stockbetten. Doch daraus wurde nichts. Atmo Treppen hoch: Rita geht an der Rezeption vorbei und steigt die steile Holztreppe in den ersten Stock hoch. Sie schließt eine weiß lackierte Holztür auf und tritt in ein großzügig geschnittenes helles Zimmer mit einem Doppelbett und zwei Einzelbetten ein. „Unser ganzes finanzielles und betriebswirtschaftliches Konzept hatten wir darauf ausgerichtet, aus diesem Zimmer hier einen Schlafsaal mit mindestens vier Stockbetten zu machen. Schließlich gehört das ja zu jedem Hostel dazu. Doch mitten in unserem Bauprozess wurde plötzlich die gesetzliche Grundlage geändert. Die Regionalregierung beschloss, dass in den neu gebauten Hostels auf den Azoren keine Stockbetten mehr stehen dürfen und nur maximal drei Betten pro Zimmer.“ Sprecher: 21 sec 8 Rita und Miguel mussten ihr Konzept überdenken. Aus der Herberge für Rucksackreisende wurde eine exklusivere Unterkunft. Bisher scheint es dem Geschäft nicht geschadet zu haben. Aber Rita geht es nicht ums Geld, sondern um etwas anders. Sie wirkt wütend, enttäuscht, ein bisschen verletzt. „Hier auf den Azoren gibt es eine alt eingesessene, sehr starke Hotellobby, die ganz offensichtlich die Regionalregierung unter Druck gesetzt hat. Sie wollen einfach nicht loslassen, und deshalb wird hier leider nicht das geschehen, was in Porto oder Lissabon in den vergangenen Jahren passiert ist. Dort kamen die Billigflieger hin und sofort sind Dutzende von Hostels in verfallenen Altbauten entstanden und haben so ganze Straßenzüge saniert. Aber daran scheinen die Mächtigen hier auf den Azoren kein Interesse zu haben.“ Rita ist auf São Miguel geboren. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie über eine gewisse Inselmentalität redet: Atmo Frau spricht Die alteingesessenen Eliten haben Angst vor dem Neuen, sagt sie. Jetzt läge es an den jungen Azorianern die alten Strukturen langsam aufzubrechen. Musik MUSIK lit 2 LIT Stadt Stadt, Lärm und ruheloses Hin und Her der Straßen, oh wüstes Leben, feindlich, ohne Sinn vergeudet, ich weiß, es gibt die See, die nackten Strände, die Berge, namenlos, die Ebenen, die weiter reichen als unser allerweitestes Verlangen, und ich bin als Gefangene in dir und sehe nur die Mauern und die Wände, sehe weder die Gezeiten der See noch den Wechsel des Mondes. Ich weiß, du nimmst mein Leben in Gewahrsam, und ziehst in die Schatten deiner Mauern meine Seele, die versprochen war den weißen Wellen und den grünen Wäldern. Musik hoch Mod Atmo Traktor 9 Seit dem Ende der Milchquoten in der europäischen Landwirtschaft ist die Milchwirtschaft auf den Azoren im Umbruch. Auf der Insel Sao Jorge ist die lokale Wirtschaft von der Milchproduktion abhängig. Doch mitten im Atlantik stößt der Export von frischer Milch auf große logistische Schwierigkeiten. Deshalb setzt die Insel ausschließlich auf die Produktion eines in ganz Portugal bekannten Rohmilchkäses. Die Qualitätsansprüche sind hoch, denn nur dadurch können die Bauern von São Jorge ihre Milch zu einem relativ hohen Preis verkaufen. Rep 3 Atmo Traktoren, dann darüber Sprecher: Rui Bettencourt fährt in seinem Traktor über eine abschüssige Wiese und sammelt mit einer Rundballenpresse frisch gemähtes Heu auf. Ein paar Büsche begrenzen das Grundstück, dahinter fällt die Nordküste über 100 Meter steil ab zum Meer. Rui steigt aus dem Fahrerhäuschen. Sportliche Figur, kantiges Kinn, wache blaue Augen und dunkelblonde Haare: Ein echter Cowboy auf der Insel São Jorge, wo mehr Kühe leben als Menschen. „Ich hätte viel mehr Kühe, wenn ich meinen Tieren das Heu hier verfüttern könnte. Und das wäre auch viel billiger für uns. Aber es geht nicht. Nur den abgemolkenen Kühen und Kälbern darf ich das Heu geben. Das liegt am Käse: Denn meine ganze Rohmilch wird zur Käseproduktion verwendet. Und wenn ich meinen Milchkühen Heu zu fressen gebe, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in der Milch giftige Bakterien auftauchen, die die Produktion des Käses in Gefahr bringen.“ Rui schaut auf die Dutzenden von Heuballen, die auf dem Feld liegen, und zuckt mit den Schultern. Atmo Mann spricht Es sei schon Schade, sagt er. Gerade dieses Jahr hätten sie fast ein Fünftel mehr Heu auf der Insel als sonst. Aber das bringe ihnen ja trotzdem nichts, wenn sie es nicht verfüttern können. Rui weiß, dass die Kooperativen, die den Rohmilchkäse produzieren, die über 300 Milchbauern auf São Jorge fest im Griff haben. Und gerade heutzutage, sagt er, sei das gar nicht so schlecht. Denn für die hochwertige Rohmilch der Bauern zahle die Käsefabrik viel mehr als der Milchmarkt eigentlich noch hergibt: „Nach dem Ende der Milchquote in der EU ist der Druck auf den Milchpreis jetzt enorm. Billige Milch aus dem Ausland überschwemmt den Markt. Bis jetzt haben wir unseren Milchpreis hier noch sehr gut halten können, weil wir mit unserer Milch nur den Käse machen. Viel schlechter geht’s den Michbauern auf unser Nachbarinsel Terceira. Die haben vor einigen Jahren die 1 Käseherstellung eingestellt und auf die Produktion von Milchpulver umgestellt. Aber die Preise für Milchpulver sind stark gefallen. Atmo Wiese Rui lebt, so wie die große Mehrheit der 9000 Bewohner, auf der Südseite der schmalen, rund 50 Kilometer langen Insel Sã Jorge. Seine 99 Kühe weiden jedoch im Norden, wo eine Wiese nach der anderen sich aneinander reiht, abgegrenzt von dunkelfarbigen Steinmauern und Büschen. Nur ab und zu tauchen in dem weiten Grün ein paar blaue Flecken auf: Mobile Melkmaschinen. Atmo Lärm Melkmaschine Es ist ein lichtarmer Schuppen aus Stahl und Blech auf Rädern. In der Mitte ein schulterbreiter Gang. Links und rechts Rampen, auf denen jeweils sechs Kühe zusammengepfercht stehen, die Köpfe in Futtertröge getaucht, an den Eutern baumeln Schläuche, durch die die Milch nach draußen in einen Tank gepumpt wird. Der Generator brummt, die Pumpen saugen. Rui steht in Gummistiefel in dem Gang, zieht an Schläuchen, Seilen und Zitzen, so als dirigiere er ein Orchester. Atmo Mann spricht-O-Ton Rui Alles voller Kuhmist, sagt er und zwinkert einer stämmigen hübschen Frau zu, die mit ihm in dem engen Gang steht und von jeder Kuh eine Milchprobe für die regelmäßige Qualitätskontrolle entnimmt. Rui ist in seinem Element. Mit dreizehn hat er die Schule geschmissen und seinem Vater auf dem Bauernhof beim Melken geholfen – ohne Maschine. Damals waren es vierzig Kühe, zwanzig hat er später übernommen und seinen eigenen Betrieb gegründet. Atmo Auto-Tür zu Rui tritt aus dem Blechschuppen, stellt den Generator ab, setzt sich in seinen Pick-up und rast mit 1300 Litern Milch in einem Metallbehälter auf der Ladefläche über die menschenleere Landstraße Richtung Käsefabrik. „Je schneller wir zur Fabrik kommen, umso besser. Wir haben ja schließlich Rohmilch im Tank. Die Fabrik nimmt die Milch nur bis neun Uhr abends an, denn dann beginnen sie mit der zweiten Produktionsphase.“ Atmo vor der Milchfabrik Der Landwirt biegt in die Einfahrt der Kooperative, die den Rohmilchkäse herstellt. Ein paar Milchbauern warten schon darauf, dass die Pumpstation frei wird. Zeit für ein kleines Schwätzchen. Atmo Zwei Männer unterhalten sich Ein Freund erzählt, er habe gerade 800 Liter Milch in den Abfluss jagen müssen. Sein zwölfjähriger Sohn habe eine kranke Kuh gemolken, die mit Penizillin behandelt worden war, und die Milch der kranken Kuh ging in den halbvollen Tank. Ruis Freund lacht – macht nix, morgen gibt’s mehr. 1 Rui fährt den Wagen vor und gibt eine Milchprobe ab. Dann schließt er einen dicken Schlauch an seinen Milchtank. Atmo Käsefabrik Ruis Milch fließt in eine von fünf langen Stahlwannen, die in einer modernen Lagerhalle stehen. Die Rohmilch wird auf 36 Grad erhitzt und umgerührt, bis sich eine feste Masse am Boden absetzt, die dann zwei Tage lang in eine Blechform gepresst wird. Aus 120 Litern entstehen zirka 10-Kilogramm-Käse, der dann in den gekühlten Kammern zwischen drei und sieben Monate lang reift. Atmo Handyvibrieren auf Schreibtisch Im Büro der Käsefabrik geht es hektisch zu. António Azevedos Handy vibriert im Minutentakt. Der Geschäftsführer der Kooperativen hat ein Logistikproblem zu lösen. Wie so häufig, sagt er. 35 bis 50 Tonnen Käse müssen jede Woche verschifft werden. Auf die anderen Inseln, auf das portugiesische Festland, hinaus in die ganze Welt. Der Käse, der den Namen São Jorge trägt, ist mittlerweile auch im Ausland gefragt. Doch das reicht leider nicht: „Unsere größte Schwierigkeit ist die Zeitplanung. Wir sagen den großen Lebensmittelketten in Europa, dass wir ihre Bestellungen mit einem Monat Vorlauf brauchen. Wieso um Himmelswillen einen Monat vorher, fragen sie. Ihr seid doch aus Portugal. Was sie nicht verstehen, ist, dass ich hier auf den Azoren sitze, auf einer Insel mitten im Atlantik, wo es keine einzige Druckerei gibt, die mir die Etiketten drucken kann. Also muss ich sie auf einer der großen Inseln oder auf dem Festland drucken lassen, und bis sie hier sind, dauert das. Und mit den Schachteln ist es genau das gleiche.“ Atmo Handygespräch Während António Azevedo weiter telefoniert, damit der Container rechtzeitig voll wird, bevor das Schiff wegfährt, sitzt Rui Bettencourt in seinem Auto vor der Fabrik und schaut auf sein Handy. Atmo Mann spricht Er bekommt die Analyse seiner 1300 Liter Milch direkt aufs Mobiltelefon geschickt. Wenig Fett, guter Proteinwert, wenig Mikroben. Je höher die Qualität, umso höher der Milchpreis. Rui liest stolz die letzte Zeile: Gesamtnote: 14 Punkte – Spitzenwert. Hat São Jorge wirklich die beste Milch der Welt? Atmo Mann spricht Rui lacht. Klar, sagt er, diese Werte sprechen für sich. Atmo Auto ausspritzen. Es ist Abend geworden. Die Sonne hat den Vulkan Pico auf der gegenüberliegenden Insel in ein weiches Licht getaucht. Rui spritzt seinen Milchtank mit Wasser aus, steigt in den Wagen und fährt nach Hause, wo Frau 1 und Kind warten. In sieben Stunden ist er wieder auf den Beinen. Zum Kühe melken. Musik Musik Lit 3 Lit 3 Strand Die Kiefern stöhnen, wenn der Wind hinein fährt. Die Sonne heizt den Boden, und die Steine glühen. Dort hinten wandeln wunderbare Meeres-Götter, salzweiß, wie Fische glänzend. Wilde Vögel plötzlich, wie Steine gegen das Licht geworfen, schwingen sich auf und sterben steil im Himmel. In weite Räume werden ihre Körper heimgeholt. Die Wellen branden prall ans Licht, die Stirnen aufgeputzt mit Säulen. Und eine ganz uralte Sehnsucht, Mast zu sein, wiegt sich in hohen Kiefern. Musik hoch MOD Portugal hat bis Mitte der 1970er Jahre unter dem autoritären Salazar-Regime gelitten. Die Bevölkerung in den ländlichen Regionen war arm, ohne Schulbildung und ohne Perspektive. Am äußersten Rand Portugals waren die Lebensbedingungen noch viel schwieriger. Deshalb sind viele Azorianer ausgewandert. Als illegale Immigranten gingen sie vor allem an die Ostküste Amerikas, wo sie in ähnlich starken Walfischgemeinden Fuß fassen wollten. Ausgerechnet eine Naturkatastrophe auf der Insel Faial sollte Ende der 1950er Jahre zum ersten Mal die Tür für eine legale Migration in die USA öffnen. Atmo 4 Zehntausende von Azorianern brachen in den Westen auf. Doch mittlerweile ist die Leidenschaft für Amerika abgekühlt. Junge, gut ausgebildete Azorianer suchen ihre Chance eher auf dem europäischen Kontinent – andere, weniger gut ausgebildete bleiben in der Heimat, in der Hoffnung auf bald bessere Zeiten. 1 Rep 4 Atmo Küste Leuchtturm (2 min) Sprecher: 80 sec Wenn am westlichsten Punkt der Insel Faial starker Wind aufkommt, dann wirbelt er feinen Vulkansand auf. Die dunkelgrauen Körner wehen in die Gemäuer des alten Leuchtturms, der zum Sinnbild eines mächtigen Naturspektakels wurde: Vor 58 Jahren brach ein Vulkan kurz vor der Küste im Meer aus und in einem 13 Monate andauernden Prozess bildete sich eine neue Landzunge heraus. Rund 300 Häuser wurden zerstört, die Landwirtschaft zunichte gemacht und ein Teil des Leuchtturms in Asche und Geröll begraben. Hier in den Ruinen, wo früher einmal die Leuchtturmwärter und ihre Familien wohnten, steht João Costa. Der große, stämmige Mann mit dunklem Bart und einvernehmender Stimme leitet ein Museum, das sich unter seinen Füßen, versteckt im Vulkansand, befindet. Atmo Mann spricht João Costa ist Geologe, und deshalb erzählt er gern über die Kräfte, die damals aus dem Nichts ein 2,4 Quadratkilometer großes Stück Land schufen. Schließlich sind so acht der neun Azoreninseln mitten im Atlantik entstanden. Die karge Mondlandschaft rund um den Leuchtturm sei aber noch etwas, sagt João Costa: „Der Vulkanausbruch war für die Wissenschaft sehr wichtig. Aber vielleicht noch viel beindruckender war, was nach dem Ausbruch geschah. Es herrschte damals hier große Armut und Hunger, und nach der Naturkatastrophe gab es für die Menschen auf einmal die Möglichkeit, im Rahmen eines besonderen Abkommens legal in die USA auszuwandern. Das Ganze begann 1958. Doch fünf Jahre später mussten die USA schon einen Riegel vorschieben, weil zu viele Azorianer gekommen waren. Später öffneten sie nochmal die Grenzen, und erlaubten so die Familienzusammenzuführung. Die Menschen emigrierten von allen Azoreninseln, und man schätzt die Zahl der Auswanderer, die bis 1969 nach Amerika gingen, auf 100.000.“ Atmo Garten Dazu gehörte auch die Familie von José Goulart. Atmo Stühle raus In einem ruhigen Küstendorf, rund 5 Kilometer südöstlich vom Leuchtturm, holt José zwei Stühle aus dem Wohnzimmer seiner Eltern und stellt sie auf die sonnenüberflutete Terrasse mit Blick auf den Atlantik Atmo Mann spricht Willst du ein Bier, fragt José und streicht sich über das weite T-Shirt. „Fish now, work later“ steht darauf in dicken Lettern über einem Anglermotiv. 1 „Jetzt im Sommer gehe ich regelmäßig Freitauchen und Speerfischen. Das Wasser ist mein Medium, da fühle ich mich wohl. Das brauche ich jetzt einfach. Wenn der Sommer dann vorbei ist, geht’s zurück in die USA.“ Der 44-Jährige pendelt schon fast sein ganzes Leben lang zwischen zwei Welten. Josés Tante war nach dem Vulkanausbruch in die USA ausgewandert, und Ende der 1970er Jahre zog auch er mit seinen Eltern in die Gegend von Bosten, wo sich ein Großteil der azorianischen Migranten niedergelassen hat. Seinen Eltern gefiel es nicht und sie gingen zurück auf die Insel Faial. Doch als José volljährig war, brach er die Schule ab und ging erneut nach Amerika, diesmal nach Kalifornien. Er bekam einen amerikanischen Pass, und als doppelter Staatsbürger konnte er sich frei zwischen den Welten bewegen. Arbeiten in Oakland, tauchen auf den Azoren. Atmo Mann spricht Amerika habe sich sehr verändert, sagt er. Die Menschen dort hätten Angst, würden sich immer mehr abschotten. Am liebsten würde José jetzt schon sein eigenes Haus bauen, irgendwo hier auf Faial. Doch dafür reicht sein Geld noch nicht, das er sich in den USA bisher verdient hat. Und ohne Rücklagen will er nicht zurück in seine Heimat: „Hier auf der Insel ist es schwer. Es gibt kaum Jobs. Viele kleine Bauunternehmen sind Pleite gegangen, und die großen kämpfen ums Überleben. Auf den Azoren verdient man nichts. Vier- bis Fünfhundert Euro im Monat für schwerste körperliche Arbeit. Das ist zu wenig. Das mache ich nicht.“ In den USA hat José immer einen Job gefunden, bei dem er der Meinung war, einen angemessenen Lohn erhalten zu haben: In einem Fahrradladen, auf dem Bau, im Gartenbetrieb. Josés Verwandte und Freunde haben ihn immer wieder gefragt, ob er sie mitnehmen könnte – auf die andere Seite des Ozeans. Doch seit ein paar Jahren fragt ihn kaum noch jemand: „Es verändert sich etwas hier. Manchmal unterhalte ich mich mit Leuten und sie sagen nur: „Ach, was willst du denn in Amerika...“. Viele junge Leute wollen nach Europa. Sie machen ihren Universitätsabschluss und dann bewerben sie sich in Deutschland oder England oder Frankreich. Wie gesagt, sie sind gut ausgebildet – und das bin ich ja nicht. Atmo Garten Horta So wie Ana Barreto. Die 26-Jährige sitzt im Garten ihrer Freunde und schaut über das zum Meer abfallende, idyllische Inselhauptstädtchen Horta hinweg. Vögel zwitschern, ab und zu knattert ein Motorrad die Straße entlang. Ana hat ihren Laptop mitgebracht und will ihren Freunden ein paar neue Entwürfe zeigen. Seit einem Jahr ist die dunkelhaarige Designerin zurück in ihrer Heimat – und hat immer noch keinen Job gefunden: 1 „In meinem Metier kann ich hier höchstens in einem Kopierladen arbeiten. Ich habe mit dem einzigen Grafiker, den es auf der Insel gibt, gesprochen, und er hat mir gesagt, dass er von den Klienten gar nichts für das Design verlangen kann, sondern nur für den Druck. Niemand scheint bei uns wirklich Wert auf ein gutes Design und Image zu legen. Soweit ist die Mentalität leider noch nicht.“ Ana hat in Lissabon studiert und einen Master an einer renommierten Designschule in Florenz gemacht. Atmo Frau spricht Nicht in den USA, sondern in Spanien, Frankreich und auf dem portugiesischen Festland hätten es viele ihrer gut ausgebildeten Freunde schon probiert. Hauptsache, so nah wie möglich an der Heimat. Einige seien aber schon wieder zurück, erzählt sie, und lacht ironisch. Vielleicht sei das Auswandern doch noch keine echte Notwendigkeit für ihre Generation. „Früher mussten die Leute hier viel schneller erwachsen werden als wir. Meinen Freunden und mir hat es ja an nichts mehr gefehlt. Wir hatten alle ein Haus und genügend Essen auf dem Tisch. Und jetzt sind wir alle Mitte Zwanzig und kaum einer arbeitet. Wir machen dann noch einen Abschluss und noch eine Ausbildung, aber ich weiß nicht, ob das überhaupt etwas bringt. Denn die Firmen wollen Leute mit Arbeitserfahrung. Aber wie sollen wir die denn bekommen? Es ist wie ein großer Teufelskreis, und währenddessen sitzen wir zu Hause bei Mami und Papi und warten bis der Job vom Himmel fällt.“ Musik Musik Lit 4 Lit 4 Wenn Wenn einst mein Leib zerfällt, wenn ich gestorben bin, bestehen Garten, Meer und Himmel weiter. Genau wie heute werden ihre Reigen tanzen Vor meiner Türe die vier Jahreszeiten. Ganz andre werden im April durch meinen Garten gehen, durch den so viele Male ich gegangen bin. Es wird die langen Sonnenuntergänge überm Meere geben – Ganz andre werden lieben, was ich liebte. Es wird der gleiche Glanz sein und das gleiche Fest, es wird der gleiche Garten sein vor meiner Tür. Und das in Gold getauchte Wald-Gezweige, 1 wie wenn ich nicht gestorben wäre. Musik hoch Mod Die Azoreninsel Terceira hat große Pläne. Sie will zum Waren-Umsteige-Hafen zwischen Europa und den USA werden. Dahinter steckt eine kluge Idee. Die Containerschiffe aus verschiedenen amerikanischen Häfen müssen so nicht mehr die europäischen Häfen einzeln abklappern. Atmo Stattdessen werden die Waren auf den Azoren gesammelt, nach Zielhafen sortiert und auf Schiffe verladen, die nur einen bestimmten Hafen anlaufen. Das soll Zeit und Geld sparen – und auf der Azoreninsel viele Arbeitsplätze schaffen. Rep 5 Atmo im Büro vor dem Bildschirm Sprecher: In einem hellen Büro mit Blick auf den größten Hafen der Insel Terceira sitzt Miguel Correia an seinem Schreibtisch und schaut auf einen Monitor. Ein Online-Trackingsystem zeigt eine Karte, im Zentrum die Azoreninseln, rundherum kleine bunte Pfeile. Der Direktor des Hafens von Praia da Vitória überprüft zusammen mit seinem Hafenmeister, welche Schiffe sich gerade in unmittelbarer Nähe befinden. Es sind Dutzende. Aus Südamerika, den USA, aus Europa und Afrika. Vor allem grüne Pfeile finden die Beiden: Containerschiffe. Doch die Azoren lassen sie links liegen. Correia kratzte sich am kahlgeschorenen Schädel. Das sei doch eine Schande, sagt er, dass niemand hier Halt mache. „Häufig stehen wir an der Küste und schauen aufs Meer und sehen die riesigen Schiffe vorbeiziehen. Es sind wirklich sehr viele. Und deshalb glaube ich, dass wir das irgendwie nutzen müssen. Wir sollten doch auch vom wachsenden Welthandel profitieren können.“ Atmo Klopfen, Begrüßung Der Hafendirektor trifft sich mit zwei Vertretern der örtlichen Handelskammer. Die drei wollen heute über ein Projekt reden, das für die Zukunft der Azoren entscheidend sein könnte. Correia führt seine Gäste aus dem Verwaltungsgebäude heraus in Richtung Hafen. Vor dem großen Tor steht ein schwarzer Stier und grast. Atmo Mann spricht Correia lässt die Bauern mit ihren Tieren auf die Grünflächen im Hafen. Dann sei der Rasen gemäht und die Touristen, die von den Kreuzfahrtschiffen kämen, hätten gleich etwas zu fotografieren, sagt er und grinst breit über sein rundes 1 Gesicht. Ungewöhnliche Ideen scheinen gut in den Lebenslauf des 42-Jährigen zu passen. Jahrelang arbeitete er bei einem renommierten Poesieverlag in Lissabon, bevor es ihn wieder zurück auf die Heimatinsel Terceira zog. Atmo Greifstapler Der Hafen liegt im Süden einer lang gezogenen Bucht. Zwischen Hafenbecken und der Kaimauer verlieren sich rund 200 Container auf einem großen Areal. Ein Greifstapler wuchtet ein paar Container durch die Luft und zieht dann auf dem menschenleeren Asphalt einsam seine Runden. Sandro Paim bleibt am Wasser stehen. Helles Hemd, modische Frisur, das Handy klingelt immer wieder: Der Präsident der Handelskammer ist hauptberuflich Autohändler, und deshalb ganz besonders abhängig von den Transportpreisen. „Für einen 20-Fuß-Container zahlen wir hier auf den Azoren einen Aufschlag von rund 20 bis 30 Prozent auf den Normalpreis. Und diese Mehrkosten hemmen das Wirtschaftswachstum auf der Insel. Wir leben hier natürlich vom Tourismus; aber eine Wirtschaft darf nicht nur vom Dienstleistungssektor abhängen. Wir brauchen Investitionen und eine stärkere Export-Industrie.“ Atmo Hafenbecken: Zurzeit legen jährlich rund 150 Containerschiffe im Hafen von Praia da Vitória an – fast 95 Prozent kommen direkt aus Lissabon und dem nordportugiesischen Hafen Leixões. Die Kosten sind so hoch, weil der Schiffsverkehr Teil der regelmäßigen Versorgung ist, die das portugiesische Festland der abgeschiedenen Region garantiert. Sandro Paim entwickelt mit seinen Kollegen eine Idee: Wenn die Azoren zum Umschlagehafen für den transatlantischen Containerverkehr werden würden, dann müssten die Transportpreise für die azorianischen Exporte automatisch sinken. Atmo Mann spricht Paim versucht das Konzept in simple Worte zu fassen: Kleine Schiffe mit bis zu zwei oder drei Tausend Containern klappern während ihrer einmonatigen Fahrt auf beiden Seiten des Ozeans die Häfen ab, um ihre Ladung an- und abzuliefern, und können dabei nur 70 Prozent ihrer Ladefläche nutzen, weil sie den restlichen Leerraum für die Entladungsmanöver brauchen. Wenn diese kleineren Containerschiffe sich mit Gütern vollpacken und beispielsweise von einem bestimmten amerikanischen Hafen direkt auf die Azoren fahren, können dort die Container auf andere kleine Schiffe gepackt werden, die wiederrum nur einen bestimmten Hafen in Europa anfahren. Das spare Zeit und Geld, sagt Sandro Paim: „Nehmen wir eine Firma in den USA, die High-Tech-Produkte aus Europa importiert. Wenn die Waren wie jetzt bis zu einem Monat unterwegs sind, muss die Firma in Amerika Lagerbestände für einen ganzen Monat anlegen. Sollte der Handel aber über den Umschlagehafen hier auf den Azoren abgewickelt werden, dann dauert es nur zehn Tage und die Kosten für die Lagerhaltung in 1 den USA sind wesentlich geringer. Davon profitiert dann der transatlantische Handel insgesamt, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Region.“ Hafendirektor Miguel Correia nickt zustimmend mit dem Kopf. Das Projekt passt auch in ein weitreichendes Energie-Konzept seiner Behörde. „Die Schiffe, die heutzutage den Atlantik kreuzen, werden noch nicht mit Flüssiggas betrieben. Aber das ist die Energiequelle der Zukunft. Die Lagerung des Gases braucht aber mehr Platz, und wenn die Schiffe ihre Ladekapazität nicht verlieren wollen, müssen sie irgendwo auftanken. Und da kommen wir hier mitten im Atlantik ins Spiel.“ Atmo Hafenwasser Es ist ruhig geworden. Eine Fähre liegt verlassen am Kai, daneben schaukelt ein alter Kahn im seichten Hafenwasser. Ein paar Möwen laufen durch eine große Pfütze. Sonst nichts. Kein Greifstapler, kein Lastwagen, kein Containerschiff weit und breit. Es fällt schwer, sich die blühende Zukunft des Hafens vorzustellen. Miguel Correia schaut über die Kaimauer hinweg aufs weite Meer hinaus. „Wenn wir unseren Träumen keinen Platz geben, dann werden wir es nie zu etwas bringen. Wir begrüßen deshalb jede Idee, die diesem Hafen hier mehr Leben einhaucht. Und trotzdem kommt es am Schluss vor allem darauf an, ob wir hier Wirtschaftsfachleute finden, die ein solches Projekt stemmen können? Das wird die große Frage.“ Musik Ungewisse Zukunft – Die Azoren suchen ein neues Geschäftsmodell. Das waren die Gesichter Europas an diesem Samstag. Eine Sendung mit Reportagen von Tilo Wagner. Die Lyrik von Sophia de Mello Breyner Andresen entnahmen wir dem Band Gedichte, erschienen bei Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 2010, gelesen von Suzanne Reuter.. Musik und Regie: Babette Michel; Ton und Technik: Eva Pöpplein und Oliver Dannert. Redakteur am Mikrofon war Norbert Weber Musik 1
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