Presseinformation »Automatisierter Kälteschlaf

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9. März 2016 || Seite 1 | 3
Automatisierter Kälteschlaf
Automatisierte Prozesse, wie sie im Automobilbau üblich sind, findet man in
der Pharmaindustrie selten. Der Grund: Die Abläufe sind komplex und erfordern
Fingerspitzengefühl. Der CryoMAT ist das erste Gerät, das Zellproben selbstständig bearbeiten und auf kleinem Raum tiefkühlen kann – ohne dass ein
Laborant dafür auch nur einen Finger krümmen muss.
Ellbogen aufsetzen, Pipette positionieren, auf den Knopf drücken. Immer derselbe Ablauf, immer dieselben Muskeln, die gefordert sind – dutzende, hunderte Male hintereinander. Laborarbeit kann anstrengend sein und führt nicht selten zu körperlichen
Problemen wie dem »Tennisarm«. Bisher gab es wenig Alternativen zur ermüdenden
Handarbeit. Doch das kann sich bald ändern.
Der CryoMAT, den Forscher der Fraunhofer-Projektgruppe für Automatisierung in der
Medizin und Biotechnologie in Mannheim entwickelt haben, kann Zellproben vollautomatisch katalogisieren, Lösungen pipettieren, durchmischen, umfüllen und einfrieren.
Während die Anlage vollkommen autonom arbeitet, haben die Laboranten Zeit für
andere Aufgaben – der CryoMAT schickt eine SMS, sobald der Job erledigt ist.
Eineinhalb Jahre haben die Fraunhofer-Forscher an der neuen Technik getüftelt. »Der
Kunde, ein skandinavisches Pharmaunternehmen, hatte ganz konkrete Vorstellungen.
Er wollte eine vollautomatisierte Anlage, die Zellkulturen bearbeiten und auf die Lagerung in flüssigem Stickstoff vorbereiten kann. Die Anlage sollte außerdem schnell sein
und wenig Platz benötigen«, erinnert sich Christian Reis. Zusammen mit seinem Team
hat er technologisches Neuland betreten: »So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben.
Die Automatisierung ist in Zellkulturlaboren noch lange nicht so weit fortgeschritten
wie im Automobilbau. Bei der Entwicklung und Produktion neuer Wirkstoffe sind viele
Schritte noch Handarbeit.«
Um die Möglichkeiten der Automatisierung auszuloten, mussten die Fraunhofer-Forscher
mehrmals von Mannheim nach Skandinavien reisen, den Mitarbeitern des Pharmakonzerns auf die Finger schauen und die Prozesskette analysieren. »Da war es gut, dass wir
sehr interdisziplinär aufgestellt sind«, erklärt Reis. Er selbst ist Biotechnologe, zum Team
gehören aber auch Elektrotechniker, Mechatroniker und Physiker. »Man muss die Probleme des Kunden verstehen, wenn man sie lösen will«, resümiert der Wissenschaftler.
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9. März 2016 || Seite 2 | 3
Automatisiertes Einfrieren der bearbeiteten Zellproben. (Quelle: Fraunhofer IPA)
Die Anforderungen des Pharmaunternehmens sind hoch: Um neue Wirkstoffe zu gewinnen, nutzen die Spezialisten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung Zellen,
die gentechnisch manipuliert sind. Diese produzieren Enzyme oder Antikörper. Doch
nicht jede Zelllinie ist gleich. Winzige Unterschiede entscheiden drüber, wie effektiv die
Proteine sind. Um herauszufinden, welche Zellen sich am besten für die Herstellung bestimmter Enzyme oder Antikörper eignen, muss man deren Wirksamkeit testen und derweil die unterschiedlichen Zellkulturen konservieren. An diesem Punkt kommt die Cryotechnik ins Spiel: Sie erlaubt das Einfrieren lebender Zellen, ohne dass diese dabei Schaden
nehmen – bei Bedarf lassen sie sich auftauen und für die Produktion des gewünschten
Wirkstoffs nutzen.
Nun ist das Einfrieren von lebenden Zellen nicht ganz trivial. Würde man die Proben einfach in den Tiefkühlschrank stecken, würden sich Eiskristalle bilden, die die Membranen
zerstören. Um Schäden zu verhindern, muss die Nährlösung daher zunächst durch Frostschutzmittel ersetzt werden. Erst dann kann man die Temperatur absenken.
Der CryoMAT erledigt all diese Schritte ohne menschliches Zutun: Er erkennt die Barcodes auf den Zellkulturgefäßen, liest sie aus und katalogisiert sie, sortiert die Probengefäße, pipettiert die Proben, füllt sie um, schließt die Gefäße und transportiert sie in
den kleinen Tiefkühlschrank bei minus 80 Grad Celsius. Durch eine Plexiglasscheibe kann
man zusehen, wie Roboterarme hin- und herfahren, Pipetten aufnehmen und wieder
absetzen, Verschlüsse auf- und zudrehen, Mikrotiterplatten mit Proben balancieren und
am Ende die Cryogefäße im Tiefkühlschrank versenken. All das geht zügig, koordiniert,
reibungslos.
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Was man nicht sieht: In der Apparatur steckt jede Menge Tüftelarbeit. »Wir konnten nur
zum Teil bestehende Technologien nutzen. Aber es gab zum Beispiel keinen Pipettierautomaten, der mit Volumina von 10 Millilitern und Zellkulturflaschen arbeiten kann, den
mussten wir neu entwickeln«, erinnert sich Reis. Eine andere Hürde: In den Probengläschen sanken die Zellen auf den Boden, statt sich gleichmäßig im Frostschutzmittel zu
verteilen. Um dieses Problem zu lösen, mussten die Fraunhofer-Forscher einen eigenen
Arbeitsschritt einbauen, der Zellen und Flüssigkeiten besser durchmischt.
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Doch die Mühe hat sich gelohnt: Der Auftraggeber ist zufrieden und Reis ebenfalls: »Es
macht einfach Spaß, wenn man eine Anlage so entwickelt, dass sie beim Kunden gut
funktioniert.« (Monika Weiner)
Fachlicher Ansprechpartner
Christian Reis | Telefon +49 621 17207-120 | [email protected] | Fraunhofer IPA, Projektgruppe für Automatisierung in der
Medizin und Biotechnologie PAMB | http://pamb.ipa.fraunhofer.de
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, kurz Fraunhofer IPA, ist mit annähernd 1 000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern eines der größten Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Das Jahresbudget beträgt über 60 Millionen Euro, davon stammt mehr als ein
Drittel aus Industrieprojekten. Organisatorische und technologische Aufgaben aus der Produktion sind Forschungsschwerpunkte des Instituts. Methoden, Komponenten und Geräte bis hin zu kompletten Maschinen und Anlagen werden entwickelt, erprobt und umgesetzt. 13 Fachabteilungen
arbeiten interdisziplinär, koordiniert durch 6 Geschäftsfelder, vor allem mit den Branchen Automotive, Maschinen- und Anlagenbau, Elektronik und
Mikrosystemtechnik, Energiewirtschaft, Medizin- und Biotechnik sowie Prozessindustrie zusammen. An der wirtschaftlichen Produktion nachhaltiger
und personalisierter Produkte orientiert das Fraunhofer IPA seine Forschung. In cyberphysischen Produktionsprozessen liegen die Themen der Zukunft.