OLG Dresden Vergabesenat Entscheidungs

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Langtext Gericht:
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
Dokumenttyp:
OLG Dresden Vergabesenat
07.07.2015
Quelle:
Norm:
Zitiervorschlag:
Verg 3/15
Beschluss
§ 99 GWB
OLG Dresden, Beschluss vom 07.
Juli 2015 – Verg 3/15 –, juris
weitere Fundstellen
IBR 2016, 27 (red. Leitsatz, Kurzwiedergabe)
Verfahrensgang
vorgehend Vergabekammer des Freistaates Sachsen 1. Vergabekammer, 27. April 2015, Az: 1/SVK/01215, Beschluss
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer
des Freistaates Sachsen vom 27.04.2015 - 1/SVK/12-15 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen (die diese selbst trägt) hat der Antragsgegner zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf bis zu 25.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner berechtigt ist, die Beigeladene mit Leistungen zum Betrieb einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in L. zu beauftragen, ohne dafür zuvor ein wettbewerbliches Verfahren durchgeführt zu haben. Die Antragstellerin, die ein eigenes Interesse an der Erbringung dieser Leistungen geltend macht, verneint ein solches Recht;
der Antragsgegner nimmt es in Anspruch, weil er meint, die Beauftragung der Beigeladenen erfolge auf der Grundlage eines mit ihr bereits 2014 geschlossenen Vertrages, der mit dem Standort in L. lediglich einen erweiterten Anwendungsbereich erhalte.
2
Tatsächlich haben Antragsgegner und Beigeladene zum 01.06.2014 nach vorangegangenem
Vergabeverfahren, an dem sich seinerzeit auch die Antragstellerin beteiligt hatte, einen Vertrag
„zum Betrieb der im Freistaat Sachsen errichteten Aufnahmeeinrichtung nach § 44 AsylVfG“ auf
einer Liegenschaft in C. mit einer Laufzeit von vier Jahren und einer Verlängerungsmöglichkeit
um zweimal jeweils ein weiteres Jahr geschlossen. Der Vertrag sieht in § 3 Abs. 4 vor, dass der
Antragsgegner sich vorbehalte, „zusätzliche geeignete Unterbringungskapazitäten im Freistaat
auch außerhalb der Liegenschaft bereit zu stellen“. Für diesen Fall berechtigt der Vertrag den
Antragsgegner, vom Betreiber eine entsprechende Erweiterung seiner Leistungen zu verlangen;
umgekehrt trifft der Vertrag „für die Inanspruchnahme der Option nach § 3 Abs. 4 Betreibervertrag“ eine ergänzende Entgeltregelung zu Gunsten des Betreibers.
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Bereits in dem 2013/2014 durchgeführten Vergabeverfahren hatte der Antragsgegner angekündigt, die Unterbringungskapazität in der Aufnahmeeinrichtung schrittweise von ursprünglich
520 auf 900 Plätze zu erhöhen. Außerdem wurden im Verlauf dieses Auswahlverfahrens weitere Unterbringungsplätze am Standort S., also außerhalb von C., in die Vergabe einbezogen. Auf
Bieternachfragen, auch seitens der Antragstellerin, hatte der Antragsgegner dabei angegeben,
dass er die Außenstelle S. als zusätzliche geeignete Unterbringungskapazität im Sinne von § 3
Abs. 4 Betreibervertrag ansehe; die Antragstellerin hatte das hingenommen. Der Antragsgegner zieht daraus den Schluss, die Antragstellerin sei unter diesen Umständen mit Einwendungen
gegen eine nochmalige Ausweitung der Unterbringungsplätze, wie sie in L. anstehe, verfahrensrechtlich wie materiell-rechtlich ausgeschlossen.
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Die Vergabekammer hat sich dem auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluss nicht angeschlossen und festgestellt, dass die Antragstellerin durch die
beabsichtigte Beauftragung der Beigeladenen mit Leistungen des Betriebs der Erstaufnahmeeinrichtung am Standort L., ...straße, aufgrund des mit der Beigeladenen geschlossenen Betreibervertrages und außerhalb eines wettbewerblichen Verfahrens in ihren Rechten verletzt werde.
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Dagegen hat der Antragsgegner in zulässiger Weise sofortige Beschwerde erhoben und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin ist dem mit dem Antrag entgegengetreten, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten der jeweiligen Begründung wird auf die angegriffene Entscheidung und
den vorgetragenen Inhalt der im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
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Die Beschwerde ist unbegründet. Denn die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit
zutreffenden Erwägungen, auf die verwiesen wird, als zulässig und begründet angesehen. Der
Senat teilt die Auffassung der Kammer, dass der zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen 2014 geschlossene Betreibervertrag es im Ergebnis nicht rechtfertigt, die vorgesehene
Erweiterung der Unterbringungskapazitäten am Standort L. vorzunehmen, ohne dafür ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen.
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Dabei verkennt der Senat nicht, dass der vorgenannte Vertrag zwischen dem Antragsgegner
und der Beigeladenen wirksam zustandegekommen sein wird und die darin enthaltene Optionsklausel (§ 3 Abs. 4) deshalb unmittelbar einer vergaberechtlichen Nachprüfung nicht mehr zugänglich ist. Darum geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Denn Gegenstand dieses Nachprüfungsverfahrens ist nicht die vertragliche Wirksamkeit der Optionsklausel als solcher, sondern
die Frage, ob die Beschaffung von Betreiberleistungen am Standort L. durch den Antragsgegner
ohne wettbewerbliches Verfahren durch die Erweiterungsklauseln des vorhandenen Vertrages
erfasst und gedeckt ist. Diese Frage ist, in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Vergabekammer, zu verneinen.
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Die Antragstellerin ist schon verfahrensrechtlich mit ihrem Nachprüfungsbegehren nicht etwa
präkludiert. Denn auch wer als Bieter eine in ihrem Anwendungsbereich gegebenenfalls zweifelhafte Optionsklausel in einem früheren Verfahren hingenommen hat (etwa auch deshalb, weil
bereits das Eintreten eines späteren Optionsfalls offen gewesen sein mag), ist nicht gehindert,
dass nochmalige Gebrauchmachen von dieser Option aus Anlass einer neuerlichen öffentlichen
Leistungsvergabe nachprüfen zu lassen, und dies mit Erfolg, wenn die Option eine vergabeverfahrensfreie Beschaffung zusätzlicher Leistungen durch den öffentlichen Auftraggeber nicht zu
rechtfertigen vermag. So liegt der Fall hier.
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Denn die beabsichtigte Vergabe von Betreiberleistungen an einem zusätzlichen Standort in L.
mit einer Unterbringungskapazität von bis zu 350 Plätzen stellt eine wesentliche Änderung des
ursprünglich vorgesehenen Leistungsumfangs dar, welche ohne erneutes wettbewerbliches Ver- Seite 2 von 3 -
fahren keine hinreichende vergaberechtliche Grundlage hätte. § 3 Abs. 4 des Betreibervertrages
von 2014 könnte seinem Wortlaut nach sogar dafür sprechen, dass die Option auf Erweiterungen der Unterbringungskapazität „außerhalb der Liegenschaft“ einen gewissen räumlichen Bezug zum Standort C. voraussetze. Einer solchen Auslegung sind der Antragsgegner und der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zwar entgegengetreten.
Sie haben sich übereinstimmend darauf berufen, dass nach ihrem gemeinsamen Vertragsverständnis, welches auch der damaligen Ausschreibung zugrunde gelegen habe, selbst bei einer
Vervielfachung der Asylbewerberzahlen zusätzliche Unterbringungsaußenstellen an beliebigen
Standorten innerhalb des Freistaates Sachsen von der Optionsklausel erfasst sein sollten. Aber
gerade wenn man dies unterstellt, verliert die Klausel jegliche fassbare Begrenzung zum Umfang der gegebenenfalls zusätzlich zu beschaffenden Leistungen. Der Antragsgegner hat zwar
das Recht, nach dem ursprünglichen Vertrag ihrer Art nach bestimmte Leistungen gegen ein
vorab geregeltes Entgelt vom Betreiber abzufordern. In welchem Umfang und an welchem Ort
diese Leistungen zu erbringen wären, ist aber - das liegt in der Natur des Beschaffungsgegenstands - in keiner Weise vorhersehbar. Demgegenüber muss grundsätzlich bereits die ursprüngliche Ausschreibung eindeutig erkennen lassen, unter welchen Umständen der abzuschließende
Vertrag wann und wie geändert werden kann; damit sind dem Umfang nach theoretisch unbegrenzte Ausweitungen der Leistungsmenge, zumal bei unbekanntem Leistungsort, kein tauglicher Gegenstand von Erweiterungsklauseln, auf die zur Rechtfertigung einer späteren Auftragsvergabe ohne wettbewerbliches Verfahren zurückgegriffen werden könnte. Stellt sich aber damit eine Beschaffung von Leistungen, wie hier in L., als wesentliche Änderung des Gegenstands
eines öffentlichen Auftrags während seiner Geltungsdauer heraus, so ist diese Beschaffung, ungeachtet einer vertraglich vorgesehenen Möglichkeit der Leistungsausweitung, als Neuvergabe
anzusehen, erfordert mithin auch und gerade verfahrensrechtlich die Einhaltung der vergaberechtlichen Auswahlvorschriften.
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Dem Senat steht durchaus vor Augen, dass dies den Antragsgegner, bei unkalkulierbaren
Schwankungen von Asylbewerber- und Flüchtlingszahlen, vor zusätzliche Herausforderungen
stellt. Dem kann, worauf auch die Vergabekammer bereits hingewiesen hat, für gewisse Übergangszeiträume durch die Interimsvergabe von Leistungen Rechnung getragen werden. Die
langfristige Leistungsbeschaffung über etliche Jahre hinweg durch Einschaltung privater Betreiber von zusätzlichen Unterbringungsstandorten mit nennenswerten Unterbringungskapazitäten
ist aber ohne ein geordnetes Vergabeverfahren rechtlich nicht statthaft. Insbesondere lässt sich
der gesetzlich geforderte Bieterwettbewerb für umfangreiche Kapazitätsausweitungen an bisher nicht betroffenen Standorten nicht durch eine Optionsklausel der hier in Rede stehenden Art
ausschalten.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 120 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB, der festgesetzte
Verfahrenswert aus § 50 Abs. 2 GKG, wobei der Senat von einem Mindestauftragswert von mehr
als dem Doppelten des vergaberechtlichen Schwellenwertes ausgeht.
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