Rechtsgutachten - Zusammenfassung

Assoz. Univ.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer
Rechtsanwalt Ass.-Prof. Dr. Mathis Fister
RECHTSGUTACHTEN
zur Frage der verfassungs- und unionsrechtlichen Zulässigkeit eines
gesetzlichen „Zwangsrabatts“ auf Arzneimittel
erstattet über Auftrag des
FOPI – Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich
Zusammenfassung der verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken
Zu beurteilen ist eine in Aussicht genommene gesetzliche Regelung, der zufolge vertriebsberechtigte Unternehmen zur Wahrung der Finanzierbarkeit
der Krankenversicherung verpflichtet werden, einen nachträglichen Rabatt
(„Finanzierungssicherungsbeitrag“) auf ihren jährlichen Umsatz zu gewähren. Der Finanzierungssicherungsbeitrag soll für den Umsatz von Arzneispezialitäten im Grünen Bereich des Erstattungskodex 3% zzgl 10% USt
(bei einem außer Betracht bleibenden Sockelbetrag von 2 Millionen Euro)
betragen, für Arzneispezialitäten im Gelben und Roten Bereich des Erstattungskodex 7% zzgl 10% USt (bei einem außer Betracht bleibenden Sockelbetrag von 1 Million Euro) und für Arzneispezialitäten, die nicht im Erstattungskodex angeführt sind, 15% zzgl 10% USt (ohne Berücksichtigung
eines Sockelbetrags).
Gegen eine derartige Regelung bestehen zusammenfassend folgende verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken:
• Eigentumsgarantie (Art 5 StGG, Art 1 1. ZP-EMRK)
Unter den gegebenen Umständen verletzt die in Aussicht genommene
gesetzliche Regelung das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums,
weil sie sich – ungeachtet des an der Aufrechterhaltung der Finanzierbarkeit der Krankenversicherung bestehenden öffentlichen Interesses –
als unverhältnismäßig erweist:
Das österreichische Sozialversicherungsrecht etabliert ein mehrstufiges
System zur Sicherstellung größtmöglicher Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf Arzneimittel. Dieses sieht eine restriktive Preisbildung bereits anlässlich der Aufnahme einer Arzneispezialität in den Erstattungskodex vor, die „angemessene“ Arzneimittelkosten zum Ziel hat. Durch jeden weiteren, der Höhe nach unverhältnismäßigen Rabatt wären die Preise zwangsläufig nicht mehr angemessen. Dies trifft auf den in Aussicht genommenen, den gesundheitsökonomischen Rahmenbedingungen nicht entsprechenden Zwangsrabatt
in der Höhe von 3% bis 15% zu.
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• Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG)
Aus denselben Erwägungen, wie sie zur Eigentumsgarantie angestellt
wurden, bedeutet die in Aussicht genommene Regelung auch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit.
• Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG)
Die in Aussicht genommene Regelung verletzt auch den Gleichheitsgrundsatz, weil sie im Zusammenwirken mit anderen Preisregelungsvorschriften zu einer Preisbildung für Arzneimittel führt, die im Lichte der
gegenwärtig gegebenen ökonomischen Rahmenbedingungen am Gesundheitsmarkt jenseits der ökonomischen Angemessenheit und Notwendigkeit liegt.
Zudem verletzt die Regelung den Vertrauensschutz der vertriebsberechtigten Unternehmen: Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der
Wahrung der Finanzierbarkeit der Krankenversicherung kann den intensiven und plötzlichen („überfallsartigen“) Eingriff in die Rechte der vertriebsberechtigten Unternehmen nicht aufwiegen.
Schließlich verletzt der Gesetzesentwurf auch deswegen den Gleichheitsgrundsatz, weil er zwischen verschiedenen vom Zwangsrabatt betroffenen Arzneispezialitäten unsachliche Differenzierungen in Ansehung von Rabattsätzen und Sockelbeträgen trifft.
• Warenverkehrsfreiheit (Art 28 und 34 AEUV), sekundäres Arzneimittelrecht und Preistransparenzrichtlinie 89/105/EWG
Staatliche Maßnahmen, die die Genehmigung des Inverkehrbringens eines Arzneimittels im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zwar nicht unmittelbar (formal) widerrufen, jedoch im Wege der gesetzlichen Gestaltung der ökonomischen Rahmenbedingungen des Inverkehrbringens die
Genehmigung faktisch ins Leere laufen lassen, sind unionsrechtswidrig.
Diese Grenze wird durch den in Aussicht genommenen Zwangsrabatt
überschritten. Ferner entspricht die konkrete Ausgestaltung des Zwangsrabatts nicht den Anforderungen der Preistransparenzrichtlinie 89/105/
EWG.
Im Ergebnis ist der gesetzliche Zwangsrabatt wegen Widerspruchs zur Eigentumsgarantie, zur Erwerbsfreiheit und zum Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig und wegen Widerspruchs zur Warenverkehrsfreiheit und zu
sekundärem Arzneimittelrecht sowie wegen Widerspruchs zur Preistransparenzrichtlinie 89/105/EWG unionsrechtswidrig.