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Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Medikamenteninduzierte Vaskulitis
Zusammenfassung
Eine durch Medikamente induzierte Purpura sollte stets in Betracht gezogen werden, wenn
typische Hautveränderungen nach dem Verordnen eines neuen Medikaments auftreten. Da
es aber auch Fälle gibt, bei denen sich erst nach längerer Zeit die Antikörper entwickeln,
müssen auch Medikamente berücksichtigt werden, die unter Umständen schon über Monate
eingenommen wurden. Entscheidend ist die frühe Diagnose, weil bei sofortigem Absetzen
Höffler, D.
Creutzig, A.
des Medikaments zumeist bleibende Schäden an anderen stark durchbluteten Organen
(Niere, Lunge) vermieden werden können oder sich – wenn schon vorhanden – zurückbilden.
Eine große Palette von Arzneimitteln kann eine solche Purpura hervorrufen.
Abstract
Drug-induced purpura should be considered as diagnosis if typical skin manifestations
appear immediately after a new drug prescription. However, the time lag between first prescription of the incriminated compound and onset of dermatological symptoms can last up
to months. Early diagnosis and ceasing of the medication is critical to prevent internal
organs from persisting damages, such as kidney and lung. Numerous drugs can trigger a
purpura.
Der Fall
Ein 82-jähriger multimorbider Patient, bei dem eine Herzinsuffizienz Grad III im Vordergrund steht, klagt seit 10–12 Tagen über ein Druckgefühl im Unterbauch, Durchfall und
Erbrechen. An beiden Beinen zeigen sich herpetiforme Exantheme. Die eGFR liegt bei 49
ml/min. Das Hb beträgt 7,1 g/dl, das CRP 79,7 mg/l, p-ANCA sind positiv, die c-ANCA
negativ. Es wird eine Hautbiopsie durchgeführt, die perivaskuläre Infiltrate und in den betroffenen Kapillaren Endothelproliferationen und perivaskuläre mesenzymzellige Reaktionen
zeigt. Die histologische Diagnose lautet: leukozytoklastische Vaskulitis.
Da der Patient etwa einen Monat zuvor erstmals auf Pradaxa® (Dabigatran), 2 x 110 mg
tgl. eingestellt worden war, und kurz darauf die ersten Hauterscheinungen auftraten,
wurde ein Kausalzusammenhang vermutet. Pradaxa® wurde abgesetzt und eine Prednisolon-Behandlung begonnen. Hierunter verschwand der Hautausschlag rasch.
Welche Medikamente können eine solche Vaskulitis hervorrufen?
In der Literatur (www.pubmed.com) fanden wir einen Bericht über eine bioptisch gesicherte kutane Vaskulitis im Zusammenhang mit Dabigatran (6). Es werden zudem
einige Fälle von „rash“ (Ausschlag) beschrieben.
In der Datenbank des deutschen Spontanmeldesystems sind insgesamt etwa 500 Fälle
von Hypersensitivitätsvaskulitis erfasst, darunter fünf Fälle, in denen Dabigatran als vermutlich ursächlich angegeben wird. Zu den Arzneimitteln, die häufiger mit dieser
Reaktion in Verbindung gebracht werden, zählen auch Rivaroxaban (zwölf Meldungen)
und Phenprocoumon (zehn Meldungen). Es gibt eine lange Liste von Medikamenten, die
in der Lage sind, eine medikamentös induzierte Purpura hervorzurufen. In Übersichtsarbeiten (1;2) wird besonders auf Propylthiouracil und Minocyclin hingewiesen, für die wie-
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derholt Fälle publiziert wurden. Doch fehlen Zahlen zur Inzidenz. Auch Medikamente, die
den Tumornekrosefaktor hemmen, wie Adalimumab, Etanercept und Infliximab, werden
genannt.
Diagnose und Differenzialdiagnose
Die kutane Kleingefäßvaskulitis, wie das Krankheitsbild in den 2012 revidierten Kriterien
der Chapel Hill Consensus Conference genannt wird, fällt in der Regel mit palpabler Purpura der unteren Extremitäten auf. Sie wird auch Hypersensitivitätsvaskulitis oder leukozytoklastische Vaskulitis genannt. Man versteht unter Purpura eine kleinfleckige Kapillarblutung in der Unterhaut und/oder den Schleimhäuten, also Petechien. Im Gegensatz zu
einem Erythem verschwinden die Flecken nicht bei Druck auf die entsprechende Stelle.
Den Kleingefäßvaskulitiden gemeinsam ist die Ablagerung von Immunkomplexen von zirkulierenden Antikörpern. Sie aktivieren das Komplement. Die Entzündungsreaktion der
postkapillären Venolen zerstört leicht die dünnen Wände und zieht Einblutungen in die
durch das Infiltrat hervorgerufenen Papeln nach sich. Daraus ergibt sich das klinische Bild
der palpablen Purpura (5). Im Laufe der Zeit färben sich die meist kreisförmigen Flecken
durch den Abbau des Hämoglobins braun, dann grün und schließlich gelb.
Die Hälfte der Kleingefäßvaskulitiden wird als idiopathisch angesehen, die andere
Hälfte tritt nach Medikamenteneinnahme und postinfektiös auf – häufig nach respiratorischem Infekt mit beta-hämolysierenden Streptokokken A oder einer Hepatitis C Infektion. Eine sichere ätiologische Zuordnung gelingt indes häufig nicht.
Die medikamenteninduzierte Vaskulitis erscheint meist in engem zeitlichen Zusammenhang von sieben bis zehn Tagen mit der Medikamentenneugabe, kann aber unter
Umständen auch erst ein halbes Jahr nach der Einnahme des neuen Medikamentes auftreten. Voraus gehen der Purpura oft grippeähnliche Symptome wie leichtes Fieber, Gliederschmerzen, allgemeine Abgeschlagenheit. Das Labor zeigt eine der Schwere der Erkrankung korrelierte Anämie. BSG und CRP sind erhöht. Medikamente können auch eine
ANCA-assozierte Vaskulitis auslösen (2). Bei Mitbefall der Niere (als einem wie die Haut
stark durchdurchblutetem Organ) findet sich eine Kreatininerhöhung (Abfall der eGFR)
sowie eine Erythrozyturie und Proteinurie. Da auch die Lunge ein sehr stark durchblutetes
Organ ist, kann auch sie befallen werden. Klinische Symptome sind aber nur in schwersten Fällen zu fassen.
Differenzialdiagnostisch gegenüber der hier beschriebenen medikamentenallergischen
Vaskulitis sind andere Mitglieder der Gruppe der Kleingefäßerkrankungen zu beachten.
Diese sind besonders die Purpura Schönlein-Henoch und die essentielle kryoglobulinämische Vaskulitis. Alle drei Erkrankungen gehören zu den Immunkomplexvaskulitiden. Eine
Übersicht gibt Tabelle 1. Auch findet man eine Kleingefäßvaskulitis bei einem Lupus erythematodes, einer rheumatoiden Arthritis oder Dermatomyositis sowie einer ANCA-assozierten Vaskulitis mit überlappender Beteiligung von kleinen und mittelgroßen Gefäßen
sowie bei Malignomen (3).
Zur Sicherung der Diagnose sollte möglichst eine Hautbiopsie durchgeführt werden.
Die histopathologische Aufarbeitung kann auch Hinweise auf eine zu Grunde liegende Erkrankung geben (Übersicht bei (4)). Nur in besonderen Fällen wird eine Nierenbiopsie erArzneiverordnung in der Praxis Band 43 Heft 1 Januar 2016
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Tabelle 1: Übersicht: Immunkomplexvaskulitiden
Erkrankung
Klinik
Ätiologie, Pathogenese
Labor
Therapie
Medikamentenallergische
Vaskulitis
meist beschränkt auf die
Haut, meist keine Nierenbeteiligung
Medikamente
BSG, CRP, Anämie
Absetzen des Medikaments (siehe auch Tabelle 2)
Purpura Schönlein-Henoch
Purpura, Arthralgie, abdominelle Koliken, Nierenbeteiligung häufig
vorangegangene A-Streptokokken-Infekte;
IgA-haltige Immunkomplexe in Haut- und Nierengewebe (Biopsie)
Anämie, CRP
Beseitigung des Streptokokken-Infektes,
Prophylaxe eines erneuten Infektes, evtl.
Glukokortikoide
Essentielle kryoglobulinämische
Vaskulitis
Purpura, Arthralgie, Nierenbeteiligung häufig
mit Hepatitis C assoziiert
Anämie, CRP, Komplementverminderung, Kryoglobuline
nachweisbar
Behandlung der Hepatitis
forderlich sein, noch seltener eine Lungenbiopsie. Ganz entscheidend ist die Frage, ob die
Purpura verschwindet, wenn das angeschuldigte Arzneimittel abgesetzt wird. In aller
Regel kommt es dann zu einer Rückbildung der Purpura und auch der Kreatininerhöhung
und Erythrozytenausscheidung. Ist dies nicht der Fall, müssen spezialisierte Zentren in
Anspruch genommen werden.
Therapie
Die therapeutischen Möglichkeiten sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Da randomisierte
Studien nicht vorliegen, muss nach allgemeinen Prinzipien und Erfahrung behandelt werden. Ganz entscheidend ist, dass bei früh gestellter Diagnose Organschäden im Allgemeinen vermeidbar und/oder reversibel sind. Insofern sollte die größte Mühe auf die Früherkennung gelegt werden. In diesen früh erkannten Fällen kommt es meist zu einer
restitutio ad integrum. Die meisten Episoden einer auf die Haut beschränkten Kleingefäßvaskulitis klingen ohne Therapie mit einer Hyperpigmentierung ab und rezidivieren nicht.
Tabelle 2: Symptome und Therapie (nach (2))
Symptomatologie
Therapie
ohne erkennbare Organbeteiligung (Serumkreatinin
normal, keine Erythro- und/oder Albuminurie)
Absetzen des Medikamentes, Kontrollen
Organbeteiligung erkennbar
Kortikosteroide
schwere Organbeteiligung, z. B. schwere nekrotisierende Glomerulonephritis
Methylprednisolon-Stoßtherapie, danach Kortikosteroide + Immunsuppressiva
massive Lungenblutung
Plasmapherese
Fazit für die Praxis
Eine Reihe von verschiedenen Medikamenten kann eine Vaskulitis auslösen. Neu angesetzte Medikamente der letzten sechs Monate kommen dafür infrage.
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Literatur
1 Berden A, Göceroglu A, Jayne D et al.: Diagnosis and ma-
nagement of ANCA associated vasculitis. BMJ 2012; 344:
e26.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Interessenkonflikte
Ein Interessenkonflikt wird von
den Autoren verneint.
2 Radić M, Martinović Kaliterna D, Radić J. et al.: Drug-in-
duced vasculitis: a clinical and pathological review. Neth J
Med 2012; 70: 12-17.
3 Micheletti RG, Werth VG: Small vessel vasculitis of the
skin. Rheum Dis Clin North Am 2015; 41: 21-32.
4 Goeser MR, Laniosz V, Wetter DA: A practical approach to
the diagnosis, evaluation, and management of cutaneous
small-vessel vasculitis. Am J Clin Dermatol 2014; 15: 299306.
5 Sunderkötter C: Hautmanifestationen der verschiedenen
Vaskulitiden. Z Rheumatol 2013, 72: 436-444.
6 Cakmak MA, Sahin S, Cinar N, Karsidag S: Adverse skin
reaction caused by dabigatran. Eur Rev Med Pharmacol
Sci 2014; 18: 2595.
Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Darmstadt
[email protected]
Prof. Dr. med. Andreas Creutzig, Hannover
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