Liebe Gemeinde, um Michaeli 2015 wird die Christengemeinschaft ihren fünften Mondknoten haben. Der erste Mondknoten zeichnete sich durch das Verbot im Jahre 1941 aus. Der zweite: durch den Tod von Emil Bock, dem damals bedeutendsten Vertreter unseres Geisteslebens. Das rief die Notwendigkeit auf den Plan, das Geistesleben nicht ausschließlich auf die Wirksamkeit von einigen wenigen Persönlichkeiten zu fokussieren, sondern eine breitere Basis dafür zu schaffen. Der dritte brachte die grundlegenden Änderungen in der Art der Zusammenarbeit in den führenden Gremien unserer Bewegung und in der Priesterschaft als Ganzes mit sich. Es wurde dabei deutlich, dass das Rechtsleben in Bezug auf die Fragen der zwischenmenschlichen Beziehungen und Kollegialität sich auf Dauer den Bedürfnissen des Geisteslebens nicht gewaltsam unterordnen lässt. Der vierte wurde eingeleitet durch die Urachhaus-Krise und erweckte das Bewusstsein dafür, dass auch das Wirtschaftsleben sich allein von den Idealen des Geisteslebens nicht bestimmen lässt. Ein jeder Mondknoten bedeutete eine Verabschiedung von den alten, gestandenen, bewährten Formen und Vorstellungen zugunsten der neuen, anfangs noch formlosen Lebensimpulse und Inspirationen. Die alten Formen mussten sich auflösen, damit die neuen Lebensimpulse zu ihrer Entfaltung kommen konnten. Der Charakter des fünften Mondknotens Es stellt sich die berechtigte Frage nach dem Charakter des fünften Mondknotens. Hier wird es um die Zusammenarbeit der verschiedenen karmischen Strömungen gehen, die für die zukünftige Entwicklung der Christengemeinschaft maßgebend sind. Und zwar handelt es sich um folgendes: Symptomatisch für den fünften Mondknoten in der Christengemeinschaft ist die sinkende Mitgliederzahl, vor allem aber der mangelnde Nachwuchs in der Priesterschaft. Woran könnte das liegen? Moralische Intuition – moralische Phantasie – moralische Technik Die Idee der Christengemeinschaft, in der sich ein hierarchisches Wesen offenbarte, zeigte sich vor 93 Jahren in den Seelen der Begründer als ein Erneuerungsimpuls. Dadurch entstand die Intention, neue moralische Intuitionen zu fassen und auf der Erde zu verwirklichen. Eine solche Verwirklichung braucht laut R. Steiner dreierlei. In seiner „Philosophie der Freiheit“ spricht er darüber, wie zunächst eine moralische Intuition gefasst wird. Dann muss mit Hilfe der moralischen Phantasie ein Weg (im Sinne eines Projektes und einer Methode) ausgearbeitet werden, auf dem diese Intuition auf der Erde in eine passende Form gebracht werden kann. Weil aber die irdischen Zeit- und Raumverhältnisse ständig variieren, muss die Form nicht nur den Inhalt, also die Intuition berücksichtigen, sondern auch den äußeren Bedingungen angepasst werden. Danach braucht es eine moralische Technik, um das Projekt auszuführen. Das Erstere gehört zu den Aufgaben der Geisteswissenschaft im engeren Sinne. Die Frage des Weges oder der Methode (das Wort Methode ist mit dem griechischen Wort Hodos verwandt und bedeutet „Weg“) ist die Frage der Harmonisierung des Verhältnisses zwischen der Idee und der wahrnehmbaren Wirklichkeit, in der sich die Idee offenbaren soll. Das ist die Aufgabe der spiritualisierten Kunst. Ein Kunstwerk ist aus geistiger Sicht erst dann schön, wenn seine wahrnehmbare Form den geistigen Inhalt voll zur Offenbarung bringt. Die Frage der Technik (vom griechischen Wort Techne > Kunstfertigkeit) ist die Frage der konkreten Handgriffe und Taten, die zur Ausführung des Geplanten führen. Wenn in den Taten wahre moralische Intuitionen umgesetzt werden und die Taten wahrer moralischer Phantasie folgen, so werden sie zu sakramentalen Handlungen, und die moralische Technik wird zur Religion. Die sakrale Tätigkeit verändert die wahrnehmbare Wirklichkeit und bildet dadurch eine weitere Grundlage für die neuen moralischen Intuitionen. Dadurch wird der Kreis geschlossen. Den ersten Prozess können wir in diesem Sinne „Pneumatosophie“ nennen, den zweiten „Methodosophie“, den dritten „Technosophie“. Drei verschiedene Geistesarten Soweit die nähere Betrachtung der Übergänge von der Wissenschaft zur Kunst, von der Kunst zur Religion und von der Religion zur Wissenschaft. Alles zusammen ist die Anthroposophie. In diesem Zusammenhang kann man von drei verschiedenen Geistesarten sprechen. In der Welt der Hierarchien ist diese Dreiheit deutlich zu sehen. Nehmen wir z. B. die erste, höchste Hierarchie – Seraphine, Cherubine, Throne. „Die Seraphim nehmen die höchsten Ideen aus der Trinität entgegen, die Cherubim bauen sie in Weisheit aus, die Throne geben ihre Feuersubstanz zu ihrer Verwirklichung her.“ (Rudolf Steiner, GA 110, 14.4.1909) Die Geister der Liebe empfangen also von der höchsten Gottheit die neuen Ideen. Die Geister der Harmonie entwickeln aus diesen Ideen einen Handlungsplan, der ihren Inhalt mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit harmonisch in Einklang bringen soll. Die Throne verwirklichen die Idee im Physischen nach dem von den Cherubim erstellten Projekt und deren Methode. Unter den Menschen findet man ähnliche Unterschiede der Geistesart. Der eine hat die Begabung, die moralischen Intuitionen als neue Ideen zu fassen. Der andere hat die Fähigkeit, diese Ideen mit Hilfe der moralischen Phantasie in konkrete methodische Vorstellungen zu bringen, die in einem Handlungsplan den wahrnehmbaren Zeit- und Raumverhältnissen angepasst sind. Der dritte, als ein Tatenmensch, hat die Kunstfertigkeit, diese Vorstellungen anhand einer moralischen Technik zu verwirklichen. Aristoteliker und Platoniker Die erste Geistesart ist im eigentlichen Sinne als aristotelische zu verstehen. Es sind die Geisteswissenschaftler im engsten Sinne, die in der Lage sind, moralische Intuitionen zu fassen. Die zweite Geistesart ist die der Platoniker. Sie sind diejenigen Menschen, die fähig sind, die entworfenen Ideen auf geeignetem Wege zur Offenbarung zu bringen und die Formen zu entwickeln, durch die sie in Erscheinung treten können. Im Mittelalter waren es die Zisterzienser-Mönche, die wunderbare harmonische Kunstwerke, beispielsweise die Kathedrale von Chartres, konzipieren konnten. Die Intuitionen, die dabei in Erscheinung getreten sind, wurden jedoch nicht von den Platonikern selber gefasst, sondern stammten aus den alten Mysterienüberlieferungen. Alexandriker Die Tatenmenschen können wir als Zugehörige einer Strömung ansehen, deren Vertreter ich als „Alexandriker“ bezeichne – in Anknüpfung an das Lebenswerk Alexander des Großen, der mit ungeheurem Einsatz als ein Tatenmensch dafür kämpfte, die aristotelische Idee der Ökumene zu verwirklichen. Menschen dieser Geistesart sind sowohl bei der aristotelischen als auch bei der platonischen karmischen Strömung vertreten. Unter den Zisterziensern waren es die „Alexandriker“, die die von den eigentlichen Platonikern entworfenen Baupläne ausgeführt haben. Außerdem setzten sie die Idee der Veredelung und Durchgeistigung der Landschaft und Landwirtschaft in die Praxis um. Noch heute kann man an manchen Orten, wo früher die Zisterzienser gewirkt haben, die wunderbare harmonische Aura spüren, die einst durch die Zusammenarbeit der Platoniker mit den „Alexandrikern“ dort entstanden ist. Die Platoniker haben eine harmonisierende Geistesart, die das ästhetische Gleichgewicht zwischen der geistigen und der sinnlichen Wirklichkeit zu bewahren vermag. Goethe, der selber ein Platoniker war, bringt in seinem Ausspruch auf den Punkt, was die platonische Geistesart ausmacht: „Das Was bedenke, mehr bedenke Wie!“ Das „Was“ steht hier für die moralische Intuition, das „Wie“ für die Methoden, durch die eine Intuition verwirklicht werden kann, und für die Form, in der sie sich offenbart. Die Strömungen in der anthroposophischen Bewegung Am Anfang des letzten Jahrhunderts waren laut R. Steiner in der anthroposophischen Bewegung überwiegend Aristoteliker inkarniert. Die Platoniker mussten dagegen bis zur Jahrhundertwende mit der Inkarnation warten. Und in der Tat, die alten Anthroposophen, die seit den Anfängen der Bewegung mit dabei waren, waren zumeist Persönlichkeiten, die für die Ideenwelt der Anthroposophie offen waren. Sie zeigten jedoch kein besonderes Interesse daran, diese Ideen im praktischen Leben zu verwirklichen. Nach dem ersten Weltkrieg haben sich der anthroposophischen Bewegung mehrere junge Menschen angeschlossen, die einen stärkeren Sinn für die Praxis hatten. Das waren die Vertreter der „alexandrischen“ Geistesart in der aristotelischen karmischen Strömung. Die Platoniker als Bindeglied zwischen den beiden Geistesarten fehlten damals in der Bewegung noch weitgehend. Solange R. Steiner lebte, hatte er – obwohl selber ein Aristoteliker – die fehlende Qualität ergänzt und viele Methoden und Formen entwickelt, mit Hilfe derer man die Anthroposophie in einer angemessenen Weise in die Praxis umsetzen konnte. Die Zusammenarbeit zwischen R. Steiner und Ita Wegman ist ein schönes Beispiel dafür. Ita Wegman als praktizierende Ärztin hatte im Wesentlichen die Aufgabe eines „Alexandrikers“ inne, währenddessen R. Steiner die beiden anderen Geistesarten vertrat. Nach seinem Tod war ohne die harmonisierend-vermittelnde Wirkung der Platoniker das Verständnis der aristotelischen und der „alexandrischen“ Strömung untereinander nicht mehr möglich. Das führte zu den bekannten Konflikten und endete schließlich mit der Spaltung der Gesellschaft. Für die „Kulmination der Anthroposophie“ (Rudolf Steiner) ist jedoch die harmonische Zusammenarbeit aller drei Geistesarten nötig. Weil aber die Christengemeinschaft eine Tochterbewegung der anthroposophischen Bewegung ist, so gilt das oben Beschriebene für sie gleichermaßen. Anforderungen des fünften Mondknotens Die Aufgaben, die ein Mondknoten jemandem stellt, werden entweder bewusst ergriffen und gelöst, oder die Lösung kommt erzwungenermaßen von außen – in Form von Krankheiten, Unfällen, Konflikten u. ä. Die Zeit drängt. Seit einigen Jahren bleiben in den Gemeinden wegen fehlenden Mitarbeiter die Pfarrstellen unbesetzt. Eine Lösung der oben geschilderten Aufgaben kann jedoch eine positive Bewegung in diese Situation bringen. Die Richtigkeit der zu findenden Wege und Methoden kann dann an der Veränderung der Nachwuchssituation und der Mitgliederzahlen geprüft werden. Gemeindeleben für alle drei Geistesarten Wir versuchen in unserem Gemeindeleben bewusst, allen drei Geistesarten gerecht zu werden. Für die Menschen, die sich für die geistigen Inhalte interessieren, sind unsere Vortragsreihen gedacht. Diejenigen, die das religiöse Leben praktizieren wollen, können es durch die Teilnahme an unseren Sakramenten tun. Für diejenigen, die das „Wie“ im goetheschen Sinne üben wollen, gibt es einige Arbeitsgruppen, in denen das Methodische des geistig-religiösen Handelns geübt wird. Damit hoffen wir, den Anforderungen des fünften Mondknotens bewusst zu begegnen. Ihr Armen Tõugu
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