Interaktionsqualität, didaktische Gestaltung und kindliche Bedürfnisse

Julia Höke/ Doris Drexl/ Petra A. Arndt
Interaktionsqualität, didaktische Gestaltung und kindliche
Bedürfnisse – Analyse der Hort- und Ganztagsangebote-Skala für
die Feststellung und Weiterentwicklung von Qualität im
Anfangsunterricht
Zusammenfassung: Aktuelle und vielfältige Herausforderungen in der Grundschulentwicklung, wie z.B. die Realisierung individualisierter und differenzierter Unterrichtsangebote, der Ausbau der Ganztagsbetreuung und nicht zuletzt die Inklusion erfordern eine
Erweiterung der Perspektive auf Unterrichtsqualität auf die Lernumgebung und Aktivitäten
aller Beteiligten. Aspekte wie die Interaktionsqualität zwischen Lehrkraft und Kindern, aber
auch der Kinder untereinander, die Qualität der räumlichen und materialen Ausstattung und
die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse nach Rhythmisierung und sozialer Teilhabe
gewinnen an Bedeutung. Die Hort- und Ganztagsangebote-Skala HUGS (Tietze et al. 2007)
bietet Potential, diese Aspekte nicht nur zu erfassen, sondern auf Basis der Ergebnisse
konkrete Veränderungsimpulse abzuleiten. Der vorliegende Artikel berichtet Forschungsergebnisse einer Untersuchung an 50 Klassen im Anfangsunterricht und stellt dar, wo die
besonderen Stärken der Hort- und Ganztagsangebote-Skala für die Qualitätsentwicklung im
Unterricht liegen.
Schlüsselworte: Unterrichtsqualität, Hort- und Ganztagsangebote-Skala, Grundschule,
Anfangsunterricht
Interaction quality, didactical arrangement and children’s needs – Investigating the
applicability of the School-Age Care Environment Rating Scale (SACERS) for research and
advance of instructional quality in early elementary education
Abstract: Diverse challenges for primary schools currently require a change of perspective
on instructional quality. These are for example the realization of individual support and
differentiated learning, the extension of full-time child care at school and last but not least
the demand for inclusion. Factors such as teacher-child-interaction quality as well as peerpeer-interaction quality, spatial quality, quality of materials, and the consideration of
children‘s needs for rhythm of tension and relaxation and for participation are becoming
more important. The school-age care environment rating scale HUGS (Tietze et al. 2007) is
an instrument with high potential to observe these mentioned factors and infer practical
suggestions for change. The article reports results of our study, observing the instructional
quality in 50 1st-grade lessons and describes particular strengths for developing
instructional quality with HUGS.
Keywords: instructional quality; school-age care environment rating scale, primary school
1
Theoretische Ausgangspunkte und Intention der Untersuchung
Das Paradigma des Kindes als kompetenter Akteur, das seine Bildungsprozesse aktiv mitgestaltet (Laewen/Andres 2002; Schäfer 2005) und dabei von professionellen Pädagogen und
1
Peers im Sinne der Ko-Konstruktion (Fthenakis et al. 2007) unterstützt wird, dominiert aktuelle Diskurse der Elementar- und Grundschulpädagogik (Büker 2015). Relevante Bezugsdisziplinen für die Pädagogik untermauern dieses Bild vom Kind. Befunde aus der Entwicklungs- und Lernpsychologie (Zimpel 2011) und den Neurowissenschaften (Spitzer 2007) belegen einen angeborenen kindlichen Drang nach Exploration und Streben nach Autonomie.
Entwicklungsaufgaben werden unter dieser Perspektive zunächst im positiven Sinne als
Herausforderungen gesehen, deren Bewältigung der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes
dient. Unter dem Schlagwort Resilienz (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2013) werden biologische und soziale Ressourcen bzw. Risiken für die Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben beschrieben (Hasselhorn et al. 2008). Auch die neuere sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung orientiert sich an einem Bild des Kindes als „sozialer Akteur“, welches sich
kennzeichnet durch die Handlungsmächtigkeit des Kindes im Sinne von „Agency“ (Heinzel et
al. 2012; Honig 2009, 1999). Diese Entwicklungen werden im erziehungswissenschaftlichen
Diskurs aufgegriffen und fließen ein in konzeptionelle und theoretische Überlegungen
(Scholz/Ruhl 2001). So betonen aktuelle Bildungs- bzw. Lehrpläne im Elementar- und
Grundschulbereich die Selbstbildung des Kindes und die Bedeutung individueller Bildungsbegleitung (Röhner 2014; Fthenakis 2003). In der pädagogischen Adaption verändert sich
allerdings die Perspektive – während aus Sicht der Psychologie und Soziologie das dem
Kind immanente Streben nach Autonomie und Selbstbildung im Fokus steht, beschäftigt sich
der erziehungswissenschaftliche Diskurs vor allem mit der Frage, unter welchen (institutionellen) Bedingungen Selbstbildungsprozesse und individuelle Bildungsbegleitung ermöglicht
werden können. Das Spannungsfeld individueller Bildungsprozesse und gesellschaftlicher
Bildungsansprüche (Helsper 2006) fordert für den Unterricht in der Grundschule damit den
Anspruch, Unterrichtsprozesse so zu gestalten, dass innere Differenzierung und individuelle
Lernbegleitung realisiert werden, um sowohl Selbstbildungsprozesse von Kindern besser zu
fördern als auch der Heterogenität kindlicher Lernausgangslagen besser gerecht zu werden.
Dieser Anspruch verschärft sich aktuell insbesondere durch den Diskurs um inklusive Bildung
in der Schule (Schwab 2014; Siedenbiedel/Theurer 2015).
Die Idee einer Anpassung des Unterrichts an die individuellen Bedürfnisse von Kindern ist
nicht neu; sie wurde in der Erziehungswissenschaft bereits in verschiedenen reformpädagogischen Ansätzen aufgegriffen und im Konzept der inneren Differenzierung weiterentwickelt
(Trautmann/Wischer 2008). Parallel dazu wurde in der Pädagogischen Psychologie unter
dem Stichwort Adaptive Teaching die Vorstellung eines Unterrichts, der sich an den individuellen Entwicklungsständen von Kindern orientiert, diskutiert (Cronbach 1967). Im aktuellen
Diskurs um Unterrichtsqualität und Förderung von Selbstbildungsprozessen in der Grundschule werden diese Impulse aufgegriffen. Neben einer Entwicklung hin zu einer ressourcenorientierten und individualisierten Pädagogik in der Grundschule (Miller/Velten 2015)
kommt darüber hinaus im Rahmen gesellschaftlicher Veränderungen (Familienstruktur, Mobilität, Integration, etc.) auf praktischer Ebene die Notwendigkeit für die Grundschule hinzu,
verstärkt Betreuungsangebote sowohl vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn am Morgen als
auch am Nachmittag anzubieten (Appel 2009). Durch den Ausbau des Betreuungsangebots
an Grundschulen im Rahmen des Konzepts „Verlässliche Grundschule“ und durch die zunehmende Zahl an Ganztagsschulen erweitern sich pädagogische Handlungsräume in Schulen (ebd.). Das hat auch zur Folge, dass neben einer anregenden Lernumgebung im Unterricht, in der Eigenaktivitäten und Selbstbildungsprozesse ermöglicht werden, kindliche Bedürfnisse nach Wohlbefinden und sozialer Teilhabe, Ruhe und Entspannung ebenfalls an
Bedeutung gewinnen.
2
In diesem Kontext stehen Lehrkräfte vor dem Anspruch, sowohl Bindungen und Beziehungen in einer heterogen zusammengesetzten Kindergruppe (Tillmann 2006) als auch lebensweltorientierte, ganzheitliche und handlungsorientierte Lernumgebungen zu gestalten.
Die Grundschule ist heute sowohl dazu aufgefordert, verlässliche Betreuungszeiten abzudecken als auch Aspekte des individualisierten und selbstgesteuerten Lernens stärker zu berücksichtigen (Kucharz 2012; Bohl/Kucharz 2010). Von besonderer Bedeutung für die Qualität von Unterrichtsgestaltung in der Grundschule scheinen in diesem Zusammenhang drei
Faktoren zu sein, die im Folgenden in den Blick genommen werden:
1. Interaktionsqualität
Wenn Lernen als ko-konstruktiver Prozess gesehen wird, kommt den Interaktionen
zwischen Lehrkraft und Kindern, aber auch Interaktionen der Kinder untereinander eine hohe Bedeutung zu (Kaendler et al. 2015; Mackowiak et al. 2015). Gemeinsame
Gespräche und gegenseitige Rückmeldungen bieten die Chance, Lernprozesse der
Kinder anzuregen, zu erweitern und zu unterstützen. Als sogenanntes „Language Modelling“ werden z.B. Techniken wie das korrektive Feedback genutzt, um sprachlichen
Fehlern zu begegnen; im Sinne des concept development, sustained shared thinking
werden höhere kognitive Denkprozesse der Kinder angeregt (Siraj-Blatchford 2007).
Die Art und Weise der Interaktionsgestaltung hat zudem Einfluss auf die Atmosphäre
im Unterricht, die sich auswirkt auf das Wohlbefinden der Kinder.
2. Qualität von Material und Aktivitäten im Sinne der didaktischen Gestaltung
Die Gestaltung der Lernumgebung hat großen Einfluss auf Lernprozesse und Lernerfolge (Arndt 2012). Über die Art und Weise, wie Material bereitgestellt wird, kann beispielsweise eine methodische Öffnung des Unterrichts erreicht werden, wenn Kinder
aus verschiedenen Zugangswegen wählen, wie bzw. über welchen Weg sie sich Wissen aneignen. Je nach Vielfalt des Materials kann damit auch eine inhaltlichthematisch Öffnung einhergehen, so dass Kinder entscheiden können, mit welchen
Themen und Inhalten sie sich beschäftigen möchten. Die Strukturierung von Aktivitäten (im Sinne von Bildungsaktivitäten im Unterricht) und die damit verbundene Lernbegleitung der Lehrkraft wiederum kann je nach Gestaltung eine sozial-integrative Öffnung ermöglichen. Damit ist gemeint, dass Kinder ihr soziales Miteinander selbstständig strukturieren und dabei eigene Vereinbarungen und Regeln entwickeln. Wahlmöglichkeiten bei Materialien und damit verbundenen Zugangswegen, aber auch bzgl. der
Interaktionsformen und Inhalte in einer sinnvoll ausgestatteten Lernumgebung können
eine Berücksichtigung individueller (Lern-)Bedürfnisse der Kinder ermöglichen und
gleichzeitig Selbstbildungsprozesse fördern (Peschel 2012; Jürgens 2009). Auch der
Anspruch an Differenzierung kann damit besser realisiert werden. Differenzierung
meint die Anpassung der Lernangebote an die heterogenen Lernvoraussetzungen einer Klasse (Hanke 2007). Das Angebot von Materialien und Lernaktivitäten sollte
demnach nicht nur vielfältig (im Sinne von unterschiedlich) sein, sondern auch in sich
differenziert nach unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden bzw. Leistungsniveaus. Die
Gestaltung der Lernumgebung beeinflusst also, ob und wie zieldifferentes Lernen ermöglicht und individuelle Selbstbildungsprozesse angeregt werden können.
3. Qualität der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
Wohlbefinden und Wohlfühlen in einer Klasse spielen für die Entwicklung des Selbstkonzepts und die Nachhaltigkeit von Lernprozessen eine wichtige Rolle (Abt Gürber
2011; Hascher/Hagenauer 2011). Kinder sollen sich in ihrer Grundschule wohl, anerkannt und respektiert fühlen und sich gern in der Schule aufhalten. Die Bedeutung des
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Wohlbefindens gewinnt umso mehr an Bedeutung, je mehr Zeit Kinder in ihrer Schule
verbringen. Das Wohlbefinden von Kindern hängt zusammen mit der Berücksichtigung
kindlicher Bedürfnisse. Zu diesen gehören neben kognitiven Anregungen sowohl ein
ausgewogenes Verhältnis zwischen Entspannung und Bewegung als auch die Möglichkeit, sich aus dem Gruppengeschehen zurückzuziehen (Kaltwasser/Hurrelmann
2008). Insbesondere das durch die Umgebung vermittelte Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit spielt eine umso größere Rolle, je jünger ein Kind ist (Arndt, 2012).
Phasen der Anregung und Entspannung müssen in einem ausgewogenen Verhältnis
stehen, um Konsolidierungsprozesse zu ermöglichen.
Um Interaktionsqualität, die Qualität der didaktischen Gestaltung hinsichtlich der angebotenen Aktivitäten und Materialien sowie die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse differenzierter in Unterrichtsbeobachtungen zu berücksichtigen, kann sich ein Blick auf den Qualitätsdiskurs im vor- und außerschulischen Bereich lohnen. In der vorschulischen Bildungsforschung werden üblicherweise drei Dimensionen der Prozessqualität unterschieden: kognitive
Anregung, Strukturierung pädagogischer Prozesse und sozio-emotionale Unterstützung
(Bäumer et al. 2013; Pianta/Hamre 2009). Schlüsselvariablen qualitativ hochwertiger Kindertageseinrichtungen sind im Sinne der Ko-Konstruktion von Bildung vor allem Prozesse zwischen pädagogischen Fachkräften und Kind (Viernickel et al. 2013). Im Kontext einer sozioemotionalen Unterstützung wird dabei ein Interaktionsverhalten pädagogischer Fachkräfte
verstanden, welches auf Bedürfnisse aller Kinder der Gruppe angemessen reagiert und von
emotionaler Wärme und Strukturierung gekennzeichnet ist (Ahnert et al. 2006; Remsperger
2013).
Instrumente, die zur Qualitätsfeststellung in vor- und außerschulischen pädagogischen
Settings entwickelt wurden, sind z.B. die Einschätzskalen der FU Berlin: diese orientieren
sich grundlegend an der Auffassung, dass Kinder aktiv Lernende sind (Roux/Tietze 2007).
Die räumlich-materiale Umwelt der Kinder, aber auch Anregungen der Kinder durch die pädagogischen Fachkräfte sollen vielfältige Gelegenheiten für kindliche Bildungsprozesse
(Tietze/Harms 2007; Tietze et al. 2007) bieten. Je nach Institution verändert sich dabei die
Schwerpunktsetzung des Instrumentes (im Krippenbereich sind beispielsweise Hygiene- und
Pflegesituationen stärker berücksichtigt als im Kindergarten- und Hortbereich, während Aktivitäten wie Werken und Rollenspiel mit steigendem Alter der Kinder in den Einschätzskalen
als Merkmale hinzukommen). Die HUGS als Instrument für den Hort- und Ganztagesbereich
deckt dabei inhaltlich zum einen unterrichtsnahe (z.B. mathematisches Verständnis, Sprache) und außerunterrichtliche pädagogische Handlungsfelder (z.B. Theater/Rollenspiel) ab,
„denkt“ zum anderen aber die Qualitätsdimensionen vom Kind aus, um so die Bedürfnisse
der Kinder in Bezug auf Wohlbefinden, Beziehungsgestaltung und Entwicklungsanregungen
in den Blick zu nehmen.
Die Annahmen vor- und außerschulischer pädagogischer Qualität, die allen Instrumenten
der Skalenfamilie zugrunde liegen (Kind als aktiv Lernender, Qualität der räumlich-materialen
Umwelt, Interaktionsqualität), erscheinen vor den theoretischen Kontexten zur Nutzung und
Förderung von Selbstbildungspotentialen, individueller Förderung und Relevanz kindlicher
Bedürfnisse im Unterricht insgesamt als anschlussfähig (Schüpbach et al. 2010; Schüpbach
et al. 2014). Im Rahmen der im Folgenden vorgestellten Untersuchung wurde nun empirisch
geprüft, inwieweit sich die HUGS tatsächlich für einen Einsatz im Unterricht eignet und wo
sich bei einer Nutzung des Instruments besondere Chancen, aber auch Grenzen ergeben.
4
2
Zielsetzung der Untersuchung und methodische Vorgehensweise
2.1 Zielsetzung der Untersuchung
Die hier vorgestellten Daten wurden im Rahmen des Modellprojekts „Bildungshaus 3 – 10“
gewonnen (Sambanis 2009)1. Das „Bildungshaus 3 – 10“ ist ein baden-württembergisches
Landesmodell, an dem sich im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung 33 Modell- und 28
Vergleichsstandorte (jeweils bestehend aus einer Grundschule und zugehörigen Kindergärten) beteiligten. In der wissenschaftlichen Begleitung wurde die Unterrichtsqualität erfasst,
indem neben dem selbstentwickelten Unterrichtsbeobachtungsbogen (UBB) (Drexl 2014)
ergänzend spezifische, für die Forschungsfragen relevante Merkmale der HUGS Hort- und
Ganztagsangebote-Skala eingesetzt wurden. Durch die Kombination aus beiden Beobachtungsinstrumenten sollte die Interaktionsqualität ausdrücklich mit in den Blick genommen
werden. Dabei sollten sowohl Interaktionsprozesse zwischen Lehrkraft und Kind als auch
Interaktionsprozesse der Kinder untereinander berücksichtigt werden. Da es im Modellprojekt „Bildungshaus 3 – 10“ um die enge Verzahnung der pädagogischen Arbeit von Kindergarten und Grundschule geht und somit Kindergartenkinder und Schülerinnen und Schüler
der Grundschule gemeinsam an Bildungsaktivitäten teilnehmen, die ausdrücklich als Spielund Lerngruppen bezeichnet werden, erschien es zudem sinnvoll, Qualitätskriterien nicht
ausschließlich aus Sicht von Unterrichtszielen und Lehrerhandeln zu beschreiben, sondern
auch die Perspektive des Kindes und seiner spezifischen Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Im Rahmen des Einsatzes der HUGS sollte der Gewinn dieses ergänzend eingesetzten
Instruments für die Beschreibung und Feststellung von Unterrichtsqualität geprüft werden.
Einzelne Qualitätsmerkmale der HUGS wurden hinsichtlich ihrer Relevanz im Schulsetting
analysiert. Voraussetzung ist dabei ihre Anwendbarkeit auch im Unterricht. Die im Folgenden
dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf diese einzelnen Merkmale und beschreiben zum
einen deren Anwendbarkeit im Unterricht und zum anderen deren Umsetzung in den untersuchten Klassen. Für die pädagogische Praxis sind insbesondere die Ergebnisse dieser einzelnen Merkmale von Bedeutung, da diese konkret Kriterien zur Einschätzung und Verbesserung pädagogischer Prozessqualität beschreiben.
2.2 Instrumentenbeschreibung HUGS
Die Hort- und Ganztagsangebote-Skala ist die deutsche Fassung der amerikanischen
School-Age Care Environment Rating Scale SACERS (Harms et al. 1995). Sie wurde für die
Einschätzung pädagogischer Prozessqualität in Horten und außerunterrichtlichen Angeboten
konzipiert und schließt sowohl vom Aufbau als auch in den grundlegenden Qualitätsdefinitionen an die Einschätzskalen pädagogischer Qualität an, die von Tietze übersetzt und für das
deutsche System adaptiert wurden (Roux/Tietze 2007). Ein zugrundeliegender Qualitätsanspruch liegt dabei sowohl in der räumlich-materialen Umwelt der Kinder, als auch in den Anregungen der Kinder durch die pädagogischen Fachkräfte - vielfältige Gelegenheiten für
kindliche Bildungsprozesse sollen geboten werden (Tietze et al. 2007). Im wissenschaftlichen Kontext wurde die SACERS von Albrecht (1996) und Peisner-Feinberg (2001) eingesetzt. Die HUGS ist als Forschungsinstrument sowohl im Rahmen ihrer Adaption für den
1
Das diesem Artikel zugrundeliegende Vorhaben „Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts
‚Bildungshaus 3 – 10‘ “ wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des
Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union unter dem Förderkennzeichen 01NVB85031 gefördert. Die
Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen.
5
deutsch-sprachigen Raum von Tietze et al. (2007) als auch in der Studie „Educare – Qualität
und Wirksamkeit der familialen und ausserfamilialen Bildung und Betreuung von Primarschulkindern“ im Kontext der Untersuchung sog. Tagesschulen in der Schweiz (Schüpbach et
al. 2010) zum Einsatz gekommen, um die Qualität außerunterrichtlicher Angebote zu erfassen.
Die HUGS besteht aus sechs übergeordneten Qualitätsbereichen: Platz und Ausstattung,
Gesundheit und Sicherheit, Aktivitäten, Interaktionen, Strukturierung der pädagogischen Arbeit und Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal. Jeder dieser Qualitätsbereiche wird über verschiedene Merkmale (insgesamt 50) abgebildet. Ein Merkmal für den Qualitätsbereich Aktivitäten ist beispielsweise Sprach- und Leseaktivitäten.
Um eine Einschätzung zu ermöglichen, sind die einzelnen Merkmale jeweils durch verschiedene Aspekte beschrieben, welche den Qualitätsanspruch des Merkmals auf verschiedenen Stufen erläutern. Das Merkmal Sprach- und Leseaktivitäten wird z. B. durch den Aspekt „Altersgemäße Geschichten werden wöchentlich vorgelesen oder erzählt“ auf einer
niedrigen Qualitätsstufe beschrieben, eine ausgezeichnete Qualität drückt der Aspekt „Kinder
werden angeregt, ihre Lieblingsbücher mitzubringen und sie anderen Kindern zu zeigen bzw.
zum Lesen zu geben“ aus.
Während der Beobachtung geht man folgendermaßen vor: Man beginnt immer auf Qualitätsstufe 1 und prüft, ob die jeweils formulierten Aspekte, die diese Qualitätsstufe beschreiben, als „Ja, vorhanden“ oder „Nein, nicht vorhanden“ bewertet werden müssen. Bei einer
positiven Bewertung zugunsten des pädagogischen Settings geht man weiter zur nächsten
Qualitätsstufe und prüft hier wiederum die formulierten Aspekte. Dieses Prinzip der aufsteigenden Bewertung wird so lange verfolgt, bis man entweder auf der höchsten Qualitätsstufe
angekommen ist oder ein Aspekt in einer Qualitätsstufe nicht mehr als „Ja, vorhanden“ bewertet werden kann. In diesem Fall fällt die Bewertung des Merkmals auf die vorherige Qualitätsstufe zurück.
Die Aspekte innerhalb eines Merkmals sind also so angeordnet, dass sie in Hort- und
Ganztagsangeboten mit steigender Qualitätsstufe immer seltener von den beobachteten Einrichtungen erreicht werden und damit eine ansteigende Itemschwierigkeit aufweisen. Insgesamt werden innerhalb eines Merkmals 7 Qualitätsstufen beschrieben: Stufe 1 steht für unzureichende Qualität, Stufe 3 steht für minimale und Stufe 5 für gute Qualität, während Stufe
7 eine ausgezeichnete Qualität ausweist. Jeder Qualitätsstufe sind dabei in der Regel mehrere Aspekte zugeordnet. Die Qualitätsstufen 2, 4 und 6 kennzeichnen Zwischenstufen (Tietze et al. 2007).
2.3 Erhebung
Für die Erhebung der Unterrichtsqualität im Projekt „Bildungshaus 3 – 10“ erschien es bedeutsam, insbesondere den Anfangsunterricht der Grundschulen in den Blick zu nehmen, da
Kinder in diesem Alter am häufigsten in institutionsübergreifenden Spiel- und Lerngruppen
beteiligt waren. Darum fanden alle Beobachtungen in den ersten Klassen der teilnehmenden
Grundschulen statt. Die Erheberinnen und Erheber wurden zuvor in einer fünftägigen Schulung intensiv auf den Einsatz der HUGS vorbereitet, die mit einer Überprüfung der Reliabilität
abschloss. Nur Personen, die eine Reliabilität von mindestens R = .80 erreichten, führten
Beobachtungen durch. Beobachtet wurden mindestens drei Schulstunden des Anfangsunterrichts einer Klasse pro Schule. Die hier dargestellte Analyse bezieht sich auf Daten von 50
Grundschulklassen an 50 verschiedenen Grundschulen.
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Für die Beobachtung wurden einzelne Merkmale der HUGS ausgewählt und auf ihre Anwendbarkeit im schulischen Setting untersucht. Die Auswahl erfolgte zunächst auf theoretischer Ebene. Die enthaltenen Merkmale der HUGS wurden inhaltlich auf Relevanz hinsichtlich der Frage nach Unterrichtsqualität geprüft - so wurden Merkmale ausgesucht, die sich
auf die Feststellung der Interaktionsqualität und die Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
beziehen (Qualitätsbereiche Interaktionen und Strukturierung der päd. Arbeit) und Merkmale,
die sich vor allem auf die Ausgestaltung von Aktivitäten beziehen (Qualitätsbereiche Platz
und Ausstattung und Aktivitäten). In der Auswahl nicht berücksichtigt wurden Merkmale aus
den Qualitätsbereichen Gesundheit und Sicherheit sowie Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für das Personal und ergänzende Merkmale, die nur in Gruppen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf eingeschätzt werden. Die ausgewählten Merkmale wurden anschließend in zwei Pretests hinsichtlich ihrer Handhabbarkeit und Beobachtbarkeit im Unterricht geprüft. Von den 50 Merkmalen der HUGS kamen somit insgesamt 21 Merkmale für die
Beobachtung zum Einsatz.
Die Merkmale wurden für die Beobachtung des Unterrichts insoweit verändert, als die Bezeichnung „Erzieher“ durch die Bezeichnung „Lehrer“ ersetzt wurde, um Irritationen während
der Beobachtung zu vermeiden; außerdem wurde beim Merkmal „Freispiel“ der Begriff „Freiarbeit“ in der Überschrift des Merkmals und den Aspektbeschreibungen ergänzt. Darüber
hinaus erhielten die Erheberinnen und Erheber eine zusätzliche Instruktion, die die hier vorliegende Prüfung der Anwendbarkeit der Merkmale im Unterricht erst ermöglicht: In der Standard-Anwendung der HUGS werden Aspekte der höheren Skalenstufen nur dann beurteilt,
wenn auf der gegebenen Stufe alle Qualitätsaspekte erfüllt sind. Sobald ein Aspekt als nicht
gegeben beurteilt wird, steht die Qualitätsstufe für dieses Merkmal fest und die Beobachtung
dieses Merkmals wird abgeschlossen. In 60% der Beobachtungen wurde gemäß diesem
Standard verfahren.
Vor dem Hintergrund der Anwendung der HUGS in einem Kontext von Unterricht erschien
es sinnvoll, trotz der bereits feststehenden Qualitätsstufe auch die nachfolgenden Aspekte zu
bewerten, um beurteilen zu können, ob im Folgenden noch Aspekte als gegeben gewertet
werden können, die im Kontext von Unterricht (im Gegensatz zu Hort- und Ganztagsangeboten) eine stärkere Rolle spielen. In 40% der Erhebungen haben die Beobachterinnen unabhängig vom erreichten Qualitätsniveau sämtliche Aspekte bewertet, um die hier berichteten
Analysen zu ermöglichen.
2.4 Datenanalyse
Zur Analyse der Anwendbarkeit des Instrumentes werden zwei Komponenten der Daten herangezogen:
1. Die Anzahl der insgesamt eingetragenen Bewertungen gibt Auskunft darüber, inwieweit
sich die entsprechenden Merkmale in den besuchten Grundschulklassen beobachten
ließen. Insbesondere fehlende Werte auf den Qualitätsstufen 1-3 (unzureichend und minimal) zeigen an, dass die entsprechenden Aktivitäten oder Ausstattungsmerkmale in
den beobachteten schulischen Settings nicht oder nur selten vorkamen.
2. Die positiven und negativen Bewertungen der einzelnen Aspekte, die den verschiedenen
Qualitätsstufen der Merkmale zugeordnet sind, erlauben eine inhaltliche Analyse der
Eignung des jeweiligen Merkmals zur Abbildung schulischer Prozesse. Bezogen auf
Hort- und Ganztagsangebote ist das Instrument so angelegt, dass den Qualitätsstufen 1
bis 7 aufsteigende Itemschwierigkeiten zugeordnet sind. Anhand der in unseren Erhe7
bungen festgestellten Itemschwierigkeiten lassen sich die Aspekte der Merkmale der
HUGS in schulbezogener Weise den Qualitätsstufen zuordnen.
3
Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der hier vorliegenden Untersuchung dargestellt. Dabei
wird zunächst für die inhaltlichen Schwerpunkte Interaktionsqualität, Qualität von Materialien
und Aktivitäten und Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse aufgezeigt, welche Qualitätsstufe in den Merkmalen von wie vielen Klassen erreicht wurden. Anschließend wird, anhand der
Analyse der Beobachtungen, die trotz der feststehenden Qualitätsstufe auch die nachfolgenden Aspekte bewertet haben, jedes Merkmal genauer betrachtet. Dabei wird auch für jedes
Merkmal kurz dargestellt, wie gut es sich in der vorliegenden Unterrichtsbeobachtung anwenden ließ.
3.1 Interaktionsqualität
Die Interaktionsqualität wird in der HUGS vor allem über die Merkmale Lehrer-KindInteraktion, Lehrer-Kind-Kommunikation und Kind-Kind-Interaktion erfasst. Alle drei Merkmale zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Umgang der beteiligten Interaktionspartner miteinander sehr konkret beschreiben. Eine hohe Qualität kennzeichnen in der Lehrer-KindInteraktion ein wertschätzender Umgang zwischen Erwachsenem und Kind, eine entspannte
Atmosphäre und das Wohlfühlen aller Beteiligten. Das Merkmal Lehrer-Kind-Kommunikation
zielt vor allem auf die Gesprächskultur ab, z.B. auf die Ausgewogenheit der Wortbeiträge und
die Art der stattfindenden Gespräche. In der Kind-Kind-Interaktion wird dagegen beurteilt, ob
und wie viele negative Interaktionen zwischen Kindern stattfinden und welche Fähigkeiten
die Kinder haben, um Konflikte und Auseinandersetzungen zu lösen.
Tab. 1: Interaktionsqualität
Interaktionsqualität
Anzahl der Klassen/Schulen, die mindestens die genannte Qualitätsstufe erreicht haben
mindestens erreichte Qualitätsstufe
Merkmal
1
2
3
4
5
6
7
Lehrer - Kind - Interaktion
50
49
49
42
30
28
11
Kind - Kind - Interaktion
50
45
32
29
25
17
6
Lehrer - Kind - Kommunikation
50
49
43
30
15
13
5
Anmerkung: 1 = unzureichend, 2 = unzureichend bis minimal, 3 = minimal, 4 = minimal bis gut, 5 = gut, 6 = gut
bis ausgezeichnet, 7 = ausgezeichnet
Da in jeder Schule der Unterricht einer einzelnen Klasse beobachtet wurde, ist das Ergebnis der Klasse hier
gleichzeitig das Ergebnis der Schule
In Ergänzung zu einer Beurteilung z.B. des Unterrichtsklimas können die Bewertungen in
den drei Merkmalen auf die Qualität der eigentlichen Interaktionsprozesse hinweisen und
sowohl das Handeln der Lehrkraft als auch die Interaktionen der Kinder untereinander differenziert beurteilen. Bzgl. der Anwendbarkeit in den Unterrichtsbeobachtungen kann festgehalten werden, dass die ursprünglich für Hort- und Ganztagsangebote konzipierten Merkmale
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ohne größere Schwierigkeiten und Anpassungen für die Beobachtung von Unterrichtssettings
genutzt werden können:
Lehrer-Kind-Interaktion: Die Qualität der Lehrer-Kind-Interaktion lässt sich mit der HUGS
bewerten, die Anordnung der Aspekte zeigt, wie erwünscht, eine Steigerung der Qualität (vgl.
Tabelle 1).
Kind-Kind-Interaktion: Die Aspekte dieses Merkmals bilden die Qualität insgesamt gut ab.
Lediglich bei Aspekt 3.2 („Interaktionen zwischen den Kindern werden angeregt (z.B. den
Kindern ist erlaubt, frei umherzugehen, sodass sich natürliche Gruppen bilden und Interaktionen stattfinden können)“) fällt auf, dass die beobachteten Schulen an dieser Stelle den Ansprüchen nicht genügen. Eventuell liegt die Schwierigkeit aber nicht im Aspekt an sich, der
Anregung von Interaktionen, sondern am in der HUGS vermerkten Beispiel des freien Herumgehens. Im Unterricht finden durch Gruppen- und Partnerarbeiten oder durch Freiarbeit
immer wieder Anregungen zur Kommunikation statt, allerdings ist das freie Herumgehen der
Kinder oft nicht erwünscht. Im Rahmen der Nutzung der HUGS für Reflexionsprozesse könnte es empfehlenswert sein, das Beispiel entweder wegzulassen oder durch einen Hinweis auf
Gruppenarbeiten etc. zu ersetzen.
Lehrer-Kind-Kommunikation: Bei den Aspekten dieses Merkmals fällt auf, dass diejenigen
Aspekte, die eine intensive individuelle Kommunikation zwischen Lehrkraft und Kind abbilden
von vielen der beobachteten Schulen nicht erreicht werden. Beispielsweise fällt auf, dass die
Aspekte 5.1 („Viele Gespräche zwischen Lehrkraft und Kindern“) und 5.2 („In Gesprächen
zwischen Lehrkraft und Kindern besteht ein ausgewogenes Verhältnis von Zuhören und
Sprechen“) wie auch 7.1 („Lehrkraft bemüht sich, mit jedem Kind zu sprechen“) im Unterricht
für viele Schulen schwer zu erreichen sind. Dementsprechend erreichen viele Klassen die
Qualitätsstufen 5 und 7 nicht (vgl. Tabelle 1). Im Sinne der Individualisierung und Differenzierung sind Gespräche zwischen Lehrkraft und einzelnen Kindern unverzichtbar. Die inhaltliche
Ausformulierung der Aspekte erlaubt also auch im schulischen Kontext eine gute Differenzierung von Unterricht bezüglich der Interaktionsqualität in diesem Bereich.
3.2 Qualität von Material und Aktivitäten
In der HUGS strukturiert sich die Beobachtung der verschiedenen Aktivitäten durch zwei
Schwerpunkte. Die erste Frage ist immer, welche Qualität die vorhandenen Materialien zu
diesem Thema haben (Vielfalt, innere Differenzierung, Zugänglichkeit). In einem zweiten
Schritt wird beobachtet, inwieweit die Lehrkraft den Umgang mit den Materialien befördert
(z.B. indem sie den Umgang mit Material zulässt, inwieweit sie die Kinder reglementiert und
ob sie die Ideen der Kinder erweitert). Die hier berücksichtigten Aktivitäten sind teilweise von
zentraler Bedeutung für das Curriculum im Anfangsunterricht, z.B. das Merkmal Sprach/Leseaktivitäten und das Merkmal Mathematik/schlussfolgerndes Denken. Das Merkmal
Freispiel/Freiarbeit könnte dagegen einen differenzierten Blick auf die methodische Gestaltung im Unterricht ermöglichen. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Merkmale fällt auf,
dass durch die Bewertung der einzelnen Aspekte ein sehr differenzierter Blick auf die vorhandenen Potentiale der sprachlichen und mathematischen Anregung der Kinder im Unterrichtsalltag ermöglicht wird: so werden vor allem Aktivitäten wie das Vor- und Selberlesen,
praktische Schreibanlässe und auch Gespräche über Bücher und Geschichten im Rahmen
des Merkmals Sprach-/Leseaktivitäten berücksichtigt. Passend dazu wird im Merkmal Mathematik/schlussfolgerndes Denken ebenfalls in den Blick genommen, wie gut mathematische Anregungen und Fragen zu logischen Zusammenhängen, die im Unterricht ohnehin
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Thema für die Kinder sind, aufgegriffen und für Lernerfahrungen genutzt werden. Im Merkmal
Freispiel/Freiarbeit wird in der HUGS dagegen vor allem der zeitliche Umfang in den Blick
genommen, in dem Kinder frei arbeiten können, wenig differenziert wird hier bzgl. der Wahlfreiheit auf unterschiedlichen Ebenen (z.B. inhaltlich, methodisch oder in den Sozialformen).
Die Aussagekraft bzgl. der methodischen Gestaltung des Unterrichts durch das Merkmal
Freispiel/Freiarbeit ist demnach nicht sehr hoch. Für die Abbildung der Kernaufgaben in den
Bereichen Natur- und Sachwissen, Kunst und Musik können die Merkmale Naturwissenschaft/Naturerfahrung, Künstlerisches Gestalten bzw. Musik und Bewegung herangezogen
werden. In den beobachteten baden-württembergischen Grundschulen sind diese Bereiche
im Fächerverbund Mensch-Natur-Kultur zusammengefasst. Auch in diesen Merkmalen wird
in der Beobachtung besonderer Wert auf die Vielfalt und die Zugänglichkeit von Materialien
gelegt. Für alle drei Merkmale lässt sich allerdings feststellen, dass in den beobachteten Unterrichtsstunden nur sehr niedrige Qualitätsstufen erreicht wurden. Im Merkmal Naturwissenschaften/Naturerfahrung erreichte eine Klasse die Qualitätsstufe fünf, in den Merkmalen
Künstlerisches Gestalten und Musik und Bewegung wurden die Qualitätsstufen 5 und 7 von
keiner Klasse erreicht (vgl. Tabelle 2).
Tab. 2: Qualität von Material und Aktivitäten
Qualität von Material und Aktivitäten
Anzahl der Klassen/Schulen, die mindestens die genannte Qualitätsstufe erreicht haben
mindestens erreichte Qualitätsstufe
Merkmal
1
2
3
4
5
6
7
Sprach- und Leseaktivitäten
47
47
43
30
19
15
4
Mathematik
50
49
49
36
12
6
4
Freispiel/Freiarbeit
50
36
36
24
5
4
4
Naturwissenschaft/
Naturerfahrungen
Künstlerisches Gestalten
48
35
35
16
1
0
0
48
32
22
10
0
0
0
Musik und Bewegung
50
48
21
6
0
0
0
Rollenspiel
48
19
14
8
2
2
2
Bauen, Konstruieren, Werken
50
23
17
15
4
2
0
Raum für Grobmotorik
50
48
47
40
26
25
11
Ausstattung für Grobmotorik
49
45
44
34
7
5
1
Anmerkung: 1 = unzureichend, 2 = unzureichend bis minimal, 3 = minimal, 4 = minimal bis gut, 5 = gut, 6 = gut
bis ausgezeichnet, 7 = ausgezeichnet
Da in jeder Schule der Unterricht einer einzelnen Klasse beobachtet wurde, ist das Ergebnis der Klasse hier
gleichzeitig das Ergebnis der Schule
Musik und Bewegung: Bei genauerer Betrachtung des Merkmals unter Einbeziehung derjenigen Beobachtungen, die trotz des Nicht-Erreichens einer Qualitätsstufe auch die Aspekte
der höheren Qualitätsstufen bewertet haben, fällt auf, dass das Merkmal vorwiegend Aspekte
eher niedriger oder sehr hoher Itemschwierigkeit enthält – die beobachteten Unterrichtsset10
tings erfüllen also Aspekte der Qualitätsstufen 1-3 und der Qualitätsstufe 7, erreichen aber
Aspekte der Qualitätsstufe 5 nicht. Aus diesem Grund konnte in diesem Merkmal die Qualitätsstufe 7 von keiner Klasse erreicht werden (vgl. Tabelle 2). Ein Aspekt auf Qualitätsstufe 3
ist z.B. folgendermaßen formuliert: „Gewisse Möglichkeiten für musikalische Erfahrungen
mind. einmal pro Woche sind gegeben“, eine ausgezeichnete Qualität (Stufe 7) drückt sich
demnach über das Vorhandensein folgender Angebote aus: „Gezielte und angeleitete Angebote in Musik und Bewegung mindestens einmal pro Woche, entweder als Einzel- oder
Gruppenaktivität“. Beide Qualitätsstufen werden im Schulkontext schon durch den Rahmen
der üblichen Struktur des Musikunterrichts erreicht und machen an dieser Stelle keine differenzierte Aussage zu Unterrichtsqualität in diesem Themenfeld. Auf Qualitätsstufe 5 wird in
den Aspektbeschreibungen dagegen besonderer Wert auf die freie Zugänglichkeit von Musikinstrumenten und ein tägliches freies Musikangebot gelegt. Beides scheint im Unterricht
eher wenig vorzukommen und wurde demnach in den Beobachtungen nur selten gesehen,
wobei an dieser Stelle im Sinne einer ausgezeichneten Qualität Unterschiede zwischen den
einzelnen Unterrichtsbeobachtungen deutlich werden könnten. Insgesamt enthält das Merkmal Musik und Bewegung also eine zu geringe Anzahl von Aspekten insbesondere im mittleren Schwierigkeitsbereich, um eine passende Abbildung der Qualität von Musik und Bewegung im Unterricht zu ermöglichen und Qualitätsunterschiede in diesem Bereich zu verdeutlichen.
Die Merkmale Bauen/Werken/Konstruieren und Rollenspiel/Theater spielen in den beobachteten Unterrichtssettings nur selten eine Rolle, da beide Themenbereiche nicht unbedingt zum Kerncurriculum der Schule gehören, sondern eher in außerunterrichtlichen Handlungsfeldern stattfinden. Dort, wo sich die Merkmale beobachten ließen, zeigen die Ergebnisse aber eine gute Passung zwischen den beschriebenen Aspekten und dem Unterrichtsgeschehen.
Bauen/Konstruieren/Werken: Ca. die Hälfte der Schulen erfüllt die Anforderungen der
Skalenstufe 3 nicht, weil Materialien oder Raum fehlen. Wenn Materialien vorhanden sind,
dann bilden die Aspekte des Merkmals die beobachtbare Qualität in geeigneter Weise ab.
Rollenspiel/Theater: Im Bereich Rollenspiel/Theater erreichten 31 Klassen bereits für Stufe 3 keine positive Bewertung (vgl. Tabelle 2). Prinzipiell würden aber die vorhandenen Aspekte eine Abbildung der Situation dort erlauben, wo Rollenspiel als Methode verwendet
wird.
Die Merkmale Raum für Grobmotorik und Ausstattung für Grobmotorik berühren zwei Bereiche des schulischen Settings. Sie spielen sowohl im Unterricht eine Rolle – in BadenWürttemberg beispielsweise im Fächerverbund Bewegung, Sport und Spiel – als auch in den
Pausenzeiten. Das Merkmal Raum für Grobmotorik bildet fast ausschließlich das reine
Platzangebot und dessen Zugänglichkeit ab. Die Schulen weisen hier überwiegend eine gute
Qualität auf. Das Merkmal Ausstattung für Grobmotorik bezieht sich hingegen auf das Vorhandensein fest installierter und beweglicher Geräten für grobmotorische Aktivitäten. In diesem Bereich wird die Qualitätsstufe gut nur von sieben Schulen erreicht.
Raum für grobmotorische Aktivitäten: Die Betrachtung der einzelnen Aspekte zeigt, dass
in den oberen Qualitätsbereichen die Aspekte mehrere unterschiedliche Themen zusammenfassen. In der Formulierung des Aspekts zur ausgezeichneten Qualität heißt es z.B. „Ausreichender Platz, der ansprechend und abwechslungsreich ist, steht innen und außen täglich
zur Verfügung“ – es geht also um zeitliche (täglich), räumliche (innen, außen) und inhaltliche
(ansprechend, abwechslungsreich) Dimensionen innerhalb des Merkmals, die an dieser Stel11
le zusammengefasst werden. Für eine Beobachtung im Kontext von Unterricht wäre hier ein
Blick, der bzgl. dieser Dimensionen differenziert, inhaltlich gewinnbringender.
Ausstattung für Grobmotorik: Die große Anzahl von Aspekten dieses Merkmals deckt einen breiten Bereich von Itemschwierigkeiten ab. Die in der HUGS vorgenommene Differenzierung in feste und bewegliche Ausstattungselemente und die geforderte freie Zugänglichkeit von Bewegungselementen sowohl im Innen- als auch im Außenbereich kann in Unterrichtssettings, z.B. im angeleiteten Sportunterricht, z.T. nur schwer realisiert werden. Dennoch kann die Auseinandersetzung mit dem formulierten Qualitätsanspruch für die Errichtung
von Bewegungsbaustellen, beispielsweise im Pausenhof und weiteren Bewegungsangeboten, die auf die Selbsttätigkeit der Kinder abzielen, hilfreich sein. Darüber hinaus erscheint
das Merkmal hinsichtlich einer Beurteilung von Außengeländen in der Pausenzeit gewinnbringend.
3.3 Qualität der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
Für die Feststellung der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse werden insbesondere
Merkmale einer ansprechenden Raumgestaltung, Möglichkeiten von Entspannung, Behaglichkeit, aber auch Rückzugsmöglichkeiten und die Strukturierung des Tagesablaufs herangezogen. Anhand der Ergebnisse (vgl. Tabelle 3) kann festgestellt werden, dass von den
meisten Schulen nur die Stufen minimal bzw. minimal bis gut erreicht werden. (vgl. Tabelle
3). Der Bereich Raumgestaltung, der sich schwerpunktmäßig auf die Aufteilung in Funktionsbereiche/Funktionsräume und deren Nutzung bezieht und der Bereich Rückzugsmöglichkeiten wird von ca. einem Zehntel der untersuchten Schulen so berücksichtigt, dass die Qualitätsstufe ausgezeichnet erreicht wird.
Tab. 3: Qualität der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
Qualität der Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse
Anzahl der Klassen/Schulen, die mindestens die genannte Qualitätsstufe erreicht haben
mindestens erreichte Qualitätsstufe
Merkmal
1
2
3
4
5
6
7
Raumgestaltung
50
49
43
29
8
7
6
Ausstattung Entspannung, Behaglichkeit
50
37
32
10
7
1
0
Rückzugsmöglichkeiten
50
29
29
20
6
6
5
Tagesablauf insgesamt
49
45
42
32
2
2
1
Anmerkung: 1 = unzureichend, 2 = unzureichend bis minimal, 3 = minimal, 4 = minimal bis gut, 5 = gut, 6 = gut
bis ausgezeichnet, 7 = ausgezeichnet
Da in jeder Schule der Unterricht einer einzelnen Klasse beobachtet wurde, ist das Ergebnis der Klasse hier
gleichzeitig das Ergebnis der Schule
Raumgestaltung: An den meisten Schulen sind die in diesem Bereich abgebildeten Funktionsbereiche bzw. -räume vorhanden, so dass Qualitätsstufe 3 erreicht wird. Die mit einer
guten Bewertung verbundenen Aspekte Aufteilung in ruhige und laute Funktionsbereiche und
Unterstützung der selbständigen Nutzung wird von dem größten Teil der Schulen nicht in der
im Instrument abgebildeten Weise erreicht. Die Raumgestaltung eines Klassenzimmers lässt
12
es nicht immer zu, dass Arbeitsbereiche räumlich voneinander getrennt sind oder Doppelnutzungen vermieden werden können. Diese Bedürfnisse der Kinder werden i.d.R. nicht durch
die Raumgestaltung abgedeckt, sondern z.B. durch Verhaltensregeln oder zeitliche Trennung
von Aktivitäten.
Ausstattung für Entspannung und Behaglichkeit: Ein Viertel der beobachteten Klassen
bleibt auf der untersten Qualitätsstufe stehen, denn gepolsterte Möbel oder Gegenstände
stehen den Kindern nicht zur Verfügung. Mit Hilfe von Leseecken gelingt es aber in einem
Teil der beobachteten Unterrichtssettings, den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten für
Entspannung und Behaglichkeit zu bieten. Nur 7 der 50 Schulen erreichen Qualitätsstufe gut,
keine Schule eine ausgezeichnete Qualität. Diese Werte zeigen, dass Entspannung und Behaglichkeit in Schulen oft noch keine Bedeutung hat (vgl. Tabelle 3).
Rückzugsmöglichkeiten: Bereits auf der untersten Qualitätsstufe erfüllt ein Drittel der
Schulen nicht die Kriterien, da der Aspekt Rückzug und Absonderung der Kinder aus dem
Unterrichtsgeschehen im schulischen Kontext in der Regel nicht erwünscht sind. Dort, wo
viel Einzel- oder Gruppenarbeit eingesetzt wird, wird teilweise Qualitätsstufe 3 erreicht. Auf
Qualitätsstufe gut ist in den meisten Schulen der Aspekt nicht erfüllt, der die Möglichkeit der
Kinder beschreibt eigene Rückzugsbereiche zu schaffen (z.B. durch die Möglichkeit Möbel
umzustellen). Neuere Raumkonzepte für Schulen greifen diese Idee allerdings auf. In Bezug
auf die Rhythmisierung des Bildungstags und auch insbesondere der Bedeutung von Konsolidierungsprozessen sind Rückzugsmöglichkeiten für Kinder wichtig für den Unterricht. In der
Praxis konnten diese allerdings kaum beobachtet werden: die Schülerinnen und Schüler hatten in den beobachteten Schulen selten die Möglichkeit, sich aus dem Klassengeschehen
zurückzuziehen, um z.B. Einzel- und Partnerarbeiten zu erledigen, zu lesen oder sich zu entspannen.
Tagesablauf: Das Merkmal Tagesablauf prüft zum einen das Vorhandensein täglicher motorischer Aktivitäten, was vor dem Hintergrund kindlicher Bedürfnisse nach Bewegung insbesondere für jüngere Kinder relevant ist. Deshalb wird z.B. auf Qualitätsstufe 3 Folgendes gefordert: „Täglich ist eine gewisse Zeit für grobmotorische Aktivitäten innen oder außen vorgesehen“. Zum anderen wird das Verhältnis von gezielten und freien Angeboten sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher kindlicher Interessen in den Blick genommen: „Täglich werden mehrere Aktivitäten angeboten, die den Bedürfnissen verschiedener Alters- oder Interessengruppen entsprechen“ (Qualitätsstufe 5). Dieser Aspekt, der im Kontext pädagogischer
Ansprüche von Individualisierung und Differenzierung für Schulen bedeutsam ist, wird nur
von wenigen beobachteten Schulen erfüllt.
4
Diskussion: Einsatz der HUGS als Chance für Qualitätsentwicklung im
Unterricht
Wie aufgezeigt wurde, deckt die HUGS Aspekte von Qualität ab, die für die Gestaltung von
Unterricht von Bedeutung sind. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Merkmale der
HUGS zur Interaktionsqualität, zur Gestaltung verschiedener Aktivitäten und dem Einsatz
von Materialien sowie zur Berücksichtigung kindlicher Bedürfnisse einen differenzierten Blick
auf das Unterrichtsgeschehen ermöglichen.
Merkmale, die das Lernen der Kinder beeinflussen wie z.B. die Klassenraumgestaltung
oder das Materialangebot, können mit Merkmalen der HUGS sehr gut erfasst werden. Insbesondere eine Raumgestaltung, die im Sinne der Förderung von Eigenaktivität und selbständigem Lernen ausgerichtet sein soll, wird durch die HUGS differenziert abgebildet. Die ein13
zelnen Merkmale zur Interaktionsqualität und in ihr besonders die Kind-Kind-Interaktion sind
vor dem Hintergrund von Unterrichtsgestaltungen, die auf kooperative Arbeitsphasen und
einen inhaltlichen Austausch der Kinder Wert legen, bedeutsam und können die Qualität der
Interaktions- und Kommunikationsprozesse innerhalb des Unterrichtsgeschehens unter Berücksichtigung der verschiedenen Ebenen beschreibbar machen. Gleichzeitig können die
beschriebenen Aspekte auf den höchsten Qualitätsstufen Beispiele für gute Interaktionsformen liefern.
Mit den Merkmalen der HUGS lässt sich ein weiter Qualitätsanspruch an Unterricht formulieren: die Qualität der Lehr- und Lernsituation auf Interaktionsebene nimmt über das Handeln der Lehrkraft hinaus insbesondere das Kind und seine Bedürfnisse in den Blick. Vor
dem Hintergrund einer Diskussion um mehr Schülerorientierung und einer Verstärkung eigenaktiver Lernphasen formuliert die HUGS einen hohen Anspruch bzgl. Vielfalt und freier
Zugänglichkeit des vorhandenen Materials. Gerade der freie Zugang zu Material ist eng verknüpft mit eigenen Forschertätigkeiten und dem Selbstwirksamkeitserleben von Kindern,
welches beim Lernen eine wichtige Rolle spielt und sich auf die Nachhaltigkeit des Lernens
auswirkt. Die HUGS bietet eine gute Basis, um bereichsspezifisch abzubilden, ob geeignetes
und vielfältiges Material in der Schule vorhanden ist, geordnet und gut präsentiert wird und
für die Kinder frei zugänglich ist. Die Ergebnisse liefern insbesondere auf Merkmalsebene
präzise Hinweise darauf, wie und in welcher Form die Qualität von Unterricht in den einzelnen Bereichen gesteigert werden könnte.
Aus den Ergebnissen lassen sich relativ einfach konkrete Handlungsempfehlungen für
den Unterricht ableiten, um sich in den Qualitätsstufen zu verbessern. Eine übersichtliche, für
die Kinder nachvollziehbare Sortierung des Materials oder die Einführung eines Symbolsystems zur Beschriftung von Materialien könnte beispielsweise zu einer besseren Bewertung
pädagogischer Qualität bei den Möglichkeiten selbstgesteuerten Lernens führen. Die Merkmale Raumgestaltung, Rückzugsmöglichkeiten und Tagesablauf bieten Hinweise darauf, wie
der räumliche und zeitliche Rahmen so gestaltet werden kann, dass eine Verstärkung eigenaktiver Lernphasen unterstützt wird. Hierzu gehört, dass Materialien auch selbständig genutzt und dadurch Selbsttätigkeit und forschendes Lernen ermöglicht werden. Hilfreich zum
Ausbau entsprechender Rahmenbedingungen sind die Aspekte, die sich auf selbständige
und selbstbestimmte Nutzung (Raumgestaltung) beziehen. Durchaus bedenkenswert sind
die Aspekte, die ein gewisses Maß an Freiheit und Abgrenzungen gegenüber dem Gruppengeschehen (Rückzugsmöglichkeiten) abbilden sowie diejenigen Aspekte, die Flexibilität und
Spontaneität im zeitlichen Ablauf (Tagesablauf) beschreiben.
Insgesamt enthält das Instrument also zahlreiche Impulse auf der inhaltlichen und strukturell-organisatorischen Ebene, die der derzeitigen Entwicklung des Qualitätsverständnisses
Rechnung tragen. Im Projekt „Bildungshaus 3 – 10“ erhielten alle teilnehmenden Lehrkräfte
eine ausführliche schriftliche Rückmeldung zu den Beobachtungsergebnissen der HUGS in
ihrer Klasse. In den Reaktionen auf die Rückmeldung wurde aus Sicht der wissenschaftlichen Begleitung deutlich, dass diese als hilfreich und anregend wahrgenommen wurden.
Es wird aber auch deutlich, dass die HUGS für eine wissenschaftlich angemessene Erfassung der Unterrichtsqualität inhaltlich zu wenig ins Detail geht, da im Instrument das
Nachvollziehen der kindlichen Lernprozesse und die Vermittlung von Inhalten zu wenig berücksichtigt werden. Wichtige Aspekte für Unterrichtsqualität wie die Strukturierung der Unterrichtsstunde, die Klassenführung und die kognitiv strukturierende Anleitung der Kinder werden durch die Hort- und Ganztagsangeboteskala nicht oder nur punktuell erfasst. Ein ausschließlicher Einsatz der HUGS zur Erfassung von Schul- bzw. Unterrichtsqualität im wissen14
schaftlichen Kontext ist daher nicht ausreichend.
Die Vorstellung des aktiven, sich selbst bildenden Kindes, welches gleichzeitig immer
mehr Tageszeit in institutionellen Settings verbringt, wirft Fragen auf - z.B. nach angemessener Unterstützung und Anregung von Selbstbildungsprozessen und der Berücksichtigung
kindlicher Bedürfnisse. Die eingesetzten Merkmale der HUGS könnten bei einer Weiterentwicklung von Unterrichtsbeobachtungsinstrumenten als Vorlage und Orientierungspunkte
dienen. Sie könnten durch die konkrete Formulierung von Qualitätsstandards über Anregungen für die konkrete Unterrichtsgestaltung hinaus auch Impulse für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften bieten.
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Julia Höke
Dr. Julia Höke arbeitet an der Universität Paderborn in der
Arbeitsgruppe Grundschulforschung und Frühe Bildung (Prof. Dr.
Büker). Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZNL
Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen Ulm tätig. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind Professionalisierungsprozesse bei
Erzieher_innen und Lehrkräften und die Evaluation neuer Lernkulturen
unter besonderer Berücksichtigung der Kindperspektive.
Doris Drexl
Dr. Doris Drexl arbeitet am Deutschen Jugendinstitut München in der
Abteilung Kinder und Kinderbetreuung. Zuvor war sie als
wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZNL Transferzentrum für
Neurowissenschaften und Lernen Ulm tätig. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind im Kontext der Bildungsforschung
insbesondere die Unterrichtsforschung, Lehr-Lernforschung und
(früh)kindliche Bildungsprozesse.
Petra A. Arndt
Dr. Petra A. Arndt ist die Leitung der Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche
Begleitung des Modelprojekts ‚Bildungshaus 3 – 10‘“ am ZNL
TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen Ulm. Ihre
Forschungsschwerpunkte sind die Einflüsse institutioneller und
familiärer Bildung auf die Entwicklung von Kindergarten- und
Grundschulkindern unter besonderer Berücksichtigung der kognitiven
Entwicklung.
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