Niklas Baer: Umgang mit „schwierigen“ Mitarbeitenden

IV‐Fachkurs „Umgang mit psychisch Erkrankten im Betrieb“ 15.09.2015
Umgang mit „schwierigen“ Mitarbeitenden
Probleme und Potentiale bei der Führung von Mitarbeitenden mit psychischen Problemen
Niklas Baer
Inhalt
 Warum sind «schwierige» Mitarbeitende ein Thema?
 Spezifische Erschwernisse bei psychischen Krankheiten

Krankheitsspezifische

Personspezifische

Umfeldspezifische
 Dynamik am Arbeitsplatz
 Hinweise für die Praxis
Niklas Baer, Psychiatrie BL
2
Psychiatrische IV-Renten - ein recht neues Phänomen
1986
2014
Veränderung in %
140'000
500%
120'000
400%
100'000
300%
80'000
60'000
200%
40'000
100%
20'000
0
0%
aus psychischen Gründen
Quelle: IV-Statistik
wegen allen anderen Ursachen
„Burnout“
200
Erstanmeldung bei der IV
180
160
140
120
100
80
124
60
133
133
106
97
40
66
58
45
20
18
17
10
25
19
0
0-5
5-10 10-15 15-20 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-50 50-55 55-60 60-65
Alter bei IV-Erstanmeldung
15 Jahre
200
180
Psychische Ersterkrankung
160
140
120
100
188
80
156
60
40
79
20
27
24
42
53
73
53
59
56
21
0-5
5-10
10-15 15-20 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 45-50 50-55 55-60 60-65
Alter bei Ersterkrankung
15-09-15
2
0
Baer, N., Frick, U., Fasel, T. (2009)
Niklas Baer, Psychiatrie BL
4
Erwerbstätigkeit ist psychisch protektiv
Erwerbstätige Patienten haben kürzere Behandlungsdauern …
Behandlungsdauer (in Monaten)
80
60
40
20
0
Nichterwerbstätig Erwerbstätig Nichterwerbstätig Erwerbstätig Nichterwerbstätig Erwerbstätig Nichterwerbstätig Erwerbstätig
Leicht krank
Mässig krank ill
Deutlich krank
Schwer krank
… und genesen besser
30
GAF-Differenz in Punkten
20
10
0
Nichterwerbstätig
Erwerbstätig
Leicht/mässig krank
Nichterwerbstätig
Erwerbstätig
Deutlich krank
Nichterwerbstätig
Erwerbstätig
Schwer krank
Eigene Berechnungen gestützt auf eine Erhebung bei privaten Psychiaterinnen und Psychiatern im Kanton Bern: Amsler, Jäckel, Wyler (2010).
http://www.gef.be.ch/gef/de/index/gesundheit/gesundheit/psychiatrie/versorgungsplanung.assetref/content/dam/documents/GEF/SPA/de/Versorgungsplanung/2
0112014/gef_versorgungsplanung_5_eval_ambu_teilstationaere_psychiatreivers_d.pdf
In: Baer, Schuler, Füglister-Dousse, Moreau-Gruet (2013). Depressionen in der Schweiz. Obsan Bericht 56, BfS, Neuchâtel.
http://youtu.be/NF4D9aEW6fw
Die meisten psychisch Kranken sind erwerbstätig …
Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung, nach psychischen Gesundheitszustand und Land
Severe ill-heatlh
Moderate ill-heatlh
No ill-health
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Switzerland
Norway
Australia
Source: OECD (2015), Fit Mind, Fit Job.
Netherlands United StatesUnited Kingdom Sweden
Denmark
Austria
Belgium
6
… haben aber Probleme bei der Arbeit
OECD (2015), Fit Mind, Fit Job, OECD Publishing, Paris.
Die entscheidenden Störungen bei IV-Rentnern aus
«psychogenen» Gründen
Prozent
0
Persönlichkeitsstörung
rezidivierende Depression
somatoforme Störung
somatische Erkrankung
Schizophrenie
Ängste
Polytoxikomanie
Belastungsstörung
Alkohol
Neurasthenie
Diagnosen mit n>20
Baer, Frick & Fasel 2009
5
10
15
20
25
30
35
70% der IV-Rentner aus «psychogenen» Gründen
haben mindestens eine Persönlichkeitsakzentuierung
0%
Ängstlich-vermeidend, selbstunsicher
Emotional-instabil, impulsiv
Abhängig, unselbständig
Egozentrisch, kränkbar,
anerkennungssüchtig
Misstrauisch, überempfindlich
Theatralisch, aufmerksamkeitssüchtig
Rigid, perfektionistisch
Kühl, distanziert
Verantwortungslos, aggressiv
Baer, N., Frick, U., Fasel, T. (2009)
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
«Wie dringend möchten Sie arbeiten?»
Befragung Klinik‐ und Tagesklinikpatienten, Baselland 2007 (n = 166)
Arbeitswunsch
40%
35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
32.0%
Angst vor Arbeitsaufnahme
35.0%
60
50
49
42
34
40
12.0%
15.0%
26
30
20
10
0
möchte nicht
arbeiten
möchte
möchte
unbedingt so
langfristig
mittelfristig
schnell wie
wieder arbeiten wieder arbeiten
möglich
möchte nicht
arbeiten
möchte
möchte
langfristig
mittelfristig
wieder arbeiten wieder arbeiten
unbedingt so
schnell wie
möglich
Verhalten der „schwierigen“ Mitarbeiter
Belastung der Vorgesetzten
Ärger / Wut über sein Verhalten
Gefühle von Frustration / Ohnmacht / Hilflosigkeit
Konflikte mit dem Team / Ihrem Vorgesetzten
Probleme mit dem Abschalten nach der Arbeit
Kündigungsgedanken
Mitleid und Hilfebedürfnis; das Gefühl, Sie seien seine
einzige Chance
Verunsicherungen, ob Sie als Führungskraft / HR
überhaupt geeignet seien
Schlafprobleme / Müdigkeit / Erschöpfungsgefühle
juristische Probleme
0%
10%
20%
30%
40%
50%
Frage: "Hatten Sie wegen der Situation mit dem Mitarbeiter jemals… ? (Bitte das jeweils Zutreffende anklicken) 60%
70%
Probleme werden früh bemerkt, aber erst spät
bewusst realisiert
Problem erstmals wahrgenommen
rückblickender Problembeginn
40
34.9
35
29.4
30
25.3
23.4
25
17.6
20
15
10.6
10
5
16.3
14.3
9.2
7.5
8.7
2.9
0
vor
Stellenantritt
15-09-15
seit
Stellenantritt
< 6 Monate
nach Antritt
6‐12 Monate
nach Antritt
Niklas Baer, Psychiatrie BL
1‐2 Jahre nach
Antritt
3‐5 Jahre nach
Antritt
13
«Rückblickend betrachtet: Hatten Sie schon beim
Anstellungsverfahren irgendwann ein "komisches"
Gefühl?»
Quelle: Befragung von Führungskräften und Personalverantwortlichen in der Region Oberaargau (BE).2015
Der « richtige » Zeitpunkt, Probleme anzusprechen
Quelle: Befragung von Führungskräften und Personalverantwortlichen in der Region Oberaargau (BE).2015
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Wie intervenieren Vorgesetzte und HR?
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
15-09-15
Niklas Baer, Psychiatrie BL
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Viele Leistungsappelle, selten externe Hilfe – wie
Vorgesetzte intervenieren
Aktivismus
15-09-15
zuwarten
Leistung einfordern
Niklas Baer, Psychiatrie BL
professionelle Hilfe
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
Aktivismus
15%
Zuwarten
24%
Leistung einfordern
47%
professionelle Hilfe
14%
17
Die Schweiz hat ein enormes Potential, aber…
Quelle: OECD (2014), Mental Health and Work: Switzerland. OECD Publishing.
«Hatten Sie jemals einen Kontakt zum behandelnden
Arzt?» (2015 b)
15.7
nein
8.3
ja, das war insgesamt
eher/sehr hilfreich
76.0
ja, das war insgesamt
eher nicht/gar nicht
hilfreich
0%
Der Arzt hat sich für unsere Einschätzungen
über den MA interessiert
Der Arzt hat mit mir zusammen den
Wiedereinstieg des MA nach der
Krankheitsabsenz besprochen
Der Arzt hat Informationen über die
Einschränkungen des MA gegeben
Der Arzt hat Informationen gegeben, wie ich
mit dem MA umgehen soll
Der Arzt hat Informationen gegeben, wie
man Arbeitsplatz/‐aufgaben des MA
anpassen kann
Quelle: Befragung von Führungskräften und Personalverantwortlichen in der Region Oberaargau (BE).2015
20%
40%
60%
80%
Viel Ablehnung und Stress, wenig Hilfsbereitschaft
– wie Teams reagieren
100%
80%
60%
Hilfsbereitschaft
Ambivalenz, Verunsicherung, Stress
Ablehnung, Ärger, Wut
40%
20%
ld
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0%
15-09-15
Niklas Baer, Psychiatrie BL
Hilfsbereitschaft
33%
Ambivalenz, Verunsicherung, Stress
21%
Ablehnung, Ärger, Wut
46%
20
Belastung der Arbeitskollegen (2015 b)
Frage: «Kam es Ihres Wissens infolge der Probleme dazu, dass Mitarbeitende sich überlegt haben, selbst den Arbeitsplatz zu wechseln?» ja, mehrmals
ja, einmal
nein, gar nicht
15.4
17.9
66.7
Quelle: Befragung von Führungskräften und Personalverantwortlichen in der Region Oberaargau (BE), 2015 (Publikation in Vorbereitung)
Was heisst „Problemlösung“?
Aktuelle Wahrnehmung des Problems - nach Status des
Arbeitsverhältnis
100%
15.4%
90%
16.5%
32.0%
80%
70%
60%
50%
89.4%
84.6%
40%
83.5%
Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst
(47%)
68.0%
30%
Arbeitsverhältnis aufgelöst (53%)
20%
10%
10.6%
0%
verschärft (4.3%)
15-09-15
unverändert
(23.2%)
verbessert
(28.2%)
gelöst (44.2%)
Niklas Baer, Psychiatrie BL
22
Was können Vorgesetzte tun?
Erster Schritt: Verantwortung übernehmen  Problem ansprechen: früh, klar, verhaltensbezogen, wertschätzend gg Person
 Arbeitsproblem verstehen; klare Vorgaben entwickeln; Unterstützung anbieten
 Stabsdienste beiziehen; Kontakt zum behandelnden Arzt
 Ggf im Team knapp kommunizieren Zweiter Schritt: Verantwortung teilen  Bedingungen stellen bezüglich (je nach betrieblichen Bestimmungen):
 Leistung und Sozialverhalten des Mitarbeiters
 Zuweisung zu professioneller Unterstützung, Behandlung  Information durch Behandelnde (Arbeitsanpassungen, Planung Wiedereinstieg etc.)
 Setting, Überprüfung
 Im Team kommunizieren
15-09-15
Niklas Baer, Psychiatrie BL
23
Weitere Informationen
Trainingstool für Führungskräfte und Personalverantwortliche:
www.leaderscare.ch
Die Kampagne «Alles Gute Basel» setzt sich für die Entstigmatisierung
psychischer Erkrankungen ein: www.allesgutebasel.ch
Broschüre «Wie gehe ich mit psychisch belasteten Mitarbeitenden um? –
Ein Leitfaden für Arbeitgeber und Führungskräfte»: https://www.rheinleben.ch/print/arbeitgeber.pdf Broschüre «Arbeitsplatzerhalt bei psychischer Erkrankung –
Was Psychiaterinnen und Psychiater tun können»: https://www.rheinleben.ch/print/arbeitsplatzerhalt.pdf
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