SE IT E 16 · M O N TAG , 2 8 . S E P T E M B E R 2 0 1 5 · N R . 2 2 5 Wirtschaft F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Europlatz Frankfurt DER BETRIEBSWIRT Integration braucht Flexibilität Der Mythos Konzernzentrale Von Holger Schmieding Jahr wird Deutschland Imehrnnachdiesem Schätzungen etwa 500 000 Zuwanderer aufnehmen als am Sie werden als Zeichen von Leistung und Erfolg bewundert, aber auch als Ort der Machtkämpfe und Bürokratie misstrauisch beäugt. Haben Konzernzentralen in Zeiten der digitalen Vernetzung und der Globalisierung noch einen Sinn? Von Markus Menz, Sven Kunisch und David J. Collis ast jeder kennt sie: die DeutscheBank-Türme in Frankfurt, die BMW-Zentrale im markanten VierZylinder-Hochhaus in München oder das herrschaftliche Siemens-Hauptquartier am Münchener Wittelsbacherplatz. Sie alle sind Wahrzeichen für ihre Unternehmen. Und nicht nur traditionsreiche Banken und Industrieunternehmen, auch die Stars des Internetzeitalters bauen medienwirksam gigantische Zentralen: „Googleplex“ oder „Apple Circle“ setzen den globalen Anspruch einstiger Garagen-Startups wirkungsvoll in Szene. Immer wieder finden solche Konzernzentralen in der Wirtschaftswelt, aber auch in der breiten Öffentlichkeit Beachtung. Dabei blicken die meisten Menschen mit gemischten Gefühlen auf die prächtigen Hauptquartiere: Zur Bewunderung des Machtzentrums, in dem Weichen für die Zukunft gestellt und über Karrieren entscheiden wird, gesellt sich eine instinktive Skepsis gegenüber der Zusammenballung einer vermeintlich lähmenden Bürokratie oder dem Austragungsort brutaler Rangordnungskämpfe. Dieser Ambivalenz liegen vielfach Vorurteile zugrunde: Denn um kaum eine andere Organisationseinheit ranken sich so viele Mythen wie um die Konzernzentrale. Vor allem drei weitverbreitete Meinungen tauchen immer wieder auf. Erstens: Die Konzernzentrale wird als unnützer „Overhead“ gesehen – als Wasserkopf, der geringen Nutzen, aber hohe Gemeinkosten verursacht, die von dem Unternehmen wiederum zusätzlich zu erwirtschaften sind. Dazu gehört auch das Bild von der Konzernzentrale als Bürokratiemonster, dessen Daseinszweck vor allem darin zu bestehen scheint, die operativen Einheiten von der Arbeit abzuhalten. Bei Mitarbeitern außerhalb der Zentrale gehören deshalb Spott und Hohn über die Verwaltung traditionell zum guten Ton. Daraus abgeleitet, besagt ein weiteres Vorurteil, dass kleine Konzernzentralen besser sind als große. Die pauschale Forderung, Unternehmen sollten ihre Zentralen „abspecken“, ist eine der meistgelesenen Aussagen in der Presse. „Unternehmen haben noch immer zu viele Köpfe in der Zentrale“ beklagte etwa der „Economist“ 2008, um sechs Jahre später – nur wenig hatte sich offenbar geändert – nachzulegen: „Konzernzentralen haben Gewicht angesetzt und müssen wieder abnehmen.“ Zu diesen beiden Vorurteilen kommt als drittes Element die meist als selbstverständlich vorausgesetzte Annahme, jedes Unternehmen habe genau eine Heimat, nämlich die Zentrale. Vielfach wird mit ihr ein physischer Ort, oft ein repräsentatives Gebäude verbunden, in dem das Topmanagement des Unternehmens sitzt. Die eingangs genannten Beispiele zeigen dies exemplarisch. Doch wie viel Wahrheit steckt hinter all diesen Aussagen? Ein Blick auf die Forschung der vergangenen 50 Jahre fördert eine Fülle von Erkenntnissen über Rolle und Bedeutung der Konzernzentrale zutage, die manches Vorurteil erschüttern, gleichzeitig aber noch wichtige Lücken zeigen. Um dem auf den Grund zu gehen, ist es notwendig, auf die drei Dimensionen der Konzernzentrale einzugehen: das „Warum“, also Daseinszweck und strategische Dimension der Zentrale; das „Wie“, also die Frage nach der organisatorischen Gestaltung, das ist die strukturelle Dimension; und schließlich das „Wo“, also Standort und geographische Dimension. Es wird sich zeigen, dass alle drei Aspekte miteinander verbunden sind. Warum gibt es überhaupt ein Hauptquartier? Die „raison d’être“ ist zweifelsfrei die Kernfrage in der Forschung zur Konzernzentrale. In der Vielzahl von Aufgaben und Funktionen, die diskutiert werden, lassen sich zwei grundlegende Rollen unterscheiden: Erstens erfüllt die Zentrale eine administrative Rolle. Gerade ökonomische Theorien stellen sie ins Zentrum: Hierzu gehört die Erfüllung von gesetzlichen oder regulatorischen Aufgaben, die jedes Unternehmen erfüllen muss, etwa Konzernrechnung und Compliance. Ferner zählt dazu das Schaffen interner Anreizsysteme und entsprechend die Kontrolle der verschiedenen operativen Einheiten des Unternehmens. Während sich die Kosten der Konzernzentralen, sei es für Mitarbeiter, Infrastruktur oder die Gebäude, relativ verläss- Jahresbeginn erwartet. Damit wird sich unsere Wohnbevölkerung um etwa 0,6 Prozent erhöhen. Wenn wir die Weichen der Wirtschaftspolitik richtig stellen, könnten wir einen Teil unseres demographischen Problems für das kommende Jahrzehnt lösen. Wenn wir uns allerdings weigern, unsere Wirtschafts- und Bildungspolitik entsprechend anzupassen, könnten uns in einigen Jahren zunehmend kostspielige Probleme drohen. Kurzfristig gibt der Staat für Zuwanderer mehr Geld aus. Für die zweite Hälfte dieses Jahres und für 2016 könnten die Zusatzausgaben bei etwa 0,4 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Wegen der Wirtschaftsstärke, die wir den Reformen der Agenda 2010 zu verdanken haben, lässt sich dies gut verkraften. Deutschland kann trotzdem einen Überschuss im Staatshaushalt erwirtschaften. Konjunkturell ergeben diese Mehrausgaben einen kleinen fiskalischen Stimulus, der beim Staatsverbrauch und dem privaten Konsum sichtbar wird. Für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann dies den Rückschlag durch weniger Ausfuhren in Schwellenländer sowie den zu vermutenden Einbruch bei Produktion und Absatz von Dieselautos in etwa ausgleichen. Da es Zuwanderer vor allem in die Ballungsgebiete zieht, kann sich die Kluft zwischen robusten Immobilienmärkten dort und schwächelnden Wohnungsmärkten im ländlichen Raum noch etwas vertiefen. Auf der Nachfrageseite sind dies allerdings eher kurzzeitige Effekte. Langfris- F tig kommt es vor allem auf die Angebotsseite an. Die Mehrheit der Zuwanderer möchte arbeiten, auch deshalb streben sie zu uns. Viele Zuwanderer sind offenbar hochmotiviert, einige zudem gut gebildet. Allerdings mangelt es ihnen weitgehend an Kenntnissen der deutschen Sprache sowie vielfach an einer für unseren Arbeitsmarkt unmittelbar relevanten Berufserfahrung oder Ausbildung. Selbst wenn es uns gelingt, ihren Aufenthaltsstatus rasch zu klären und denjenigen, die bleiben können, schnell Grundkenntnisse unserer Sprache und Gepflogenheiten zu vermitteln, werden die meisten wohl zunächst auf eher niedrigem Niveau in den Arbeitsmarkt einsteigen müssen, um sich dann schrittweise hochzuarbeiten. Die wirtschaftspolitisch wichtigste Aufgabe ist es, Zugangshürden zum Arbeitsmarkt abzubauen. Mit einem neuen Angebot an nicht voll qualifizierten Arbeitskräften müssen wir einen größeren Niedriglohnsektor zulassen. Ansonsten würden wir viele Zuwanderer zu langer und teurer Arbeitslosigkeit verurteilen. Konsequent wäre ein Senken des Mindestlohns für alle Einsteiger in unseren Arbeitsmarkt für einige Jahre. Zusätzlich müssten alle Pläne vom Tisch, Zeitarbeit und andere flexible Beschäftigungsformen zu beschränken. Wenn wir mehr Flexibilität gewähren, kann das zusätzliche Angebot an Arbeitskräften unser Wachstumspotential erhöhen. Damit vermindern wir gleichzeitig das Restrisiko eines unerwünschten Anstiegs der Inflation. Darüber würde sich auch die Europäische Zentralbank freuen. Der Autor ist Chefvolkswirt bei Berenberg. WIRTSCHAFTSBÜCHER Illustration Peter von Tresckow lich bestimmen lassen, ist der Mehrwert nur schwer in Zahlen zu fassen. Und da kein Unternehmen um die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten wie die Erstellung eines Konzernabschlusses oder das Risikomanagement herumkommt, bietet dieser Bereich nur wenig Potential zur (strategischen) Abgrenzung von den Wettbewerbern. Zweitens wird der Zentrale auch eine wertstiftende Rolle zugeschrieben – vor allem in Managementtheorien. Hierzu zählen zum einen Shared Services etwa im Personalwesen und in der Informatik, die aus Effizienzgründen zentralisiert sind; und zum anderen Aktivitäten zur (langfristigen) Wertschaffung für das Gesamtunternehmen, etwa strategische und koordinative Aufgaben. Anders als bei der ersten Rolle mit ihrem administrativen Charakter („loss preventing“) zeigt sich hier die eigentliche strategische Bedeutung („value adding“), die den Konzernzentralen oft zugeschrieben wird. Dass mit dieser (vermeintlich) wertstiftenden Funktion wichtige Stellhebel für den Unternehmenserfolg verbunden sind, wird oft nicht ausreichend beachtet. Wie diese Hebel sich auswirken, hängt von der strategischen Ausrichtung des Gesamtunternehmens ab. Einige Konzerne üben einen großen Einfluss auf die Strategie der verschiedenen Unternehmensbereiche aus. In ihren Zentralen sind daher eigene Stäbe mit umfangreichen Kompetenzen für Strategie und Akquisitionen anzutreffen. Das Gegenmodell sind eher dezentral ausgerichtete Unternehmen, in denen sich die Zentrale auf die finanzielle Steuerung der operativen Einheiten beschränkt. In diesen Fällen sind in den Zentralen neben den obligatorischen Aufgaben nur wenige weitere Aktivitäten angesiedelt. Angesichts dieser administrativen und wertstiftenden Funktionen greift der Vorwurf des „unnützen Wasserkopfes“ in doppelter Hinsicht zu kurz. Verschiedene Studien zeigen unisono, dass die Konzernzentrale nicht per se Wert vernichtet, sondern dass die Abstimmung von Unternehmensstrategie, Organisationsstruktur und Ausgestaltung der beiden Rollen der Konzernzentrale für den Unternehmenserfolg entscheidend ist. In der Zentrale von Warren Buffets Unternehmensholding Berkshire Hathaway arbeiteten im vergangenen Jahr laut Geschäftsbericht gerade einmal 25 Mitarbeiter – bei einer Gesamtunternehmensgröße von etwa 340 000 Mitarbeitern und rund 195 Milliarden Dollar Umsatz. Zur gleichen Zeit beschäftigte die Schweizer Großbank UBS allein in ihrer Zentrale 23 637 Mitarbeiter. Ist die Zentrale des einen Unternehmens deshalb tausendmal so effektiv wie die des anderen? Gerade die weitverbreitete Annahme, eine kleine Konzernzentrale sei nicht nur (kosten)effizienter, sondern auch mit weniger Einmischung in das operative Geschäft verbunden, lässt sich mit Blick auf die Forschung nur schwer stützen. Mehrere Studien zeigten in den 1990er und 2000er Jahren eine ungeheure Vielfalt von Größe und Aufbau der Zentralen. Daraus ab einer bestimmten Größe auf ein wertfressendes Bürokratiemonster zu schließen wäre jedoch ein Trugschluss. Vielmehr zeigen sich naheliegende Ursachen für die erheblichen Unterschiede: Verschiedene Branchen und Industrien erfordern eine unterschiedliche Steuerung, andere Länder mit anderen regulatorischen Anforderungen und kulturellen Hintergründen bringen andere Zentralen hervor. Darüber hinaus ist jedoch vor allem ein Aspekt wichtig, den wir weiter oben angesprochen haben: Es gibt eine enorme Bandbreite, wie die Rollen der Zentrale ausgestaltet sind, und entsprechend variiert auch der Bedarf an Ressourcen und Mitarbeitern. Nimmt ein Unternehmen eine Managementfunktion aus den Geschäftsbereichen heraus und zentralisiert sie in der Konzernzentrale, so führt dies zwar zu mehr Mitarbeitern in der Zentrale, aber mit Blick aufs ganze Unternehmen womöglich zu Kosten- und Qualitätsvorteilen. Es gibt keinen empirischen Beweis dafür, dass kleinere Zentralen besser sind als größere – im Gegenteil zeigt beispielsweise eine umfangreiche Studie Professor Collis und seinen Kollegen, dass erfolgreiche Unternehmen durchaus über große Zentralen verfügen können. Nicht die kleine, sondern die passende Größe sollte es sein – und die hängt von sehr verschiedenen Faktoren ab. Siemens sieht seine neugestaltete Zentrale am Münchener Wittelsbacherplatz als „Visitenkarte“ des Konzerns. Der Chemieriese BASF bezeichnet seine Zentrale gar als „Herz“ des Unternehmens. In jedem Fall wird mit der Konzernzentrale ein physischer Ort, oft repräsentatives Gebäude assoziiert, in dem das Topmanagement des Unternehmens sitzt. Oft von Stararchitekten designt, spielt es eine erhebliche Rolle bei der Selbstdarstellung. Gleichzeitig zeigt sich aber ein gegenläufiger Trend: Es wird immer weniger von der einen Zentrale gesprochen, die vielen verschiedenen Managementfunktionen eine Heimat gibt. Stattdessen haben verschiedene Aufgaben verschiedene Heimaten, die sich durchaus an verschiedenen Orten befinden können. Unsere eigenen Untersuchungen zeigen, dass bereits zur Jahrtausendwende fast jedes zweite große Unternehmen die Zentrale auf zwei oder mehr Standorte verteilte. Aktuelle Zahlen deuten darauf hin, dass sich dieser Trend seitdem weiter verstärkt hat. Wenn die Holding des FiatKonzerns, der seine Heimat Turin sogar im Namen führt (Fiat steht für „Fabbrica Italiana Automobili Torino“) nach der Fusion mit dem amerikanischen Autobauer Chrysler ihren rechtlichen Firmensitz in den Niederlanden ansiedelt, ihren Steuersitz aber in Großbritannien hat und ihre Aktien vor allem in New York handelt, so ist dies nur das extreme Beispiel für einen Trend zur geographischen Dispersion, der sich zunehmend in Unternehmenszentralen verbreitet. Oft verlagern Firmen zentralisierte Funktionen dorthin, wo sie am besten ausgeführt werden können oder am sinnvollsten erscheinen. Diese Entwicklung begann mit dem Auslagern von Shared Services (Stichwort: Outsourcing) und geht heute so weit, dass wertschaffende Konzernaktivitäten global lokalisiert werden und einige Unternehmen behaupten, sie hätten lediglich noch eine virtuelle Konzernzentrale, da ihre Topmanager zwischen verschiedenen Standorten pendeln. Ob beim Outsourcing die erwarteten Kostenvorteile den höheren Koordinationsaufwand aufwiegen, ist indes in der Forschung nicht unstrittig. Und auch über die Rolle und Bedeutung von „verteilten“ bis hin zu „virtuellen“ Konzernzentralen und den vielschichtigen, damit verbundenen Fragestellungen, gibt es bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. Eine Prognose lässt sich heute mit einiger Wahrscheinlichkeit treffen: Auch in Zukunft wird jedes Unternehmen eine Konzernzentrale haben – sei es als echtes Machtzentrum oder identitätsstiftender symbolischer Ort für Mitarbeiter und andere Stakeholder. Und auch wenn eine intensivere betriebswirtschaftliche Forschung mehr Klarheit über ihre beste Gestaltung liefert: Auch in Zukunft wird sie gerade wegen dieser symbolischen Bedeutung Ziel von Bewunderung, Kritik und alten wie neuen Vorurteilen bleiben. Der Inhalt dieses Beitrags basiert auf dem Forschungsartikel „The Corporate Headquarters in the Contemporary Corporation“, Academy of Management Annals, Vol. 9/2015 (www.the-chq.com). Futuristisch: Die künftige Apple-Zentrale Markus Menz ist Professor an der Universität Genf (Schweiz). Sven Kunisch ist Dozent an der Universität St. Gallen (Schweiz). David J. Collis ist Professor Foto Archiv an der Harvard Business School (Boston). Der Kopf zählt Resultate international vergleichender Ökonometrie Eric Hanushek (Hoover, Stanford) und Ludger Woessmann (München) stellen die Frage, wie sich die Humankapitalausstattung auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Die Antwort ist eindeutig: Der Einfluss ist sehr stark. Man muss allerdings die Fähigkeiten der Menschen richtig erfassen: über Testergebnisse, die mathematische oder naturwissenschaftliche Kenntnisse oder Lesefähigkeit erfassen und nicht nur den Schulbesuch, der zwar Kenntnisse vermitteln soll, aber nicht selten dabei versagt. Kern des Buches sind Regressionsanalysen, in denen die Wachstumsunterschiede zwischen meist rund 50 Ländern zwischen 1960 und 2000 erklärt werden. Neben den durch Tests erfassten kognitiven Fähigkeiten spielt das Ausgangsniveau des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf eine Rolle, manchmal auch institutionelle Merkmale von Volkswirtschaften, wie Offenheit oder Eigentumsschutz, aber der Schulbesuch hat keine direkten Effekte. Auf den Lernerfolg kommt es an. Das gilt an beiden Enden der Testskalen, wobei erstaunlicherweise in Entwicklungsländern der Effekt der Hochleistungsfähigen auf das Wachstum besonders stark ist. Das entscheidende dritte Kapitel wird in den beiden ersten vorbereitet durch eine allgemeine Diskussion von mehr oder weniger erfolgreichen Ländern, etwa Wirtschaftswunder in Ostasien und schwaches Wachstum in Lateinamerika, durch eine sehr kurze Skizze unterschiedlicher Wachstumsmodelle und vor allem im Anhang zum zweiten Kapitel dazu, wie man die verschiedenen Testergebnisse in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Testaufgaben für unterschiedlich alte Schülergruppen zu einer gemeinsamen, international vergleichbaren Skala zusammenfassen kann. Im vierten bis sechsten Kapitel setzen sich Hanushek und Woessmann mit denkbaren Einwänden gegen ihre These auseinander, dass kognitive Fähigkeiten ein entscheidender Wachstumsmotor sind. Das führt zu einer großen Zahl zusätzlicher Regressionen. Zweifel an der kausalen Interpretation des Zusammenhangs werden zurückgewiesen. Es wird auch gezeigt, dass eine Trendverbesserung bei den kognitiven Leistungen mit einer Verbesserung des Wachstumstrends korreliert. Den Wachstumsunterschied zwischen Lateinamerika und Ostasien kann man weitgehend durch die viel besseren ostasiatischen Testergebnisse erklären. Auch unter den hochentwickelten westlichen Gesellschaften bleibt der Effekt kognitiver Fähigkeiten sehr stark. In den beiden letzten Kapiteln diskutieren die Autoren Möglichkeiten zur Verbesserung des Wachstums durch Verbesserung der Testergebnisse. Sie können leicht starke Wohlstandseffekte aufzeigen, wenn es gelänge, überall ein gewisses Minimum an Fähigkeiten zu erzeugen oder man in allen entwickelten Ländern so gute Ergebnisse wie lange in Finnland erreichen könnte. Schwerer fällt Hanushek und Woessmann, der Politik einen Weg aufzuzeigen, wie man von der unbefriedigenden Gegenwart in die bessere Welt von morgen gelangen kann. Zwar würde auch eine Erhöhung der Lehrergehälter um 50 Prozent nur einen Bruchteil der Wachstumsgewinne aufzehren, aber die Autoren wissen, dass zwar die Qualität der Lehrer von entscheidender Bedeutung für den Ausbildungserfolg ist, aber sowohl das Gehalt als auch andere leicht messbare Lehrermerkmale keinen nennenswerten Einfluss auf den Lernerfolg ihrer Schüler haben. So bleibt nur die Hoffnung auf Anreizverbesserungen für Lehrer und Schüler oder auf Wettbewerb zwischen Schulen. Weil das Buch zumindest Grundkenntnisse der Ökonometrie und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten bei der Konstruktion vergleichbarer Skalen voraussetzt, ist es nicht leicht lesbar. Wegen der Wichtigkeit der Kernbotschaft und der Solidität ihrer Absicherung sind dem Buch aber möglichst viele Leser zu wünschen. ERICH WEEDE Eric A. Hanushek and Ludger Woessmann: The Knowledge Capital of Nations. MA: MIT Press Cambridge 2015, 262 Seiten, 28 Dollar Die Regulierung zählt Wege zu einem krisenfesteren Finanzsystem Die jüngste Finanzkrise hat verdeutlicht, wie wichtig eine gute Regulierung der Finanzbranche ist. Wie eine solche Regulierung auszusehen hätte, ist allerdings unter Ökonomen wie unter Praktikern umstritten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine gute Bankenaufsicht sollte dazu beitragen, dass existenzgefährdende Risiken für Banken rechtzeitig entdeckt und neutralisiert werden. Andererseits kann es aber kein Ziel einer Regulierung sein, Banken um jeden Preis am Markt zu halten. Auch der Marktaustritt als Folge geschäftspolitischen Scheiterns muss möglich bleiben. Das vorliegende, von vier Professoren am House of Finance der Frankfurter Goethe-Universität herausgegebene Buch, behandelt aktuelle Regulierungs- themen in vierzehn Fachaufsätzen. Ein erster Teil befasst sich mit der Frage nach der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung finanzwirtschaftlicher Regulierungen. Hier geht es unter anderem um optimale Geldpolitik in einer europäischen Bankenunion, um politökonomische Aspekte einer gemeinsamen europäischen Bankaufsicht und um die Bedeutung der Stresstests für die europäischen Banken. In einem zweiten Teil behandeln Aufsätze den optimalen Schutz von Kapitalanlegern und Schuldnern durch Regulierungen. Dazu gehört auch die Frage, ob es eines weitreichenden Schutzes überhaupt bedarf. gb. Ester Faia & et alii: Financial Regulation. A Transatlantic Perspective. Cambridge University Press, Cambridge 2015, 350 Seiten, 79,99 Pfund
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