120 9. Organische Chemie 9.1 Nomenklatur, funktionelle Gruppen

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9. Organische Chemie
9.1 Nomenklatur, funktionelle Gruppen
Trotz vielfacher Bemühungen um eine systematische Benennung organischer
Moleküle haben sich eine Reihe von „Trivialnamen“ bis heute gehalten (Benzol,
Naphthalin, Essigsäure, Harnstoff, Furan u.v.a.), teils aus Gewohnheit, teils weil die
Trivialnamen erheblich kürzer sind. Weiterhin sind vielfach (selbst in amtlichen
Vorschriften) Abkürzungen im Gebrauch (DDT), auch für ganze Stoffklassen (PAK).
Eine weitgehend akzeptierte Systematik der Benennungen organischer Verbindungen
ist die „IUPAC-Nomenklatur für organische Verbindungen“1, deren Benutzung auch
von einschlägigen Journalen bei wissenschaftlichen Publikationen verlangt wird. In
der Vorlesung werden nur verhältnismäßig einfache Verbindungen benannt, zunächst
einfache Kohlenwasserstoffe. (Erinnern an kovalente Bindung, Hybridisierung,
Mehrfachbindung, Kap. 3)
9.1.1 Alkane, Alkene, Alkine
Lineare Alkane (Methan, Ethan, Propan, Butan, Pentan, Hexan, Heptan,
…griechisch weiterzählen); heißen auch „gesättigte“ Kohlenwasserstoffe, die
nur Einfachbindungen zu C-Atomen enthalten
Lineare Alkene: n-Alkane, die eine oder mehrere Doppelbindungen (πBindungen) enthalten (ungesättigte Verbindungen, mit nicht-konjugierten
Doppelbindungen, s.u., heißen sie Olefine)
Lineare Alkine: Alkane, die eine oder mehrere Dreifachbindungen enthalten
(auch ungesättigt)
Gruppenname
Name (Beispiel)
Alkane
Methan
n-Hexan
1-Buten
1,3-Butadien,
Buta-1,3-dien
2-Pentin
Alkene
Alkine
Valenzstrich- Summenformel(n)
Formel, Hs
weggelassen
CH4
H3C(CH2)4CH3, C6H8
C4H8
C4H6
C5H8
Cyclische Alkane, Alkene, Alkine
Beispiel
Cyclopropan,
Cyclohexan
Valenzstrichformel, Hs Summenformel
weggelassen
C3H6, C6H12
Cyclopenten,
1,4-Cyclohexadien
C5H8, C6H8
Cyclohexin
C6H8
1
Bemerkung
Summenformel
nicht
eindeutig:
C6H8 gibt es
zweimal
Die Abkürzung steht für International Union of Pure and Applied Chemistry. Die IUPAC-Regeln sind
über verschiedene web-Seiten zugänglich, z.B <http://www.acdlabs.com/iupac/nomenclature/>
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Verzweigte Alkane, Alkene, Alkine. Substituenten (substituieren ein H-Atom)
erhalten die Endsilbe -yl
Beispiel
Valenzstrichformel,
Summenformel
Bemerkung
Hs weggelassen
2-Methylpropan
C3H10
(Isobutan)
3-Methyl-5C12H26
Längste Kette
ethylnonan
gibt Namen,
Nummerierung
der Substituenten
an der niedrigsten
Nummer
beginnen
3-Ethylhept-3-en
C6H18
(auch
3-Methylhepten-3)
9.1.2 Aromaten
Aromaten: Cylische Kohlenwasserstoffe mit (4n+2) π-Elektronen, die (formal)
alternierende Einfach- und Doppelbindungen enthalten (π-Elektronen delokalisiert).
Viele haben Trivialnamen. Heteroaromaten sind Aromaten mit Heteroatomen (N, O,
S, P, etc, anstelle von C); typisch: Rußbildung bei der Verbrennung.
Beispiel
Valenzstrichformel,
Summenformel
Bemerkung
Hs weggelassen
Benzen oder
C6H6
Benzol
Anthracen
C14H10
Phenanthren
C14H10
Pyren
C16H10
Heteroaromaten
C5H5N
Pyridin
Summenformel
nicht eindeutig:
C14H10 gibt es
zweimal
gehört zu PAK
(polyaromatische
Kohlenwasserstoffe)
reagiert basisch
N
Furan
C4H4O
O
Cyclohepatrien,
Cylopentadien
nicht Aromaten:
C7H8, C5H6
Zwei, drei, 4 gleiche Substituenten: Vorsilben di-, tri-, tetra-
Ein freies
Elektronenpaar am
O gehört zum
aromatischen πElektronen.System
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1,3,5-Trimethylbenzen (triv. Mesitylen)
9.1.3 Funktionelle Gruppen
Unter dem Begriff versteht man bestimmte Substituenten an Kohlenwasserstoffen, die
zumeist Heteroatome enthalten und die die Reaktivität der Verbindung bedingen oder
beeinflussen.
Dazu gehören hauptsächlich
–OH-Gruppen → Verbindungen heißen dann Alkohole, gekennzeichnet durch die
OH
OH
OH Ethanol,
Endsilbe -ol;
Cyclobutanol,
Phenol (triv.).
–NH2-Gruppen → Verbindungen heißen dann Amine; die Aminogruppe kann selbst
N
NH2
substituiert sein;
Propyl-1-amin (1-Aminopropan),
Triethylamin.
–NO2-Gruppen → Verbindungen heißen dann Nitroverbindungen, Vorsilbe Nitro-:
NO2
Nitrobenzol
–Halogen → Verbindungen heißen dann Halogen(haltige)-Verbindungen, Vorsilben
Cl
OH
Fluor- Chlor-, Brom-, Iod-:
1-Chlor-cyclopentan-3-ol, oft heißt es auch
auch z.B. H3CCl Methylchlorid (ist aber kein Salz, nicht ionisch!).
–COOH-Gruppen (Carboxylgruppen, org. Säuren) → siehe Carbonylverbindungen im
Kap. 9.2.5.
Verbindungen mit R–CH2–O–CH2–R-Gruppen heißen Ether, zum Beispiel das (heute
nur noch in Krimis benutzte) Betäubungsmittel Diethylether (H3C–CH2–O–CH2–
CH3). Mit –R werden irgendwelche „Reste“ am Molekül bezeichnet (abgekürzt), die
man nicht explizit nennen will, weil es verschiedene sein können oder weil sie in der
jeweiligen Betrachtung keine Rolle spielen.
Feinheiten wie die Reihenfolge der Aufzählung von Substituenten oder welcher
Substituent den Namen gibt sollen müssen in dieser Lehrveranstaltung nicht genau
HN
OH
beachtet werden ( 2
4-Aminobutan-1-ol, weil OH schwerer ist als
NH2). Die Positionsangaben müssen jedoch eindeutig sein.
9.2 Einfache Reaktionsmechanismen
(Anders als in der anorganischen Chemie ersetzen aus Platzgründen oft Reaktionsschemata die stöchiometrisch ausgeglichenen Gleichungen)
Die Ladungsverteilung (in polarisierten kovalenten Bindungen, s. Kap. 3) entscheidet
über die Reaktivität der Verbindung und über die Stelle im Molekül, an welcher die
Reaktion stattfindet. Reaktanden haben 3 Grundtypen des Angriffs auf andere
Moleküle zur Verfügung:
- radikalisch – greift nicht (stark) polarisierte Bindungen wie R-H an
- elektrophil – greift elektronen(dichte)reiche Positionen im Molekül an
- nucleophil – greift elektronenarme Positionen im Molekül an.
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Die letzten beiden Reaktionstypen werden durch I- und M-Effekte (Induktionseffekte,
Meosomerieeffekte) begünstigt. Der Induktionseffekt verstärkt die Polarisierung einer
kovalenten Bindung zum benachbarten C-Atom. Man unterscheidet den
-I-Effekt, der Elektronendichte vom benachbarten C-Atom wegzieht (läuft im
PS wie die Elektronenaffinität, d.h. C<N<O<F, bzw. I<Br<Cl<F) und den
+I-Effekt, der Elektronendichte zum benachbarten C-Atom hindrückt, also
negative Ladungen, Teilladungen oder freie Elektronenpaare.
-I-Effekt
+I-Effekt
O
CH3
R
N
OR
<
+
N R
<
R
C CH3
H2
methyl- ethyl-
R
R
<
R
N_
F
<
Aminogr. <
Ethergr.
R: Rest, z.B. Alkyl-
<
< Halogen
neg. geladen
<
CH3
CH3
C
<
H CH
3
2-propyl-
CH3
CH3
isobutyl-
–I<–Br<–Cl
(aber gleichzeitig –I-Effekt der HalogenSubstituenten)
+ R
O
R
R
R
R
<
Vinyl-gr
R
<
Phenyl-gr
R
<
N
N
R
Alkinyl-gr.
N
<
R
Amino-gr.
Schiff-Base
Nitrilo-gr
Bestimmte Zusätze zum Reaktionsgemisch verstärken den –I-Effekt, z.B.
Verbindungen mit einer Elektronenpaarlücke, sog. Lewis-Säuren wie AlCl3
Cl
C
Cl
Al
Cl
Cl
δ++ δ− δ−
starke positive Teilladung am C
Mesomerie-Effekte
Voraussetzung für das Auftreten eines Mesomerie-Effekts ist das Vorliegen
sogenannter konjugierter Doppelbindungen (abwechselnd Doppelbindung und
Einfachbindung, ggf. unter Einbeziehung von einsamen Elektronenpaaren). In diesen
Fällen lassen sich mesomere Grenzstrukturen finden, die mögliche
Ladungsverschiebungen entlang des konjugierten Doppelbindungssytems zulassen
Beispiel: H2C=CH–CH=O ↔ H2C+–CH=CH–O–.
Die Verbindung wird in keiner der beiden Grenzstrukturen gemeinhin vorliegen
sondern die aktuelle Situation wird irgendwo in der Mitte liegen (in polaren
Lösemittel mehr rechts, in unpolaren mehr links). Der Doppelpfeil soll also weder ein
Reaktionspfeil sein noch ein Gleichgewicht symbolisieren. Die Moleküle können
124
jedoch zur Reaktion (z.B. während des Übergangszustands auf dem Gipfel des
Aktivierungsbergs, die jeweils geeignetere Form annehmen.
Der mesomere Effekt kann nun eine Verschiebung der Ladungsverteilung nicht nur
im Bereich einer Bindung (wie beim induktiven Effekt) sondern über das ganze
konjugierte Doppelbindungssystem zur Folge haben, z. B.
H2C C Cl
H
H2C C
H
H2C C C C Cl
H H H
+
Cl
oder
CH2
C C C
H H H
+
Cl
. Hier wird der +MEffekt des Chlor-Substituenten beschrieben: die CH2-Gruppe erhält eine
negative Teilladung und kann so einen nucleophilen Angriff unternehmen oder
elektrophil angegriffen werden.
-M-Effekt
N R
+M-Effekt
<
+ R
O
<
R
+ R
N
R
_
O R
<
O
R
R
<
C
N R
<
F
O
<
O R
<
N
R
R
R <
I <
N
Br <
Cl
<
F
(aber auch –I-Effekt)
9.2.1 Radikalische Substitution
Typische Kettenreaktionen; Beispiel Photochlorierung
Kettenstart
Cl-Cl → 2 Cl· (mit UV-Licht; Punkt: einzelnes Elektron)
Kettenfortpflanzung R-H + Cl· → R· + HCl
R· + Cl-Cl → R-Cl + Cl·
R-H + Cl· → R· + HCl
R· + Cl-Cl → R-Cl + Cl·
usw.
Die Kettenreaktion kann durch zwei Abbruchreaktionen beendet werden
R· + R· → R-R
Cl· + Cl· → Cl-Cl
In dem Fall muss neu gestartet werden, d.h. während der Photochlorierung brennt die
UV-Lampe.
Photochlorierung zum Beispiel von Toluol (Toluen)
CH3
+
hν
H2
C Cl
Cl2
- Cl .
(Reaktionsschema, keine Gleichung) werden in
großem Umfang industriell durchgeführt.
Chlor ist eine Grundchemikalie, mit welcher Chlorsubstituenten in Kohlenwasserstoffe eingebracht werden, die dann durch verschiedene Reaktionen weiter modifiziert
werden können zur Herstellung von Alkoholen, Aminen, Nitrilen, Ethern und
ungesättigten Verbindungen (s. Kap. 9.2.2, 9.2.3).
125
9.2.2 Nukleophile Substitution
Zwei Mechanismen, SN1 und SN2
SN1-Reaktion
1. Schritt: Dissoziation von Halogenalkylverbindungen (z.B. hergestellt nach 9,2,1) in
Ionen, die in polaren Lösemitteln (z.B. Methanol) begünstigt wird
R1
R2
R3
R1
R2 +
R3
langsam
X
schnell
+
X
_
X = Cl (oder Br, OH, OCH3, CN, usw., Gruppierungen, die als Anionen relativ
stabil sind, d.h. abgeschlossene Schalen an der Bruchstelle haben).
R1
+
Das entstehende planare2 Carbokation R2 R3 ist nicht stabil (wie z.B. Na+-Ionen in
Wasser), deshalb erfolgt eine schnelle Rückreaktion mit X-, wenn nicht alternativ ein
anders nukleophiles Reagens Y- angeboten wird. Dann wird das gewünschte Produkt
gebildet:
R1
R2 +
R3
+ Y
R1
R2
R3
_
Y
.
SN2-Reaktion
Diese läuft nicht über ionische Zwischenstufen
Y
_
R1
R1
+ R2
R3
Y
C
_
R1
X
X
Y
R2 R3
R2
R3
+
X
_
Nach der Reaktion ist die Reihenfolge der Substituenten –R1-3 vertauscht (Walden
Umkehr).
Nukelophile Reagenzien müssen nicht anionisch sein, freie Elektronenpaare (Wasser,
Akohole) sind ebenso zum nukleophilen Angriff befähigt. Die Nukleophilie (Grad der
Fähigkeit zum nukleophilen Angriff) von gängigen Reagenzien für SN2-Reaktionen
steigt in folgender Reihenfolge3:
F- < H2O << Cl- < PhO- < Br- < OH- , OR- < NH3, NR3 < I- < CN- < S29.2.3 Eliminierung mit Bildung von Doppelbindungen.
Viele Verbindungen, die nach 9.2.1 oder 9.2.2 hergestellt worden sind, können durch
Eliminierung in ungesättigte Verbindungen (Olefine) überführt werden.
Mechanismus:
_
H C C
+ Y
H
C C
X
H C C+
+
X
Y
_
_
+ Y
2
C C + HY
Hybridisierung sp2, übriges p-Orbital leer
für die hiervon verschiedene Reihung des Einflusses von X (nukleofuge Abgangsgruppe) siehe
Lehrbücher.
3
126
Eliminiert werden immer trans(gegenüber)-ständige Atome. In cyclischen KW
entsehen ggf. stereochemisch eindeutige Produkte:
H
H
H
H
X
H
H
H
H
nach hinten
nach vorn
Wichtige Eliminierungsreaktionen: X = –Halogen: Abspaltung von Halogenwasserstoff (HCl, etc.), X = –OH: Abspaltung von Wasser; X = –OR: Abspaltung von
Alkohol aus Ethern. Technisch benötigt werden Verbindungen mit Doppelbindungen
als Monomere für Polymerisationen, z.B. Butadien aus 1,3-Butandiol).
Analog kann aus Dihalogenverbindungen das Halogenmolekül abgespalten werden:
X
X
C C
X
C C+
X
+
+
X
+
X
_
_
C C
+ X2
9.2.4 Elektrophile Addition an Doppelbindungen
Die Addition an Doppelbindungen ist praktisch die Umkehrung der Eliminierung.
Mechanismus:
H
H
C
C
H
H
H
H
HH
_
H
H
+
H
H
H
+
H
H
H
+ H+
+ Cl
H
Cl H
H
Also auch trans-Addition (ist dem Produkt
wegen der frei drehbaren Doppelbindung
nicht anzusehen). Klar erkennbar bei
cyclischen Verbindungen:
+ Br2
H
H
AlCl3
Br
+
_
H
H
Br
+ Br
Br
der Ringebene. Nochmal anders gezeichnet:
H H
1 Brom oberhalb, 1 Brom unterhalb
127
AlCl3 dient zur Polarisierung des Brommoleküls, wodurch die Anlagerung von Br+
and die Doppelbindung möglich ist:
Cl
Br Br
Cl
Al
Cl
Cl
δ+
δ−
Br+ + Br
_
Al Cl
Cl
+
(wobei freie Br -Ionen und AlCl3Br--Ionen nicht vorkommen sondern nur intermediär
in dem Prozess gebildet werden. Aus AlCl3Br- wird dann Br- zur Komplettierung der
Reaktion wieder abgegeben).
In Umkehrung der Eliminierungsreaktionen können an Doppelbindungen addiert
werden: Halogenwasserstoff (HCl, etc.), Wasser; Alkohole. Technisch wichtige
Produkte von solchen Additionsreaktionen sind z.B. Ethanol, Propanol, usw. auch
längerkettige Alkylsulfate (Olefin + verd. Schwefelsäure; Waschmittel).
9.2.5 Elektrophile Substitution an Aromaten
Wegen der Delokalisierung der π-Elektronen gibt es im Aromaten zunächst keine
(oder kaum) bevorzugten Reaktionsstellen, weshalb sie vergleichsweise reaktionsträge sind. Die erste Funktionalisierung des Aromaten, die dann dessen weitere
Reaktionen steuert, ist deshalb meist die elektrophile Substitution eines H-Atoms,
wobei die gesamten π-Elektronen dem elektrophilen Angriff zugänglich sind.
Dieser Reaktionsmechanismus
verläuft nachweislich über drei
Stufen. Zunächst tritt das elektrophile
Reagens X+ mit dem gesamten πSystem in Wechselwirkung (πKomplex). Sodann bildet sich daraus
der s-Komplex (d.h. ein C-Atoms ist
jetzt sp3-hybridisiert), aus welchem
dann mit Hilfe einer Base (freies
Elektronenpaar) das zugehörige
Proton abgespalten wird (Schritt III).
Technisch wichtig sind vor allem die Nitrierung und die Sulfonierung von Benzol
(Ar–H):
Ar–H + HNO3 → Ar–NO2 + H2O
Das elektrophile Reagens ist hierbei das NO2+-Ion, welches sich in hinreichend
konzentrierter HNO3 selbst gebildet vorliegt HNO3 + H+ ⇌ NO2+ + H2O (Gleichgewicht wird meist durch wasserentziehende konzentrierte Schwefelsäure nach rechts
verschoben).4
Zur Sulfonierung Ar–H + H2SO4 → Ar-SO3 + H2O wird SO3 als elektrophiles
Reagens benötigt, das in hochkonzentrierter Schwefelsäure (sog. Oleum) enthalten ist.
SO3 ist am Schwefelatom positiv polarisiert, vgl. Elektronegativität (Diagramm in
Kap. 3.3), dabei 3 mal O.
Entsprechend lassen sich Halogensubstituenten (nach Polarisierung mit AlCl3, FeCl3,
u.ä., siehe Addition an Doppelbindungen) einführen sowie unter Berücksich-tigung
weiterer Einzelheiten (s. Lehrbücher) auch Alkylsubstituenten und weitere.
4
Empfehlung: Einzelschritte der Nitrierung formulieren!
128
Sobald ein solcher Substituent am Aromaten eingeführt ist, beeinflusst dieser die
weitere Reaktivität des Aromaten, die durch I- und M-Effekte der Erstsubstituenten
erhöht oder erniedrigt sein kann. Zudem können Zweitsubstituenten in bestimmte
Positionen am Aromaten dirigiert werden.
+I- und +M-Effekte erhöhen die Reaktivität (mehr Elektronendichte im aromatischen
π-System) z.B.
Erstsubstituent
Effekt
Alkyl
+I
–OH < –NH2 < –NHR < –NR2
+M > -I (!)
–
–O
+M und +I
Erniedrigt wird die Reaktivität durch elektronenziehende Substituenten
Erstsubstituent
–COR < –COOH < COOR < CN < NO2
-M, -I
(3/5 Carbonylverbindungen, s. nächstes Kapitel)
Halogen
-I > +M
+
NR3
Bei Zweifachsubstitution unterscheidet man ortho- meta- und para-Stellungen (o-, m-,
Y
Y
Y
X
X
X
p-) der Substituenten
ortho
meta
para
(Y: Erst-, X: Zweitsubstituent).
Wenn Y einen +I- oder +M-Effekt aufweist, wird X in die Ortho- oder (überwiegend)
in die para-Stellung dirigiert. Erklärt wird das durch die mögliche Formulierung
mesomerer Grenzstukturen für den σ-Komplex,
, wobei ein +I-Erstsubstituent helfen
kann, die positive Ladung (zum Teil) zu kompensieren, wenn er in otho- oder paraStellung ist:
129
Schwieriger ist es, den Zweitsubstituenten in die meta-Stellung einzuführen. Hierhin
dirigieren –I und –M-Effekte der Erstsubstituenten, weil sie die C-Atome in orthound para-Stellung mit positiver Teilladung versehen, wie wieder die entsprechenden
_
δ_
Y
_
Y
Y
+
δ+
δ+
δ+
.
mesomeren Grenzstrukturen deutlich machen: +
+
An den „positivierten“ C-Atomen wird das elektrophile X jetzt nicht angreifen,
sondern an den meta-Positionen. Insgesamt aber ist - wie oben gesagt - die Reaktivität
für die Zweitsubstitution schlechter (d.h. längere Reaktionszeiten, höhere
Reaktionstemperatur, meist mehr Nebenprodukte, usw.).
Beispiele:
1) Zweitsubstitution von Phenol (OH-Gruppe +M < -I)
H
H
H
H
O
O
O
O
H
X
+ X+
+
+
H
X
+ H+
X
2) Zweitsubstitution von Nitrobenzol (Stickstoff ist bereits durch die zwei O
positiv teilgeladen; die durch X+ eingebrachte weitere positive Ladung wäre
im σ-Komplex bei o-/p-Substitution direkt neben dem Stickstoff, s.o.)
δ_
δ_
O
O
N
δ+
+ X+
O
O
N
δ+
O
O
N
δ+
+
X
+
δ_
δ_
O
O
N
δ+
+
X
H
H
O
N
X
H
O
H+
+
X
In Technik und Industrie werden substituierte Aromaten als Bausteine für Farbstoffe
und Polymere, einschließlich bestimmter Polyamide (Trevira) gebraucht.
9.2.5 Reaktionen von Carbonylverbindungen
Unter dem Begriff Carbonylgruppe versteht man die C=O- Doppelbindung,
Carbonylverbindungen enthalten solche Gruppen und werden als
O
R
O
O
H
Ketone
Aldehyde,
R
R2
R1
und
OH
Carbonsäuren
bezeichnet. Auch Verbindungen,
die auf Carbonsäuren zurückzuführen sind (Derivate) gehören hierher wie z.B.:
O
O
R
Cl
R
O
NH2, NHR, NR2
R
OR
Carbonsäurechloride, Carbonsäureamide und Carbonsäureester .
C O
δ+
δ_
130
Die spezielle Reaktivität der Carbonylgruppe ergibt sich aus der vergleichsweise
starken Polarisierung durch den –I-Effekt des Sauerstoffs. Das Carbonyl-C-Atom
trägt eine positive Teilladung und kann deshalb nucleophiles Reagenz HB|
angegriffen werden:
_
HB +
C O
H B C O
_
+
. Dieser Reaktionsschritt kann durch Säuren
katalysiert werden:
Solche Verbindungen zerfallen gern wieder in die Ausgangsstoffe, wenn nicht eine
Stabilisierung durch anschließende weitere Reaktionen möglich ist. Eine Möglichkeit
im gegebenen sauren Milieu ist die Abspaltung der OH-Gruppe (als Wasser):
IV muss – wie vorn gelernt – durch Abspaltung eines Protons oder Anlagerung einer
Base (eines Anions) ein neutrales Moleküle gebildet werden. Konkrete Beispiele sind:
- Bildung von Schiff-Basen
- Bildung von Enaminen
- Reaktionen von Carbonsäurechloriden, die zu Amiden und Estern führen
131
Polyamide und Polyester entstehen, wenn bifunktionelle Ausgangsstoffe eingesetzt
werden:
O
N
H
O
O
O
N
H
NH2
Cl
Cl
O
Cl
Cl
O
NH2 +
N
H
N
H
O
- H2O
O
Cl
2)
3)
NH2
+ HN
2
Cl
O
O
Cl
O
Cl
1)
O
H
N
Cl
O
O
H
N
Cl
O
O
+ HN
2
- H2O
NH2
usw.
Eine wichtige Methode zur Verknüpfung von C–Atomen ist die sog. AldolKondensation, wobei CH-azide Verbindungen zur Reaktion gebracht werden. Solche
sind Carbonylverbindungen, die an dem der Carbonylgruppe benachbarten C-Atom
(mindestens) ein H-Atom tragen, welches durch Mesomerie azide (sauer) wird und
deshalb in Gegenwart einer Base B- abdissoziieren kann:
Danach ist die
C-H-azide Verbindung ein Anion, also ein nucleophiles Reagenz, das mit einer
Carbonylverbindung wie folgt reagieren kann:
Durch die hier erfolgte Verknüpfung von zwei C-Atomen sind zwei organische
Moleküle zu einer Verbindung geworden. Auf diese Weise können größere Moleküle
in prinzipiell beliebiger Weise zusammengefügt werden (tägliches Brot des
organischen Chemikers).