LEO Europarecht im Sommersemester 2015 – Doc Morris-Fall: Sachverhalt Prof. Dr. Stephanie Schiedermair Fall: Doc Morris Das Unternehmen DM (N.V.) ist eine Aktiengesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in den Niederlanden und hat einen Jahresumsatz von ca. 150 Millionen Euro. Es vertreibt bereits seit einiger Zeit rezeptfreie und rezeptpflichtige Medikamente auf dem Versandweg; überwiegend werden Kunden aus Deutschland bedient. Der Umsatz von DM entwickelte sich hervorragend, weil für rezeptfreie Medikamente hohe Kundenrabatte gewährt werden. Rezeptpflichtige Medikamente werden deutschen Kunden aufgrund der in Deutschland geltenden Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente nicht rabattiert. Das Unternehmen DM möchte in der Rechtsform einer niederländischen Aktiengesellschaft den deutschen Markt in Zukunft durch einen landesweiten Aufbau von DM-Apothekenfilialen besser bedienen. In mehreren Bundesländern lehnten die für die Aufsicht der Apotheken zuständigen Verwaltungsbehörden Apothekenbetriebserlaubnisse für DM-Apothekenfilialen unter Hinweis auf das im deutschen Apothekengesetz geltende Fremd- und Mehrbesitzerverbot ab. Nach den Bestimmungen des Apothekengesetzes (§§ 1 II, 2 V, 7, 8 ApoG) sei nur einzelnen Personen der Betrieb von maximal drei Apotheken gestattet, die persönlich zu führen seien. Die Errichtung einer Vielzahl von Apothekenfilialen im Fremdbesitz aus Gründen der Kapitalanlage und der Kapitalnutzung sehe das deutsche Apothekengesetz nicht vor. Denn die Apotheken erfüllten für die Volksgesundheit eine wichtige öffentliche Apothekeninhabers statt Aufgabe, die persönliche Profitmaximierungsdenken Verantwortung von des börsennotierten Unternehmen verlange. Die DM-Geschäftsleitung steht auf dem Standpunkt, dass sie allein durch eine große Anzahl von Filialapotheken hohe Rabatte für rezeptfreie Medikamente aushandeln könne. Die Preisvorteile würde man an die Kunden weitergeben, um der Kostenexplosion im Gesundheitswesen entgegenzusteuern. Der Volksgesundheit werde in DM-Apothekenfilialen durch persönlich verantwortliche und bei der DM angestellte Apotheker hinreichend Rechnung getragen. Das DM-Apothekenfilial-Konzept überzeugte schließlich in dem Bundesland Sachsen die für die Apothekenaufsicht zuständige Landesdirektion Sachsen, wo eine von DM beantragte Apothekenbetriebserlaubnis umgehend erteilt wurde, ln der Stadt L des Bundeslandes S wurde daraufhin eine DM-Filialapotheke eröffnet, was zu massiven 1 LEO Europarecht im Sommersemester 2015 – Doc Morris-Fall: Sachverhalt Prof. Dr. Stephanie Schiedermair Protesten bereits ansässiger Apotheker, der Landesapothekenkammer und des Deutschen Apothekenverbandes führte. Der stark unter Beschuss geratene Landesgesundheitsminister rechtfertigte die umstrittene Entscheidung unter Hinweis auf die europarechtliche Niederlassungsfreiheit, die auch für Kapitalgesellschaften mit Sitz im EU-Ausland gelte. Im Einzugsbereich der DM-Filialapotheke in L betreibt auch Apotheker A eine Apotheke. Er fürchtet aufgrund der wirtschaftlich starken Marktmacht des DMKonzerns um seine Existenz als selbständiger Apotheker. A werde als deutscher Staatsangehöriger im eigenen Land im Verhältnis zur DM-Aktiengesellschaft niederländischen Rechts diskriminiert. Denn er habe in Deutschland keine Möglichkeit, die Vorteile einer Kapitalgesellschaft zu nutzen, was den Wettbewerb im Inland verzerre. Aus diesen Gründen legte Rechtsanwalt Dr. R im Auftrag des A form- und fristgerecht beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Rechtsbehelf gegen die Betriebserlaubnis für die DM-Apothekenfiliale in L ein. Daraufhin ordnete die Landesdirektion Sachsen zwar ohne Anhörung des A aber nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Hinweis auf den Anwendungsvorrang des europäischen Unionsrechts schriftlich die sofortige Vollziehung der Betriebserlaubnis für die DM-Apothekenfiliale in S an. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der DMKonzern bereits über 500.000 Euro in seine Filiale in L investiert habe, was tatsächlich zutrifft. Bearbeitervermerk: Prüfen Sie, ob R mit Aussicht auf Erfolg eine rasche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen die Betriebserlaubnis hinsichtlich der DM-Apothekenfiliale in L erreichen kann. Wenden Sie das VwVfG des Bundes an. Gesetz über das Apothekenwesen (Apothekengesetz - ApoG) – Auszug § 1. (1) Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung (2) Wer eine Apotheke und bis zu drei Filialapotheken betreiben will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde. 2 LEO Europarecht im Sommersemester 2015 – Doc Morris-Fall: Sachverhalt Prof. Dr. Stephanie Schiedermair (3) Die Erlaubnis gilt nur für den Apotheker, dem sie erteilt ist, und für die in der Erlaubnisurkunde bezeichneten Räume. § 2. (1) Die Erlaubnis ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller 1. Deutscher [...] Angehöriger eines der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist; 2. voll geschäftsfähig ist; 3. die deutsche Approbation besitzt; 4. die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt; (5) Für den Betrieb mehrerer öffentlicher Apotheken gelten die Vorschriften dieses Gesetzes mit folgenden Maßgaben entsprechend: 1. Der Betreiber hat eine der Apotheken (Hauptapotheke) persönlich zu führen. 2. Für jede weitere Apotheke (Filialapotheke) hat der Betreiber schriftlich einen Apotheker als Verantwortlichen zu benennen, der die Verpflichtungen zu erfüllen hat, wie sie in diesem Gesetz und in der Apothekenbetriebsordnung für Apothekenleiter festgelegt sind. Soll die Person des Verantwortlichen geändert werden, so ist dies der Behörde von dem Betreiber eine Woche vor der Änderung schriftlich anzuzeigen. §7. Die Erlaubnis verpflichtet zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. §8. Mehrere Personen zusammen können eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben; in diesen Fällen bedürfen alle Gesellschafter der Erlaubnis. [...] 3
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