Rheuma Hausarzt Medizin Wann zum Experten, wann nicht? Nicht alles, was nach Rheuma klingt, ist auch eines. Die überlaufenen rheumatologischen Praxen in Deutschland setzen für die Wartezeitenreduktion auf den Hausarzt als Gatekeeper und bitten um eine adäquate Vorselektion der Patienten. nicht alle anderen Patienten mit Rückenschmerzen. Nun haben Rheumatologen lange versucht, den Hausärzten den entzündlichen Rückenschmerz als Überweisungskriterium schmackhaft zu machen. Das hat die Überweisungen aber nicht treffsicher gemacht, sodass Experten wie PD Dr. Jan Brandt-Jürgens von der Rheumapraxis Steglitz in Berlin wieder für den guten alten HLA-Status als entscheidendes Kriterium plädieren (siehe Interview). Früh heißt nicht sofort überweisen Bei der rheumatoiden Arthritis (RA) ist die Situation eine andere. Auch hier werden zu viele Patienten überwiesen. Umgekehrt wollen die Rheumatologen allerdings nicht zurück in alte Zeiten, in denen sie RA-Patienten teils erst nach Jahren zu Gesicht bekamen. „Die Frühdiagnostik ist der anzustrebende Standard. Eine frühe Therapie halbiert das Risiko von Funktionsverlusten. Die Chance auf Symptomfreiheit wird verdreifacht, und die radiologische Progression gehemmt“, unterstrich Dr. Michael Zänker vom Rheumazentrum am Immanuel Klinikum Bernau beim 2. MSD-Forum in Berlin. Für die Überweisung bei Verdacht auf RA seien Dauer, Lokalisation und Art der Gelenkschwellung die entscheidenden Kriterien, so der Experte. Einige Wochen sollten die Gelenkschwellungen schon bestehen bleiben, bevor die Frühsprechstunde kontak- 58 Der Hausarzt 05/2015 Illustration: video-doctor / iStockphoto Bei der rheumatoiden Arthritis kann die Entscheidung für oder gegen eine Überweisung weitgehend am klinischen Befund festgemacht werden. Beim Morbus Bechterew dagegen sind Anamnese und Labor viel wichtiger. Mit einer Prävalenz von bis zu 1,4 % der Erwachsenen ist der Morbus Bechterew nicht selten. Doch verglichen mit der Gesamthäufigkeit von Rückenschmerzen ist er ein Kolibri. Und das wird für die gut 600 niedergelassenen internistischen Rheumatologen in Deutschland zum Problem. Denn die wollen zwar jeden Bechterew-Patienten sehen, aber a Hausarzt Medizin tiert wird. Das ist in etwa die Zeit, in der Schwellungen verheilen, die mit Infektionen assoziiert sind. Diese sind Sache des Hausarztes. Nur eingerostet zählt nicht Bei Gelenkschwellungen, die das Zeitkriterium erfüllen, geht es in erster Linie um die Abgrenzung degenerativer Gelenkprobleme. Hier sollten Lokalisation und Konsistenz gemeinsam bewer- tet werden, so Zänker. Nicht alle symmetrischen Gelenkschwellungen seien eine RA: „Typisch sind prall-elastische Schwellungen, die sich anfühlen wie die Prostata.“ Harte Auftreibungen sind auch dann keine RA, wenn sie symmetrisch auftreten. Neben der Konsistenz können die Prädilektionsstellen wichtige Hinweise geben. Die RA beginnt typischerweise an den Fingergrundgelenken und auch am Handgelenk. Schmerzen im Dau- „Keine Bildgebung beim Hausarzt“ Bei der Abklärung eines Verdachts auf Morbus Bechterew sollten es sich Hausärzte nicht unnötig schwer machen, sagt PD Dr. Jan Brandt-Jürgens von der Rheumapraxis Steglitz in Berlin. Aufwändige Scores hält er für nicht zielführend. Und die Kamera bleibt in der Tasche. mensattel sind dagegen hoch typisch für die Arthrose. Auch die Morgensteife ist hilfreich. Sie muss aber richtig eingeordnet werden. Eine „rheumatologische“ Morgensteife ist ein massives klinisches Phänomen, das ein bis zwei Stunden anhält. Wer „nur“ 15 Minuten braucht, um die eingerosteten Gelenke wieder fit zu machen, hat eher degenerative Beschwerden. Philipp Grätzel von Grätz dass relativ viel Erfahrung nötig ist. Auch bei Ärzten, die die Charakteristika für den entzündlichen Rückenschmerz gut kennen, kommt auf fünf positive Patienten nur einer, der wirklich einen Morbus Bechterew hat. Die HLA-Bestimmung ist einfacher, schneller und zielführender. Wann werden Patienten mit Morbus Bechterew derzeit in Deutschland diagnostiziert? Und warum ist eine frühe Diagnose wichtig? Das wäre dann schon das erste Kriterium bei der Frage, welche Rückenschmerzpatienten zum Rheumatologen überwiesen werden sollten. Sie sollten innerhalb des ersten halben Jahres diagnostiziert werden. Tatsächlich dauert es im Mittel 5 bis 9 Jahre bis sie einem Rheumatologen vorgestellt werden. Eine frühe Behandlung ist beim Morbus Bechterew nicht so wichtig. Durch eine frühe Diagnose können aber falsche, unter Umständen invasive Untersuchungen und nicht zielführende Behandlungen verhindert werden. Das geht bis zu völlig unnötigen Operationen. Genau. Das zweite wichtige KriteriDas sind die, die durchs Raster fallen, um ist ein Beginn der Rückenund das muss der Arzt natürschmerzen vor dem 45. Lelich im Hinterkopf haben. Das bensjahr. Aber auch beides betrifft aber nur 10 bis 15 % der zusammen ist längst nicht spePatienten, also relativ wenizifisch genug. Deswegen plädiege. Hier kann unter Umständen ren wir für den HLA-B27-Test ein Entzündungs-Screening PD Dr. Jan Brandtals „red flag“ für den Hausarzt. helfen. Aber letztlich sind das Jürgens Wer jung ist, chronische Rüdann oft die Patienten, bei deRheumapraxis ckenschmerzen hat und einen es bis zur Überweisung etSteglitz, Berlin nen positiven HLA-B27-Test, was länger dauert. Das müssen den sollten Hausärzte überweisen. Die wir dann in Kauf nehmen. Wahrscheinlichkeit, dass dieser Patient an einem Morbus Bechterew leidet, Gibt es eine Konstellation, bei der liegt etwa bei eins zu drei. der Hausarzt eine Bechterew-Bildgebung Wie groß ist denn der Anteil der Rückenschmerzpatienten mit Morbus Bechterew? Entscheidend ist zunächst mal, dass es sich um chronische Rückenschmerzen handelt. Von den Patienten, die länger als drei Monate kontinuierlich Beschwerden haben, ist es jeder zehnte bis jeder zwanzigste. Der Hausarzt 05/2015 Und was ist mit den Patienten, die einen HLA-B27-negativen Morbus Bechterew haben? initiieren sollte? Und was ist mit dem so oft propagierten entzündlichen Rückenschmerz? Der hilft meines Erachtens nur sehr bedingt weiter. Die Trennschärfe ist einfach nicht gut genug. Dazu kommt, Nein, da würde zu viel unnötig diagnostiziert. Wenn allerdings bei einer aus anderen Gründen erfolgten Bildgebung eine Sakroiliitis zu sehen ist, dann ist das ein hartes Überweisungskriterium. 59
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