Zu den Determinanten von analytischen und intuitiven Urteils- und Entscheidungsprozessen von Recruitern in Einstellungsinterviews Inaugural – Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors in Philosophie in der Fakultät für Psychologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM vorgelegt von: Nadja Koppers Gedruckt mit Genehmigung der Fakultät für Psychologie an der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM Referent: Prof. Dr. Heinrich Wottawa Korreferent: Prof. Dr. Marc Solga Tag der mündlichen Prüfung: 30.01.2013 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit untersucht die Forschungsfrage, welche Determinanten und intervenierenden Variablen den individuellen Urteils- und Entscheidungsprozess von Recruitern in Einstellungsinterviews analytisch oder intuitiv prägen. Die Analyse der kausalen Strukturen zielt auf ein besseres Verständnis jener kognitiven Prozesse, welche in dieser Arbeit als wesentlich für die Validität von Einstellungsinterviews angenommen werden. Vor dem Hintergrund bisheriger Studien zur Validität des Einstellungsinterviews sowie normativer und deskriptiver Theorien zur Erklärung menschlicher Informationsverarbeitungs-, Entscheidungs- und Lernprozesse, werden die relevanten Determinanten für den jeweils individuellen eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozess eines Recruiters bei Einstellungsinterviews empirisch überprüft. Konform zum dynamisch-interaktionistischen Paradigma werden dabei die kontextuellen Einflüsse organisationaler Rahmenbedingungen sowie die persönlichen und motivationalen Einflüsse der Person des Recruiters hinsichtlich seiner Lernprozesse und seines Involvements berücksichtigt. Als zentrale Methode dieser Untersuchung dient die Strukturgleichungsmodellierung, als Datenbasis wird eine populationsvalide Stichprobe von 272 praktisch tätigen Recruitern genutzt, die internetgestützt erhoben wurde. Die Ergebnisse zeigen hypothesenkonform, dass die operationalisierten Variablen Expertise, Verantwortlichkeitsgefühl und Kenntnis des Anforderungsprofils sowie auch die Variablen Rechenschaftsverpflichtung, Strukturiertheit des Interviews, Konkretheit des Anforderungsprofils und Systematik des Feedbacks einen analytischen eignungsdiagnostischen Urteilsund Entscheidungsprozess begünstigen. Ebenfalls hypothesenkonform hängen die Variablen subjektive Entscheidungsregeln und Schemata negativ mit diesem zusammen. Es können weiterhin diverse mediierende Zusammenhänge, insbesondere für die Variablen des persönlichen Involvements nachgewiesen werden. Die Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells werden durch eine experimentelle Fallstudie (einfaktorielles between-subjects-Design) ergänzt, bei der zwei randomisierte Bedingungen hinsichtlich der kontextuellen Faktoren Rechenschaftsverpflichtung und Konkretheit des Anforderungsprofils für eine fiktive Entscheidungssituation variiert werden. Ebenfalls werden die Ergebnisse von Cluster- und Varianzanalysen, welche den Zusammenhang zwischen demografischen Variablen, organisationalen Rahmenbedingungen und dem jeweiligen Entscheidungsmodus spezifizieren, im Gesamtkontext der Arbeit diskutiert. Abschließend werden praktische Implikationen sowie Anregungen für die weitere Forschung aufgeführt. Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich bei denjenigen Menschen bedanken, die direkt oder indirekt zum Gelingen meiner Dissertation beigetragen haben. Zuerst möchte ich Herrn Prof. Dr. Heinrich Wottawa für die Übernahme der Erstbegutachtung sowie für hilfreiche Anregungen und Denkanstöße danken. Herrn Prof. Dr. Marc Solga danke ich für die Zweitbegutachtung und zusätzliche Impulse für meine Arbeit. Vor allem sind es aber die Teilnehmer, die ganz wesentlich zum Gelingen der Studie beigetragen haben, für deren Zeit, Interesse und Engagement ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchte. Besonderer Dank geht auch an meine Familie und Freunde, für ihre Unterstützung in vielen Bereichen. Inhaltsverzeichnis 1. Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ................................................................................................... 1 1.1 Das Einstellungsinterview in der Praxis – Einflussfaktoren und Probleme ................. 1 1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ............................................................................... 3 2. Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen................. 5 2.1 Der diagnostische Prozess – die normative Perspektive ............................................ 5 2.2 Zur Überlegenheit der statistischen gegenüber der klinischen Urteilsbildung .......... 10 2.3 Einflussfaktoren auf die Güte von Einstellungsinterviews ......................................... 13 2.3.1 Strukturiertheit des Einstellungsinterviews ................................................................ 13 2.3.2 Relevanz des Anforderungsprofils ............................................................................. 17 2.3.3 Interviewertraining, Feedback und Rechenschaftsverpflichtung ............................... 19 2.4 Zum Zusammenhang zwischen den Einflussfaktoren auf die Güte von Einstellungsinterviews und analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ..... 23 3. Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ........................................................................ 29 3.1 Grundlagen sozialer Wahrnehmung und Urteilsbildung ............................................ 30 3.2 Der „homo heuristicus“ – die pragmatische Perspektive ........................................... 35 4. Intuition als Indikator für Expertise? .............................................................................. 39 4.1 Vom „Novizen“ zum „Experten“ – von expliziten Entscheidungsregeln und intuitiver Mustererkennung bei Urteils- und Entscheidungsprozessen ................................... 39 4.2 Zur Validität der Lernumgebung als Prämisse für den Erwerb von Expertenwissen 45 4.3 Lernen ohne Feedback? – zum Dilemma „richtiger“ intuitiver eignungsdiagnostischer Entscheidungen .................................................................. 48 5. Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ............................................. 54 5.1 Zwei-Prozess-Modelle und das persönliche Involvement als relevanter Faktor für den Urteils- und Entscheidungsmodus ...................................................................... 54 5.2 Zur Überlegenheit eines analytischen oder intuitiven Entscheidungsmodus – Empirische Befunde ................................................................................................... 59 6. Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge .................................................... 64 6.1 Methodik der Strukturgleichungsmodellierung........................................................... 64 6.1.1 Charakteristika von Strukturgleichungsmodellen ...................................................... 64 6.1.2 Abgrenzung von Pfadanalyse und Strukturgleichungsmodellen ............................... 65 6.2 Prozess der Strukturgleichungsmodellierung für die vorliegende Untersuchung ..... 69 6.2.1 Hypothesen- und Modellbildung................................................................................. 69 6.2.2 Konstruktoperationalisierung: Formulierung reflektiver Mess-Indikatoren ................ 76 6.2.3 Untersuchungsaufbau und Datenerhebung ............................................................... 78 6.2.4 Stichprobe ................................................................................................................... 81 6.2.5 Vorbereitung des Datensatzes, Prüfung der multivariaten Verteilungsannahme ..... 87 6.2.6 Güteprüfung der reflektiven Mess-Modelle ................................................................ 89 6.2.6.1 Gütekriterien der ersten Generation .......................................................................... 90 6.2.6.2 Gütekriterien der zweiten Generation ........................................................................ 98 6.2.7 Bivariate Korrelationsanalyse ................................................................................... 108 6.2.8 Kovarianzanalytische Modellschätzung – Evaluation des Gesamtmodells ............ 110 6.2.8.1 Hypothesenprüfung und Interpretation – Analyse der direkten und mediierenden Effekte im Strukturgleichungsmodell ....................................................................... 116 6.2.8.2 Modellmodifikation ................................................................................................... 140 6.2.9 Fazit und methodische Optimierungsvorschläge ..................................................... 144 6.3 Kausaleffekte in der Fallstudie – Analyse der Gruppenunterschiede anhand multivariater allgemeiner Modelle ............................................................................ 146 6.3.1 Versuchsdesign ........................................................................................................ 146 6.3.2 Operationalisierung und Reliabilität der abhängigen Variablen .............................. 148 6.3.3 Ergebnisse der Fallstudie – multivariate allgemeine lineare Modelle ..................... 150 6.3.4 Fazit und methodische Optimierungsvorschläge ..................................................... 156 6.4 Clusteranalyse zur Identifikation von spezifischen Recruiter-Typen ....................... 157 6.4.1 Clusterlösung 2 – basierend auf persönlichen Lernprozessen ............................... 159 6.4.2 Clusterlösung 4 – basierend auf organisationalen Rahmenbedingungen .............. 163 6.5 Analyse von Gruppenunterschieden – uni- und multivariate allgemeine lineare Modelle ..................................................................................................................... 168 6.5.1 Einfluss demografischer Variablen auf die Analytik des eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses ..................................................................... 168 6.5.2 Einfluss der Unternehmensgröße und des Recruitingstatus auf die organisationalen Rahmenbedingungen eignungsdiagnostischer Entscheidungen ............................ 181 7. Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ........................................................................................................................ 187 8. Literatur ............................................................................................................................ 198 9. Anhang ............................................................................................................................. 212 Anhang 1: Online-Erhebung in unipark .................................................................................... 212 Anhang 2: Übersicht über alle Items ........................................................................................ 223 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Übersicht über die Struktur der Online-Erhebung ....................................... 79 Abbildung 2: Balkendiagramm – Übersicht über die Fachrichtung des berufsqualifizierenden Studiums der befragten Recruiter ........................... 82 Abbildung 3: Balkendiagramm – Übersicht über den Anteil an Einstellungsinterviews innerhalb der beruflichen Tätigkeit der befragten Recruiter ........................ 83 Abbildung 4: Balkendiagramm – Übersicht über die in der vorliegenden Stichprobe vertretenen Unternehmensgrößen............................................................... 84 Abbildung 5: Balkendiagramm – Übersicht über die in der vorliegenden Stichprobe vertretenen Unternehmensbranchen ........................................................... 85 Abbildung 6: Balkendiagramm – Übersicht über die Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung der befragten Recruiter ......................................................... 86 Abbildung 7: Balkendiagramm – Übersicht über den persönlichen eignungsdiagnostischen Weiterbildungsbedarf der befragten Recruiter .... 86 Abbildung 8: Grafische Darstellung CFA......................................................................... 100 Abbildung 9: Grafisches Strukturgleichungsmodell – Ausgangsmodell ......................... 113 Abbildung 10: Vollständiges und reduziertes Modell zur Prüfung von Mediator-Effekten 117 Abbildung 11: Grafisches Strukturgleichungsmodell – Endmodell ................................... 141 Abbildung 12: Bedingung A in der Fallstudie .................................................................... 147 Abbildung 13: Bedingung B in der Fallstudie .................................................................... 147 Abbildung 14: Gesprächsprotokoll in der Fallstudie .......................................................... 148 Abbildung 15: Übersicht über Clusterlösung 2 mit 4 Clustern .......................................... 159 Abbildung 16: Übersicht über Clusterlösung 4 mit 4 Clustern .......................................... 164 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Zusammenfassung der Hypothesen ................................................................. 75 Tabelle 2: Konstruktoperationalisierung ............................................................................. 77 Tabelle 3: Deskriptive Statistik und K.-S.-Test der Skalen nach kompletter Güteprüfung 88 Tabelle 4: Exploratorische Faktorenanalysen zur Prüfung auf Eindimensionalität ........... 91 Tabelle 5: Cronbach`s Alpha vor und nach Itemselektion ................................................. 93 Tabelle 6: Übersicht über noch kritische Items nach Itemselektion ................................... 94 Tabelle 7: Faktorenstruktur ................................................................................................. 95 Tabelle 8: Ergebnisse CFA ...............................................................................................101 Tabelle 9: Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen .....................................................102 Tabelle 10: Kriterien der Güteprüfung hinsichtlich Konvergenz- und Diskriminanzvalidität .............................................................................................................103 Tabelle 11: Anpassungsgüte des Ausgangsmodells – CFA..............................................104 Tabelle 12: Anpassungsgüte des modifizierten Modells – CFA ........................................105 Tabelle 13: Vergleich Ergebnisse CFA im Ausgangsmodell und modifizierten Modell ....106 Tabelle 14: Anpassungsgüte des weiter modifizierten Modells – CFA .............................106 Tabelle 15: Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen im modifizierten Modell ..............107 Tabelle 16: Kriterien der Güteprüfung im modifizierten Modell hinsichtlich Konvergenz- und Diskriminanzvalidität ........................................................................................107 Tabelle 17: Bivariate Korrelationsmatrix nach Pearson .....................................................109 Tabelle 18: Pfadkoeffizienten im SGM-Ausgangsmodell ..................................................114 Tabelle 19: Standardisierte totale Effekte im SGM-Ausgangsmodell ...............................115 Tabelle 20: Anpassungsgüte des SGM-Ausgangsmodells ...............................................115 Tabelle 21: Hypothese 1.4..................................................................................................118 Tabelle 22: Hypothese 1.5..................................................................................................120 Tabelle 23: Hypothese 1.6..................................................................................................121 Tabelle 24: Hypothese 2.5..................................................................................................122 Tabelle 25: Hypothese 2.6..................................................................................................124 Tabelle 26: Hypothese 2.7..................................................................................................125 Tabelle 27: Hypothese 3.3..................................................................................................126 Tabelle 28: Hypothese 3.4..................................................................................................127 Tabelle 29: Hypothese 3.5..................................................................................................128 Tabelle 30: Hypothese 3.6..................................................................................................129 Tabelle 31: Hypothese 3.7..................................................................................................130 Tabelle 32: Hypothese 3.8..................................................................................................132 Tabelle 33: Hypothese 3.9..................................................................................................133 Tabelle 34: Hypothese 3.10 ...............................................................................................134 Tabelle 35: Hypothese 3.11 ...............................................................................................135 Tabelle 36: Hypothese 4.4..................................................................................................136 Tabelle 37: Hypothese 4.5..................................................................................................138 Tabelle 38: Zusammenfassung der Hypothesenprüfung ...................................................140 Tabelle 39: Pfadkoeffizienten im SGM-Endmodell ............................................................142 Tabelle 40: Anpassungsgüte des SGM-Endmodells .........................................................143 Tabelle 41: Varianzaufklärung (SMC) der endogenen Variablen ......................................143 Tabelle 42: Konstruktoperationalisierung in der Fallstudie ................................................149 Tabelle 43: Charakterisierung der Clusterlösung 2 anhand demografischer Variablen ...160 Tabelle 44: Charakterisierung der Clusterlösung 4 anhand demografischer Variablen ...165 Tabelle 45: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Fachrichtung des Studiums ....169 Tabelle 46: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Recruitingstatus ......................172 Tabelle 47: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Erfahrung in Einstellungsinterviews auf Analytik .................................................................173 Tabelle 48: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Erfahrung in Einstellungsinterviews auf Expertise ...............................................................174 Tabelle 49: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Unternehmensgröße ...............175 Tabelle 50: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Unternehmensbranche ...........176 Tabelle 51: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung auf Analytik........................................178 Tabelle 52: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung auf Expertise .....................................179 Tabelle 53: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf auf Analytik ...................................................................179 Tabelle 54: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf auf Expertise ................................................................180 Tabelle 55: Faktoren Unternehmensgröße und Recruitingstatus auf organisationale Rahmenbedingungen – Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede ..............181 Tabellengruppenverzeichnis Tabellengruppe 1: Multivariates ALM Fallstudie ................................................................. 151 Tabellengruppe 2: Multivariates ALM Fallstudie Gruppe Psychologen .............................. 153 Tabellengruppe 3: Multivariates ALM Fallstudie Gruppe erhöhter Weiterbildungsbedarf .. 155 Tabellengruppe 4: Multivariates ALM Clusterlösung 2 ....................................................... 162 Tabellengruppe 5: Multivariates ALM Clusterlösung 4 ....................................................... 166 Tabellengruppe 6: Multivariates ALM – Fachrichtung auf Entscheidungsdissonanz und Expertise ................................................................................................ 170 Tabellengruppe 7: Multivariates ALM – Unternehmensgröße auf organisationale Rahmenbedingungen ............................................................................ 182 Tabellengruppe 8: Multivariates ALM – Recruitingstatus auf organisationale Rahmenbedingungen ............................................................................ 185 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen Bezeichnungen AGFI Adjusted Goodness of Fit Index ALM Allgemeines lineares Modell Ana Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses AnaB Analytik der Beurteilung AnaEnt Analytik der Entscheidung ANOVA einfaktorielle Varianzanalyse ASV Average Shared Squared Variance AV Abhängige Variable AVE Average Variance Extracted CFA konfirmatorische Faktorenanalyse CMIN/DF Quotient ChiQuadrat in Relation zu Freiheitsgraden CR Composite Reliability C.R. Critical Ratio DEV durchschnittliche je Faktor extrahierte Varianz df Freiheitsgrade Diss Entscheidungsdissonanz EFA exploratorische Faktorenanalyse Exp Expertise GFI Goodness of Fit Index HB Heuristics and Biases IV Intervenierende Variable KeA Kenntnis des Anforderungsprofils KMO-Maß Kaiser-Meyer-Olkin-Maß KoA Konkretheit des Anforderungsprofils K.S.-Test Kolmogrorov-Smirnoff-Test MA Mitarbeiter M.I. Modification Indices ML-Methode Maximum-Likelihood-Methode MSV Maximum Shared Squared Variance NDM Naturalistic Decison Making R² Bestimmtheitsmaß Rech Rechenschaftsverpflichtung Abkürzungen Bezeichnungen RMSEA Root Mean Square Error of Approximation RMR Root Mean Square Residual Sche Schemata S.E. Standardized Error/ Standardfehler SGM Strukturgleichungsmodell SMC Squared Multiple Correlations StrI Strukturiertheit des Einstellungsinterview subjE subjektive Entscheidungsregeln SysF Systematik des Feedbacks UV Unabhängige Variable Ver Verantwortlichkeitsgefühl VIF Variable Inflation Factor 1 Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ___________________________________________________________________________________________ 1. Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen 1.1 Das Einstellungsinterview in der Praxis – Einflussfaktoren und Probleme Personaleinstellungen gehören zu den strategisch wichtigsten Entscheidungen im Hinblick auf die Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges (vgl. Weuster, 2008, S.6). Das Bewerbungsinterview ist dabei, neben der Analyse von Bewerbungsunterlagen, die am häufigsten verwendete Methode für Einstellungsentscheidungen in Deutschland (Schuler et al., 2007, S.61; Hell et al., 2006, S.3; Stephan & Westhoff, 2002, S.13; Schuler, Frier & Kaufmann, 1993, S.34). Die Qualität von Einstellungsinterviews, gemessen in Objektivität, Reliabilität und Validität (vgl. Lienert & Raatz, 1994), hängt jedoch stark von der Person des Recruiters1 ab. Seine Aufgabe ist es, die Passung des Bewerbers zur Stelle und/ oder zum Unternehmen zu beurteilen und daraus eine möglichst richtige Entscheidung abzuleiten. Die dabei wirkenden Urteils- und Entscheidungsprozesse werden sowohl durch die Persönlichkeit des Recruiters, seine individuellen Erfahrungen und Kompetenzen beeinflusst, als auch durch die situativen und organisationalen Rahmenbedingungen des 2 Einstellungsinterviews und das Verhalten des Bewerbers . Folglich laufen diese Urteils- und Entscheidungsprozesse inter- und intraindividuell unterschiedlich ab, was sich auf die Güte und Nachvollziehbarkeit von Einstellungsentscheidungen nachteilig auswirken kann. Obwohl die wissenschaftliche Eignungsdiagnostik bereits zahlreiche Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen für objektive, reliable und valide durchgeführte Einstellungsinterviews geliefert hat (vgl. zusammenfassend Strobel & Westhoff, 2009), werden die meisten Einstellungsentscheidungen in der Praxis losgelöst von wissenschaftlichen Empfehlungen noch immer aus dem Bauch heraus, nach Sympathie oder wegen der überzeugenden Persönlichkeit getroffen (Kleebaur, 2007, S.49ff/130ff; Kanning et al., 2007, 1 In der vorliegenden Arbeit wird zur besseren Lesbarkeit des Textes durchgängig die männliche Form verwendet. Unabhängig davon sind dabei sowohl männliche als auch weibliche Personen gemeint. 2 ausgehend von dem dynamisch-interaktionistischen Paradigma der Psychologie zur Erklärung menschlichen Verhaltens und Erlebens durch Personen- und Situationsvariablen (Mischel & Shoda, 1995; Endler & Magnusson, 1976); 1 1 Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ___________________________________________________________________________________________ S.164; Stephan & Westhoff, 2002, S.11f). In der Praxis dominieren intuitive Elemente die Personalentscheidung (Highhouse, 2008, S.333f). Intuitives Entscheiden wird in normativen Forschungsansätzen vor allem mit Heuristiken und Urteilsfehlern in Verbindung gebracht (vgl. Heuristics-and-Biases-Ansatz nach Gilovich, Griffin & Kahneman, 2002; Kahneman, Slovic & Tversky, 1982). Die Arbeiten Gigerenzers, Todd`s & the ABC Group (1999/2000) zur Adaptiven Toolbox (auch Todd & Gigerenzer, 2001; Gigerenzer & Selten, 2001) beschreiben im Gegensatz dazu, welche Vorteile Heuristiken in komplexen Situationen (Gigerenzer & Gaissmaier, 2011; Gigerenzer & Brighton, 2009; Gigerenzer, 2008) und unter Unsicherheit (Goldstein & Gigerenzer, 2011; Cosmides & Tooby, 1996) bieten. Im Unterschied zur heuristischen Definition, wird intuitives Entscheiden im Zusammenhang mit Expertenwissen durch vielfältiges Erfahrungswissen charakterisiert (Patterson et al., 2010; Gobet & Chassy, 2008; Ericsson & Smith, 1991). Das intuitive Entscheidungsmuster eines Experten ist damit das Ergebnis von komplexen Lernprozessen und durch assoziative Mechanismen geprägt (Plessner, Betsch & Betsch, 2008; Lieberman, 2000). Dementsprechend belegen auch einige Arbeiten die Überlegenheit intuitiver Entscheidungsstrategien in komplexen Situationen (Dijksterhuis & Nordgren, 2006) sowie für Managemententscheidungen (Salas et al., 2009; Matzler et al. 2007; Pratt, 2007; Sinclair et al., 2002). Der intuitive Trend wird dabei auch von dem aus der kognitiv-emotionalen neurowissenschaftlichen Forschung hervorgegangenen Paradigmenwechsel der Relevanz emotionaler statt rationaler Aspekte bei Entscheidungen unterstützt. So belegen einige Wissenschaftler, dass Entscheidungen grundsätzlich unbewusst im limbischen System vorbereitet werden und dort auch schon einige Sekunden vor der Entscheidung lokalisierbar sind. Der Mensch versuche dabei nur, seine Entscheidungen im Nachhinein mit rationalen Argumenten zu rechtfertigen (Soon et al., 2008; vgl. auch Roth, 2003). Dennoch kann ein intuitiver Entscheidungsmodus auch ausschließlich auf subjektiven Entscheidungsregeln aufgebaut sein, wenn kein evaluiertes Erfahrungswissen im Lernprozess aufgebaut werden konnte. Dieser ist besonders anfällig für Urteilsfehler, da er sich meist auf nur wenige Hinweisreize (sogenannte cues, vgl. Czerlinski, Gigerenzer & Goldstein, 1999) stützt. Da Personalentscheidungen in der Regel sehr komplex sind und verschiedene Wahrnehmungs- und Integrationsprozesse beinhalten, kann intuitives oder „ganzheitliches“ 2 1 Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ___________________________________________________________________________________________ Beurteilen und Entscheiden in der Personalauswahl deshalb große Risiken von Fehleinschätzungen bergen (Kanning, 2004, S.58). Die Folge einer unzureichenden Prüfung von stellenrelevanten Fertigkeiten und Kompetenzen ist der Verlust von bedeutendem personalen und damit unternehmerischem Potenzial (Stephan & Westhoff, 2002, S.16). Fehlentscheidungen können somit sowohl finanzielle als auch arbeitsorganisatorische Konsequenzen haben (Weuster, 2008, S.324). Ebenso hat eine „intuitive“ Personalauswahl auch arbeitsrechtliche wie ethische Relevanz (Schuler, 2002, S.128f). Die fehlende Transparenz und Nachvollziehbarkeit solcher Entscheidungen lässt nicht nur an der Einstellungsentscheidung, sondern auch an der Kompetenz von Personalentscheidern zweifeln, die sich ihrer guten „Menschenkenntnis“ (vgl. Kanning, 2004, S.58) rühmen. So stellt Kanning (ebd.) fest: „Die subjektive Gewissheit [über die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung3] ist somit kein geeignetes Wahrheitskriterium“ (vgl. auch Kahneman & Klein, 2009, S.524: „Subjektive Gewissheit ist deshalb kein zuverlässiger Indikator für die Validität eines intuitiven Urteils oder einer intuitiven Entscheidung“4). Nicht zuletzt sollte der ethische Anspruch einer professionellen und fairen Personaldiagnostik darin liegen, nicht nur das Unternehmen und die Organisation, sondern auch den Bewerber vor Fehlentscheidungen und den verbundenen langfristigen Kosten zu schützen. Deshalb bedürfen intuitive Entscheidungselemente, ob schematisch-heuristisch oder erfahrungsbasiert, bei der Personalauswahl einer besonderen Kontrolle. 1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Den obigen Ausführungen folgend, widmet sich diese Arbeit einer wissenschaftlich fundierten Personaldiagnostik mit der Forschungsfrage, welche Determinanten den individuellen Urteilsund Entscheidungsprozess von Recruitern eher analytisch oder intuitiv prägen und welche intervenierenden Variablen dabei berücksichtigt werden müssen. Zunächst werden eignungsdiagnostische Beurteilungen und Entscheidungen auf normativer Ebene diskutiert und die Relevanz von Analytik für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen erläutert. Zudem werden bisherige empirische Befunde sowie theoretische 3 4 Anmerkung der Autorin Übersetzung der Autorin 3 1 Analytik und Intuition in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ___________________________________________________________________________________________ Überlegungen zu den Determinanten analytischer Urteils- und Entscheidungsprozesse zusammengefasst (Kapitel 2). Daran anschließend werden grundlegende Mechanismen der Personenwahrnehmung und -beurteilung beleuchtet. Im Kontext der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen werden ebenfalls die Problematik vollständig analytischer Entscheidungen in der eignungsdiagnostischen Praxis, sowie die daraus resultierende Nützlichkeit von Heuristiken und Schemata bei Personalentscheidungen erläutert (Kapitel 3). Darauf aufbauend werden die Lernprozesse von Recruitern und in diesem Kontext auch der Zusammenhang zwischen Intuition und Expertenwissen näher beleuchtet. Die heuristische und die expertise-basierte Definition von Intuition werden hierbei voneinander abgegrenzt. Weiterhin wird erklärt, warum intuitive Entscheidungsmuster im eignungsdiagnostischen Kontext nicht eindeutig als Indikator für umfangreiches Expertenwissen interpretierbar sind, sondern auch nicht-evaluiertes Routinewissen indizieren können (Kapitel 4). Anschließend wird mit Hilfe sogenannter Zwei-Prozess-Modelle der analytische und der intuitive Urteils- und Entscheidungsmodus voneinander abgegrenzt und erklärt, warum diese in der vorliegenden Untersuchung nicht als stabile Präferenz, sondern als kontextabhängig und damit als grundsätzlich variabel angenommen werden (Kapitel 5). Die relevanten Einflussfaktoren auf analytische und intuitive Urteils- und Entscheidungsprozesse werden also zunächst durch Analyse und Diskussion bisheriger Arbeiten auf theoretischer wie empirischer Ebene identifiziert (Kapitel 1-5), danach in ein theoretisches Rahmenmodell integriert und schließlich empirisch überprüft (Kapitel 6). Als zentrale Methode dieser Untersuchung dient dabei die Strukturgleichungsmodellierung. Innerhalb des postulierten Modells werden sowohl die Lernprozesse des Recruiters und motivationale Faktoren als persönliche Einflussvariablen, sowie verschiedene organisationale Einflussvariablen untersucht. Die Analyse der kausalen Strukturen und intervenierenden Variablen zielt auf ein besseres Verständnis der Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern in Einstellungsinterviews. Damit soll empirisches Fundament für die Ableitung konkreter Maßnahmen geschaffen werden, um eignungsdiagnostische Urteils- und Entscheidungsprozesse in der Praxis nachhaltig optimieren zu können. Abschließend werden die Ergebnisse im Hinblick auf praktische Implikationen sowie Anregungen für die weitere Forschung zusammengefasst (Kapitel 7). 4 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ 2. Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen 2.1 Der diagnostische Prozess – die normative Perspektive Im folgenden Abschnitt werden relevante Arbeiten, die sich besonders mit den Anforderungen an diagnostische Entscheidungen und Prozesse befassen und diese auf normativer Ebene betrachten, dargestellt und zusammengefasst. Die Auswahl der Arbeiten ist exemplarisch zu verstehen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der diagnostische Prozess nach Westmeyer (1972) Der diagnostische Prozess nach Westmeyer (1972, S.22) basiert auf dem deduktiven Modell Hempel & Oppenheims (1948), in welchem das Explanans („Erklärendes“) die Begründung für ein Explanandum („zu Erklärendes“) liefert. So führen Antezendenzbedingungen aufgrund bestimmter Gesetzmäßigkeiten oder Wahrscheinlichkeiten zu bestimmten Ergebnissen. Der diagnostische Prozess hat nun zum Ziel, entweder das Explanans zu erklären, oder aber das Explanandum zu prognostizieren (Westmeyer, 1972, S.24). Entscheidende Voraussetzung für die Gültigkeit dieser Diagnose oder Prognose ist jedoch, dass die Schlussfolgerung logisch aus allgemeingültigen und empirisch bestätigten Gesetzmäßigkeiten hergeleitet wird (ebd., S.23). Diese allgemeingültigen Gesetze liegen dem Diagnostiker allerdings nicht in vollständiger und empirisch genügend fundierter Form vor. Die Diagnose oder Prognose bleibt immer ein Stück unsicher, da sie zumeist sogar nur auf Wahrscheinlichkeiten beruht (ebd., S.39). Westmeyer (1972, S.142) beschreibt dies als grundsätzliches Problem innerhalb der Eignungsdiagnostik und fordert deshalb, die vorliegenden Gesetzmäßigkeiten empirisch zu überprüfen, um daraus die „notwendige Datenbank“ für diagnostische Entscheidungen entwickeln zu können. Der diagnostische Prozess nach Jäger (1986) Jäger (1986, S.11) beschreibt den diagnostischen Prozess als „Ablauf von Maßnahmen, mit deren Hilfe und unter Anwendung diagnostischer Methoden eine mit diagnostischer 5 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Zielsetzung vorgegebene Fragestellung so beantwortet wird, dass für einen Auftraggeber eine Entscheidungshilfe bzw. eine Entscheidung herbeigeführt werden kann“. Die Teilschritte des diagnostischen Prozesses beinhalten dabei nach Jäger (19865): - die Formulierung einer Fragestellung, aus der sich auch die Zielsetzung des diagnostischen Prozesses ableitet6 - die Formulierung von Hypothesen, die zur Erklärung oder Prognose eines Phänomens dienen sollen, - die Datengewinnung, die der Hypothesenprüfung dienen soll, - die Urteilsbildung, innerhalb dieser „der Diagnostiker die ihm zunächst vorliegenden Informationen über den Diagnostikanten zu einem neuen, aus vorhandenen Daten aggregiertem Datum reduziert, um es diagnostisch oder prognostisch zu nutzen“ (Jäger, 1986, S.235) und sodann - die Indikation oder Entscheidung ableitet. Bei der diagnostischen Urteilsbildung sind Verknüpfungsregeln zwischen diagnostischen Informationen und Urteilen notwendig, um den Einfluss von Subjektivität durch den Diagnostiker zu verringern. Da es an solchen empirisch geprüften Verknüpfungsregeln zwischen beobachtbaren Indikatoren und latenten Verhaltensmerkmalen jedoch grundsätzlich mangelt, muss der Diagnostiker seine Intuition und Erfahrung zu Hilfe nehmen, um die Indikatoren zu einem diagnostischen Urteil zu integrieren (Jäger, 1986, S.236ff; Jäger & Petermann, 1995, S.461467). DIN 33430 (2002) Im Jahre 2002 wurde die DIN 33430 – „Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen“ – veröffentlicht. Sie beschreibt „Qualitätskriterien und -standards für berufsbezogene Eignungsbeurteilungen sowie Qualifikations- anforderungen an die an der Eignungsbeurteilung beteiligten Personen“ (DIN e.V., 2002, S.3). 5 aus Jäger & Petermann (1995, S.450-453); vgl. vier Dimensionen diagnostischer Zielsetzungen nach Pawlik, 1976: Status- oder Prozessdiagnostik, Normoder Kriteriumsorientierung, Testen oder Inventarisieren, Messung oder Behandlung; 6 6 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Das Anforderungsprofil spielt eine wesentliche Rolle in der Qualitätssicherung des eignungsdiagnostischen Prozesses. So soll das Anforderungsprofil „die Basis einer Eignungsbeurteilung sein“ (DIN e.V., 2002, S. 12) sowie „die Merkmale eines Arbeitsplatzes, einer Ausbildung bzw. eines Studiums, eines Berufs oder einer beruflichen Tätigkeit ermitteln, die für den beruflichen Erfolg und die berufliche Zufriedenheit bedeutsam sind“ (ebd.). Weiterhin sollten aus der Anforderungsanalyse „diejenigen Eignungsmerkmale mit ihren Ausprägungsgraden abgeleitet werden, die zur Erfüllung der Anforderungen nötig sind“ (ebd.). Ebenfalls dürfen für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung „nur solche Verfahren eingeplant werden, die nachweislich einen Bezug zu den Anforderungen haben“ (DIN e.V., 2002, S.6) und „eine für die Fragestellung möglichst hohe Gültigkeit aufweisen“ (DIN e.V., 2002, S.7). Weiterhin fordert die DIN: „Es sind Regeln festzulegen und zu dokumentieren, anhand derer die Ergebnisse zur Eignungsbeurteilung führen“ (DIN e.V., 2002, S.8). Außerdem sollen alle an der Durchführung und Auswertung von Eignungsinterviews, Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen Beteiligten über profunde Kenntnis folgender Themen verfügen (DIN e.V., 2002, S.11): - - Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen o Beobachtung & Systematik der Beobachtung o Operationalisierungen von Eignungsmerkmalen o Definition und Abgrenzung von Beobachtungseinheiten o Dokumentation & Auswertung der Beobachtungen o Bezugsmaßstab o Formen der Urteilsbildung (statistisch und nicht-statistisch) o Beobachtungsfehler o Gütekriterien Eignungsinterviews o Interviewklassifikationen o Interviewleitfäden & Fragetechniken o Beurteilungsbereiche o Rechtliche Zulässigkeit Die DIN fordert also eine explizit-regelgeleitete Eignungsbeurteilung, die durch eine sorgfältige Anforderungsanalyse validiert und rational nachvollziehbar ist. 7 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Die Interpretation der Ergebnisse lässt hier keinen Raum für subjektive oder intuitive Elemente, sondern fordert eine klare Operationalisierung von Eignungsmerkmalen in Beobachtungseinheiten, welche dann anhand expliziter Regeln in eine Eignungsbeurteilung münden. Richtlinien für den diagnostischen Prozess nach Westhoff, Hornke & Westmeyer (2003) In ihrem Beitrag „Richtlinien für den diagnostischen Prozess“7 formulieren Westhoff, Hornke & Westmeyer (2003) solche Richtlinien und stellen diese zur Diskussion. Sie kennzeichnen den komplexen Prozess des Diagnostizierens mit drei Hauptmerkmalen: Entscheidungen treffen8, Probleme lösen9 und Entwicklung und Prüfung von Hypothesen10. Weiterhin beschreiben sie den diagnostischen Prozess mit folgenden Schritten, die als Richtlinien für die Praxis psychologischer Diagnostik, aber auch für die Ausbildung und das Training von Diagnostikern dienen sollen11: 1. Analysieren des Falles - Analysieren der Anforderungen und/ oder Ziele - Formulieren prüfbarer diagnostischer Hypothesen zum Fall - Erheben von Informationen - Verarbeiten der Informationen, Beziehen der gesammelten Daten auf die diagnostischen Fragen 2. Organisieren und Berichten der Ergebnisse - Integrieren der Ergebnisse - Erstatten des Gutachtens - Diskutieren und Entscheiden 3. Planen der Intervention - Auswählen und Prüfen spezifischer Interventionshypothesen 4. Durchführung der Intervention 5. Evaluation und Nachuntersuchung 7 basierend auf dem Original: Fernandez-Ballesteros, R., De Bruyn, E.E.J., Godoy, A., Hornke, L.F., Ter Laak, J., Vizcarro, C., Westhoff, K., Westmeyer, H. & Zaccagnini, J.L. (2001). Guidelines for the Assessment Process (GAP): A Proposal for Discussion. European Journal of Psychological Assessment, 17, 187-200. 8 zitiert nach McReynolds, 1971, S.7; Maloney & Ward, 1976, S.5; jeweils aus Westhoff et al. (2003); 9 zitiert nach Sloves, Doherty & Schneider, 1979, S.30-32; Maloney & Ward, 1976, S.5; jeweils aus Westhoff et al. (2003); 10 zitiert nach Shapiro, 1970, S.652; Fernández-Ballesteros & Staats, 1992, S.5; jeweils aus Westhoff et al. (2003); 11 entnommen aus Tabelle 1, S.510; in: Westhoff, K., Hornke, L.F. & Westmeyer, H. (2003). Richtlinien für den diagnostischen Prozess. report psychologie 28.; 8 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ - Erheben von Daten zu Interventionseffekten - Analysieren von Interventionsergebnissen - Nachuntersuchung (Follow-Up) Auch dieser Beitrag verdeutlicht das analytische Vorgehen im diagnostischen Prozess. Nach der Formulierung expliziter bzw. prüfbarer Hypothesen, sollen die relevanten Daten erhoben und hinsichtlich der Hypothesen zu Ergebnissen integriert werden, bevor sich daraus wiederum konkrete Interventionsmaßnahmen und deren Evaluation ableiten. Fazit zu Kapitel 2.1: Der diagnostische Prozess – die normative Perspektive Die beschriebenen Arbeiten verdeutlichen den wissenschaftlichen Anspruch, der an praktisch tätige Eignungsdiagnostiker herangetragen wird. Der Diagnostiker soll spezifische Hypothesen entwickeln und überprüfen, ebenfalls sollen die diagnostischen Informationen nach empirisch gültigen Gesetzmäßigkeiten und expliziten Regeln integriert und verrechnet werden, bevor die Entscheidung abgeleitet werden kann. Auch Jäger & Petermann (1995, S.11) definieren den diagnostischen Prozess als „das systematische Sammeln und Aufbereiten von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen und daraus resultierende Handlungen zu begründen, zu kontrollieren und zu optimieren“. Bezogen auf die berufliche Eignungsdiagnostik bedeutet dies, dass auf Basis einer sorgfältigen Anforderungsanalyse explizite Hypothesen formuliert und im Bewerbungsgespräch mit operationalisierten Beobachtungseinheiten überprüft werden sollen. Das geforderte analytisch-hypothesengeleitete oder auch explizit-regelgeleitete Vorgehen ähnelt damit eher einer wissenschaftlichen Datenerhebung und Untersuchung, als einem klassischen Bewerbungsgespräch, wie es in der Realität tatsächlich praktiziert wird. Nach Wottawa & Oenning (2002, S.56) macht die DIN in diesem Kontext auf das innerhalb der Eignungsdiagnostik verbreitete Problem aufmerksam, dass sich die Entscheider mit einer „nur sehr schwach fundierten empirischen Grundlage ihrer Eignungsbeurteilungen zufrieden geben“. Die Autoren resümieren weiterhin (ebd., S.47), dass es an validen eignungsdiagnostischen Entscheidungsregeln mangelt. Die Forderung ist also eindeutig: Der Einfluss von Subjektivität und Intuition soll innerhalb des diagnostischen Prozesses minimiert werden. 9 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Dennoch berücksichtigen die erstgenannten Autoren auch das grundsätzliche Problem innerhalb der Eignungsdiagnostik. Da es an empirisch fundierten Verknüpfungsregeln zwischen den beobachtbaren Daten und der Diagnose bzw. Prognose mangelt, ist der Diagnostiker letztlich gezwungen, auf seine Erfahrung und Intuition zurückzugreifen, um diese Lücken zu füllen. Auf die daraus resultierende Problematik wird später noch im Detail eingegangen (Kapitel 4). Der normative Anspruch an eine analytische, rational begründete Eignungsdiagnostik bleibt allerdings bestehen. Eignungsdiagnostische Entscheidungen sollten auf analytisch geprägten Urteils- und Entscheidungsprozessen basieren. 2.2 Zur Überlegenheit der statistischen gegenüber der klinischen Urteilsbildung Grundsätzlich kann zwischen klinischer und statistischer Urteilsbildung unterschieden werden, aus der eine diagnostische Entscheidung abgeleitet wird. Basierend auf dem oben beschriebenen diagnostischen Prozess nach Jäger (1986, S.236ff), erfolgt die Datenerhebung im Rahmen der klinischen Urteilsbildung nach einer zumeist subjektiv geprägten Anamnese des Diagnostikers, während innerhalb der statistischen Urteilsbildung eine reliable und valide Datenerhebung postuliert wird, die auf expliziten Regeln basiert. Die auf der Anamnese bzw. Datenerhebung aufbauende Datenintegration unterscheidet sich deshalb ebenfalls voneinander. Die klinische Datenintegration erfolgt nach impliziten und individuell verschiedenen Mechanismen, da es jeweils dem Diagnostiker überlassen bleibt, nach welchen subjektiv erworbenen Regeln und Kompetenzen er die gewonnen Daten in ein Urteil integriert (ebd., S.240). Die statistische Dateninterpretation hingegen, benötigt explizite Verrechnungsregeln, z.B. mathematische Algorithmen, um aus den vorliegenden Prädiktoren auf ein möglichst valides Kriterium zu schließen (vgl. Grove, 2005). Als Methoden stehen dabei lineare Methoden (z.B. Diskriminanzanalyse, Regressionsanalyse) oder nicht-lineare Methoden (z.B. konfigurale Methoden wie künstliche 10 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ neuronale Netze) zur Verfügung (Häusler & Sommer, 200612; Ganzach, 1995; Dawes, 1979; Hammond & Summers, 1965). Lineare Methoden verwenden häufig ein gewichtetes Modell der einzelnen Prädiktoren, um die Expertenentscheidung nachzubilden (Einhorn & Hogarth, 1975; Meehl, 1954). Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass solch ein statistisches Modell letztlich besser entscheidet als der Experte selbst (Kleinmuntz, 1990; Johnson, 1988; Wiggins, 1981; Dawes, 1979). Dies kann durch die geringere Fehleranfälligkeit des Modells bei der Integration von Einzelinformationen begründet werden (Kleinmuntz, 1990, S.301f; Dawes, 1979, S.575). Mit seiner Arbeit “Clinical versus statistical prediction: a theoretical analysis and a review of the evidence“ eröffnete Meehl (1954) die heute mittlerweile als klassisch bezeichnete kontroverse Diskussion über die Validität der statistischen Urteilsbildung im Vergleich zur klinischen Urteilsbildung. Durch eine Metaanalyse von 22 Untersuchungen konnte er zeigen, dass klinisch gebildete Urteile den statistisch aggregierten Urteilen bezogen auf ihre Validität unterlegen sind. Sawyer (1966) hat diese Ergebnisse in einer weiteren Metaanalyse von 45 Untersuchungen (Meehls eingeschlossen) bestätigt. Auch Grove et al. (2000, S.21f) konnten die Überlegenheit der statistischen Urteilsbildung in ihrer Meta-Analyse von 136 Studien aus dem psychologischen wie medizinischen Kontext bestätigen. Für 63 Studien konnte die Überlegenheit statistischer Datenaggregation bestätigt werden, 65 Studien zeigten keine signifikanten Unterschiede und 8 Studien zeigten die Überlegenheit der klinischen Urteilsbildung. Ebenfalls haben Ganzach, Kluger & Klayman (2000) die Genauigkeit der statistischen (optimal weights combination) mit der klinischen Informationsintegration (global judgement) jeweils miteinander und in Kombination bei einer großen Bewerber-Stichprobe der israelischen Armee verglichen. Als Grundlage der Beurteilung dienten dabei strukturierte Einstellungsinterviews, deshalb ist diese Studie für den Kontext dieser Arbeit besonders interessant. 12 Häusler & Sommer (2006) konnten in ihrer Studie zeigen, dass die nichtlineare Methode künstlicher neuronaler Netze zur Erhöhung der prognostischen Validität eignungsdiagnostischer statistischer Entscheidungsmodelle führt. Somit können künstliche neuronale Netze als innovative und leistungsfähige Option für die statistische Modellierung von eignungsdiagnostischen Urteilen fungieren und lineare Methoden in Zukunft ablösen. 11 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Die statistische Urteilsbildung ist auch hier der klinischen überlegen. Die Autoren wiesen Korrelationskoeffizienten des Urteils mit dem Kriterium von r=.23 für global judgement im Vergleich zu r=.28 für optimal weights combination nach (ebd., S.12). Allerdings übertrifft die Kombination beider Methoden noch ein wenig die Urteilsgenauigkeit der einzelnen Methoden (r=.30, ebd.). Dies bedeutet, dass statistische Methoden auch von der individuellen Erfahrung des Diagnostikers profitieren können. In einer neueren Meta-Analyse von Aegisdottir et al. (2006) konnte die Überlegenheit der statistischen Urteilsbildung im Vergleich zur klinischen ebenfalls bestätigt werden. Die Wahrscheinlichkeit für genaue Urteile erhöhte sich um 13%, wenn die statistische statt klinische Datenaggregation für die Urteilsbildung genutzt wurde (ebd., S.359). Fazit zu Kapitel 2.2: Zur Überlegenheit der statistischen gegenüber der klinischen Urteilsbildung Obwohl auch wenige widersprüchliche Arbeiten veröffentlicht worden sind (Lindsey, 1965; Holt, 1958) zeigen die empirischen Befunde insgesamt, dass statistisch gebildete Urteile genauer ausfallen, als klinisch gebildete Urteile. Die statistische Urteilsbildung entspricht hierbei den oben beschriebenen rationalanalytischen sowie normativen Kriterien der Eignungsdiagnostik. Die klinische Urteilsbildung entspricht eher der intuitiven Entscheidungsfindung, da sie von der jeweils individuellen Erfahrung und Intuition des Experten geprägt ist. Folglich wird auch durch diese Befunde die Forderung nach analytisch geprägten Urteils- und Entscheidungsprozessen in der Eignungsdiagnostik unterstützt. Im nächsten Abschnitt soll nun das Einstellungsinterview, als eines der wichtigsten Instrumente in der Personalauswahl und Gegenstand dieser Untersuchung, vorgestellt werden. 12 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ 2.3 Einflussfaktoren auf die Güte von Einstellungsinterviews Das Einstellungsinterview kann als alleiniges Auswahlinstrument, als Bestandteil eines sequentiellen Auswahlprozesses, oder aber auch im Rahmen eines Assessment Centers eingesetzt werden (Krause & Gebert, 2003, S.302). Das Einstellungsinterview als Methode der Personalauswahl bietet die Gelegenheit zum Austausch personen-, arbeits- und organisationsbezogener Informationen (Schuler, 2002, S.1). Thematisch können grundsätzlich sowohl tätigkeitsspezifische oder allgemeine berufliche Voraussetzungen, Fertigkeiten und Kompetenzen des Bewerbers, als auch Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Einstellungen erhoben werden13. Das Einstellungsinterview kann grundsätzlich alle genannten Konstrukte erfassen. Deshalb wird es häufig auch als Breitbanddiagnostikum bezeichnet. Wie valide jedoch das Einstellungsinterview diese Konstrukte erfasst, hängt jeweils von seiner Ausgestaltung, vom Interviewer und den Rahmenbedingungen der Anwendung ab. Welche Faktoren im Detail Einfluss auf die Güte von Einstellungsinterviews nehmen, soll in den nächsten Kapiteln dargestellt werden. 2.3.1 Strukturiertheit des Einstellungsinterviews Das Einstellungsinterview lässt sich hinsichtlich seines Strukturierungsgrades unterscheiden. Das unstrukturierte Interview ist das in der Praxis am häufigsten eingesetzte Verfahren (van der Zee, Bakker & Bakker, 2002, S.176ff; Stephan & Westhoff, 2002, S.9). Es ist gekennzeichnet durch eine freie Gesprächsführung, dessen Inhalt, Durchführung und Auswertung nicht standardisiert erfolgen und somit bei jedem Gespräch unterschiedlich ausfallen können. 13 Nach Kristof-Brown (2000) unterscheiden Personaldienstleister bei Auswahlentscheidungen zwischen dem person-job-fit und dem person-organization-fit. Relevant für die Eignungsentscheidung bezogen auf die Stelle (person-job) seien vor allem die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten des Bewerbers. Für die Eignungsentscheidung bezogen auf die Organisation (person-organization), seien vor allem die Eigenschaften und Werte des Bewerbers entscheidend (vgl. auch Kristof-Brown & Jansen, 2007). In einer neueren Studie belegt Huffcutt (2011), dass zwischen stellenspezifischen, performance-spezifischen oder bewerberspezifischen Konstrukten, vor allem die performancespezifischen Konstrukte relevant für die Einstellungsentscheidung sind. 13 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Damit hängen Inhalt und Ausgestaltung des Interviews völlig von der Person des Recruiters und seiner eignungsdiagnostischen Kompetenz sowie auch von situativen Einflussfaktoren und der Person des Bewerbers ab. Das strukturierte Interview hingegen, zeichnet sich durch einen hohen Grad der Standardisierung im Inhalt, in der Durchführung und der Auswertung aus. Ziel ist es, eine hohe Objektivität, Reliabilität sowie Validität des Verfahrens zu erreichen. Das hoch strukturierte Interview basiert nach Campion, Palmer & Campion (1997, S.657ff) sowie Anderson & Shackleton (1993, S.71) und Pulakos et al. (1996, S.86f) auf einem differenzierten Anforderungsprofil mit operationalisierten und gewichteten Auswahlkriterien. Die anforderungsbezogenen Fragen werden jedem Bewerber standardisiert und in derselben Reihenfolge gestellt. Thematische Abweichungen oder Ergänzungsfragen sind nicht gestattet. Die Auswertung erfolgt ebenfalls systematisch und standardisiert nach vorher definierten Kriterien. Mayfield (1964) und Schmitt (1976) stellten bei strukturierten Interviews eine höhere Beurteiler-Übereinstimmung als bei unstrukturierten Interviews fest. Auch Conway, Jako & Goodman (1995, S.571/575) konnten in ihrer Meta-Analyse diesen positiven Effekt der Strukturiertheit auf die Objektivität von Einstellungsinterviews finden. Für die Strukturierung von Einstellungsinterviews konnte in Metaanalysen zudem ein hoher Validitätsgewinn nachgewiesen werden: - Wiesner & Cronshaw (1988, S.284): korrigierte mittlere Validitätskoeffizienten von r=.62 für strukturierte Interviews im Vergleich zu r=.31 für unstrukturierte Interviews (150 Studien berücksichtigt); - Marchese & Muchinsky (1993, S.22ff): korrigierte Validitätskoeffizienten von r=.45 für strukturierte Interviews; Strukturiertheit des Interviews konnte als Moderator für die Validität des Interviews identifiziert werden (31 Studien berücksichtigt); - Huffcutt & Arthur (1994, S.186ff): korrigierte Validitätskoeffizienten von r=.56 für strukturierte Interviews im Vergleich zu r=.35 für unstrukturierte Interviews; - McDaniel et al. (1994, S.606ff): korrigierte Validitätskoeffizienten von r=.44 für strukturierte und r=.33 für unstrukturierte Interviews; - Conway, Jako & Goodman (1995, S.570f): korrigierte Validitätskoeffizienten von r=.67 für strukturierte und r=.34 für unstrukturierte Interviews; - Schmidt & Hunter (1998, S.266ff): mittlere korrigierte Validitätskoeffizienten von r=.51 für strukturierte und r=.38 für unstrukturierte Interviews; 14 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Die wissenschaftlichen Belege sprechen also eindeutig für den Einsatz von strukturierten Interviews bei der Personalentscheidung. Trotz der nachgewiesenen prognostischen Überlegenheit, werden diese in der Praxis jedoch nur in der Minderheit eingesetzt (Lievens & De Paepe, 2004, S.30; van der Zee et al., 2002, S.176ff; Stephan & Westhoff, 2002, S.9/13). Gründe dafür liegen in dem mit der Konzeption, Durchführung und Auswertung verbundenen zeitlichen und kostenintensiven Aufwand sowie in der eingeschränkten Autonomie der Interviewer (vgl. Kleebaur, 2007, S.41; Dipboye & Jackson, 1999, S.263). Stephan & Westhoff (2002, S.16) stellten in diesem Kontext die Opportunitätskosten der Verwendung unstrukturierter Interviews dem langfristigen Nutzen der Verwendung strukturierter Einstellungsinterviews im deutschen Mittelstand gegenüber. Sie konnten zeigen, dass sich auch bei konservativer Schätzung der verwendeten Kennziffern die Investition in die Implementierung strukturierter Auswahlgespräche bereits schon nach 3-4 Monaten amortisieren würde. Als weitere Begründung für den geringen Einsatz strukturierter Interviews kann auch der erschwerte Informationsaustausch und Dialog mit dem Bewerber in der standardisierten Gesprächssituation angeführt werden. Dies kann negative Konsequenzen für die vom Bewerber wahrgenommene Arbeitgeberattraktivität nach sich ziehen (Kohn & Dipboye, 1998, S.829). Chen, Tsai & Hu (2008, S.1062ff) konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass die Komplexität der Stelle sowie organisationale Faktoren eine positive Einstellung der Interviewer gegenüber einem hoch-strukturierten Interview begünstigen. Ebenfalls zeigten die Autoren, dass eine analytische Prägung des Informationsverarbeitungsprozesses zu einer positiveren Einstellung des Interviewers gegenüber einem hoch-strukturierten Interview führte. Die besondere Relevanz eines analytischen Informationsverarbeitungsprozesses wird auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt. Ein Kompromiss zu einem hoch-strukturierten Interview ist das teilstrukturierte Interview, welches mithilfe eines Interviewleitfadens die operationalisierten Anforderungen beinhaltet, aber flexibel gehandhabt werden kann. Konkretisierungen, Ergänzungen sowie Verständnisfragen sind hierbei zulässig. 15 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Für eine Teilstrukturierung von Einstellungsinterviews spricht auch der sogenannte Deckeneffekt. Huffcutt & Arthur (1994, S.188) zeigten, dass die Validität von Einstellungsinterviews zwar mit zunehmender Strukturierung steigt, der Validitätszuwachs allerdings mit dem höchsten Strukturierungsgrad nur noch gering ausfällt (Vergleich von 4 Strukturierungsgraden: Validitätskoeffizient von r=.56 für teilstrukturierte Interviews im Vergleich zu r=.57 für hochstrukturierte Interviews). Teilstrukturierte Interviews sind das situational interview (Latham & Sue-Chan, 1999; Latham, Saari, Pursell & Campion, 1980) und das multimodale Interview (Schuler, 1992). Die hohe Validität des situational interviews und des multimodalen Interviews wurde vielfach belegt (Latham & Sue-Chan, 1999; Latham et al., 1980; zusammenfassend siehe Weuster, 2008 sowie Mussel, 2007). Auch das entscheidungsorientierte Interview (Westhoff, 2009) oder Leitfäden für die professionelle Durchführung eignungsdiagnostischer Interviews (z.B. Strobel & Westhoff, 2009; von der Linde & Schustereit, 2008; Westhoff & Kluck, 2003; Schuler, 2002) helfen bei der Gestaltung und Durchführung strukturierter Interviews, in denen auch die stellenrelevanten Anforderungen konkret operationalisiert werden. Die Vorteile eines Interviewleitfadens liegen nach Westhoff & Kluck (2003) in der Vollständigkeit und Einheitlichkeit der erhobenen Informationen durch die standardisierte Durchführung. Dadurch werden subjektive Einflüsse und Urteilsfehler minimiert. Die vorgegebene Gesprächsstruktur entlastet den Interviewer zusätzlich in seiner Informationsverarbeitung. Ebenso wird die Relevanz der erhobenen Informationen für die spezielle Stelle erhöht, wenn dem Interviewleitfaden ein konkretes und valides Anforderungsprofil zugrunde liegt. Wie wichtig ein stellenrelevantes Anforderungsprofil für die Auswahlentscheidung ist, soll im nächsten Kapitel erläutert werden. 16 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ 2.3.2 Relevanz des Anforderungsprofils In der Eignungsdiagnostik kommt besonders der Anforderungsanalyse eine zentrale Bedeutung zu. Die Anforderungsanalyse beschreibt den „inhaltlich-logischen Zusammenhang zwischen Person- und Arbeitsplatzmerkmalen“ (Schuler, 2002, S.128) und ist damit Grundlage der Eignungsbeurteilung. Die wichtigsten inhaltlichen Ebenen eines Anforderungsprofils sind die Aufgabenebene, die Verhaltensebene und die Eigenschaftsebene. Schuler (2002, S.131) empfiehlt, ein besonderes Augenmerk auf die Verhaltensebene des Anforderungsprofils zu legen – „erfolgskritisches Verhalten lässt sich nämlich mit höherer Objektivität bestimmen, als erfolgsrelevante Eigenschaften“. Zur Erstellung eines solchen verhaltensbezogenen Anforderungsprofils empfiehlt Schuler (2002, S.135) folgenden schematischen Ablauf: - Qualitative Phase: o Auswertung schriftlicher allgemeiner Informationen (z.B. Stellenbeschreibungen) o Experteninterviews o Extremgruppenanalysen o Sammlung von Critical Incidents (nach Flanagan, 1954) - Auswertung, Zusammenstellung, Überprüfung der qualitativen Ergebnisse - Quantitative Phase: o Ausarbeitung Endversion eines Fragebogens o Bearbeitung eines Fragebogens durch Vorgesetzte und erfahrene Arbeitsplatzinhaber o Faktorenanalytische Auswertung, Bildung von Anforderungsdimensionen Anhand dieser Vorgehensweise können sehr konkrete, verhaltensbezogene und spezifische Anforderungsprofile erstellt werden, die sowohl Personalauswahl- als auch zukünftige Personalentwicklungsprozesse auf ein solides Fundament stellen. Das Anforderungsprofil fungiert dann als Vergleichsmaßstab und kann auch explizite Entscheidungsregeln vorgeben, an denen sich der Recruiter bei der Beurteilung und Entscheidung orientieren kann. Zeigt der Bewerber das im Anforderungsprofil geforderte erfolgskritische Verhalten, oder kann er es aus seiner beruflichen Vergangenheit mit 17 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ verschiedenen konkreten Beispielen belegen, kann der Recruiter diese Anforderung als erfüllt beurteilen (zur grundsätzlichen Problematik richtiger Inferenzen zu Eignungsmerkmalen auf Basis von Verhaltenshinweisen siehe Kapitel 3). So kann er hinterher eine begründete und damit nachvollziehbare Entscheidung treffen. Lang von Wins et al. (2008) fordern zudem eine stärkere Berücksichtigung von Kompetenzen als diagnostisches Bewertungskriterium. Die Eignungsdiagnostik soll stärker als Potenzialdiagnostik fungieren, da aufgrund einer dynamischen und sich stetig verändernden Arbeitswelt auch zukünftige Anforderungen im Profil berücksichtigt werden sollten. Inhalte eines Anforderungsprofils können somit die fachlichen Kenntnisse und Qualifikationen, die Berufs- und Führungserfahrung, das Persönlichkeitsprofil, Fertigkeiten und Kompetenzen sowie ganz konkretes Verhalten in wichtigen stellenspezifisch erfolgskritischen Situationen sein. Auch Rahmenbedingungen, wie Reisetätigkeit, können eine Rolle spielen (vgl. Weuster, 2008). Wichtig ist jedoch vor allem, dass das Anforderungsprofil tatsächlich diejenigen Anforderungen, welche für die erfolgreiche Erfüllung der jeweiligen Position relevant sind, beschreibt. Je konkreter, verhaltensbezogener und stellenspezifischer das Anforderungsprofil dabei formuliert ist, desto valider ist das Fundament für nachfolgende eignungsdiagnostische Entscheidungen. Auch Strobel & Westhoff (2009) und Westhoff (2009) betonen den Verhaltensbezug und die Konkretheit des Anforderungsprofils als wichtige Voraussetzung für valide Einstellungsinterviews und daraus abgeleitete Einstellungsentscheidungen. In diesem Kontext wurde auch empirisch bestätigt, dass ein differenziertes Anforderungsprofil zu einer höheren Interrater-Reliabilität bzw. Beurteilungsübereinstimmung führt (z.B. r=.87 im Vergleich zu r=.35 nach Langdale & Weitz, 1973, S.24f; vgl. auch Hahn & Dipboye, 1988). Ergebnisse aus Metaanalysen (Wiesner & Cronshaw, 1988, S.287) bestätigen zusätzlich den positiven Einfluss eines differenzierten Anforderungsprofils auf die Validität der Einstellungsentscheidung. Strukturierte Interviews auf Basis gründlicher Stellenanalysen erreichten so eine durchschnittliche korrigierte Validität von r=.87, strukturierte Interviews auf Basis oberflächlicher Stellenanalysen hingegen nur r=.59 (ebd.). Dies konnten auch McDaniel et al. (1994, S.606f) nachweisen: der korrigierte Validitätskoeffizient für strukturierte Interviews mit situativen Fragen betrug r=.50 im Vergleich 18 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ zu strukturierten Interviews ohne Anforderungsbezug (r=.44) und unstrukturierten Interviews (r=.33). Kanning et al. (2007, S.160ff; auch Kanning, 2004, S.74) sowie Stephan & Westhoff (2002, S.9/14) stellen jedoch fest, dass der Großteil der in Unternehmen eingesetzten Anforderungsprofile nur aus einer groben Auflistung von Eigenschaften statt konkreten Verhaltensbeschreibungen besteht. Auch Wottawa & Oenning (2002, S.44) bemängeln, dass die meisten Personalauswahlprozesse in der Praxis ohne ein klar definiertes Anforderungsprofil durchgeführt werden. Auch hier klaffen wissenschaftlicher Anspruch und eignungsdiagnostische Praxis also weit auseinander. Die Gründe dafür liegen vor allem wieder in dem mit der Konstruktion verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Allerdings ist auch hier ein sehr hoher und vor allem langfristiger Nutzen zu vermuten, wenn das Anforderungsprofil erst einmal erstellt wurde. 2.3.3 Interviewertraining, Feedback und Rechenschaftsverpflichtung Interviewertraining Posthuma, Morgeson & Campion (2002, S.32) resümieren, dass es bis dato nur wenige empirische Beweise für die Effektivität von Interviewertrainings auf die Validität der Einstellungsentscheidungen gibt (vgl. auch Arvey & Campion, 1982). Sie erklären dies dadurch, dass sich die Inhalte von Interviewertrainings meist auf die Implementierung strukturierter Interviewformen konzentrieren, deren Effektivität auf die Validität der Entscheidung ausreichend belegt ist. Huffcutt & Woehr (1999, S.555ff) wiesen allerdings in ihrer Meta-Analyse einen korrigierten Korrelationskoeffizienten von r=.41 zwischen Interviewertraining und Validität des Interviews nach. Weiterhin konnten diverse Arbeiten einen positiven Effekt auf die InterviewerReliabilität finden (Conway, Jako & Goodman ,1995, S.571/575; vgl. auch Hahn & Dipboye, 1988; Borman, 1979). 19 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Einen Überblick über die Effektivität von Trainingsmaßnahmen im Hinblick auf erhöhte Reliabilität und Validität, verringerte Beurteilungsfehler sowie erhöhtem Anforderungsbezug geben auch Palmer, Campion & Green (1999, S.338ff)14. Obwohl die empirischen Belege insgesamt noch lückenhaft ausfallen (Posthuma et al., 2002, S.49), sollten Interviewertrainings grundsätzlich einen Effekt auf die Validität der eignungsdiagnostischen Entscheidung ausüben. Hier sind vor allem die praktische Relevanz, die Realitätsnähe und strukturelle Ähnlichkeit zwischen Lern- und Transfersituation entscheidend (Sonntag, 2006; Wexley & Latham, 1991; Wottawa & Thierau, 1990), damit ein reibungsloser Praxistransfer erfolgen kann (Schuler, 2002, S.233ff; vgl. auch Solga, 2008). Auch die theoretische Fundierung des Trainings ist wichtig, damit eignungsdiagnostisch sinnvolle Inhalte vermittelt werden (siehe thematische Forderungen der DIN 33430 in Kapitel 2.1). Sonntag (2006, S.290) empfiehlt grundsätzlich vor allem das behaviour modelling training15, bei dem das Zielverhalten am Beispiel eines Modells trainiert wird. Rechenschaftsverpflichtung Ein weiterer positiver Effekt auf die Validität von Eignungsurteilen kann für die Rechenschaftspflicht des Interviewers angenommen werden (vgl. Dipboye, 2005, S.130; Eder, 1999, S.206ff). Rechenschaftspflicht kann bedeuten, dass Interviewer ihre Urteils- und Entscheidungsprozesse oder die Entscheidung begründen und diskutieren müssen, oder die Qualität ihrer eignungsdiagnostischen Entscheidung sogar direkter Bestandteil ihrer eigenen Leistungsbeurteilung ist. Palmer & Feldman (2005) konnten nachweisen, dass sich die Urteilsgenauigkeit unter der Bedingung der Rechenschaftsverpflichtung erhöht und Urteilsfehler wie Halo- und Kontrasteffekte abnehmen. Auch Mero & Motowidlo (1995) sowie Mero, Motowidlo & Anna (2003) konnten einen signifikanten Effekt auf die Urteilsgenauigkeit durch die Bedingung Rechenschafts- 14 In ihrer Metaanalyse belegen Arthur et al. (2003, S.238f) zudem bedeutsame Effektstärken von d=.60-.63 für generelles organisationales Training. Für lernbezogene Kriterien konnten mit d=.63 die höchsten Effektstärken gefunden werden. Diese Ergebnisse sind zwar nicht unbedingt auf Interviewertrainings generalisierbar, indizieren aber, dass Trainingsmaßnahmen vor allem auf kognitive Outcome-Variablen Wirkungseffekte aufzeigen. 15 basierend auf der Theorie des sozialen Lernens nach Bandura, 1979; 20 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ verpflichtung nachweisen. Ebenfalls fanden sie einen mediierenden Effekt für die Variable Selbstaufmerksamkeit (Mero et al., 2003). Wiesner & Cronshaw (1988, S.282) zeigten analog einen positiven Effekt einer Konsensdiskussion auf die korrigierte prädiktive Validität strukturierter Interviews: r=.64 im Vergleich zu r=.41, wenn die Einzelurteile nur gemittelt wurden. Auch Jetter (2003) schlägt eine Beurteilungsdiskussion direkt nach dem Interview vor, um den Einfluss subjektiver Urteilsfehler des Einzelnen zu minimieren. Grundsätzlich lässt sich zwischen der Rechenschaft für den Prozess und der Rechenschaft für das Ergebnis unterscheiden. Brtek & Motowidlo (2002, S.185ff) konnten zeigen, dass Entscheider zu valideren Urteilen gelangten, wenn sie Rechenschaft über den Urteilsprozess (r=.26) im Vergleich zur Rechenschaft über das Ergebnis (r=-.17) ablegen mussten. Die Selbstaufmerksamkeit der Teilnehmer mediierte dabei den Effekt der Rechenschaft für den Prozess auf die Validität der Einschätzung vollständig. Gordon, Rozelle & Baxter (1989, S.27/29ff) hingegen, fanden einen negativen Effekt für Rechenschaftsverpflichtung. Sie zeigten, dass Beurteiler dann ältere Bewerber positiver beurteilten als jüngere, wenn sie Rechenschaft für ihre Entscheidung ablegen mussten. Dies bedeutet, dass sich die Beurteiler unter der Bedingung der Rechenschaftsverpflichtung des einfachen Stereotyps je älter, desto erfahrener und damit geeigneter bedient haben. Hier konnte folglich kein positiver Effekt von Rechenschaftsverpflichtung auf einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess festgestellt werden. Gegen den positiven Effekt von Rechenschaftsverpflichtung bzw. einer Konsensdiskussion auf die Validität des Einstellungsinterviews sprechen auch Prozesse der sozialen Beeinflussung (vgl. Milgram, 1988; Bandura, 1979; Tajfel, 1978; Asch, 1956). Diese greifen besonders dann, wenn ein anders geartetes Urteil gegenüber einem Vorgesetzten oder einer Mehrheit verteidigt werden muss. Häufig wird das Urteil dann an die Gruppe oder Autoritätsperson assimiliert (vgl. auch Kanning, 2004, S.69). Auch Palmer & Loveland (2008) untersuchten das Phänomen der Gruppenpolarisierung im Kontext von Eignungsbeurteilungen und konnten zeigen, dass eine Gruppendiskussion von Beurteilern zum einen in ungenaueren Urteilen und stärkeren Polarisierungen bzw. Kontrasteffekten der Urteile resultierten, sowie zum anderen einen positiven Halo-Effekt der Urteile begünstigten. 21 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Auch Conway, Jako & Goodman (1995, S.575f) zeigten, dass die Strukturiertheit der Interviewfragen besonders dann einen positiven Effekt auf die Zuverlässigkeit bzw. InterraterReliabilität der Beurteilungen moderierte, wenn Einzel- statt Gruppenurteile als abhängige Variable herangezogen wurden. Rechenschaftsverpflichtung sollte also vor allem dann einen positiven Einfluss auf die Interviewervalidität ausüben, wenn der Anspruch an die Durchführung und Interpretation von Einstellungsinterviews sich an den normativen Kriterien der Eignungsdiagnostik orientiert und nicht an Vorgesetztenmeinungen, unternehmensinternen politischen Gefügen oder Autoritätspersonen, die Urteilsverzerrungen in diesem Zusammenhang eher begünstigen statt minimieren. Feedback/ Evaluation Für das Feedback als Einflussfaktor auf die Validität der Einstellungsentscheidung lassen sich nur wenige empirische Belege finden. Dies ist nicht zuletzt durch die nur ungenügende Evaluation des eignungsdiagnostischen Entscheidungsprozesses in der Praxis zu erklären (siehe Kapitel 4.3). Dennoch wurden die Effekte von Feedback auf allgemeine Lernprozesse vielfach empirisch belegt (Kluger et al., 1996; Farr, 1991; Balzer et al., 1989) und sollten deshalb auch auf den Kontext von Einstellungsinterviews transferierbar sein. Nach der klassischen Lerntheorie erhöhen positive Konsequenzen die Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten (law of effect nach Thorndike, 1898). Dies gilt auch für Entscheidungen. Haben bestimmte Entscheidungen die gewünschten positiven Konsequenzen, wird der Entscheider die genutzte Entscheidungsregel auch in der Zukunft präferieren (vgl. Betsch, Funke & Plessner, 2011, S.112f). Daher ist das Feedback ein wichtiger Lernmechanismus. Lerneffekte sollten sich vor allem dann einstellen und zu einer Reflektion der im eignungsdiagnostischen Prozess verwendeten Entscheidungsregeln führen, wenn entweder der Entscheidungsprozess systematisch evaluiert wird oder aber der Recruiter den ehemaligen Bewerber als Mitarbeiter in seinem beruflichen Arbeitsalltag erlebt. Allerdings treffen beide Bedingungen in der eignungsdiagnostischen Praxis nur selten zu. Nur die wenigsten Recruiter arbeiten zukünftig mit dem jeweiligen Bewerber zusammen oder erleben ihn in seinem beruflichen Alltag, so dass sie ihre Prognosen an konkreten Verhaltensweisen evaluieren können. Somit beschränkt sich das Feedback häufig auf nur 22 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ sehr globale Kriterien, wie die Information Mitarbeiter xy wurde nach der Probezeit übernommen (vgl. Kanning, 2004, S.75 sowie ausführlicher Kapitel 4.3). Sollte aber ein systematisches Feedback über die Qualität der eignungsdiagnostischen Entscheidung vorliegen, darf ein Zusammenhang mit valideren Einstellungsentscheidungen angenommen werden. Ein solches Feedback könnte sich dabei auf die Passung zwischen Prognose und Outcome16 oder auf die Passung zwischen Entscheidungsregel und Outcome beziehen17. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Prognosen oder Entscheidungsregeln expliziert werden (dazu später noch mehr in Kapitel 4). 2.4 Zum Zusammenhang zwischen den Einflussfaktoren auf die Güte von Einstellungsinterviews und analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen Unbestritten ist, dass es Unterschiede in der Beurteilungs- und Entscheidungsvalidität zwischen Interviewern gibt. Graves & Karren (1996, S.165ff) stellten zwischen verschiedenen Interviewern derselben Organisation eine Schwankungsbreite von 6-56% der Akzeptanzquote von Bewerbern fest. Auch Dipboye, Gaugler & Hayes (1990) zeigten starke Unterschiede in den 18 Interviewervaliditäten (Streuung von korrigiertem r=.02 bis korrigiertem r=.44 ). Ebenfalls wiesen Pulakos et al. (1996, S.92f) in ihrer Meta-Analyse eine starke Streuung der Interviewervaliditäten von r=-.10 bis r=.65 nach, sie führten diese aber größtenteils auf Stichprobenfehler zurück. Graves (1993, S.352ff/357ff) nennt unter anderem zusammenfassend folgende Faktoren als Ursache für Validitätsunterschiede zwischen den Eignungsbeurteilungen von Interviewern: - Interviewermerkmale: Erfahrung, Lebenslauf, Ähnlichkeit mit Bewerber - Kognitive Strukturen: Vorstellungen des idealen Bewerbers, implizite Persönlichkeitstheorien, Anwendung von Attributionsregeln, Informationsverarbeitung 16 z.B. Vergleich expliziter Kriterien von standardisierter Vorgesetztenbeurteilung mit der standardisierten Auswertung des strukturierten Einstellungsinterviews 17 z.B. Entscheidungsregel Absolventen mit einem Notendurchschnitt von besser als 2,0 sind ehrgeizig und fleißig könnte durch gegenteilige konkrete Erfahrungen modifiziert werden 18 aus Schuler, 2002, S.70; 23 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ - Interviewkontext: Rechenschaftspflicht, Aufgabenklarheit, Zwang zu einer schnellen Entscheidung, Strukturierung Die Autorin berücksichtigt sowohl die Person des Interviewers mit seinen kognitiven Strukturen, als auch den Kontext des Interviews als relevante Einflussvariablen auf die Interviewvalidität. Sie resümiert, dass die bisherige Forschung die Quellen für unterschiedliche Interviewervaliditäten und deren kausale Wirkungseffekte bisher nicht eindeutig identifizieren konnte. Deshalb besteht hier besonderer Forschungsbedarf. Bezogen auf den Kontext des Interviews, wurden in den vorherigen Abschnitten die Befunde zu wichtigen organisationalen Rahmenbedingungen als erklärende Faktoren für unterschiedliche Interviewervaliditäten zusammengefasst. Vor allem die Effekte strukturierter Interviews sowie stellenrelevanter Anforderungsprofile auf die Validität von Einstellungsinterviews können als empirisch fundiert und abgesichert gelten (Kapitel 2.3.1 und 2.3.2). Noch uneinheitliche Belege finden sich bisher für die Effekte von Rechenschaftsverpflichtung und Interviewertraining auf die Validität von Einstellungsinterviews. Auch die Befunde für die Effektivität von Feedback bzw. Evaluation der eignungsdiagnostischen Entscheidung liegen in nur ungenügender Menge vor (Kapitel 2.3.3). Warum führen nun strukturierte Interviews, verhaltensbezogene Anforderungsprofile, möglicherweise auch Interviewertraining als Rechenschaftsverpflichtung, kontextuelle systematisches Einflussvariablen zu Feedback valideren und Einstellungs- entscheidungen? Vor allem scheinen durch strukturierte Interviews subjektive Urteilsfehler während des Urteilsund Entscheidungsprozesses reduziert zu werden, was dann zu einer valideren Entscheidung führt. Pulakos et al. (1996) führten in diesem Kontext unterschiedliche Interviewervaliditäten vor allem auf Stichprobenfehler (sampling error) zurück und betonten damit die Bedeutung von Interviewertraining und Strukturierung von Einstellungsinterviews zur Reduzierung solcher Urteilsfehler. 24 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Auch der Einfluss subjektiver Idealvorstellungen über den idealen Bewerber (Guion & Highhouse, 2006, S.308ff), Ähnlichkeitseffekte (Cable & Judge, 199719; Howard & Ferris, 1996; Anderson & Shackleton, 199020), Reihenfolge-Effekte (vgl. zusammenfassend Forgas, 1992, S.64f21), Halo-Effekte (Thorndike, 192022) sowie Attributionsfehler (Ross, 197723) lassen sich als verzerrende Urteilsfehler häufiger bei unstrukturierten Interviews finden. Ebenfalls wurde festgestellt, dass die eignungsdiagnostische Entscheidung in unstrukturierten Interviews meist schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt getroffen wird (Mayfield, 1964; Webster, 1982). Dies weist auf einen eher intuitiven und subjektiv geprägten Urteils- und Entscheidungsprozess bei unstrukturierten Einstellungsinterviews hin. Auch Conway et al. (1995, S.575) haben in ihrer Meta-Analyse belegt, dass strukturierte Interviews zu differenzierteren Beurteilungen führen. Graves & Karren (1992) konnten ebenfalls nachweisen, dass sich effektive Interviewer durch eine bewusste Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung auszeichnen. Auch Dipboye & Gaugler (1993) erklären die Überlegenheit strukturierter Interviews gegenüber unstrukturierten Interviews durch den geringeren subjektiven Einfluss der beteiligten Personen sowie durch die Verwendung validerer Prädiktoren bei der Eignungsbeurteilung und somit validerer Schlussfolgerungen. Bezogen auf den Anforderungsbezug der im Interview erhobenen Informationen, konnten Huffcutt et al. (2001, S.905f) zeigen, dass unstrukturierte und strukturierte Interviews im 19 Die Ähnlichkeit zwischen Interviewer und Bewerber fungiert als Indikator für den person-organization-fit (tatsächlich ist es aber der applicant-interviewer fit) und resultiert in positiveren Eignungsbeurteilungen des Bewerbers. Cable & Judge (1997, S.553) konnten nachweisen, dass besonders die wahrgenommene Wertkongruenz zwischen Bewerber und Organisation (β=.55), weniger die Berufserfahrung (β=.17) oder der Notendurchschnitt (β=.04), zu einer positiven Bewertung des person-organization-fits und damit zu einer Einstellungsempfehlung (β=.66) führt. 20 Die Autoren haben gezeigt, dass die Eignungsbeurteilung zu r=.64 mit der Sympathie und zu r=.50 mit der eingeschätzten Ähnlichkeit zur eigenen Person korreliert (ebd., S.70f). 21 Dem ersten Eindruck bzw. den ersten Informationen wird ein besonderer Effekt auf das Urteil zugeschrieben, da aufgrund der ersten Information eine Erwartung ausgebildet wird, die dann zu bestätigen versucht wird (Gawronski et al., 2002; aus Kanning, 2004, S.67). Dies konnten auch Dougherty et al. (1994) bei Einstellungsinterviews nachweisen. Sie zeigten, dass Interviewer bei positiven Vorerwartungen über den Bewerber ihr Unternehmen besonders positiv präsentierten und einen höheren Redeanteil besaßen. Allerdings konnten Barrick et al. (2010) zeigen, dass der erste Eindruck auch bei strukturierten Interviews die Beurteilung des Bewerbers beeinflusst (r=.42). 22 Kernaussage: ein vermeintlich dominantes Merkmal, z.B. Attraktivität des Bewerbers (Schuler & Berger, 1979; Marlowe et al., 1996; Metaanalyse nach Hosoda et al., 2003, jeweils aus Kanning, 2004, S.63f) oder ethnische Informationen (Segrestpurkiss et al., 2006) „überstrahlt“ andere Merkmale 23 Kernaussage: Tendenz zu interner und stabiler Ursachenzuschreibung bei der Wahrnehmung anderer Personen 25 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Vergleich unterschiedliche Konstrukte messen. Das strukturierte Interview konzentriert sich demnach stärker als unstrukturierte Interviews auf eignungsdiagnostisch relevante Inhalte, wie anforderungsbezogene Erfahrungen und Fertigkeiten sowie angewandte mentale und soziale Kompetenzen des Bewerbers. Salgado & Moscoso (2002, S.310ff) belegen ebenfalls, dass strukturierte Interviews vor allem berufliche Fachkenntnisse, Berufserfahrung und situative Beurteilungs- und Verhaltenstendenzen erfassen, während unstrukturierte Interviews globale Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Fähigkeiten und soziale Kompetenzen erfassen. Auch Schmidt & Zimmerman (2004, S.555ff) unterstützen diesen Befund, indem sie belegen, dass Interviewer bei unstrukturierten Interviews stärker zu globalen Persönlichkeitsbeurteilungen der Bewerber tendieren, anstatt die Eignung des Bewerbers im Hinblick auf die relevanten Anforderungen zu überprüfen24. Die Informationsverarbeitung bei strukturierten Interviews scheint also systematischer und anforderungsbezogener zu erfolgen (vgl. Harris, 1989). Posthuma et al. (2002, S.42) schlagen dementsprechend für die zukünftige Forschung vor, die Differenzen in der individuellen Interviewervalidität im Zusammenhang mit unterschiedlichen Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsstrategien sowie mentalen Fähigkeiten zu untersuchen. Die unterschiedlichen Informationsverarbeitungsstrategien von Recruitern in Einstellungsinterviews sollen auch in der vorliegenden Arbeit untersucht werden (analytische vs. intuitiv geprägte Urteils- und Entscheidungsstrategien). Macan (2009, S.210ff) sowie Posthuma et al. (2002, S.51) stellen ebenfalls eine Forschungslücke für kontextuelle Variablen fest, die das Einstellungsinterview und dessen Validität beeinflussen können (vgl. auch Judge, Higgins & Cable, 2000; Graves, 1993; Arvey & Campion, 1982). 24 Der Fokus auf Persönlichkeitseigenschaften bei der Personalauswahl eignet sich, entgegen der Annahme in der eignungsdiagnostischen Praxis, dass diese wünschenswert seien (siehe Stephan & Westhoff, 2002, S.14), dabei nicht. Cliffordson (2002, S.200ff) hat in diesem Zusammenhang belegt, dass der Faktor Persönlichkeit nicht als valider Prädiktor für die zukünftige Arbeitsleistung fungieren kann. Auch der Persönlichkeitsfaktor Extraversion wird zwar häufig als Erfolgsvoraussetzung genannt, jedoch zeigen empirische Ergebnisse hier ebenfalls, dass Extraversion kein valider Prädiktor ist (vgl. Schuler & Höft, 2001). Der einzige Persönlichkeitsfaktor, der im Zusammenhang mit beruflichem Erfolg als Prädiktor fungieren könnte, ist die Gewissenhaftigkeit (Barrick & Mount, 1991; aus Schuler, 2002, S.157), als stabile Disposition ebenfalls die Intelligenz (Schuler, 2002, S.146f). 26 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Auch dieser Forschungslücke wird mit der vorliegenden Arbeit begegnet, indem die jeweiligen kausalen Effekte der kontextuellen Determinanten identifiziert und empirisch überprüft werden. Somit werden die folgenden von Posthuma et al. (2002, S.49) formulierten Forschungsempfehlungen in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt: - Untersuchung der komplexen kausalen Mechanismen, denen Einstellungsinterviews unterliegen - Fokus auf die Entscheidungsfindung des Interviewers - Anwendung von Theorien aus dem Bereich der Entscheidungsforschung auf das Themenfeld des Einstellungsinterviews - Untersuchung der Einflüsse kontextueller Variablen innerhalb von Organisationen Fazit zu Kapitel 2.4: Zum Zusammenhang zwischen den Einflussfaktoren auf die Güte von Einstellungsinterviews und analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen Den obigen Ausführungen folgend, sollte also ein differenzierter und analytisch geprägter eignungsdiagnostischer Urteils- und Entscheidungsprozess stattfinden, wenn strukturierte Interviews sowie konkrete Anforderungsprofile als kontextuelle Rahmenbedingungen gegeben sind. Ein strukturiertes Interview sowie ein konkretes verhaltensbezogenes Anforderungsprofil sollten somit einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters, so wie er in den normativen Theorien der eignungsdiagnostischen Entscheidungsfindung (Kapitel 2.1) postuliert wird, unterstützen. Auch der Faktor Rechenschaftsverpflichtung als kontextuelle Rahmenbedingung sollte einen positiven Einfluss auf einen analytisch geprägten Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters ausüben. Der Fokus des Recruiters auf eignungsdiagnostisch relevante Inhalte im Interview – und damit auch eine analytisch-systematische Informationsverarbeitung – sollte durch seine Erwartung forciert werden, die Entscheidung im Nachhinein konkret zu argumentieren oder sogar verteidigen zu müssen. Analog sollte auch die Antizipation der Evaluation oder eines Feedbacks über die Qualität der Entscheidung zum einen die Selbstaufmerksamkeit des Recruiters (vgl. Ausführungen in Kapitel 5) dahingehend erhöhen, dass er versucht, diejenigen Entscheidungsregeln für seine 27 2 Analytik als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen ___________________________________________________________________________________________ Entscheidung zu nutzen, die sich in der bisherigen Praxis als erfolgreich erwiesen und damit empirisch bewährt haben. Zum anderen sollte auch der Lerneffekt durch systematisches Feedback positive Konsequenzen auf die Validität der genutzten Entscheidungsregeln haben. Somit sollte ein Recruiter, dessen Entscheidungsregeln systematisch evaluiert werden, differenziertere Entscheidungsstrategien und damit validere Entscheidungsregeln nutzen, als ein Recruiter, der in seiner bisherigen eignungsdiagnostischen Tätigkeit noch kein Feedback erhalten hat. Die dabei grundsätzliche Problematik der Evaluation eignungsdiagnostischer Entscheidungsprozesse wird noch in Kapitel 4.2 und 4.3 genauer erläutert. Folglich können die organisationalen Rahmenbedingungen: - Strukturiertheit des Interviews - Konkretheit des Anforderungsprofils - Rechenschaftsverpflichtung - Systematik des Feedbacks als entscheidende Determinanten für einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess eines Recruiters angenommen werden. Es sollte ein positiver kausaler Zusammenhang bestehen. Der analytische Urteils- und Entscheidungsprozess eines Recruiters wird dabei in dieser Arbeit als wesentliche Determinante für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen angenommen. In den folgenden Kapiteln sollen nun, zusätzlich zu den kontextuellen Einflussvariablen, auch die persönlichen Einflussvariablen auf analytische oder intuitive eignungsdiagnostische Urteils- und Entscheidungsprozesse identifiziert werden. Im Fokus stehen hier die durch individuelle Lernprozesse erworbenen kognitiven Strukturen des Recruiters sowie auch motivationale Faktoren. 28 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ 3. Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? Normative Theorien zur diagnostischen Urteilsbildung beschreiben also, wie induktive Urteile idealerweise gebildet werden sollten: basierend auf empirisch gültigen Gesetzmäßigkeiten, sollen vorliegende Daten nach statistischen Inferenzprinzipien oder mathematischen Algorithmen zu einem Gesamturteil verdichtet werden (vgl. Betsch et al., 2011, S.36 sowie Ausführungen in Kapitel 2.1). Für deduktive Urteile gilt entsprechend logisches Schlussfolgern (ebd.). Auch nach der normativen Nutzen x Erwartungs-Theorie nach Pascal bzw. subjektiver Nutzen x Erwartungs-Theorie nach Bernoulli (1954)25 muss der Entscheider alle möglichen Optionen mit den jeweiligen Konsequenzen und Eintrittswahrscheinlichkeiten vollständig kennen, verarbeiten und in ein Urteil integrieren, um eine optimale nutzenmaximierte Entscheidung treffen zu können. Übertragen auf die Urteilsbildung im Einstellungsinterview bedeutet dies, dass der Recruiter für jeden Bewerber eine Prognose darüber erstellen müsste, wie wahrscheinlich und in welchem Ausmaß der Bewerber die jeweils tätigkeitsspezifischen Anforderungen erfüllen wird, damit er diese Kriterien dann nach einem mathematischen Algorithmus verrechnen und somit in ein Urteil münden lassen kann. Die Prognose über die Eignung des Bewerbers basiert dabei auf den vorher operationalisierten anforderungsspezifischen Beobachtungseinheiten. Diese Beobachtungseinheiten beziehen sich auf die geschilderten wie gezeigten Verhaltensweisen des Bewerbers im Interview sowie auf seinen Werdegang und seine belegten Fachkenntnisse. Das grundsätzliche Problem der Personenwahrnehmung und -beurteilung liegt allerdings darin, dass das jeweilige zu prognostizierende Eignungsmerkmal nur durch Hinweise bzw. Indikatoren indirekt erschlossen werden kann und deshalb den subjektiven Einflüssen des Recruiters ausgesetzt ist26. 25 vgl. auch ANOVA-Modell nach Kelley (1967); jeweils aus Betsch, Funke & Plessner, 2011, S.18/70f; vgl. Forschungsfeld Social Cognition nach Fiske & Taylor (2008), Theorie des Stichprobenziehens nach Fiedler (2000), sowie Linsenmodell nach Brunswik (1943) und Social Judgement Theorie nach Hammond et al. (1975): Kernaussagen: Menschen können ihr Urteil über eine distale bzw. verborgene Variable nur über beobachtbare proximale Cues/ Hinweisreize/Stichproben erschließen; 26 29 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Aus dieser Problematik resultiert die Forderung, dass jene Schlussfolgerungen nach empirisch geprüften Gesetzmäßigkeiten sowie nach expliziten Regeln erfolgen sollen, um den subjektiven Einfluss zu verringern (Wottawa & Oenning, 2002; Westmeyer 1972). Das Problem besteht nun aber hier wiederum darin, dass es an solchen empirisch geprüften Gesetzmäßigkeiten mangelt (siehe Kapitel 2.1) und die eignungsdiagnostische Beurteilung deshalb grundsätzlich durch die menschlichen Mechanismen der Wahrnehmung und Beurteilung determiniert ist. Diese Mechanismen der sozialen Wahrnehmung und Beurteilung sollen im folgenden Kapitel kurz erläutert werden. 3.1 Grundlagen sozialer Wahrnehmung und Urteilsbildung Bless, Fiedler & Strack (2004) haben den Prozess der Urteilsbildung in verschiedene Stufen untergliedert: Wahrnehmung – Kategorisierung – Abgleich mit Gedächtnisinhalten – Informationsintegration – Urteil. Urteilen impliziert demnach den Abruf von individuellen Gedächtnisinhalten und ist folglich stets subjektiv geprägt. In der Psychologie wird grundsätzlich von einem „seriellen Flaschenhals“ (Anderson, 2001, S.75) der menschlichen Informationsverarbeitung gesprochen27. Dies bedeutet, dass der Mensch nicht alle vorliegenden Informationen parallel verarbeiten kann, sondern Informationen nur selektiv wahrgenommen und verarbeitet werden können. Das Aktivierungspotenzial eines Reizes ist dabei ein wichtiger Faktor für die Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung. Das Aktivierungspotenzial ist dann besonders hoch, wenn ein Reiz genügend salient ist, um Aufmerksamkeit zu erregen oder bereits erhöhte Aufmerksamkeit für einen bestimmten Reiz besteht, durch aktivierte Schemata oder Erwartungen (Betsch et al., 2011, S.25). Die Salienz eines Reizes ist wiederum abhängig von seiner Distinktheit, Intensität, Neuigkeit und Lebhaftigkeit (ebd.). 27 vgl. auch Filtertheorie nach Broadbent, 1958; sowie das modale Gedächtnismodell nach Atkinson & Shiffrin, 1968; 30 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Grundsätzlich besteht informationsgetriebenen der Wahrnehmungsprozess Bottom-Up-Prozessen und aus der Interaktion schemagesteuerten von Top-Down- Prozessen (Forgas, 1999). Wenn der Reiz bzw. Stimulus die Wahrnehmung steuert (z.B. aufgrund der hohen Salienz eines Reizes) wird von Bottom-Up-Prozessen gesprochen. Wenn die Wahrnehmung durch Gedächtnisinhalte bzw. ein aktiviertes Schema gesteuert wird, wird von Top-DownProzessen gesprochen (Anderson, 2001, S.63). Die Aufnahme, Verarbeitung und Interpretation von Informationen erfolgt also aus der Interaktion von Person und Situation (Mischel & Shoda, 2008/1995). Das grundlegende Paradigma hierbei ist das dynamisch-interaktionistische Paradigma. Der Mensch – als Interaktionssystem – weist dabei mittelfristig stabile Dispositionen auf, unterliegt jedoch langfristigen Veränderungs- und Anpassungsprozessen durch die Umwelt bzw. individuellen Lernprozessen (Asendorpf, 2004; Endler & Magnusson, 1976). Eine wichtige Rolle in der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -integration spielen somit auch durch Lernprozesse und Erfahrungen erworbene kognitive Strukturen, die bedeutungsbezogenes Wissen repräsentieren. Solche kognitiven Strukturen, oder auch mentale Repräsentationen, sind dadurch charakterisiert, dass sie den Bedeutungsgehalt von Informationen und die Beziehungen zwischen den wahrgenommenen Elementen abstrahieren, kategorisieren und abspeichern (Bless & Schwarz, 2002, S.260ff; Anderson, 2001, S.153). Durch den Vorgang der Abstraktion wird konzeptuelles Wissen geschaffen, das in sogenannten Schemata organisiert ist (Bartlett, 1932). Schemata erlauben nach Anderson (2001, S.157) die „Enkodierung kategorialer Regelhaftigkeiten“ und sind „Abstraktionen spezifischer Exemplare, die zu Schlussfolgerungen über Exemplare der in Schemata repräsentierten Konzepte genutzt werden können“. Deshalb können mit Hilfe der in einem aktivierten Schema abgespeicherten Information, auch lückenhaft vorliegende Informationen im Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess vervollständigt werden. Anderson (2001, S.158) beschreibt dies als „nützlichen Schlussfolgemechanismus“. 31 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Allerdings zeigten Owens, Bower & Black (197928) sowie Hamilton et al. (1990), dass dieser Mechanismus auch dazu führen kann, den tatsächlichen Sachverhalt bei dessen Reproduktion durch plausible Inferenzen zu erweitern. Die Gefahr besteht hier darin, zusätzliche und womöglich falsche schemarelevante Informationen in einen bestimmten Sachverhalt hinein zu interpretieren, oder aber die Information an das aktivierte Schema zu assimilieren29. Schemata beeinflussen somit die Informationsintegration. Aber auch der Prozess der Informationssammlung bzw. die Wahrnehmung wird durch aktivierte Schemata beeinflusst. Auf Basis seiner abgespeicherten Schemata baut ein Individuum Erwartungen und Hypothesen bezüglich des Verhaltens seines Umfelds auf. Die Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung (Bruner & Postman, 1951; Lilli & Frey, 1993) beschreibt Wahrnehmung in diesem Kontext als einen Kompromiss zwischen einer subjektiven Erwartungshypothese (Top-Down) und den tatsächlichen Wahrnehmungsreizen (Bottom-Up). Wie stark die Wahrnehmung durch solch eine Erwartungshypothese beeinflusst wird, hängt dabei von ihrer Stärke und Verfügbarkeit ab. Das Ziel eines Wahrnehmungsprozesses liegt grundsätzlich in der Bestätigung dieser Erwartungshypothese. Die auf den individuellen Schemata basierenden Hypothesen lenken dabei die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung auf die schemarelevanten Reize, die dann weiter klassifiziert und interpretiert werden. Schemata erleichtern deshalb die Wahrnehmung und Verarbeitung von schemakongruenten Informationen. Dies wird auch als Bestätigungstendenz innerhalb der sozialen Wahrnehmung bezeichnet (vgl. Snyder & Swann, 1978; Chapman & Chapman, 1967). Individuen streben also grundsätzlich danach, ihr Hypothesen-System bzw. ihre Schemata zu bestätigen30. Diese Tendenz lässt sich sowohl durch die Entlastung in der Informationsverarbeitung (Betsch et al., 2011, S.33) aber auch durch die kognitive Dissonanztheorie nach Festinger (1978) erklären. Hiernach streben Menschen nach kognitiver Konsistenz. Dissonante, miteinander unvereinbare Kognitionen erzeugen einen aversiven Spannungszustand, welcher durch Veränderung der jeweiligen Kognitionen wieder aktiv ausgeglichen werden 28 aus Anderson, 2001, S.220f; vgl. Assimilationseffekt nach Kelley, 1950; sowie Theorie der Kategorisierung/Stereotypisierung nach Feldman (1981); 30 vgl. auch das aus der Wechselwirkung zwischen Erwartungen und Verhaltensweisen resultierende Phänomen der Sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung nach Rosenthal, 1968; 29 32 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ kann (vgl. spreading apart effect nach Brehm, 1957; sowie auch Frey & Gaska, 1993; Frey, 198131). Ebenfalls werden schemakonsistente Informationen auch besser erinnert. Gibt es jedoch sehr auffällige Abweichungen im Wahrnehmungsprozess, werden schema- 32 inkonsistente Informationen besser erinnert (Stangor & McMillan, 1992 ). Komplexe Wissensstrukturen werden auch mit dem Begriff mentaler Modelle oder impliziten Persönlichkeitstheorien beschrieben. Diese sind „die Summe akkumulierter Erfahrungen und Hypothesen darüber, wie Attribute und Persönlichkeitszüge bei anderen Menschen organisiert sind“ (Forgas, 1999, S.36). Sie können auch Kategoriensysteme menschlicher Persönlichkeit bzw. Eignungsmerkmale beinhalten und sind deshalb auch im Kontext der Eignungsbeurteilung relevant (Schuler, 2002, S.86f). Wahrnehmungs-, Informationsverarbeitungs- sowie Urteilsprozesse erfolgen also immer selektiv sowie subjektiv und sind maßgeblich durch die Lernprozesse des Individuums geprägt. Auch Kühn, Platte & Wottawa (2006, S.75) definieren Beurteilung als „das Ergebnis von Lernprozessen, die sich auf Sammlung, Klassifikation und Ordnung von Daten, auf deren Verarbeitung und auf den Beurteilungsmaßstab beziehen“. Beurteilungen zeigen dabei „interindividuelle Differenzen (Unterschiede zwischen Beurteilern aufgrund deren Persönlichkeit und Lerngeschichte) und intraindividuelle Differenzen (Unterschiede bei einem Beurteiler in Abhängigkeit von Beurteilungssituation und den beurteilten Personen“ (ebd.). Somit unterliegen auch die Informationswahrnehmung und -verarbeitung im Kontext von Einstellungsinterviews den individuellen Schemata und darauf basierenden Erwartungen und Hypothesen des jeweiligen Recruiters. Schemata können deshalb zu Verzerrungen in der Wahrnehmung und im Urteil führen (siehe auch Kapitel 2.4). Analog zu den obigen theoretischen Erläuterungen zeigen Anderson & Shackleton (1990, S.70f), dass Interviewer nicht dazu in der Lage sind, alle im Einstellungsinterview verfügbaren Informationen aufzunehmen und optimal zu gewichten. Auch Kanning & Leisten (2004)33 haben belegt, dass Beobachter in einem Assessment Center die verbalen Äußerungen ausblenden und statt dessen vor allem die nonverbalen 31 jeweils aus Betsch, Funke & Plessner, 2011, S.118; aus Betsch, Funke & Plessner, 2011, S.32; 33 aus Kanning, 2004, S.61; 32 33 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Informationen in ihr Urteil einbeziehen, da sich diese besonders schnell und ohne großen kognitiven Aufwand verarbeiten lassen. Fazit zu Kapitel 3.1: Grundlagen sozialer Wahrnehmung und Urteilsbildung Im Rahmen eignungsdiagnostischer Entscheidungen werden Prognosen über die Eignung des Bewerbers erstellt. Diese Prognosen resultieren aus Induktions- Repräsentations-, Korrelations- oder Analogieschlüssen (Kühn, Platte & Wottawa, 2006, S.103) auf Basis des selektiv wahrgenommenen Verhaltens des Bewerbers und sind deshalb grundsätzlich subjektiv behaftet. Dipboye (1992, S.14f) skizziert die Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung des Interviewers in folgenden Schritten: - Selektive Informationsaufnahme - Attribution von Bewerberverhalten und Verhaltensergebnissen im Abgleich mit Kategorisierungen - Beurteilung - Entscheidung Durch Erwartungen aktivierte Schemata (bei Dipboye Kategorisierungen) steuern also die selektive Informationsaufnahme des Recruiters. Schema-aktivierende Erwartungen entstehen durch Vorinformationen über den Bewerber, z.B. durch Bewerbungsunterlagen. Die tendenziell schemakongruente Information wird dann in das aktivierte Schema integriert, kategorisiert und im Abgleich mit den Gedächtnisinhalten interpretiert, bevor dann letztlich die eignungsdiagnostische Beurteilung und Entscheidung erfolgt. Die schemagetriebene Informationsverarbeitung (Top-Down) zeichnet sich dabei durch einen geringen kognitiven Aufwand aus und kann deshalb schneller und automatischer, sogar unbewusst erfolgen als eine systematisch-analytische Informationsverarbeitung (Bottom-Up) (siehe auch Kapitel 5 zur Differenzierung der beiden grundsätzlichen Informationsverarbeitungssysteme des Menschen). 34 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Die subjektive Komponente der schematischen Wahrnehmung und Beurteilung kann dabei für eignungsdiagnostische Entscheidungsprozesse als besonders problematisch beurteilt werden. entspricht Ein schematischer damit nicht Wahrnehmungs- und normativen Kriterien den Informationsverarbeitungsprozess einer analytisch geprägten Eignungsdiagnostik, sondern besitzt einen eher intuitiv-kategorialen Charakter und sollte deshalb das Risiko für undifferenzierte Entscheidungen und Urteilsfehler erhöhen. Somit kann ein Zusammenhang zwischen schemagetriebener Wahrnehmung und einem intuitiv geprägten Urteils- und Entscheidungsprozess von Recruitern angenommen werden. Folglich kann für den auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters basierenden Faktor: ein Anwendung von Schemata negativer kausaler Zusammenhang mit einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess postuliert werden. Der Einfluss von individuellen Schemata auf die Einstellungsentscheidung sollte also entsprechend den normativen eignungsdiagnostischen Forderungen minimiert werden. Allerdings gibt es auch Arbeiten, die im Gebrauch von Schemata bzw. verkürzten Urteilsstrategien einen Vorteil sehen, da diese die einzige Option für den Menschen darstellen, in komplexen Entscheidungsrealitäten überhaupt Entscheidungen treffen zu können. Normative Entscheidungstheorien postulieren nach Gigerenzer, Todd & the ABC Group (1999) dabei unerreichbare theoretische Ideale, die in der Praxis nicht anwendbar sind. Ein Überblick über die Forschungsrichtung Nützlichkeit und Rationalität von Heuristiken (Gigerenzer & Gaissmaier, 2011; Gigerenzer, Todd & the ABC Group, 1999; Gigerenzer, 1991) soll deshalb im folgenden Kapitel gegeben werden. 3.2 Der „homo heuristicus“ – die pragmatische Perspektive Simon (2000) formulierte die These der begrenzten Rationalität, um menschliche Entscheidungen zu beschreiben. Danach kann der Mensch deshalb nur begrenzt rational entscheiden und handeln, weil er auch die Informationen seiner Umwelt nur begrenzt 35 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ aufnehmen und verarbeiten kann34. Nach Simon (ebd., S.36) kann die ökonomisch geprägte Maxime der Nutzenmaximierung deshalb nicht aufrecht erhalten werden. Eine erfolgreiche Strategie zur Reduktion komplexer Informationen in der Entscheidungsrealität ist dabei die Anwendung von Heuristiken. Heuristiken sind verkürzte Urteilsstrategien, sogenannte Faustregeln, die Kapazität sparen, aber auch zu systematischen Fehlern führen können (Betsch et al., 2011, S.38). Auch Kahneman & Tversky (Gilovich, Griffin & Kahneman, 2002; Kahneman, Slovic & Tversky, 1982) haben in ihrem Forschungsprogramm Heuristics-and-biases gezeigt, dass Menschen von den normativen Entscheidungsmodellen abweichen und dabei systematische Urteilsfehler produzieren35. Allerdings erlauben Heuristiken in komplexen Situationen (Gigerenzer & Gaissmaier, 2011; Gigerenzer, 2008; Todd & Gigerenzer, 2000) oder unter Unsicherheit (Goldstein & Gigerenzer, 2011; Cosmides & Tooby, 1996), Entscheidungen überhaupt treffen zu können. Gigerenzer und Kollegen haben deshalb auf der Kritik Simon`s am Konzept des homo oeconomicus aufgebaut und das Konzept des homo heuristicus entwickelt (Gigerenzer & Brighton, 2009; Gigerenzer, 2004). Sie greifen mit dem Forschungsprogramm der Adaptiven Toolbox (Todd & Gigerenzer, 2001; Gigerenzer & Selten, 2001; Gigerenzer, Todd & the ABC Group, 1999) folgende Komponenten des Konzepts der begrenzten Rationalität auf: „die Grenzen menschlicher Verarbeitungsfähigkeit und die Informationsstrukturen der Umgebungen, in denen Menschen Urteile und Entscheidungen treffen müssen“ (Hoffrage, Hertwig & Gigerenzer, 2005, S.70). Weil „optimale Strategien im Regelfall ein unerreichbares Ideal“ darstellen und somit komplexen Realitäten nicht gerecht werden (ebd.), können einfache Such- und Entscheidungsmechanismen somit als funktionale Anpassungsstrategie des Menschen an komplexe Umwelten verstanden werden (vgl. auch Goldstein & Gigerenzer, 2002). 34 35 zu wahrnehmungspsychologischen Voraussetzungen siehe vorheriges Kapitel Besonders gut erforschte Heuristiken sind nach Betsch, Funke & Plessner, 2011, S.18/38f jeweils die Verfügbarkeitsheuristik: Leichtigkeit und Schnelligkeit mit der Gedächtnisinhalte abgerufen werden, bestimmen die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses (Combs & Slovic, 1979); Repräsentativitätsheuristik: Zuordnung von Wahrscheinlichkeit für ein spezielles Ereignis als Indikator eines allgemeinen Ereignisses; wie repräsentativ/typisch ein spezielles Ereignis wahrgenommen wird (Tversky & Kahneman, 1983); Ankerheuristik: Menschen generieren einen Bezugspunkt/ Anker, in dessen Richtung ihr Urteil verzerrt wird (Tversky & Kahneman, 1974; Ankereffekt auch belegt im Rahmen von Einstellungsinterviews: Kataoka et al., 1997); 36 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Die Rationalität von Heuristiken liegt deshalb in ihrer spezifischen Passung zu den vorliegenden physikalischen und sozialen strukturellen Bedingungen der jeweiligen Situation (Gigerenzer, 2001, S.38). Eine Heuristik sei folglich “nicht gut oder schlecht, rational oder irrational per se, sondern relativ zu den vorliegenden Umweltbedingungen” (Gigerenzer, 2004, S.6536). Dies wird auch als ökologische Rationalität bezeichnet. Gigerenzer (1991, S.22) sowie Cosmides & Tooby (1996, S.59ff) haben in diesem Kontext ebenfalls den Begriff intuitiver Statistiker geprägt und gezeigt, dass sich viele vermeintliche Urteilsfehler (bias) bei statistischer Überprüfung doch als genaue Urteile entpuppen, da das heuristische Urteil jeweils auf spezifischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen basiert. Vor allem im Kontext der Unsicherheit zeigen Cosmides & Tooby (1996, S.62/64) damit, dass Heuristiken als rationale und effektive Entscheidungsstrategie fungieren können (vgl. auch Gigerenzer & Brighton, 2009). Zwei zentrale effektive Heuristiken sind nach Goldstein & Gigerenzer (1999/2002) sowie Hilbig et al. (2010) die Wiedererkennungsheuristik (recognition heuristic), bei welcher zwischen zwei Alternativen diejenige gewählt wird, die den höchsten Wiedererkennungswert aufweist, sowie die take-the-best-Heuristik37, die auf der satisficing rule nach Simon (1982) aufbaut. Nach der satifsficing rule (Simon, 1982) wird diejenige erstbeste Option gewählt, welche gleich oder besser dem Anspruchsniveau des Entscheiders entspricht. So ist der Mensch in der Lage, auch in kurzer Zeit effektive, wenn auch nicht optimierte, Entscheidungen zu treffen, da der Vergleich zwischen mehreren Alternativen entfällt, sobald es eine Option gibt, die alle Kriterien erfüllt38. 36 Übersetzung der Autorin oder auch lexicographic rule nach Fishburn, 1974; 38 Entscheidungen können grundsätzlich danach voneinander differenziert werden, ob sie kompensatorisch ausgerichtet sind oder nicht. Kompensatorische Entscheidungsstrategien erlauben den Ausgleich von positiven und negativen Merkmalsausprägungen, da die Konsequenzen einer Option mit ihren jeweiligen Nutzenwerten betrachtet werden. Bei nichtkompensatorischen Strategien werden die einzelnen Merkmalsdimensionen verschiedener Alternativen miteinander verglichen (Betsch et al., 2011, S.97f). Kompensatorische Entscheidungsregeln entsprechen dabei der Maximierungsregel, da erst alle Informationen integriert und verrechnet werden müssen, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Nichtkompensatorische Strategien können schneller erfolgen, da der Informationssuchprozess dann abgebrochen werden kann, wenn eine passende Alternative bzw. ein spezifischer Cut-Off erreicht wurde (ebd.). 37 37 3 Zu den Grenzen der Informationswahrnehmung und -verarbeitung des Recruiters – ist Analytik nur ein theoretisches Ideal? ___________________________________________________________________________________________ Fazit zu Kapitel 3.2: Der „homo heuristicus“ – die pragmatische Perspektive Auch eignungsdiagnostische Entscheidungen scheinen in der Praxis zumeist auf 39 schematischen oder heuristischen Prozessen zu beruhen . Da der Recruiter in seiner Informationsverarbeitungskapazität begrenzt ist, muss er letztlich auf verkürzte Urteilsstrategien zurückgreifen, um zu einer Entscheidung zu gelangen, auch wenn dies von einem streng analytischen Vorgehen abweicht. Die normative Forderung nach einer vollständig systematisch-analytischen Informationsverarbeitung stößt in der eignungsdiagnostischen Praxis also an ihre Grenzen. Dies muss aber nicht zwingend bedeuten, dass verkürzte Urteilsstrategien und Schemata eines Recruiters grundsätzlich Fehleinschätzungen produzieren müssen. Möglicherweise können schematisch-heuristische Urteils- und Entscheidungsprozesse dann in ihrer Validität gesteigert werden, wenn sie auf komplexem wie evaluiertem Erfahrungswissen basieren. Durch evaluiertes Erfahrungswissen könnte der Recruiter im Laufe seiner Tätigkeit ein ausdifferenziertes kognitives Hypothesen-System erworben haben, welches ihn dazu befähigt, valide eignungsdiagnostische Entscheidungen zu treffen. Deshalb soll im nächsten Kapitel, zusätzlich zur eben dargestellten schematischheuristischen Charakterisierung von intuitiven Urteils- und Entscheidungsprozessen, auch der Einfluss von Erfahrung und Expertise auf Intuition näher beleuchtet werden. 39 Der heuristische Entscheidungsprozess eines Recruiters kann jedoch mit Hilfe der Formulierung expliziter Entscheidungsregeln und Definition von Cut-Offs in mathematische Entscheidungsmodelle überführt und einer zukünftigen Evaluation zugänglich gemacht werden. Montel (2006) hat in seiner Arbeit das Konzept der simultanen Optimierung multipler Cutoffs entwickelt, um explizierte Entscheidungsregeln in ein disjunktives Expertenmodell zu überführen. Die Evaluation solcher Entscheidungsmodelle bietet dann die Möglichkeit, explizite sowie empirisch prüfbare Entscheidungsregeln für die Praxis abzuleiten und kann deshalb als viel versprechender Ansatz gewertet werden auf dem Weg zu einer analytischen Eignungsdiagnostik, wie in der normativen Theorie gefordert. 38 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ 4. Intuition als Indikator für Expertise? 4.1 Vom „Novizen“ zum „Experten“ – von expliziten Entscheidungsregeln und intuitiver Mustererkennung bei Urteils- und Entscheidungsprozessen Grundsätzlich lässt sich zwischen expliziten und impliziten Gedächtnisinhalten unterscheiden. Wissen, welches bewusst abgerufen werden kann, wird explizites Wissen genannt, das Wissen, welches nicht oder nicht vollständig reproduziert werden kann, sich aber bei der Ausführung einer Handlung zeigt, wird implizites Wissen genannt (Anderson, 2001, S.234). Weiterhin wird zwischen prozeduralem und deklarativem Wissen unterschieden. Implizites Wissen kann sowohl perzeptuelle (wahrnehmungsbezogene) als auch prozedurale (tätigkeits- bzw. ablaufbezogene) Wissensinhalte abbilden. Deklaratives Wissen wird explizit abgespeichert. Implizit abgespeichertes, durch Erfahrung erworbenes Wissen wird häufig als Intuition bezeichnet (Plessner, Betsch & Betsch, 2008; Lieberman, 2000). Intuition basiert demnach auf implizit abgespeichertem Wissen, das durch assoziative Lernprozesse erworben wurde (Lieberman, 2000). Auch Experten beschreiben ihre Entscheidungsprozesse mit Intuition. Deshalb soll im Folgenden der Zusammenhang zwischen Expertenwissen und Intuition genauer erläutert werden. Wesentliche Arbeiten, die zum Verständnis des Erwerbs von Expertenwissen beigetragen haben, sind die Untersuchungen von Chase & Simon (1973) und Hayes (1985). Ericsson et al. (1993) sowie Bloom (1985) nehmen analog zu Hayes (1985) an, dass Expertise nur durch großen Zeitaufwand bzw. Übung erreicht wird (vgl. auch Charness, Krampe & Mayr, 1996). Auch Anderson (2001, S.305) resümiert: „alle Belege deuten darauf hin, dass eine besondere Gabe 90 Prozent harte Arbeit und 10 Prozent Inspiration bedeutet“. Hierbei ist, analog zum Prinzip der Verarbeitungstiefe, eine zielgerichtete Übung die Voraussetzung für eine bessere Gedächtnisleistung (ebd.). Den Erwerb spezieller Fertigkeiten bzw. den Erwerb von Expertenwissen beschreiben Anderson (1983) sowie Fitts & Posner (1967)40 mit drei aufeinander folgenden Lernphasen: 40 aus Anderson, 2001, S.282; 39 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ - Kognitive Phase - Assoziative Phase - Autonome Phase In der kognitiven Phase „bilden Menschen eine deklarative Enkodierung der Fertigkeit aus“ (Anderson, 2001, S.282). Die einzelnen Wissenselemente werden explizit, Schritt für Schritt, abgespeichert und auch abgerufen. In der assoziativen Phase werden diese einzelnen Elemente oder Abfolgen stärker miteinander verbunden, ebenfalls werden Fehler aufgedeckt und korrigiert. Das deklarative Wissen wird in prozedurales Wissen überführt, dabei „wird die Verwendung deklarativen Wissens durch die unmittelbare Anwendung prozeduralen Wissens abgelöst“ (Anderson, 2001, S.291). Das Wissen wird dann implizit-prozedural abgespeichert und wird auch bevorzugt prozedural angewendet (vgl. Sweller, Mawer & Ward, 198341). Dennoch können deklarative und prozedurale Wissensinhalte auch nebeneinander existieren, dass heißt trotzdem noch explizit abgerufen werden (Anderson, 2001, S.283). In der autonomen Phase automatisiert sich schließlich die Prozedur, sie benötigt immer weniger Kapazität an Aufmerksamkeit und Verarbeitung, ebenfalls verbessern sich mit zunehmender Übung auch Geschwindigkeit und Genauigkeit der Ausführung42 (ebd.). Jenkins et al. (199443) konnten zeigen, dass sich die Lernphasen auch in unterschiedlich aktivierten Hirnarealen niederschlagen. So zeigt sich, dass bei dem expliziten Abruf von Wissen besonders der präfrontale Cortex aktiviert ist, bei der implizit-prozeduralen Anwendung des Wissens hingegen stärker der posteriore Cortex aktiviert ist. Dies spricht dafür, dass mit zunehmender Übung prozedurales Wissen aus dem Gedächtnis abgerufen wird. Auch Shiffrin & Schneider (1977, S.161) haben schon zwischen kontrollierten und automatischen Prozessen der Informationsverarbeitung unterschieden und diese mit Lernprozessen in Verbindung gebracht. So werden mentale Operationen bei neuen Situationen kontrolliert ausgeführt, mit zunehmender Gewöhnung erfolgen sie aber immer automatischer und mit zunehmender Performance. 41 aus Anderson, 2001, S.291; vgl. Potenzgesetz des Lernens: Barnes (1979), Crossman (1959), Neves & Anderson (1981), Kolers (1979); sowie das Prinzip des Taktischen Lernens: Greeno (1974), Logan (1988); aus Anderson, 2001; 43 aus Anderson, 2001, S.293; 42 40 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Ähnlich beschreiben auch Dreyfus & Dreyfus (1980/1986) den Erwerb von Expertenwissen. Sie unterscheiden dabei folgende Stufen voneinander: - Novize: ein Novize entscheidet nach explizit definierten Regeln, ohne den jeweiligen Kontext mit in die Entscheidungssituation zu beziehen (Dreyfus & Dreyfus, 1986, S.43f); - Fortgeschrittener Anfänger: der fortgeschrittene Anfänger speichert situative Elemente in spezifischen Erfahrungssituationen mit ab und erwirbt dadurch nach und nach mehr kontextbezogenes Wissen (ebd., S.45f); - Kompetenz: Kompetenz entwickelt sich im weiteren Lernprozess durch konkrete Erfahrungen; die Angemessenheit der Entscheidungsregeln wird jeweils basierend auf ihrer spezifischen Passung zum Kontext überprüft und als Richtlinie oder Handlungsplan hierarchisch organisiert abgespeichert (ebd., S.46f); - Profi: der Profi erkennt durch zunehmende praktische Erfahrung Muster und Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Situationen und speichert die jeweils relevanten bzw. salienten Entscheidungshinweise (cues) ab; dadurch kann er die passende Handlungsstrategie im weiteren Lernprozess intuitiv identifizieren (ebd., S.52f); - Expertise: bei dem Experten erfolgt die Informationswahrnehmung und -verarbeitung nach dem Prinzip der Mustererkennung schnell, unbewusst sowie hoch automatisiert und triggert deshalb intuitiv die passende Handlung; diese intuitive Reaktion ist deshalb möglich, da für jede Situation die passende Handlungsoption abgespeichert und schnell verfügbar ist (ebd., S.53f); Seine Entscheidungen begründet der Experte dann meist mit Intuition, da er die entscheidungsrelevanten Prozesse nicht mehr schrittweise nachvollziehen und explizieren kann. Tatsächlich sind hierbei jedoch komplexe und hoch automatisierte kognitive Verarbeitungsprozesse wirksam, die flexibel und situationsadäquat angewendet werden können (Plessner et al., 2008). Die Informationsverarbeitung und Wissensreproduktion entwickelt sich im Prozess des Erwerbs von Expertenwissen also von explizit hin zu implizit bzw. von deklarativ hin zu prozedural. Weiterhin stellen Larkin (1981) sowie Simon & Simon (1978) im Vergleich der Problemlösungen von Novizen und Experten fest, dass Novizen primär rückwärtsgerichtete Lösungsstrategien (Zwischenziele, Mittel-Ziel-Produktionen), Experten hingegen primär 41 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ vorwärtsgerichtete Lösungsstrategien verwenden. Experten konzentrieren sich dabei auf die relevanten Inferenzen und greifen auf umfangreiches Fallwissen zurück. Damit nutzen Novizen Top-Down-Prozesse, Experten hingegen Bottom-Up-Prozesse. Auch Ross, Lussier & Klein (2005) nehmen in diesem Kontext an, dass sich Experten auf die wichtigsten Aspekte der Entscheidung fokussieren und diese gründlicher verarbeiten. Nach Anderson (2001, S.296) ist dies auch ein Hauptcharakteristikum des Erwerbs von Expertenwissen: „Experten lernen, verschiedene Inferenzen mit unterschiedlichen Merkmalsmustern des gestellten Problems in Zusammenhang zu bringen“. Ebenfalls stellt Anderson (2001, S.297) fest, dass Experten Problemlösungen zuerst in die Breite generieren, da „eine gesamte Ebene des Problembaums auf einmal erzeugt wird“, während Novizen eine Teillösung zunächst in die Tiefe ausarbeiten, bevor sie sich dem nächsten Schritt zuwenden (ebd.). Auch metakognitive Fähigkeiten scheinen bei Experten stärker ausgebildet zu sein (Larkin, 1983). Ein weiteres bedeutsames Prinzip des Erwerbs von Expertenwissen ist das Prinzip der Mustererkennung (Connors et al., 2011; Gobet & Simon, 200044). De Groot (1965) konnte bei Schachspielern zeigen, dass sich Experten von Novizen dadurch unterscheiden, dass sie innerhalb von nur wenigen Sekunden die Positionen von über 20 vorher kurz dargebotenen Schachfiguren perfekt rekonstruieren konnten, während die Novizen nur 4-5 Figuren korrekt aufstellen konnten. Experten integrieren die vorliegenden Informationen in ihre komplexen durch Erfahrung erworbenen kognitiven Strukturen und speichern somit ganze Muster, statt einzelne Positionen ab (auch Connors, Burns & Campitelli, 2011; Chase & Simon, 1973). Letztlich handelt es sich hier um komplexe Schemata. Das Schachmuster-Schema hilft dem Experten allerdings dann nicht mehr weiter, wenn die Figuren nur zufällig angeordnet dargeboten werden. Dies spiegelt sich dann entsprechend in nur wenig richtig Reproduktionen wieder (De Groot, 1965; Charness, 1976; vgl. auch Hacker, 1994 sowie Carraher et al., 1985 zum beschränkten Transfer von Expertenwissen). Newell & Simon (1972) erklären die Überlegenheit von Schachexperten auch dadurch, dass einzelne wieder erkannte Muster (Wenn-Bedingung) kognitiv direkt mit einer passenden 44 aus Gobet & Charness, 2006, S.533; 42 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Problemlösung (Dann-Handlung) verknüpft sind. Diese Problemlösung ist damit Teil des komplexen Experten-Schemas und muss nicht, wie bei Novizen, erst generiert werden (vgl. auch Gobet & Charness, 2006, S.531). Dadurch verfügen Experten ebenfalls über eine erhöhte Speicherkapazität für Informationen aus ihrem Spezialgebiet (Charness, 1976; Chase & Simon, 1973). Experten können sich somit zum Beispiel sowohl größere als auch mehr Schachmuster (Reingold et al., 200145; Chase & Simon, 1973) sowie längere Ziffernfolgen (Chase & Ericsson, 1982) merken und diese auch wieder abrufen. Eine Übersicht über weitere Studien zu Expertise bieten Gobet & Charness (2006), Clancey (2006), Starkes & Ericsson (2003) sowie Ericsson & Smith (1991). Fazit zu Kapitel 4.1: Vom „Novizen“ zum „Experten“ – von expliziten Entscheidungsregeln und intuitiver Mustererkennung bei Urteils- und Entscheidungsprozessen Intuition wird im Kontext von Expertenwissen vor allem durch das Prinzip der Mustererkennung beschrieben. Simon (1992, S.15546) hat Intuition dementsprechend wie folgt definiert: „Die Situation gibt einen Cue vor: dieser Cue aktiviert das im Gedächtnis gespeicherte Wissen des Experten und führt zu einer Antwort. Intuition ist nicht mehr oder weniger als Wiedererkennung“ (recognition47). Auch laut Lieberman (2000) erkennen Experten eine Situation bzw. einen Cue als relevant und können deshalb schnell aus dem Gedächtnis die passende Reaktion abrufen48. Übertragen auf den Prozess eignungsdiagnostischer Urteile und Entscheidungen könnte der Erwerb von Expertenwissen somit seinen Anfang in der Anwendung expliziter Entscheidungsregeln nehmen, die mit zunehmender Erfahrung auch auf die Passung zu spezifischen Situationen und Kontexten hin überprüft und abgespeichert werden. 45 aus Gobet & Charness, 2006, S.529; aus Kahneman & Klein, 2009, S.520; Übersetzung der Autorin; 47 Diese expertenspezifische Mustererkennung wird allerdings von der verkürzten Urteilsstrategie der Wiedererkennungsheuristik (recognition heuristic) nach Goldstein & Gigerenzer (1999, siehe auch Kapitel 3.2) unterschieden (ebd.). 48 Dies wird auch mit dem Begriff recognition primed decision beschrieben (Klein, 1989). Lokalisiert wird intuitives Entscheiden im limbischen System. Handlungsabsichten entstehen hier durch den Abgleich von Situationen mit den neuronal abgespeicherten Reizmustern. Soon et al. (2008) konnte sogar zeigen, dass Handlungsimpulse schon bis zu ca. 8 Sekunden vorher im limbischen System neuronal sichtbar wurden, bevor die Handlung tatsächlich ausgeführt wurde. 46 43 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Durch verschiedene Einstellungsinterviews mit verschiedenen Bewerbern wird der Recruiter so im Laufe seiner Tätigkeit Ähnlichkeiten und Muster zwischen einzelnen Bewerbern und deren Verhaltensweisen erkennen und diese in sein stellenspezifisches kognitives Schema integrieren. Seine Entscheidungsregeln kann er dann in neuen Kontexten und Situationen mit anderen Bewerbern überprüfen und evaluieren. So kann er sich über den Zeitverlauf verschiedene stellenrelevante kognitive Hypothesen-Systeme erarbeiten, die er in jedem neuen Einstellungsinterview auf deren Validität prüft und im Gespräch mit dem Bewerber systematisch abtestet, um zu einer eignungsdiagnostischen Entscheidung zu gelangen. Dies setzt allerdings einen konsequent analytischen Prozess der Urteils- und Entscheidungsfindung sowie eine disziplinierte Selbstreflektion voraus. Ebenfalls muss der Recruiter explizite Entscheidungsregeln formulieren, die er mit zunehmender Erfahrung systematisch überprüft, modifiziert und ausdifferenziert. Ob diese Bedingungen in der eignungsdiagnostischen Praxis tatsächlich zutreffen, bleibt vorerst anzuzweifeln (siehe Kapitel 4.2 und 4.3). Falls der Lernprozess im Einzelfall jedoch wie beschrieben erfolgen sollte, bleibt weiterhin fraglich, ob der Entscheidungsprozess eines Recruiters tatsächlich die Entwicklung von expliziter hin zu impliziter Informationsverarbeitung durchläuft, da als Voraussetzung für den Erwerb eignungsdiagnostischer Expertise ein explizit-analytischer Informationsverarbeitungsprozess angenommen werden muss. Ein eignungsdiagnostischer Experte, der seine Entscheidungsregeln jahrelang kritisch reflektiert und modifiziert hat, sollte somit zwar schneller und treffsicherer in seinen Ableitungen und Beurteilungen werden, da er sich direkt auf die relevanten Cues und Inferenzen konzentriert. Er sollte allerdings trotzdem noch dazu in der Lage sein, diese Entscheidungsregeln auch explizit zu formulieren. So kann, bezogen auf den Abruf des Expertenwissens, möglicherweise ein Unterschied zwischen einem Schachexperten und einem eignungsdiagnostischen Experten bestehen. Letzterem sollte es leichter fallen, seine Entscheidungsregeln, die er wie auch der Schachexperte automatisch und intuitiv anwendet, zu explizieren. Dieser Aspekt soll auch in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden. Eignungsdiagnostische Expertise wird hier also im Kontrast zu den bisher vorliegenden theoretischen Arbeiten, nicht mit intuitiven Urteils- und Entscheidungsprozessen sondern mit analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen in Verbindung gebracht. 44 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Folglich wird für den auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters basierenden Faktor: ein Expertise positiver kausaler Zusammenhang mit einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess angenommen. 4.2 Zur Validität der Lernumgebung als Prämisse für den Erwerb von Expertenwissen Yates (2001, S.24) hat am Stufenmodell des Erwerbs von Expertenwissen kritisiert, dass das Modell den Kontext bzw. die Validität der Lernumgebung nicht berücksichtigt. Dieser Einwand ist im Zusammenhang der Diskussion um Expertenwissen von Recruitern von besonderer Bedeutung und wird im Folgenden noch weiter ausgeführt. Kahneman & Klein (2009) haben sich der Lernumgebung als entscheidende Bedingung für den Erwerb von Expertise gewidmet. Sie haben die Gegensätze wie Gemeinsamkeiten zwischen den Forschungsrichtungen Heuristics and Biases und Naturalistic Decision Making bezogen auf die jeweilige Definition von Intuition beschrieben. Ausgehend von der Tatsache, dass sich intuitive Expertenentscheidungen in der Realität sowohl außerordentlich zutreffend, manchmal aber auch außerordentlich fehlerbehaftet zeigen (ebd., S.518), erklären die Autoren die Bedingungen, die intuitive Expertise (true intuitive skill) von intuitiver Selbstüberschätzung (overconfident and biased impressions) unterscheiden. Die Forschungsrichtung NDM (Naturalistic Decision Making) fokussiert sich grundsätzlich auf die positiven Aspekte von Intuition und wurzelt in der Expertise-Forschung (siehe vorheriges Kapitel). Hier wird Intuition als Mustererkennung beschrieben. Das Validitätskriterium an dem sich die Beurteilung des Expertenurteils ausrichtet, ist dabei das Expertenurteil selbst (Kahneman & Klein, 2009, S.519). Analog zu Shanteau`s (1992, S.25549) Definition „Experten werden definiert, als diejenigen, die innerhalb ihrer Profession das höchste Level ihrer Fertigkeiten erworben haben“50, fehlt hier also das Außenkriterium. 49 50 aus Kahneman & Klein, 2009, S.519; Übersetzung der Autorin 45 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Der Forschungsschwerpunkt liegt auf realen (naturalistic) Entscheidungssituationen, deshalb ist die Forschungsrichtung NDM den deskriptiven Entscheidungstheorien zu zuordnen. Die Forschungsrichtung HB (Heuristics and Biases) hingegen, nutzt die Ergebnisse mathematischer Modelle als Validitätskriterium und ist damit den normativen Ansätzen der Entscheidungstheorien hinzu zu ordnen. Demzufolge definieren Vertreter der Forschungsrichtung NDM Intuition als erfahrungsbasiert bzw. basierend auf Expertenwissen (im Folgenden expertise-basiert), Vertreter der HB hingegen als heuristisch und damit fehlerbehaftet (ebd., S.519). Als entscheidende differenzierende Faktoren zwischen heuristischer oder expertise-basierter Intuition nennen Kahneman & Klein (2009, S.519f) zum einen valide Lernumgebungen und zum anderen Möglichkeiten der Evaluation. Die Lernumgebung muss also valide Cues für die jeweilige Lernsituation bereitstellen und Möglichkeiten bieten, diese relevanten Cues auch zu evaluieren. Valide Lernumgebungen werden dabei als „kausale und statistische Struktur“ (ebd., S.520) verstanden. Diese Bedingungen bleiben in der Entscheidungsrealität jedoch häufig unerfüllt, entweder dadurch, dass die Lernumgebung bzw. der Kontext schlicht nicht prognostizierbar ist oder weil keine expliziten Entscheidungsregeln verfügbar sind, die erlernt werden könnten (ebd., S.521). Hoch-valide Lernumgebungen zeichnen sich dadurch aus, dass stabile Beziehungen zwischen „objektiv identifizierbaren Cues“ und deren „Outcomes“ vorliegen (ebd., S.524). Kahneman & Klein (2009, S.524) resümieren: „Wenn eine Lernumgebung sowohl valide Cues als auch eindeutiges Feedback zur Verfügung stellt, wird sich expertenbasierte Intuition entwickeln“51. Die Validität und die Unsicherheit einer Lernumgebung schließen sich dabei nicht aus (ebd.). Auch Hogarth (2002) hat die Lernumgebung als wesentliche Voraussetzung für die Entstehung intuitiver Expertise berücksichtigt. Er unterscheidet positive Lernumgebungen (kind), in denen eindeutiges Feedback über die Güte von Entscheidungen vorhanden ist, von negativen Lernumgebungen (wicked), in denen falsches oder unvollständiges Feedback vorherrscht. 51 Übersetzung der Autorin 46 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Fazit zu Kapitel 4.2: Zur Validität der Lernumgebung als Prämisse für den Erwerb von Expertenwissen Experten scheinen nach dem Prinzip der Mustererkennung zu entscheiden. Sie haben komplexe kognitive Schemata erworben, die es ihnen erlauben, aufgrund eines spezifischen Cue automatisch und intuitiv die passende Handlungsstrategie zu generieren. Ein vermeintliches Experten-Schema kann aber auch zu Urteilsfehlern und falschen Entscheidungen führen, wenn keine validen Lernumgebungen für den Erwerb von Expertenwissen zur Verfügung gestanden haben. Entscheidende Bedingungen für die Ausbildung von expertise-basierter statt heuristischer Intuition sind somit die Validität der Lernumgebung und ein disziplinierter analytischer Urteilsund Entscheidungsprozess, der im gesamten Lernprozess immer wieder kritisch reflektiert und modifiziert wird. Bezogen auf die Validität der Lernumgebung des Recruiters kann an dieser Stelle bereits festgehalten werden, dass für den Kontext des Einstellungsinterviews weder objektiv identifizierbare Cues noch stabile Beziehungen zwischen den Cues und deren prognostischer Outcomes vorliegen, da die jeweiligen Eignungsmerkmale nur aus individuell unterschiedlichen Verhaltenshinweisen erschlossen werden können (siehe Kapitel 3.1). Wie auch in Kapitel 2.1 erläutert, liegen für den Recruiter dabei keine bzw. nur unzureichend empirisch fundierte explizite Entscheidungsregeln vor, die für den Lernprozess zum Experten aber zwingende Voraussetzung sind52. Deshalb muss der Recruiter seine eigenen individuellen Entscheidungsregeln explizieren und im weiteren Lernprozess evaluieren, um potenziell von expertise-basierter Intuition profitieren zu können. Die Schwierigkeit liegt dabei schlicht in der unzureichenden Verfügbarkeit evaluativer Elemente in der Praxis. Dadurch wird der Erwerb von eignungsdiagnostischem Expertenwissen noch weiter erschwert (siehe nächstes Kapitel), da es auch hier an stabilen Relationen zwischen Cues und Outcomes mangelt. Die Lernumgebung des Recruiters und damit verbunden die schwierige Überprüfung der Validität eignungsdiagnostischer Entscheidungen soll im nächsten Kapitel abschließend erläutert werden. 52 Dies spricht auch für den Einsatz sequentieller Personalauswahlverfahren, in denen das Einstellungsinterview durch psychologische Messverfahren ergänzt wird. 47 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Dabei werden der Lernprozess des Recruiters beschrieben sowie intuitive Entscheidungsmuster hinsichtlich der kontroversen Perspektive Expertenwissen oder doch nur nicht-evaluierte Routine53? diskutiert. 4.3 Lernen ohne Feedback? – zum Dilemma „richtiger“ intuitiver eignungsdiagnostischer Entscheidungen Die Evaluation von eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen sollte zu einer Reflektion des eigenen Vorgehens sowie zu einer Modifizierung genutzter Entscheidungsregeln führen. Dies sollte, wie oben bereits erläutert, im weiteren Verlauf zum Aufbau von Expertenwissen und valideren eignungsdiagnostischen Urteilen und Entscheidungen führen. Die Evaluation der prognostischen Validität einzelner eignungsdiagnostischer Entscheidungsfälle, und damit auch die Entwicklung eignungsdiagnostischer Expertise, zeigt sich grundsätzlich allerdings deshalb problematisch, da Recruiter in nur wenigen Unternehmen und Organisationen überhaupt eine Rückmeldung über den Erfolg ihrer Entscheidungen erhalten bzw. sich darum bemühen (Schuler, 2002, S.122). Personaldiagnostische Defizite lassen sich auch nach Kanning (2004, S.75) nur schwierig entdecken. Ohne eine systematische Evaluation werden meist nur extreme Fehlentscheidungen (z.B. außerordentliche Kündigungen) erkannt, deren Ursachen dann nicht eindeutig dem eignungsdiagnostischen Prozess zugeordnet werden können. Zudem bleibt auch das mögliche Outcome-Feedback immer nur einseitig, da in Validitätsstudien nur diejenigen Personen berücksichtigt werden können, die auch eingestellt wurden (Fiedler, 1995). Über die abgelehnten Bewerber gibt es gar keine Rückmeldung (Schuler, 2002, S.122). Da eine potenzielle Rückmeldung über die Bewährung des Mitarbeiters somit wenn überhaupt nur sporadisch und zeitversetzt erfolgt, können in der Regel keine Schlussfolgerungen mehr darüber, an welchen Punkten die Urteilsstrategie des Recruiters fehlerbehaftet gewesen ist, sowie entsprechende Optimierungsansätze aus dem Feedback abgeleitet werden. 53 im Sinne Kahneman`s & Klein`s (2009, S.518) intuitiver Selbstüberschätzung 48 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Deshalb fordern Wottawa & Hossiep (1987, S.62ff) sowie Wottawa & Oenning (2002, S.50ff) eine kontinuierliche Verbesserung des diagnostischen Entscheidungssystems, welches auf dem einzelfallbezogenen Lernen in der Praxis aufbauen soll (vgl. auch Montel, 2006). Es mangelt also nicht nur an stabilen Relationen zwischen Cues und Outcomes, sondern zusätzlich noch an Möglichkeiten der Evaluation. Diese Bedingungen sind jedoch, wie im vorherigen Kapitel bereits ausgeführt, essentiell für den Aufbau von Expertenwissen (vgl. auch Einhorn & Hogarth, 1978). Doch wie lernen Recruiter zu entscheiden, wenn sie kaum oder nur ungenügendes Feedback über die Qualität ihrer Entscheidungen erhalten? Wottawa & Oenning (2002, S.50) sowie Wottawa & Hossiep (1987, S.61) beschreiben den Lernprozess eines Diagnostikers anhand des Paradigmas Lernen am Modell bzw. Lernen durch Nachahmung (vgl. Bandura, 1979): „Man begleite den „Experten“ bei seiner diagnostischen Vorgehensweise und erarbeite sich durch „Nachahmen“ ein implizites Regelsystem“ (Wottawa & Oenning, 2002, S.50). Ein Novize wird in der Regel solange geschult, bis seine Entscheidungen größtmöglich mit denen des vermeintlichen Experten übereinstimmen. Das Entscheidungssystem des Vorgängers ist dabei in der Regel entweder durch seine eigenen subjektiven Erfahrungen oder durch institutionelle Normen des jeweiligen Unternehmens geprägt (ebd.). Wenn kein Regelsystem vorliegt, das übernommen werden könnte, muss der Diagnostiker „unter dem Entscheidungsdruck“ ein individuelles subjektives Regelsystem aufbauen, um Entscheidungen treffen zu können, denn „irgendetwas muss ja über den Bewerber gesagt werden“ (ebd.). Wenn also die evaluative Komponente fehlt, wird das erworbene implizite Regelsystem “nach dem Prinzip Lernen durch Wiederholung immer weiter verstärkt“ (ebd.) und führt somit zu einer Verfestigung subjektiver Entscheidungsregeln und einem illusorischen Vertrauen in das vermeintliche diagnostische Expertenwissen. Somit bleibt die Validität von subjektiven und übernommenen Entscheidungsregeln grundsätzlich anzuzweifeln, wenn diese nicht evaluiert wurden. Durch die Übernahme oder den eigenen Erwerb solch subjektiver Entscheidungsregeln könnte folglich der Fall eintreten, dass ein „Experte“ jahrelang intuitiv und sicher, aber objektiv falsch entscheidet. 49 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Das vermeintliche Expertenwissen eines Recruiters könnte sich daher auch als bloßes nichtevaluiertes routiniertes Schema erweisen. Routinierte Entscheidungen zeichnen sich dabei wie Expertenentscheidungen durch nur geringe Nutzung kognitiver Ressourcen aus. Der kognitive Aufwand besteht primär im matching der vorliegenden Entscheidungssituation mit den im Gedächtnis abgespeicherten Schemata für diese Situation (siehe Kapitel 4.1 zum Prinzip der Mustererkennung). Betsch et al. (2001) konnten in diesem Zusammenhang zeigen, dass bei wiederkehrenden Entscheidungen widersprüchliche Entscheidungen verstärken Informationswahrnehmung Informationen also und noch die -verarbeitung an Einfluss verlieren. Bestätigungstendenz und erhöhen damit Routinierte innerhalb die Gefahr der von Urteilsfehlern. Auch die uneinheitlichen Befunde zu positiven und negativen Effekten von Erfahrung auf die Interviewervalidität bestätigen die schwierige Differenzierung zwischen Expertise und Routine. Ausgehend von den Erläuterungen über das Phänomen der Expertise ließe sich vermuten, dass „Interviewexperten“, aufgrund ihrer schnellen und differenzierten Mustererkennung sowie jahrelangen Erfahrung, im Vergleich zu „Interviewnovizen“, auch zu mehr treffsicheren Personalentscheidungen gelangen. Diese Annahme konnte bisher allerdings nicht eindeutig bestätigt werden (Ryan & Sackett, 1989; Szucko & Kleinmuntz, 1981; Wiener & Schneiderman, 1974; Oskamp, 1962; Goldberg, 1959). Allerdings konnte ein Milde-Effekt für unerfahrene Interviewer nachgewiesen werden (Furnham & Burbek, 1989, S. 398ff). Dipboye & Jackson (1999) konnten ebenfalls zeigen, dass sich die Urteile erfahrener Interviewer nicht von den Einschätzungen der Interviewer ohne Interviewerfahrung unterscheiden. Sie folgerten daraus, dass Erfahrung nur dann einen positiven Effekt hat, wenn sie mit erhöhter kognitiver Komplexität assoziiert ist (vgl. auch Graves, 1993). Gehrlein, Dipboye & Shahani (1993, S.462ff) konnten sogar einen negativen Effekt von Erfahrung auf die Validität einer Beurteilung nachweisen. So erreichten unerfahrene Interviewer in der Kommunikationsskalen Beurteilung eine höhere von Bewerbern Gesamtvalidität auf als zwölf erfahrene MotivationsInterviewer. und Die erfahrenen Interviewer dagegen, beschwerten sich über die vorgegebenen Strukturen und berücksichtigten bei ihrer Beurteilung nicht alle Ratingskalen. 50 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Die Befunde belegen also, dass im Rahmen eignungsdiagnostischer Entscheidungen Erfahrung nicht nur als Indikator für Expertise, sondern gleichermaßen als Indikator für nichtevaluierte Routine fungieren kann. Zur Differenzierung zwischen Expertise und Routine hilft somit auch hier die Berücksichtigung der Validität der Lernumgebung sowie der Möglichkeit zu Evaluation. Erfahrene Interviewer besitzen jedoch mehr Sicherheit über ihre eigenen Leistungen und beurteilen diese dementsprechend positiver als weniger erfahrene Interviewer (Einhorn & Hogarth, 1978; Fischhoff, Slovic & Lichtenstein, 1977). Auch Kleinmuntz (1990, S.298) hat das Phänomen des overconfidence beschrieben, was so viel bedeutet wie übersteigertes Selbstvertrauen (vgl. auch Kahneman & Klein, 2009, S.518f; Kap 4.2). Er stellte fest, dass Diagnostiker, die ein überhöhtes und zumeist ungerechtfertigtes Vertrauen in die eigenen diagnostischen Fähigkeiten besitzen, besonders starke Bestätigungstendenzen bei ihrer Urteilsfindung aufweisen. Dies behindert sie anschließend auch dabei, aus den Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu lernen (vgl. auch Einhorn & Hogarth, 1978). Posthuma, Morgan & Campion (2002, S.32) resümieren, dass die zukünftige Forschung die relevanten Einflussfaktoren auf positive oder negative Effekte von Erfahrung identifizieren sollte, da aufgrund der bisherigen Ergebnisse keine eindeutigen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Dies liegt letztlich auch an der nur ungenügenden Evaluation des eignungsdiagnostischen Prozesses und der dadurch schwierigen Verfügbarkeit von Evaluationskriterien. Fazit zu Kapitel 4.3: Lernen ohne Feedback? – zum Dilemma „richtiger“ intuitiver eignungsdiagnostischer Entscheidungen Der Lernprozess von Recruitern scheint in der Regel aus der Übernahme der subjektiven Entscheidungsregeln des Vorgängers oder dem Erwerb eigener subjektiver Entscheidungsregeln zu bestehen. Deshalb kommt auch der Einarbeitung eines Recruiters eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die analytische Ausprägung seines eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses zu. 51 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Eine systematische Einarbeitung, bei der explizite (möglicherweise auch objektiv falsche) Entscheidungsregeln formuliert und schließlich eigenständig angewendet werden, sollte sich in einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess manifestieren, da die expliziten Entscheidungsregeln dem Novizen als Bezugsrahmen für seine Entscheidungen dienen und er diese folglich auch bewusst explizit anwendet, vielleicht sogar im weiteren Lernprozess validiert und modifiziert. Am Anfang des Validierungsprozesses eignungsdiagnostischer Entscheidungsregeln steht somit immer die Explikation derselbigen. Sind aber keine expliziten Entscheidungsregeln während der Einarbeitung verfügbar, oder unternimmt der Recruiter keine Anstrengungen, seine eigenen subjektiven und zumeist implizit abgespeicherten Entscheidungsregeln zu explizieren, steigt das Risiko für schematisch-heuristische Entscheidungsstrategien und die Verfestigung dieser durch die simple Wiederholung derjenigen. Somit kann ein Zusammenhang schemagetriebener zwischen Wahrnehmung und subjektiven einem intuitiv Entscheidungsregeln geprägten sowie Urteils- und Entscheidungsprozess von Recruitern angenommen werden. Folglich kann für den auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters basierenden Faktor: ein Subjektive Entscheidungsregeln negativer kausaler Zusammenhang mit einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess postuliert werden. Der Einfluss solch impliziter subjektiver Entscheidungsregeln auf die Einstellungsentscheidung sollte also entsprechend den normativen eignungsdiagnostischen Forderungen minimiert werden. Gemäß der Annahme, dass der Recruiter seine subjektiven Entscheidungsregeln explizieren und im weiteren Lernprozess evaluieren muss, um potenziell von Expertenwissen profitieren zu können, bedeutet dies ebenfalls, dass er eigene Anstrengungen zur Evaluation unternehmen muss, da seine normale Lernumgebung ansonsten nur wenig Möglichkeiten zur Evaluation bereitstellt. Mögliche Outcome-Variablen, die ihm als Evaluationskriterien dienen könnten, können sich zum Beispiel in konkreter beruflicher Leistung wie Projekterfolgen, Führungsakzeptanz, Teamintegration oder Kundenzufriedenheit niederschlagen. 52 4 Intuition als Indikator für Expertise? ___________________________________________________________________________________________ Diese sollten dann am leichtesten verfügbar sein, wenn der Recruiter und der ehemalige Bewerber zusammenarbeiten. Wenn jedoch, wie im Normalfall, nach der Einstellungsentscheidung kein Kontakt mehr zwischen Recruiter und ehemaligem Bewerber besteht, liegt es in der Eigenverantwortung des Recruiters, seine Prognosen zu evaluieren und sich dafür die entsprechenden Informationen verfügbar zu machen. Deshalb sollten auch motivationale Faktoren einen Einfluss auf entweder analytische oder intuitive Informationsverarbeitungsstrategien eines Recruiters haben. Der Zusammenhang zwischen persönlichem Involvement und den Entscheidungsmodi analytisch vs. intuitiv wird deshalb im nächsten Kapitel erläutert. 53 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ 5. Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte 5.1 Zwei-Prozess-Modelle und das persönliche Involvement als relevanter Faktor für den Urteils- und Entscheidungsmodus Um menschliche Informationsverarbeitungs- sowie Urteils- und Entscheidungsprozesse zu beschreiben und in ihrer Tiefe und Elaboration voneinander zu unterscheiden, dienen sogenannte Zwei-Prozess-Modelle als theoretischer Rahmen für die empirische Entscheidungsforschung. Es werden grundsätzlich zwei verschiedene Systeme der Informationsverarbeitung und Urteilsbildung voneinander abgegrenzt (zur Übersicht Plessner et al., 2008; Stanovich & West, 2000; Chaiken & Trope, 1999; Sloman, 1996). Die Informationsverarbeitungssysteme werden inhaltlich zwar mit denselben Konstrukten beschrieben, aber teilweise unterschiedlich benannt. Grundsätzlich wird zwischen einem assoziativen und einem regelbasierten System der Urteilsbildung unterschieden. Dem assoziativen System werden implizite, automatische, assoziative und unbewusste Prozesse zugeordnet, die nur schwer verbalisierbar sind. Dem regelbasierten System werden bewusste Aufmerksamkeit, kognitive Anstrengung, regelbasiertes und explizites Entscheiden zugeordnet. Das implizite und das explizite System spielen auch eine besondere Rolle im Erwerb von Expertenwissen. Hier wurde gezeigt, dass mit zunehmender Expertise vor allem implizite Informationsverarbeitungsprozesse an Bedeutung gewinnen (siehe Kapitel 4.1). Im Folgenden soll die Differenzierung zwischen den beiden Urteilsmodi anhand einiger exemplarisch ausgewählter Arbeiten detaillierter dargestellt werden. Usher et al. (2011, S.1) differenzieren, basierend auf mittlerweile 20 Jahren kognitiver Forschung54, das erfahrungsbasiert-intuitive System und das rational-deliberate System voneinander. 54 Epstein, 1994; Sloman, 1996; Evans, 2003/2008; Kahneman, 2003; Ferreira et al., 2006; Kahneman & Frederick, 2007; Keren & Schul, 2009; jeweils aus Usher et al. (2011, S.1) 54 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ Das erfahrungsbasiert-intuitive System verarbeitet Informationen „schnell, affektiv, parallel, assoziativ und holistisch“ (ebd.55). Das Ergebnis der Informationsverarbeitung wird dabei bewusst wahrgenommen, die vorhergehenden mentalen Operationen gelangen allerdings nicht ins Bewusstsein (ebd., S.10). Das rational-deliberate System verarbeitet Informationen hingegen „sequentiell, regelbasiert und bewusst“ (ebd. 56). Ebenfalls resümieren die Autoren, dass es empirische Beweise dafür gibt, dass die beiden Informationsverarbeitungssysteme auch mit unterschiedlichen kognitiven Strukturen bzw. unterschiedlichen Übertragungsmechanismen im Gehirn assoziiert sind. So wird das implizite System mit dem Transmitter Dopamin assoziiert. Hogarth (2001, S.190f) unterscheidet ebenfalls ein intuitives (tacit) und deliberatives System voneinander. Das intuitive System operiert automatisch und wird durch das deliberate System ergänzt, wenn die Situation bewusstes Nachdenken und Entscheiden erfordert. Er beschreibt das deliberate System als regelgetrieben, systematisch sowie elaboriert. Weiterhin ordnet er die Charakteristika bewusste Aufmerksamkeit und Beanspruchung kognitiver Kapazitäten zu. Dem intuitiven (tacit) System hingegen, ordnet er automatische Verarbeitungsprozesse zu, die assoziativ und ohne bewusste Aufmerksamkeit erfolgen, so auch die expertise-basierte Mustererkennung (ebd.). Sloman (1996, S.4) unterscheidet zwischen einem assoziativen und regelbasierten System. Das assoziative System basiert auf Ähnlichkeitsstrukturen, die durch Erfahrung erworben wurden. Es enkodiert ähnliche Strukturen und Wahrscheinlichkeiten zwischen verschiedenen Kontexten und weist damit eine statistische Struktur auf. Inferenzen erfolgen reproduktiv, auf Basis von Ähnlichkeit und Kontiguität. Das regelbasierte System basiert im Kontrast dazu auf expliziten Regeln, symbolischen Strukturen und Verknüpfungen. Es ist produktiv, da es verschiedene Regen kombinieren und daraus neue Regeln erschaffen kann, weiterhin verarbeitet es Informationen systematisch nach logischen und kausalen Strukturen (ebd., S.4/7). Das regelbasierte System kann das assoziative System zwar unterdrücken, aber nicht ganz behindern (ebd., S.7). Die physiologische Existenz der beschriebenen unterschiedlichen Informationsverarbeitungssysteme konnte auch empirisch nachgewiesen werden. 55 56 Übersetzung d. Autorin Übersetzung d. Autorin 55 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ So haben Darlow & Sloman (2010, S.382) gezeigt, dass die deliberate Informationsverarbeitung das Arbeitsgedächtnis beansprucht, während die intuitive Informationsverarbeitung auf dem Abruf von Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis basiert. Auch De Neys (2006, S.432) konnte nachweisen, dass das heuristische System automatisch operiert und das systematische System auf kognitive Ressourcen angewiesen ist. Dabei können Urteilsfehler kausal auf die limitierten Informationsverarbeitungskapazitäten der exekutiven Ressourcen zurückgeführt werden. Auch Kuo et al. (2009) konnten den intuitiven und deliberaten Entscheidungsstil in ihrer fMRT-Studie mit verschiedenen Hirnarealen sowie geringer und erhöhter kognitiver Kapazität in Verbindung bringen (auch Sarter, Givens & Bruno, 2001). Ausschlaggebend für die jeweils situationsspezifische Dominanz des assoziativen oder deliberaten Entscheidungsmodus sind folgende Faktoren: Expertise bzw. Routine (Betsch & Haberstroh, 2005), Stimmung (De Vries, Holland & Witteman, 2007; Hänze, 1996; Bohner et al., 1992), verfügbare kognitive Ressourcen (Dijksterhuis & Nordgren, 2006; siehe nächstes Kapitel), persönliche Präferenzen (Betsch, 2004) sowie Motivation bzw. das persönliche Involvement (Chaiken, Liberman & Eagly, 1989; Petty & Cacioppo, 1984; Petty, Cacioppo & Goldman, 1981). In der vorliegenden Untersuchung kommt dem persönlichen Involvement als motivationaler Faktor eine besondere Bedeutung zu. Ein besonders relevantes und empirisch gut belegtes Modell ist in diesem Kontext das Heuristic-Systematic Model nach Chaiken (1980), Chaiken, Liberman & Eagly (1989) sowie Chaiken, Wood & Eagly (1996). Das Zwei-Prozess-Modell im Bereich der Persuasion unterscheidet heuristische und systematische Prozesse der Informationsverarbeitung voneinander (vgl. auch Petty & Cacioppo, 1986). Der systematischen Informationsverarbeitung werden, wie auch oben für den deliberaten bzw. regelbasierten Entscheidungsmodus erläutert, analytische sowie explizit-datengeleitete Operationen (Bottom-Up-Prozesse) und die Verwendung komplexer Entscheidungsregeln zugeordnet. Der heuristischen Informationsverarbeitung hingegen werden, ebenfalls analog zu dem oben dargestellten assoziativen bzw. intuitiven Entscheidungsmodus, schematischheuristische Entscheidungsmechanismen zugeordnet (Top-Down-Prozesse), die automatisch und assoziativ ablaufen. Wichtige Determinante für den jeweiligen Verarbeitungsmechanismus ist das persönliche Involvement der jeweiligen Person. So verarbeiten hoch involvierte Personen vorliegende 56 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ Informationen systematisch-analytisch, dies bedeutet, dass sie von einer Botschaft überzeugt werden müssen. Wenig involvierte Personen hingegen urteilen eher automatisch-heuristisch, sie lassen sich überreden. Dieser Effekt wurde mehrfach empirisch belegt (Chaiken, Liberman & Eagly, 1989; Petty & Cacioppo, 1984; Petty, Cacioppo & Goldman, 1981). Somit fungiert das persönliche Involvement als wichtige Determinante für einen analytischen Informationsverarbeitungsprozess. Fazit zu Kapitel 5.1: Zwei-Prozess-Modelle und das persönliche Involvement als relevanter Faktor für den Urteils- und Entscheidungsmodus Grundsätzlich lassen sich analytische und intuitive Informationsverarbeitungsstrategien bzw. Entscheidungsmodi voneinander unterscheiden. Auch in der vorliegenden Untersuchung wird zwischen analytisch und intuitiv geprägten Urteils- und Entscheidungsprozessen von Recruitern unterschieden. Analytische Entscheidungsstrategien entsprechen hierbei dem beschriebenen explizitdeliberaten Entscheidungsmodus sowie auch den normativen Forderungen der Eignungsdiagnostik. Intuitive Entscheidungsstrategien entsprechen hingegen dem beschriebenen implizitassoziativen Entscheidungsmodus, welcher für die vorliegende Arbeit durch Schemata, Heuristiken und subjektive Entscheidungsregeln charakterisiert wird, da für das Expertenwissen bei Recruitern angenommen wird, dass dieses explizierbar ist und sich damit in einem analytischen Urteilsprozess manifestiert. Recruiting-Expertise sollte hier also nicht zu einem intuitiven, sondern zu einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess führen (siehe Kapitel 4.1). Einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess werden in dieser Arbeit folgende Charakteristika zugeordnet57: 57 - Systematische Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -integration - Explizite Entscheidungsregeln - Rationales Abwägen - Bewusste Aufmerksamkeit - Hohe Beanspruchung kognitiver Ressourcen - Ergebnis: differenziertes Urteil Diese werden auch in der Operationalisierung (siehe Kapitel 6.2.2) berücksichtigt. 57 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ Einem intuitiven Urteils- und Entscheidungsprozess werden in dieser Arbeit folgende Charakteristika zugeordnet58: - Assoziative Informationswahrnehmung, -verarbeitung und -integration - Schemata, Heuristiken, implizite subjektive Entscheidungsregeln - Schnelles, automatisches Entscheiden - Geringe Aufmerksamkeit - Geringe Beanspruchung kognitiver Ressourcen - Ergebnis: globales Urteil Als wichtige Determinante und mediierende Variable für einen analytischen oder intuitiven Urteils- und Entscheidungsprozess wird das persönliche Involvement des Recruiters berücksichtigt. Dieses manifestiert sich im Kontext von Einstellungsinterviews in einem hohen fachlichen Anspruch an die eigene eignungsdiagnostische Kompetenz sowie einem damit verbundenen hohen Verantwortlichkeitsgefühl für die getroffenen eignungsdiagnostischen Entscheidungen. Ebenfalls sollte sich das persönliche Involvement, letztlich das Engagement eines Recruiters, in einer stärkeren Auseinandersetzung mit den konkreten Anforderungen einer Stelle sowie verstärkten Bemühungen zur Evaluation des eigenen eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses niederschlagen. Die Evaluation des eigenen Urteils- und Entscheidungsprozesses sollte wiederum zu einer Validierung bzw. besseren Kenntnis der stellenrelevanten Anforderungen führen, die als Grundlage für die eignungsdiagnostische Entscheidung dienen. Deshalb werden die Variablen Verantwortlichkeitsgefühl und konkrete Kenntnis des Anforderungsprofils in der vorliegenden Untersuchung als Indikatoren für das persönliche Involvement des Recruiters angenommen. Da das persönliche Involvement als wichtiger Einflussfaktor für einen systematischen Informationsverarbeitungsstil identifiziert werden konnte (siehe obige Erläuterungen), wird dieser Zusammenhang auch in der vorliegenden Arbeit angenommen. Das Verantwortlichkeitsgefühl Anforderungsprofils sollten des seine Recruiters und seine Selbstaufmerksamkeit konkrete und seine Kenntnis des Bemühungen dahingehend erhöhen, möglichst anforderungsbezogene und differenzierte eignungsdiagnostische Entscheidungen zu treffen. 58 Diese werden auch in der Operationalisierung (siehe Kapitel 6.2.2) berücksichtigt. 58 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ Insofern können für die motivationalen Variablen des persönlichen Involvements: - Verantwortlichkeitsgefühl - Konkrete Kenntnis des Anforderungsprofils positive kausale Zusammenhänge mit einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen werden. 5.2 Zur Überlegenheit eines analytischen oder intuitiven Entscheidungsmodus – Empirische Befunde In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Arbeiten mit der Kontroverse beschäftigt, ob der analytische oder der intuitive Entscheidungsmodus zu genaueren Urteilen bzw. „besseren“ Entscheidungen führt. Dazu werden die Entscheidungsmodi häufig im Hinblick auf die verfügbare kognitive Kapazität manipuliert und experimentell miteinander verglichen. Die Befunde sind jedoch noch widersprüchlich. De Vries, Witteman, Holland & Dijksterhuis (2010, S.579f) konnten zeigen, dass im klinischen Kontext unbewusste Informationsverarbeitung im Vergleich zu bewusster Informationsverarbeitung zu korrekteren psychiatrischen Diagnosen im Sinne des DSM59 führte. Auch Dijksterhuis (2004) sowie Dijksterhuis & Nordgren (2006) konnten die Überlegenheit unbewusster Informationsverarbeitung (deliberation-without-attention) bei komplexen Entscheidungen nachweisen. Mamede et al. (2010) haben hingegen die konträre Hypothese untersucht. Die Annahme lautete, dass Experten dann bessere Entscheidungen treffen, wenn sie bewusstes Nachdenken als Entscheidungsstrategie bei komplexen Entscheidungssituationen verwenden, Novizen hingegen von dem deliberation-without-attention - Effekt profitieren, also bessere Entscheidungen treffen, wenn ihre Aufmerksamkeit abgelenkt wird. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass sich die Qualität der Expertenentscheidung (bei Medizinern) durch bewusstes Nachdenken bei komplexen Entscheidungen verbesserte und nur Novizen von dem deliberation-without-attention - Effekt bei simplen Entscheidungen profitierten (ebd., S.587). Damit schließen die Autoren die Annahmen Dijksterhuis` und Kollegen für die Zielgruppe der Experten aus und belegten statt dessen sogar den 59 Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 59 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ gegenteiligen Zusammenhang (ebd., S.589). Experten profitieren somit nicht von dem deliberation-without-attention - Effekt bei komplexen Entscheidungen (auch nachgewiesen durch Wiel & Meeuwesen, 2009; Pretz, 2008). Dies ist nach Mamede et al. (2010, S.589) insofern logisch, als dass Experten ihr Wissen nach dem Prinzip der Mustererkennung aus dem Langzeitgedächtnis mit nur wenigem kognitiven Aufwand abrufen. Novizen hingegen, profitieren bei simplen Entscheidungen von unbewusster Informationsverarbeitung, Langzeitgedächtnis abrufen da können sie und kein somit passendes den Wissen aus dem Beschränkungen des Arbeitsgedächtnisses unterliegen. Auch Calvillo & Penaloza (2009, S.516) konnten den deliberation-without-attention - Effekt in mehreren Studien nicht replizieren und resümieren, analog zu Acker (2008) sowie Newell et al. (2009), dass komplexe Entscheidungen nicht ohne sorgfältiges Abwägen, Reflektieren und bewusste Aufmerksamkeit getroffen werden sollten. Kruglanski & Gigerenzer (2011) argumentieren innerhalb dieser Kontroverse analog zu Gigerenzer und Kollegen (siehe Kapitel 3.2). Sie nehmen an, dass deliberate Urteile nicht automatisch genauer als intuitive Urteile ausfallen, sondern dass die Genauigkeit des Urteils von dessen ökologischer Rationalität, heißt von der spezifischen Passung zwischen Entscheidungsstrategie und Entscheidungsumgebung abhängt. Auch Norman & Eva (2010) zeigten dementsprechend, dass Urteilsfehler sowohl unter intuitiven als auch deliberaten Informationsverarbeitungsprozessen entstehen können. Das analytische System kann somit nicht als vollkommen fehlerfrei angenommen werden. Die Autoren konnten weiterhin zeigen, dass eine Kombination beider Entscheidungsstrategien zu einer leichten Verbesserung der Urteilsgenauigkeit führt. Auch die Anwendung von Heuristiken kann nicht eindeutig nur dem intuitiven Entscheidungsstil zugeordnet werden. So hat Glöckner (2008) gezeigt, dass sich auch Heuristiken in regelbasiert-sequentielle sowie schnell-parallele Heuristiken experimentell voneinander differenzieren lassen. Hilbig et al. (2010) konnten weiterhin nachweisen, dass die Wiedererkennungsheuristik (recognition heuristic) häufiger unter deliberaten als intuitiven Entscheidungsstrategien eingesetzt wurde. Dementsprechend resümieren die Autoren, dass die Anwendung von Heuristiken nicht unbedingt eine Konsequenz intuitiver Informationsverarbeitung ist, sondern sich besonders bei deliberaten Entscheidungen als profitabel erweist. 60 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ Die Kontroverse über die vermeintliche Überlegenheit von analytischen oder intuitiven Urteilsund Entscheidungsprozessen ist also, obwohl schon in den 50er Jahren angestoßen, bis heute nicht abgeschlossen. Da für den Kontext von Einstellungsinterviews in der vorliegenden Untersuchung aber eindeutig analytische Urteils- und Entscheidungsprozesse als entscheidende Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen identifiziert wurden (Kapitel 2), werden hier für einen analytischen Entscheidungsmodus grundsätzlich auch validere bzw. „bessere“ eignungsdiagnostische Entscheidungen angenommen. Dies konnte auch von Seibt (2006) für Einstellungsinterviews belegt werden. Seibt (2006) hat die kognitiven Stile im Kontext der Personalauswahl experimentell untersucht. Die Autorin konnte zeigen, dass intuitive Entscheidungsstrategien in einer stärkeren Bestätigungstendenz und ungenaueren Urteilen resultierten als analytische Entscheidungsstrategien (ebd., S.30ff). Da Betsch (2004) zeigen konnte, dass Menschen einen individuellen Entscheidungsstil bzw. eine Präferenz für eine Entscheidungsstrategie aufweisen, wird dieser Aspekt auch für die vorliegende Untersuchung aufgegriffen. Diese Präferenz hat sich nach Betsch (2004) durch jeweils unterschiedliche Lernerfahrungen entwickelt und gefestigt. Mit dem Inventar Präferenz für Intuition und Deliberation (PID) konnte Betsch die beiden Entscheidungsstile orthogonal voneinander empirisch belegen60. Auch Witteman et al. (2009) konnten die Präferenz für einen intuitiven oder rationalen Entscheidungsstil an drei europäischen Stichproben nachweisen. In der vorliegenden Arbeit wird ebenfalls angenommen, dass der Entscheidungsmodus des Recruiters durch Lernerfahrungen geprägt wird und somit in einer eher analytischen oder intuitiven Prägung seines Urteils- und Entscheidungsprozesses resultiert. Als prägende Determinanten werden persönliche und motivationale, aber auch kontextuelle Faktoren berücksichtigt. Allerdings wird diese individuelle Tendenz, die auch durch 60 Die Autorin differenziert analog zu Hogarth (2001) zwischen einem intuitiven und deliberaten Entscheidungsstil, wobei der intuitive Entscheidungsstil als automatisch sowie affektbasiert definiert wird und heuristische Informationsverarbeitung ausschließt. Der deliberate Entscheidungsstil basiert auf elaborierten Kognitionen. Für den intuitiven Entscheidungsmodus konnten Zusammenhänge mit der Entscheidungsschnelligkeit sowie den Persönlichkeitsmerkmalen Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit, außerdem Risikosensivität gefunden werden. Für einen reflektiven Entscheidungsmodus konnten Zusammenhänge mit Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus, Bedürfnis nach Strukturiertheit sowie Maximierungsbestreben nachgewiesen werden, was sich letztlich auch in erhöhter Entscheidungsdissonanz manifestierte. 61 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ kontextuelle Variablen verursacht angenommen wird, nicht als grundsätzlich stabil, sondern als grundsätzlich variabel angenommen. So sollte sich dann ein Effekt auf den individuell eher analytisch oder intuitiv geprägten Urteilsmodus zeigen, wenn zum Beispiel der kontextuelle Einfluss organisationaler Rahmenbedingungen experimentell manipuliert wird. Auch dies soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden. Fazit zu Kapitel 5.2: Zur Überlegenheit eines analytischen oder intuitiven Entscheidungsmodus – Empirische Befunde In der vorliegenden Arbeit werden als kontextuelle Einflussfaktoren die organisationalen Rahmenbedingungen: - Strukturiertheit des Interviews - Konkretheit des Anforderungsprofils - Rechenschaftsverpflichtung - Systematik des Feedbacks sowie der auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters beruhende Faktor: - Expertise und die motivationalen Variablen des persönlichen Involvements: - Verantwortlichkeitsgefühl - Kenntnis des Anforderungsprofils als Determinanten für einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen. Ebenfalls werden die motivationalen Faktoren des persönlichen Involvements - Verantwortlichkeitsgefühl - Kenntnis des Anforderungsprofils als Mediatoren zwischen organisationalen Rahmenbedingungen sowie persönlichen Lernprozessen und einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen. Weiterhin werden die auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters beruhenden Faktoren: - subjektive Entscheidungsregeln - Anwendung heuristischer Schemata 62 5 Analytik und Intuition als kontextabhängige Konstrukte ___________________________________________________________________________________________ als Determinanten für einen intuitiven bzw. wenig analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen. Neben dem jeweils individuell geprägten Entscheidungsmodus wird als zusätzliche OutcomeVariable die wahrgenommene Entscheidungsdissonanz des Recruiters berücksichtigt. Dabei wird vor allem für intuitive Urteils- und Entscheidungsprozesse ein positiver kausaler Zusammenhang mit Entscheidungsdissonanz angenommen, da bei diesem Entscheidungsmodus diejenigen Evaluationskriterien nicht expliziert sind, die dem Recruiter Sicherheit über die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung vermitteln würden61. 61 Dijksterhuis & Vanolden (2006) zeigten jedoch, dass unbewusste Informationsverarbeitung bzw. eine spontane Entscheidung zu erhöhter Zufriedenheit mit derselbigen führt. Jedoch handelte es sich hierbei auch um eine simple Sympathieentscheidung (Kunstgemälde), weshalb dieses Ergebnis nicht auf komplexe Entscheidungen, wie eignungsdiagnostische Einstellungsentscheidungen, übertragbar ist. Auch Betsch (2004) zeigte analog, dass ein rationaler kognitiver Stil subjektive Entscheidungsdissonanzen eher erhöht, statt minimiert. 63 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6. Im Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge folgenden zentralen Kapitel Strukturgleichungsmodellierung wird zunächst vorgestellt und der von theoretische der Hintergrund Pfadanalyse als der weitere kausalanalytische Methode abgegrenzt (Kapitel 6.1). Danach wird der gesamte Prozess der Strukturgleichungsmodellierung für die vorliegende empirische Untersuchung dargestellt: angefangen bei der Hypothesen- und Modellbildung, weiter über die Konstrukt- operationalisierung, dem Untersuchungsaufbau und der Güteprüfung des Kausalmodells, bis hin zu dessen Evaluation (Kapitel 6.2). Im Anschluss wird das kausale Modell durch die experimentellen Ergebnisse der Fallstudie (Kapitel 6.3), die Ergebnisse von Clusteranalysen zur Kategorisierung von Recruiter-Typen (Kapitel 6.4) sowie uni- und multivariater allgemeiner linearer Modelle zur Bestimmung von Gruppenunterschieden (Kapitel 6.5) ergänzt. 6.1 Methodik der Strukturgleichungsmodellierung Zentrale Berechnungsmethode dieser Untersuchung ist die Strukturgleichungsmodellierung. Deshalb wird der methodisch-theoretische Hintergrund im Folgenden kurz vorgestellt. 6.1.1 Charakteristika von Strukturgleichungsmodellen Strukturgleichungsmodelle ermöglichen die empirische Prüfung komplexer kausaler Hypothesen-Systeme. Ziel ist es, die „a priori formulierten Wirkungszusammenhänge in einem linearen Gleichungssystem abzubilden und die Modellparameter so zu schätzen, dass die zu den Variablen erhobenen Ausgangsdaten möglichst gut reproduziert werden“ (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.17). Ein kausaler Zusammenhang ist dabei laut Cook & Campbell (1979, S.3162) dann gegeben, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Systematische Veränderungen der unabhängigen Variable (UV, vgl. Explanans im Hempel-Oppenheim-Schema) führen zu systematischen Veränderungen der abhängigen Variable (AV, vgl. Explanandum im Hempel-Oppenheim-Schema); UV und AV kovariieren also miteinander; 62 zitiert nach Weiber & Mühlhaus, 2010, S.7; 64 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 2. Logik in der zeitlichen Abfolge: UV verändert sich vor AV; 3. UV ist die einzige sachlogische Ursache für die Veränderung der AV; Charakteristisch für Strukturgleichungsmodelle ist nach Weiber & Mühlhaus (2010, S.17f) ebenfalls, dass - sowohl manifeste Variablen63 als auch latente64 Variablen abgebildet werden können, - in einem Modell mehrere AV`s enthalten sein können, - AV`s gleichzeitig als UV`s fungieren können (intervenierende Variablen) und - alle Kausalhypothesen gleichzeitig betrachtet, heißt deren Pfadkoeffizienten simultan geschätzt werden können. Demnach wird in Strukturgleichungsmodellen zwischen exogenen Variablen, endogenen Variablen sowie intervenierenden Variablen unterschieden. Die exogenen Variablen fungieren hierbei als Prädiktoren für die endogenen Variablen (Kriteriumsvariablen). Grundsätzlich wird auch zwischen rekursiven, teil-rekursiven und nicht-rekursiven Modellen unterschieden. Als rekursiv gilt ein Modell dann, wenn eine eindeutige Wirkungsrichtung festzustellen ist und keine Rückkoppelungen zwischen den Variablen bestehen. Sind in einem Modell alle potenziell möglichen Pfade aufgenommen, gilt es als saturiert. Teilund nicht rekursive Modelle, die Rückkoppelungen enthalten, erfordern die Methodik der Strukturgleichungsmodellierung (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.28). Die Pfadkoeffizienten geben jeweils die Richtung und Stärke der kausalen Effekte an. Kausale Effekte können dabei in direkte und indirekte kausale Effekte zerlegt werden. Ein totaler kausaler Effekt wird durch Addition des direkten und indirekten Effektes berechnet. Ein indirekter Effekt berechnet sich durch die Multiplikation der Pfadkoeffizienten über die entsprechenden Pfade (ebd., S.186; Backhaus et al. 2006, S.406). 6.1.2 Abgrenzung von Pfadanalyse und Strukturgleichungsmodellen Pfadanalyse bei manifesten Variablen Die Pfadanalyse ist dann die geeignete Berechnungsmethode, wenn das Strukturmodell nur aus manifesten Variablen mit komplexen Wechselwirkungen besteht (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.19). Ebenso kann die Pfadanalyse nur rekursive Modelle abbilden (ebd., S.28). 63 64 messbar, empirisch direkt beobachtbar erst mithilfe geeigneter Mess-Modelle zu operationalisieren 65 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Wie auch bei der Strukturgleichungsmodellierung, ist ebenso bei der Pfadanalyse die a-priori Formulierung sachlogischer kausaler Zusammenhänge eine wesentliche Prämisse. Die Prüfung der Kausalstrukturen erfolgt dann mittels Regressionsgleichungen (Kleinst-QuadrateMethode), die für alle endogenen Variablen, basierend auf ihrer standardisierten VarianzKovarianz-Matrix, berechnet werden (ebd., S.22). Die Pfadkoeffizienten berechnen sich aus den standardisierten Fehlervariablen partiellen gilt Voraussetzungen das für Regressionskoeffizienten. Durch Pfadmodell die Methode als der „vollständig Pfadanalyse die determiniert“ sind metrisch Aufnahme (ebd., skalierte von S.23). und standardisierte Variablen, normalverteilte Residuen und keine Multikollinearität zwischen den Variablen (ebd., S.30). Strukturgleichungsmodellierung bei latenten Variablen Sollen komplexe Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen latenten Variablen kausalanalytisch überprüft werden, ist das Strukturgleichungsmodell die Methode der Wahl. Auch nicht-rekursive Modelle können abgebildet werden. Prämisse der Strukturgleichungsmodellierung ist die Operationalisierung der latenten Variablen. Nach Weiber & Mühlhaus (2010, S.31) besteht ein Strukturgleichungsmodell aus drei Teilmodellen: 1. Strukturmodell: Zusammenhänge zwischen den exogenen und endogenen Variablen 2. Mess-Modell der latenten exogenen Variablen: empirische Operationalisierung der latenten exogenen Variablen 3. Mess-Modell der latenten endogenen Variablen: empirische Operationalisierung der latenten endogenen Variablen Die Strukturgleichungsanalyse erfolgt dann in folgenden Schritten (im Original zitiert nach Weiber & Mühlhaus, 2010, S.32): 1. Klassifizierung der latenten Variablen nach endogenen und exogenen Variablen 2. Erstellung des Strukturmodells (Hypothesenformulierung je endogener Variable) 3. Formulierung der Mess-Modelle für jede latente Variable 4. Graphische Verdeutlichung des Kausalmodells (Pfaddiagramm-Erstellung) 5. Überführung des Pfaddiagramms in ein lineares Gleichungssystem 6. Schätzung des Gleichungssystems nach dem kovarianzanalytischen oder varianzanalytischen Ansatz Ein besonders wichtiger Schritt im Rahmen der Strukturgleichungsmodellierung ist die Formulierung der Mess-Modelle für jede latente Variable. Dies ist aus der Testtheorie auch 66 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ als Konstruktoperationalisierung bekannt. Unterschieden wird hierbei zwischen dem reflektiven und formativen Ansatz. Ein reflektives Mess-Modell nimmt an, dass die manifesten, direkt beobachtbaren Indikatoren von der latenten Variablen kausal beeinflusst werden (vgl. Bollen, 1989, S.182; Edwards & Bagozzi, 2000, S.157f). Die latente Variable fungiert als unabhängige Variable. Die Indikatoren innerhalb reflektiver Mess-Modelle sollten deshalb auch idealerweise miteinander kovariieren, da sie denselben Inhalt haben bzw. als unterschiedliche Erscheinungsformen desselben Konstruktes verstanden werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.37f; Jarvis et al., 2003, S.2000). Bei formativen Mess-Modellen ist es umgekehrt. Hier wird die latente Variable als abhängige Variable verstanden, demnach führen Veränderungen in den Indikatoren auch zu Veränderungen der latenten Variable (MacCallum & Browne, 1993, S.533). Der formative Ansatz basiert auf der Regressionsanalyse, der reflektive Ansatz hingegen auf der Faktorenanalyse. Die kausalanalytische Überprüfung des Strukturgleichungsmodells kann ebenfalls unterschiedlich erfolgen. Der kovarianzanalytische Ansatz analysiert primär reflektive MessModelle, der varianzanalytische Ansatz auch formative Mess-Modelle. Der kovarianzanalytische Ansatz basiert auf der konfirmatorischen Faktorenanalyse und ermöglicht die simultane Schätzung aller Modellparameter eines Strukturgleichungsmodells auf Basis der empirischen Varianz-Kovarianzmatrix und der Maximum-Likelihood-Methode (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.47; vgl. auch Jöreskog, 1973). Die latenten Variablen werden hierbei „als Faktoren interpretiert, die „hinter“ den Messvariablen stehen“ (ebd.). Der kovarianzanalytische Ansatz ist dann geeignet, wenn die latenten Variablen als Faktoren im Sinne der Faktorenanalyse verstanden werden können, wenn die gesamte Kausalstruktur simultan geschätzt werden soll und die Variablen mulitinormalverteilt sind. Außerdem können mit dem kovarianzanalytischen Ansatz auch nicht-rekursive Modelle überprüft werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.57). Der varianzanalytische Ansatz hingegen, basiert auf der Regressionsanalyse und ist vor allem dann zu wählen, wenn nur kleine Stichproben oder eine eher prognostische Zielsetzung vorliegen. Hierbei werden die Parameter sukzessive nach dem partial-leastsquare-Ansatz (nach Wold, 1966) geschätzt, sodass die Schätzung des Strukturmodells letztlich auf konkreten Messwerten basiert. Das Ziel ist eine möglichst gute Reproduktion der Ausgangsdatenmatrix (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.66). 67 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Da die vorliegende Untersuchung vor allem die empirische Überprüfung des noch auszuformulierenden Hypothesen-Systems zum Ziel hat und die gesamte Kausalstruktur mit latenten Variablen simultan geschätzt werden soll, wird der kovarianzanalytische Ansatz zur Überprüfung des Strukturgleichungsmodells gewählt. Zunächst wird jedoch erst der Prozess der Strukturgleichungsmodellierung angelehnt an Weiber & Mühlhaus (2010, S.74) für die vorliegende Untersuchung dargestellt und durch weitere relevante Punkte wie Untersuchungsaufbau und Datenerhebung, die Beschreibung der Stichprobe sowie vorbereitende Berechnungen (multivariate Normalverteilungsannahme und bivariate Korrelationsanalyse) und abschließende methodische Optimierungsvorschläge ergänzt. Das nächste, für die vorliegende Arbeit wesentliche Kapitel 6.2 orientiert sich deshalb an folgender Struktur65: 1. Hypothesen- und Modellbildung 2. Konstrukt-Operationalisierung: Formulierung reflektiver Mess-Indikatoren für jede latente Variable 3. Untersuchungsaufbau und Datenerhebung 4. Stichprobe 5. Vorbereitung des Datensatzes, Prüfung der multivariaten Verteilungsannahme 6. Güteprüfung der reflektiven Mess-Modelle 7. Bivariate Korrelationsanalyse 8. Kovarianzanalytische Modellschätzung – Evaluation des Gesamtmodells 8.1 Hypothesenprüfung und Interpretation – Analyse der direkten und mediierenden Effekte im Strukturgleichungsmodell 8.2 Modellmodifikation 9. Fazit und methodische Optimierungsvorschläge 65 angelehnt an Weiber & Mühlhaus, 2010, S.74; 68 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2 Prozess der Strukturgleichungsmodellierung für die vorliegende Untersuchung 6.2.1 Hypothesen- und Modellbildung Die bisherigen Studien zur Validität von Einstellungsinterviews konzentrieren sich vor allem auf die Zusammenhänge zwischen der Strukturiertheit des Interviews sowie der Konkretheit des Anforderungsprofils und der Validität der Einstellungsentscheidung. Die intervenierenden Prozesse, insbesondere die Informationsverarbeitungsprozesse des Recruiters mit deren kausalen Mechanismen werden dabei nicht berücksichtigt (vgl. auch Kapitel 2.4: Posthuma et al., 2002, S.42/49). Ebenfalls wurden weitere kontextuelle Einflussfaktoren, wie Interviewertraining, Rechenschaftsverpflichtung und Feedback über die eignungsdiagnostische Entscheidung sowie auch persönliche Lernprozesse des Recruiters, insbesondere die Effekte von Expertise und subjektiven Entscheidungsregeln auf individuelle eignungsdiagnostische Urteils- und Entscheidungsprozesse, bisher nur unzureichend oder gar nicht im Kontext des Einstellungsinterviews untersucht. Auch das persönliche Involvement des Recruiters als relevanter Einflussfaktor auf seinen Entscheidungsmodus wurde in diesem Kontext bisher in der empirischen Forschung vernachlässigt. Die bisher veröffentlichten Studien konzentrieren sich weiterhin primär auf spezifische Aspekte, die isoliert untersucht wurden. Deshalb soll in der vorliegenden Studie ein kausales Modell entwickelt und empirisch überprüft werden, welches die Determinanten der individuellen Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern möglichst vollständig identifiziert und die kausalen Mechanismen analytischer eignungsdiagnostischer Informationsverarbeitungsprozesse ebenso vollständig erklärt. Ein besonderes Augenmerk soll in dieser Untersuchung deshalb auf die mediierenden Variablen und Prozesse gelegt werden. Ziel der Arbeit ist es, die Determinanten analytisch geprägter Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern zu identifizieren, um daraus später Ansätze zur Optimierung eignungsdiagnostischer Entscheidungen ableiten zu können, sowohl in der Person des Recruiters selbst, als auch in den organisationalen Rahmenbedingungen seiner eignungsdiagnostischen Tätigkeit. 69 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die forschungsleitenden Fragen lassen sich wie folgt formulieren: Welchen kausalen Einfluss haben o o o die persönlichen Lernprozesse des Recruiters: Expertise subjektive Entscheidungsregeln Anwendung von Schemata die motivationalen Faktoren des persönlichen Involvements des Recruiters: Verantwortlichkeitsgefühl Kenntnis des Anforderungsprofils sowie die kontextuellen Faktoren organisationaler Rahmenbedingungen des Unternehmens: Strukturiertheit des Interviews Konkretheit des Anforderungsprofils Rechenschaftsverpflichtung Systematik des Feedbacks auf die individuelle analytische Ausprägung des Urteils- und Entscheidungsprozesses eines Recruiters? Im Gesamtmodell der vorliegenden Arbeit werden deshalb, wie auch schon in Kapitel 5.2 zusammengefasst, als kontextuelle Einflussvariablen die organisationalen Rahmen- bedingungen: - Strukturiertheit des Interviews - Konkretheit des Anforderungsprofils - Rechenschaftsverpflichtung - Systematik des Feedbacks sowie die auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters beruhende Variable: - Expertise und die motivationalen Variablen des persönlichen Involvements: - Verantwortlichkeitsgefühl - Kenntnis des Anforderungsprofils als Determinanten für einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen. 70 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Ebenfalls werden die Variablen des persönlichen Involvements: - Verantwortlichkeitsgefühl - Kenntnis des Anforderungsprofils als Mediatoren zwischen einzelnen organisationalen Rahmenbedingungen sowie persönlichen Lernprozessen und einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen. Weiterhin werden die auf persönlichen Lernprozessen des Recruiters beruhenden Variablen: - subjektive Entscheidungsregeln - Anwendung heuristischer Schemata als Determinanten für einen wenig analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters angenommen, da die Variable als kontinuierliche Skala operationalisiert wird. Als zusätzliche Outcome-Variable wird die wahrgenommene Entscheidungsdissonanz des Recruiters berücksichtigt, hier wird ein negativer Zusammenhang mit der Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses postuliert. Im Folgenden werden nun alle postulierten und im Strukturgleichungsmodell empirisch zu prüfenden Hypothesen ausformuliert: Themenfeld 1: Die persönlichen Lernprozesse des Recruiters Direkte Effekte: - Hypothese 1.1: Die eignungsdiagnostische Expertise des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 1.2: Die subjektiven Entscheidungsregeln des Recruiters wirken negativ auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 1.3: Die Anwendung von Schemata des Recruiters wirkt negativ auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. Mediierende Zusammenhänge: - Hypothese 1.4: Die subjektiven Entscheidungsregeln des Recruiters mediieren den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. 71 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - Hypothese 1.5: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. - Hypothese 1.6: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den negativen Effekt subjektiver Entscheidungsregeln auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Themenfeld 2: Organisationale Rahmenbedingungen Direkte Zusammenhänge: - Hypothese 2.1: Die Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 2.2: Systematisches Feedback über die Qualität der Einstellungsentscheidung wirkt positiv auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. - Hypothese 2.3: Die Strukturiertheit des Interviews wirkt positiv auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. - Hypothese 2.4: Die Konkretheit des Anforderungsprofils wirkt positiv auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. Mediierende Zusammenhänge: - Hypothese 2.5: Die Anwendung von Schemata mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. - Hypothese 2.6: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. - Hypothese 2.7: Die Konkretheit des Anforderungsprofils mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters positiv. 72 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Themenfeld 3: Das persönliche Involvement des Recruiters Direkte Zusammenhänge: - Hypothese 3.1: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 3.2: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. Mediierende Zusammenhänge: - Hypothese 3.3: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.4: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters auf die Analytik seines Urteilsund Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.5: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt des systematischen Feedbacks über die Qualität der Einstellungsentscheidung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.6: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.7: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.8: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt des systematischen Feedbacks über die Qualität der Einstellungsentscheidung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.9: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. - Hypothese 3.10: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Konkretheit des Anforderungsprofils auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. 73 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - Hypothese 3.11: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Themenfeld 4: Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses als Prädiktor für Entscheidungssicherheit bzw. geringe Entscheidungsdissonanz Direkte Zusammenhänge: - Hypothese 4.1: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. - Hypothese 4.2: Die eignungsdiagnostische Expertise des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. - Hypothese 4.3: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. Mediierende Zusammenhänge: - Hypothese 4.4: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters mediiert den negativen Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz positiv. (s. direkter Effekt, Hypothese 1.1) - Hypothese 4.5: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters mediiert den negativen Effekt seines Verantwortlichkeitsgefühls auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz positiv. (s. direkter Effekt, Hypothese 3.1) Ebenfalls werden die Hypothesen tabellarisch übersichtlich zusammengefasst66. 66 Bei den mediierenden Zusammenhängen sind dabei zur leichteren Übersicht nur die unabhängige und intervenierende Variable dargestellt. Die abhängige Variable ist in allen Fällen, außer bei Themenfeld 4, die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses. Bei Themenfeld 4 ist es die Entscheidungsdissonanz. 74 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 1: Zusammenfassung der Hypothesen AV/IV UV Richtung Hypothese Ana <--- Exp Pos. 1.1 Ana <--- subjE Neg. 1.2 Ana <--- Sche Neg. 1.3 subjE <--- Exp Neg. 1.4 Sche <--- Exp Neg. 1.5 Sche <--- subjE Pos. 1.6 Ana <--- Rech Pos. 2.1 Ana <--- SysF Pos. 2.2 Ana <--- StrI Pos. 2.3 Ana <--- KoA Pos. 2.4 Sche <--- Rech Neg. 2.5 Sche <--- StrI Neg. 2.6 KoA <--- StrI Pos. 2.7 Ana <--- Ver Pos. 3.1 Ana <--- KeA Pos. 3.2 Ver <--- Exp Pos. 3.3 Ver <--- Rech Pos. 3.4 Ver <--- SysF Pos. 3.5 Ver <--- StrI Pos. 3.6 KeA <--- Exp Pos. 3.7 KeA <--- SysF Pos. 3.8 KeA <--- StrI Pos. 3.9 KeA <--- KoA Pos. 3.10 KeA <--- Rech Pos. 3.11 Diss <--- Ana Neg. 4.1 Diss <--- Exp Neg. 4.2 Diss <--- Ver Neg. 4.3 Ana <--- Exp Pos. 4.4 Ana <--- Ver Pos. 4.5 Anm.: Darstellung der Wirkungsbeziehungen mit Variablenlabel, Wirkungsrichtung und jeweils zugehörigen Hypothese; Um den kausalen Effekt organisationaler Rahmenbedingungen auch experimentell zu überprüfen, wird im Anschluss an die Strukturgleichungsmodellierung ebenfalls ein einfaktorieller Versuchsplan konstruiert. Hierbei werden die Variablen Konkretheit des Anforderungsprofils sowie Rechenschaftsverpflichtung experimentell manipuliert und deren Wirkungseffekt hinsichtlich der analytischen Ausprägung des Recruiters bei einer fiktiven eignungsdiagnostischen Beurteilung und Entscheidung zwischen den Experimentalgruppen verglichen (Kapitel 6.3). 75 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2.2 Konstruktoperationalisierung: Formulierung reflektiver Mess-Indikatoren Als latente Variablen für die vorliegende Untersuchung gelten für das - Themenfeld 1: Persönliche Lernprozesse o Eingeschätzte Expertise, Subjektive Entscheidungsregeln, Anwendung von Schemata; - Themenfeld 2: Organisationale Rahmenbedingungen o Rechenschaftsverpflichtung, Systematik des Feedbacks, Strukturiertheit des Interviews, Konkretheit des Anforderungsprofils; - Themenfeld 3: Persönliches Involvement o - Verantwortlichkeitsgefühl, Konkrete Kenntnis des Anforderungsprofils; Themenfeld 4: Analytik und Entscheidungsdissonanz o Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses, Entscheidungsdissonanz; Somit müssen 11 latente Variablen in Form reflektiver Mess-Indikatoren operationalisiert werden. Die Itemformulierung orientiert sich dabei an der Methodik der klassischen Testkonstruktion (Moosbrugger & Kevala, 2008, S.27-70) sowie an den Empfehlungen Weibers & Mühlhaus (2010, S.85-102) zur Operationalisierung reflektiver Mess-Modelle. Inhaltlich werden die in Kapitel 5.1 formulierten Charakteristika zur Operationalisierung der Entscheidungsmodi und des persönlichen Involvements sowie die theoretischen Grundlagen in Kapitel 2.3 zur Operationalisierung der organisationalen Rahmenbedingungen sowie jene in Kapitel 3 und 4 zur Operationalisierung der persönlichen Lernprozesse des Recruiters genutzt. Weiterhin wurden im Rahmen einer Vorstudie, die primär zur Abgrenzung der Fragestellungen sowie zur Hypothesenformulierung diente, insgesamt 22 teilstrukturierte Interviews mit praktisch tätigen Recruitern geführt. Die qualitative Auswertung dieser Interviews lieferte dabei ebenfalls Anhaltspunkte, die zur Konstruktoperationalisierung und Itemformulierung genutzt werden konnten67. Im Hinblick auf zukünftige Reliabilitäts- und Validitätsberechnungen werden grundsätzlich multiple Items pro latenter Variable formuliert. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Anzahl der Mess-Indikatoren bzw. Items pro Variable, ebenfalls werden je zwei BeispielItems vorgestellt. Die gesamte inhaltliche Übersicht über alle Items je Variable befindet sich in Anhang 2. 67 Übersicht und Ergebnisse der Vorstudie siehe externer Anhang 76 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 2: Konstruktoperationalisierung Latente Variable Label Zahl Beispiel-Items Eignungsdiagnostische Expertise Exp 4 v_11: Ich beschreibe mich als eignungsdiagnostisch sehr erfahren. v_12: Ich bin ein eignungsdiagnostischer Experte. Subjektive Entscheidungsregeln subjE 6 Zu Beginn meiner Tätigkeit als Recruiter/in... v_40: habe ich im Rahmen der Einarbeitung bewährte Entscheidungsregeln erlernt, und diese für meine eignungsdiagnostischen Entscheidungen übernommen. v_42: musste ich völlig selbstständig ein Gefühl dafür entwickeln, wie der „geeignete“ Mitarbeiter sein soll. Anwendung von Schemata Sche 13 In Bewerbungsgesprächen... v_43: kann ich den Typ eines Bewerbers schnell kategorisieren. v_46: hilft mir meine Erfahrung dabei, den Bewerber richtig einzuschätzen. Rechenschaftsverpflichtung Rech 5 v_105: Ich muss meine eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen gegenüber Kollegen, Vorgesetzten oder Auftraggebern differenziert begründen können. v_109: Ich muss meine Entscheidungen „eingestellt“ oder „abgelehnt“ vor niemandem begründen. Systematik des Feedbacks SysF 5 Feedback über die Qualität meiner eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen erhalte ich in der Regel durch... v_102: die Ergebnisse von standardisierten Mitarbeiterbeurteilungen oder Mitarbeitergesprächen. v_103: die systematische Evaluation der Einstellungsentscheidungen. Strukturiertheit des Interviews StrI 5 Das Bewerbungsgespräch beinhaltet in der Regel... v_93: den standardisierten Einsatz eines Interviewleitfadens. v_94: standardisierte anforderungsbezogene Fragen. Konkretheit des Anforderungsprofils KoA 6 Das Anforderungsprofil für eine bestimmte Stelle ist in der Regel...formuliert. v_69: abstrakt v_72: detailliert Verantwortlichkeitsgefühl Ver 6 v_56: Ich fühle mich verpflichtet, stets eine fachkompetente und differenzierte eignungsdiagnostische Entscheidung zu treffen. v_58: Ich fühle mich verantwortlich für den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg eines Bewerbers auf einer bestimmten Stelle. Kenntnis des Anforderungsprofils KeA 5 Über das offizielle Anforderungsprofil hinaus... v_63: schaue ich mir den Arbeitsalltag immer gezielt vor Ort an, um die konkreten Anforderungen wirklich zu kennen. v_65: kann ich die relevanten Arbeitsabläufe und konkreten Tätigkeiten bei einer Stelle ganz genau beschreiben. Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses Ana 19 In Bewerbungsgesprächen... v_119: teste ich alle relevanten Anforderungen durch gezieltes Fragen systematisch ab. v_124: wäge ich systematisch alle relevanten Aspekte in einem Für und Wider ab, um eine Entscheidung treffen zu können. Entscheidungsdissonanz Diss 4 Nach einer eignungsdiagnostischen Entscheidung... v_138: bin ich grundsätzlich sicher, die richtigen Ableitungen und Entscheidungen getroffen zu haben. v_139: bin ich mir häufig unsicher, ob meine Einschätzungen und Entscheidungen tatsächlich richtig waren. Anm.: Darstellung von je 2 Beispiel-Items für jede latente Variable, außerdem Variablenlabel und Gesamtzahl der Items pro Skala; 77 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die Operationalisierung der Variablen beinhaltet durchgängig Selbsteinschätzungen der befragten Recruiter. Somit ist auch die Variable Expertise kein objektiver, sondern ein subjektiver Indikator für die tatsächliche Expertise des befragten Recruiters. Für die Variable Expertise werden deshalb bei der Ergebnisinterpretation auch Zusammenhänge mit den abhängigen Variablen Analytik und Entscheidungsdissonanz, aber auch Zusammenhänge mit demografischen Variablen wie praktische eignungsdiagnostische Erfahrung in Jahren sowie Weiterbildung genauer betrachtet, um echte Expertise genauer von intuitiver Selbstüberschätzung bzw. nicht-evaluierter Routine differenzieren zu können (Kapitel 6.4 und 6.5). Ziel der vorliegenden Arbeit ist es dabei allerdings nicht, das objektive End-Kriterium Expertise bzw. Entscheidungsvalidität zu messen, sondern die intervenierenden Variablen mit deren kausalen Mechanismen zu erklären. Alle Variablen werden dabei ausschließlich anonym erhoben, um den Einfluss sozialer Erwünschtheit in diesem Zusammenhang möglichst zu minimieren. Als Mess-Skalierung wurde eine sechs-stufige Likert-Skala68 gewählt. Damit ist die metrische Skalierung der Messwerte als Voraussetzung für die Berechnung von Strukturgleichungsmodellen gewährleistet. Die Items sind sowohl positiv als auch negativ formuliert, daher werden sie für nachfolgende Analysen umkodiert69. 6.2.3 Untersuchungsaufbau und Datenerhebung Die zur Prüfung des theoretischen Rahmenmodells benötigten empirischen Daten wurden mithilfe eines vollständig anonymen Fragebogens erhoben, der über Unipark ausschließlich online bearbeitet werden konnte. Der Fragebogen wurde dabei von der Autorin in Unipark mit der Befragungssoftware EFS-Survey programmiert und enthält alle oben entwickelten Items. Um nach dem Einsatz der entwickelten Mess-Skalen den kausalen Effekt zusätzlich auch experimentell überprüfen zu können, wurde im Anschluss an den Fragebogen eine fiktive Fallstudie mit experimentalem Charakter integriert. Auch diese wurde in EFS-Survey erstellt. Die Fallstudie enthält zwei randomisiert dargebotene Bedingungen, unter denen der Teilnehmer die Eignung einer Bewerberin für die Stelle Trainee HRM in einem international tätigen Konzern anhand eines Gesprächsprotokolls beurteilen und eine Einstellungs- 68 69 1: „trifft voll zu“ bis 6: „trifft überhaupt nicht zu“ immer nach demselben Schema: v_10 wurde umkodiert in u_10 usw. 78 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ entscheidung treffen muss. Auch das Gesprächsprotokoll bzw. die daraus abgeleitete eingeschätzte eignungsdiagnostische Kompetenz der Kollegin Frau Meier, die das Bewerbungsgespräch mit der Bewerberin Frau Mustermann stellvertretend geführt hat, soll zusätzlich beurteilt werden (abhängige Variablen: Analytik der Beurteilung sowie Analytik der Entscheidung). Als Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage für die Einstellungsentscheidung dient jeweils das Anforderungsprofil für die Stelle Trainee HRM, welches entsprechend der Bedingung A oder B hinsichtlich der organisationalen Rahmenbedingungen Rechenschaftsverpflichtung und Konkretheit des Anforderungsprofils variiert wird. Der genaue Versuchsaufbau ist in Kapitel 6.3 dargestellt, ebenfalls kann die gesamte OnlineErhebung anhand der Screenshots in Anhang 1 nachvollzogen werden. Folglich bestand die Online-Erhebung aus zwei Teilen, aus dem Fragebogen Determinanten von analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen bei Recruitern in Einstellungsinterviews und der Fallstudie, und war strukturell wie folgt aufgebaut: Startseite: Herzlich Willkommen! Demografischer Teil Fallstudie: Instruktion Bedingung A Bedingung B Skalen zu Lernprozessen Gesprächsprotokoll Skalen zu Involvement Skalen zu Analytik der Skalen zu organisationalen Beurteilung & Entscheidung Rahmenbedingungen Endseite Skala zu Analytik Skala zu Entscheidungsdissonanz Abbildung 1: Übersicht über die Struktur der Online-Erhebung Die sechs-stufige Zustimmungsskala wurde für alle Items in beiden Erhebungsteilen durchgängig verwendet, damit ein einheitliches Antwortformat gewährleistet werden konnte. 79 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die gesamten Antwortmatrizen für die einzelnen Items wurden als Pflichtfelder gestaltet, wodurch die Daten vollständig erhoben werden konnten. Auf jeder Fragebogenseite war ein Weiter-Button eingefügt, der nur bei vollständiger Beantwortung der Items funktionierte, bei unvollständiger Bearbeitung wurde der Teilnehmer darauf hingewiesen. Die Zurück-Option wurde nicht angeboten. Bei Abbruch der Bearbeitung war es möglich, die Bearbeitung zu einem späteren Zeitpunkt von derselben IP-Adresse fortzusetzen. Die Objektivität der Datenerhebung ist daher durch den hohen Grad ihrer Standardisierung gegeben. Der Fragebogen war vom 27.01.2012 bis 02.05.2012 zur Bearbeitung frei geschaltet. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit der beiden Fragebogenteile Determinanten von analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen bei Recruitern in Einstellungsinterviews und Fallstudie betrug insgesamt 20-23 Minuten. Obwohl der Fragebogen 667 Mal aufgerufen wurde, setzten nur 528 Teilnehmer die Bearbeitung fort, von denen wiederum nur 219 die Bearbeitung absolut vollständig mit beiden Fragebogenteilen abschlossen. Den ersten Fragebogenteil schlossen immerhin 273 Teilnehmer ab. Dies ist eine gute Voraussetzung für das geplante 70 Strukturgleichungsmodell . Rekrutiert wurden die Teilnehmer deutschlandweit persönlich von der Autorin primär per Telefon, aber auch ohne vorherigen Anruf per E-Mail und Ansprache in Online-Netzwerken (vor allem www.xing.de). Die Akquise-E-Mails enthielten grundsätzlich einen kurzen Überblick über die Zielgruppe und das Thema der Studie sowie einen Hyperlink zur Startseite der Online-Studie71. Zielgruppe waren Recruiter, die in ihrer Kerntätigkeit eignungsdiagnostische Entscheidungen treffen und regelmäßig Einstellungsinterviews mit Bewerbern führen. Dies können sowohl Personalreferenten, Personal- oder Ausbildungsleiter, Mitarbeiter des Recruitingteams oder Personalmanagements, aber auch Personalberater oder Consultants sein, die Unternehmen extern bei diversen Personalauswahlprozessen unterstützen. 70 71 zur Übersicht über die Statistik der Datenerhebung siehe externer Anhang zur Einsicht der Akquise-E-Mails siehe externer Anhang 80 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Für die telefonische Kontaktaufnahme oder Anfrage per E-Mail dienten vor allem die Kontaktdaten aus Stellenanzeigen, von Karriere-Webseiten sowie Kontakt-Webseiten einzelner Niederlassungen großer Personaldienstleister. Über www.xing.de wurden weiterhin gezielt diejenigen Mitglieder angeschrieben, die in ihrem persönlichen Profil als Tätigkeit „Personalreferent“, „Consultant“, „Personalleiter“, „HR“, „Recruiter“, „Personalauswahl“ oder ähnliches angegeben hatten. Ebenfalls wurden Aufrufe zur Teilnahme an der Studie in den Gruppen „Arbeits- und Organisationspsychologie“, „HRHuman Resources“, „Personal“, „Personalbeschaffung“, „Employee Selection“ und „Berufliche Eignungsdiagnostik“ veröffentlicht. Somit kann die Stichprobe als populationsvalide gelten. 6.2.4 Stichprobe Es nahmen insgesamt 272 Personen72 an der Studie teil, die den ersten Teil des OnlineFragebogens vollständig beantworteten. 219 Personen beantworteten auch das Fallbeispiel absolut vollständig. Geschlecht und Alter Von den Befragten sind 84 männlich (30,9%) und 188 weiblich (69,1%). Die Altersverteilung liegt zwischen 22 und 62 Jahren (MW = 32,36 Jahre, SD = 9,2 Jahre), wobei die Altersgruppe 30-40 Jahre am stärksten vertreten ist (45,5%). Berufsqualifikation Die Verteilung der Berufsqualifikation zeigt eine größtenteils akademisch ausgebildete Stichprobe, 215 Personen (79%) haben ein Studium abgeschlossen, 53 Personen (19,5%) haben eine Berufsausbildung abgeschlossen. Drei weitere Personen haben eine Promotion (1,1%), eine weitere Person hat eine Habilitation (0,4%) abgeschlossen. Fachrichtung des qualifizierenden Studiums Die dominante Fachrichtung des qualifizierenden Studiums sind Wirtschaftswissenschaften (41,2%), danach folgen Psychologie (13,2%) sowie Sozialwissenschaften (7,7%). Nur gering vertreten sind Rechtswissenschaften (4,8%) und Erziehungswissenschaften (4,4%). 72 1 Teilnehmer wurde ausgeschlossen, siehe Kapitel 6.2.5 81 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 16,2% der Befragten haben die Fachrichtung ihres Studiums nicht angegeben, 12,5% wählten „Sonstiges“. Hierunter zeigte sich die Fachrichtung Verwaltungswissenschaften (8 Nennungen) neben diversen Einzelnennungen dominant. Abbildung 2: Balkendiagramm – Übersicht über die Fachrichtung des berufsqualifizierenden Studiums der befragten Recruiter Recruitingstatus als interne Personalfachkraft vs. externer Personaldienstleister Die Mehrzahl der Teilnehmer (163 Personen bzw. 59,9%) sind als angestellte Personalfachkraft in einem Unternehmen tätig, 79 Personen (29%) sind hingegen als externe Personaldienstleister für verschiedene Unternehmen tätig. 14 Personen (5,1%) führen als Fachvorgesetzte regelmäßig Einstellungsinterviews. Zielgruppe der Einstellungsinterviews 74,6% aller Befragten führen regelmäßig Einstellungsinterviews mit Fachkräften. 48,5% der befragten Recruiter zählen auch Führungskräfte sowie Hochschulabsolventen (48,2% der Recruiter) zu ihren primären Zielgruppen. Nur 26,5% der Recruiter führen vor allem mit Schulabsolventen oder Praktikanten (16,5% der Recruiter) Einstellungsinterviews. 82 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Praktische Erfahrung und Unternehmenszugehörigkeit Recht äquivalent zeigen sich die angegebene praktische Erfahrung in der Durchführung von Einstellungsinterviews (MW=7,57 Jahre) und die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit (MW=7,29 Jahre) der Recruiter. Dabei besitzt die Mehrzahl der Stichprobe 1-8 Jahre (68 kum.%) praktische Erfahrung in der Durchführung von Einstellungsinterviews. Auch die Unternehmenszugehörigkeit beläuft sich im Schwerpunkt auf 1-8 Jahre (70,3 kum.%). Anteil Einstellungsinterviews 32,7% der Befragten schätzen den Anteil an durchgeführten Einstellungsinterviews innerhalb ihrer Tätigkeit mit 20-40% ein, 28,3% sogar mit 40-60%. Dagegen verbringen aber auch 22,1% der Teilnehmer weniger als 20% ihrer Arbeitszeit mit Einstellungsinterviews. Die Minderheit der Teilnehmer führen als Kerntätigkeit Einstellungsinterviews (11% der Befragten schätzen den Anteil 60-80% ein, 5,9% noch höher). Abbildung 3: Balkendiagramm – Übersicht über den Anteil an Einstellungsinterviews innerhalb der beruflichen Tätigkeit der befragten Recruiter Unternehmensgröße Die Unternehmensgröße der befragten Recruiter zeigt Abbildung 4. Sowohl kleine (< 50 MA: 23,5%) als auch große Unternehmen (> 2000 MA: 24,3%) sind ausgeglichen vertreten. 83 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Abbildung 4: Balkendiagramm – Übersicht über die in der vorliegenden Stichprobe vertretenen Unternehmensgrößen Unternehmensbranche Der Schwerpunkt der Stichprobe bezogen auf die Unternehmensbranchen liegt im beratenden bzw. dienstleistenden Sektor. Die Branche Personaldienstleistung (22,8%) ist am stärksten vertreten. Danach folgen die Branchen der Industrie (16,5%), Finanzen & Versicherungen (12,5%), Dienstleistungen im Allgemeinen (9,6%), Automobil (6,3%) und Unternehmensberatungen (6,3%). 84 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Abbildung 5: Balkendiagramm – Übersicht über die in der vorliegenden Stichprobe vertretenen Unternehmensbranchen Häufigkeit der eignungsdiagnostischen Weiterbildung Die Mehrzahl der befragten Teilnehmer (47,1%) hat bereits 1-3 Mal an eignungsdiagnostischen Weiterbildungen teilgenommen, während 23,9% der Recruiter noch an keinen Weiterbildungen teilgenommen haben. 15,4% der Recruiter haben schon mehr als 5 Mal an solchen Schulungen teilgenommen. 85 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Abbildung 6: Balkendiagramm – Übersicht über die Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung der befragten Recruiter Eingeschätzter eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf Der eingeschätzte eignungsdiagnostische Weiterbildungsbedarf zeigt sich recht normalverteilt. So schätzen die meisten Recruiter (45,2%) ihren individuellen Bedarf als „mittel“ ein. 26,5% schätzen ihn als „hoch“ und 21% als „gering“ ein. Abbildung 7: Balkendiagramm – Übersicht über den persönlichen eignungsdiagnostischen Weiterbildungsbedarf der befragten Recruiter 86 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2.5 Vorbereitung des Datensatzes, Prüfung der multivariaten Verteilungsannahme Bevor die Güteprüfung und Modellschätzung vorgenommen wird, sollte der Datensatz hinsichtlich fehlender Werte, univariater und multivariater Ausreißer und verschiedener Verteilungsannahmen vorbereitet werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.141; vgl. auch Field, 2009). In dem für diese Untersuchung genutzten Datensatz wurden diejenigen Teilnehmer eliminiert, die fehlende Werte in den Items v_1 – v_140 aufwiesen, da diese im Strukturgleichungsmodell benötigt werden und deshalb vollständig vorliegen müssen. Somit lag ein Ausgangsdatensatz mit 273 vollständigen Datensätzen vor73. Die Identifikation von univariaten Ausreißern erfolgte mit Hilfe eines Box-Plots. Ein Teilnehmer wurde dabei nach der Reliabilitätsanalyse ausgeschlossen, so dass der Datensatz im weiteren Verlauf 272 Teilnehmer enthält74. Anhand der Mahalanobis-Distanz wurden im Laufe der Berechnungen in AMOS 19 auch multivariate Ausreißer identifiziert. Da sich die Anpassungsgüte des Modells aber verschlechtert, wenn diejenigen Datensätze ausgeschlossen werden, die mit einem Signifikanzniveau von <.05 als Ausreißer identifiziert werden, wurden innerhalb der Strukturgleichungsmodellierung keine weiteren Ausreißer eliminiert. Ebenfalls wurde mit einer konfirmatorischen Faktorenanalyse, in der nur ein Faktor extrahiert wurde, im Vorhinein das Problem des common-method-Effektes (Harman’s single-factor test, vgl. Podsakoff et al., 2003; siehe auch Kapitel 6.2.9) ausgeschlossen75. Auch die Multikollinearität der unabhängigen Variablen wurde mit der Überprüfung des Variable Inflation Factor (VIF) (vgl. Field, 2009) ausgeschlossen. Dafür wurde jede UV als AV in eine multiple Regressionsanalyse eingegeben, alle anderen Variablen dienten als UV. So wurden insgesamt neun Regressionsanalysen berechnet, in denen die VIF`s aller aufgenommenen Variablen <376 waren und Multikollinearität damit ausgeschlossen werden konnte77. 73 Datensätze siehe externer Anhang Box-Plots siehe externer Anhang, Ausschluss von lfd 588; Stichprobe wurde im vorherigen Kapitel anhand der 272 verbliebenen TN dargestellt; 75 geringe Varianzaufklärung von 15,73%, KMO:.80, Bartlett-Test auf Sphärizität p =.000 ; Ergebnisse siehe externer Anhang; 76 Tatsächlich sogar <1,5. Die Grenze für Multikollinearitätsprobleme liegt nach Field (2009) bei 3. 77 Ergebnisse siehe externer Anhang, als Berechnungsgrundlage dienten diejenigen Variablen die nach der kompletten Güteprüfung berechnet wurden; 74 87 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Da die Modellschätzung mit der Maximum-Likelihood-Methode erfolgen soll, wurde auch die Multinormalverteilungsannahme überprüft: zunächst univariat, anhand des KolmogorovSmirnoff-Tests (K.-S.-Test) sowie Schiefe- und Wölbungsmaßen; später auch multivariat, anhand Mardia`Maß im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse mit AMOS 19. Der Kolmogorov-Smirnoff-Test bestätigt nur für die Skalen Kenntnis des Anforderungsprofils sowie Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses die univariate Normalverteilungsannahme. Tabelle 3: Deskriptive Statistik und K.-S.-Test der Skalen nach kompletter Güteprüfung Skala/ latente Variable MW SD K.S.-Wert p Expertise 3.78 1.29 1.92 .001 Subjektive Entscheidungsregeln 3.10 1.21 1.55 .016 Schemata 4.32 .88 1.92 .001 Rechenschaftsverpflichtung 4.17 1.31 1.93 .001 Systematik Feedback 3.02 1.23 1.42 .035 Strukturiertheit Interview 4.38 1.39 2.06 .000 Konkretheit Anforderungsprofil 4.35 1.14 2.58 .000 Verantwortlichkeitsgefühl 4.58 .94 2.39 .000 Kenntnis Anforderungsprofil 3.70 1.09 1.19 .118 Analytik Urteils- Entscheidungsprozess 4.55 .67 .90 .397 Entscheidungsdissonanz 2.34 .68 3.24 .000 Anm.: Darstellung des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), des K.-S.-Wertes sowie des Signifikanzniveaus p; die normalverteilten Skalen sind markiert; Allerdings weisen Weiber & Mühlhaus (2010, S.147) darauf hin, dass solch statistische Tests zur Prüfung der Normalverteilung „im Rahmen der SGA78 zu restriktiv“ erscheinen, da nur aufgrund substantieller Abweichung von der Normalverteilungsannahme tatsächlich von ihr Abstand genommen werden sollte. Ebenfalls reagiert der K.-S.-Test sehr sensitiv auf große Stichproben (Yazici & Yolacan, 2007), so auch hier mit 272 Datensätzen. Deshalb werden weiter die Schiefe- und Wölbungsmaße untersucht. Schiefe- und Wölbungsmaße sollten laut Temme & Hildebrandt (2009, S.16679) beitragsmäßig nicht >1 sein. Für West et al. (1994, S.7480) hingegen gelten Werte beitragsmäßig >2 für die Schiefe und >7 für die Wölbung erst als substantielle Abweichung von einer Normalverteilung. 78 Strukturgleichungsmodellierung, Anmerkung d. Autorin; aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.146; 80 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.146; 79 88 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Somit kann die univariate Normalverteilungsannahme für die untersuchten Skalen bestätigt werden, lediglich die Skalen Verantwortlichkeitsgefühl81 und Entscheidungsdissonanz82 zeigen leichte Verletzungen, die aber nicht als substantiell zu bewerten sind83. Mardia`Maß misst die multivariate Normalverteilung der Skalen, welche bei einem Wert signifikant von 0 verschieden und C.R.< 1.96 bzw. < 2.5784 als gegeben betrachtet werden kann (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.148). Auch bezogen auf Mardia`Maß85 kann für den vorliegenden Datensatz also keine nennenswerte Verletzung der multivariaten Normalverteilungsannahme festgestellt werden. Somit kann im Rahmen der Modellschätzung jene mit der Maximum-Likelihood-Methode erfolgen. Die ML-Methode ist die in der Praxis am häufigsten verwendete Schätzmethode, da sie die Berechnung von Inferenzstatistiken erlaubt sowie die präzisesten Schätzungen liefert (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.155). 6.2.6 Güteprüfung der reflektiven Mess-Modelle Weiber und Mühlhaus (2010, S.105) empfehlen die Überprüfung der Gütekriterien reflektiver Mess-Modelle zunächst anhand den Gütekriterien der ersten Generation und anschließend, mit Hilfe der konfirmatorischen Faktorenanalyse, anhand den Gütekriterien der zweiten Generation, um schließlich die endgültigen Mess-Modelle für das Strukturgleichungsmodell definieren zu können. Dieser Ablauf soll auch in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt werden. Deshalb wird sich die Güteprüfung an folgender Struktur orientieren (nach Weiber & Mühlhaus, 2010, Übersicht S.104): Gütekriterien der ersten Generation: - Reliabilitätsanalyse: o Prüfung auf Eindimensionalität, exploratorische Faktorenanalyse (EFA) je Konstrukt o Indikatorebene: Item-to-total-Korrelation, Cronbach`s Alpha ohne Item o Konstruktebene: Cronbach`s Alpha, Inter-Item-Korrelation 81 Wölbung 1,25 Wölbung 1,65 83 Ergebnisse siehe externer Anhang; als Berechnungsgrundlage dienten ebenfalls diejenigen Variablen die nach der kompletten Güteprüfung berechnet wurden; 84 strenge bzw. moderate Prüfung der Annahme 85 siehe externer Anhang - Strukturgleichungsmodellierung 82 89 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - Validitätsanalyse: o Inhalts- und Expertenvalidität o EFA über alle Konstrukte Gütekriterien der zweiten Generation – Konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA): - - Reliabilitätsanalyse CFA: o Indikatorebene: Indikatorreliabilität o Konstruktebene: Faktorreliabilität, durchschnittliche extrahierte Varianz Validitätsanalyse CFA: o Kriteriumsvalidität o Konstruktvalidität: Konvergenz-, Diskriminanzvalidität 6.2.6.1 Gütekriterien der ersten Generation Reliabilitätsanalyse 1. Prüfung auf Eindimensionalität Zunächst werden die entwickelten Skalen auf Eindimensionalität überprüft, dazu wird je Konstrukt eine exploratorische Faktorenanalyse mit SPSS 19 berechnet86. Als Extraktionsmethode wird die Hauptachsenanalyse gewählt, als Rotation wird die schiefwinklige Rotation Promax gewählt, da die Items demselben Konstrukt zugeordnet sind (vgl. Weiber & Mühlhaus, 2010, S.107). Zur Bestimmung der Dimensionalität der Faktorenstruktur wird auf das Kaiser-Kriterium zurückgegriffen, demnach diejenigen Faktoren berücksichtigt werden, deren Eigenwerte >1 sind (vgl. Kaiser, 1974, S.31ff87). Die Ergebnisse der Faktorenanalyse zeigen mit durchgängig ausreichend hohen KMOWerten88 um .70 und hoch-signifikanten Bartlett-Tests (p<.001), sowie mit der Extraktion zumeist nur eines Faktors, dass die Eindimensionalität für die Skalen größtenteils bestätigt werden kann. Tabelle 4 fasst die Ergebnisse übersichtlich zusammen. 86 Grundsätzliches Ziel der Faktorenanalyse ist es, latente Datenstrukturen durch eine neue Zuordnung der Daten auf abstraktere Komponenten zu identifizieren. Dadurch wird die Komplexität der Daten reduziert und die Interpretierbarkeit der Daten durch die Zuordnung zu Faktoren vereinfacht (vgl. Backhaus et al., 2006, S.260). 87 zitiert nach Weiber & Mühlhaus, 2010, S.107; 88 Nach Backhaus et al. (2006, S.276) wird ein Kaiser-Meyer-Olkin-Maß von >.70 als „gut“ befunden. Durch das KMO-Maß wird basierend auf der Anti-Image-Korrelationsmatrix beurteilt, ob die Ausgangsvariablen der Korrelationsmatrix für eine Faktorenanalyse geeignet sind (ebd.). Auch der Bartlett-Test auf Sphärizität misst die Eignung der Stichprobe für eine Faktorenanalyse. Nach Backhaus et al. (2006, S.274) überprüft der Bartlett-Test „die Hypothese, dass die Stichprobe aus einer Grundgesamtheit entstammt, in der die Variablen unkorreliert sind“. Voraussetzung ist Normalverteilung der Ausgangsdaten. 90 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 4: Exploratorische Faktorenanalysen zur Prüfung auf Eindimensionalität KMO p Bartlett Extrahierte Faktoren Varianzaufklärung Expertise .78 .000 1 57,98% Subjektive Entscheidungsregeln .85 .000 1 53,77% Schemata .76 .000 4 42,92% Rechenschaftsverpflichtung .74 .000 1 42,5% Systematik Feedback .64 .000 2 34,71% Strukturiertheit Interview .71 .000 1 44,4% Konkretheit Anforderungsprofil .63 .000 2 45,65% Verantwortlichkeitsgefühl .67 .000 2 42,38% Kenntnis Anforderungsprofil .72 .000 2 54,52% Analytik Urteils- Entscheidungsprozess .83 .000 4 40,06% Entscheidungsdissonanz .62 .000 1 39,45% Skala/ latente Variable Anm.: Darstellung des KMO-Maßes, des Signifikanzniveaus p für den Bartlett-Test auf Sphärizität, der extrahierten Faktoren und der jeweiligen Varianzaufklärung; Lediglich für die Skalen Schemata sowie Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses bestehen Probleme der Eindimensionalität, da jeweils 4 Faktoren extrahiert werden89. Dies soll im nächsten Schritt, der klassischen Reliabilitätsanalyse bzw. Itemselektion weiter untersucht werden. 2. Prüfung der Indikator- und Konstruktreliabilität Reflektive Indikatoren können untereinander austauschbar sein, da sie einen „gemeinsamen Kern“ (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.91) besitzen. Folglich liefert Cronbach`s Alpha (Cronbach, 1947) als Maß der Skalenhomogenität bzw. internen Skalenkonsistenz90 wichtige Hinweise auf die Indikatorenreliabilität. Nunnally`s (1978, S.245) Forderung nach Cronbach`s Alpha α >.7 besitzt hierbei breite Akzeptanz. 89 90 Ergebnisse siehe externer Anhang durchschnittliche Interkorrelation der Items einer Skala 91 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Im Rahmen der Itemselektion werden als erste Kriterien der Mittelwert, der als Indikator für die Itemschwierigkeit dienen soll, außerdem die Standardabweichung genutzt91. Wichtige Selektionskriterien sind auch die Korrelation des Items mit der Gesamtskala (auch Item-to-Total-Korrelation) sowie die Trennschärfe (auch Inter-Item-Korrelation). Die Item-to-Total-Korrelation repräsentiert die Korrelation einer Indikatorvariablen mit der Summe aller Indikatoren, die demselben Faktor zugeordnet sind (Homburg & Giering, 1996, S.8). Nach Bearden et al. (1989, S.47592) sollte diese >.5 ausfallen. Die Inter-Item-Korrelation beschreibt die durchschnittliche Korrelation aller Items eines Konstruktes. Robinson, Shaver & Wrightsman (1991, S.1393) fordern hier die Inter-Item-Korrelation >.3. Hinsichtlich der Items u_10, u_45, u_48, u_52, u_53, u_54, u_55, u_62, u_71, u_73, u_74, u_96, u_97, u_107, u_118, u_122, u_125, u_99, u_100, u_130, u_131, u_132 zeigt sich dringender Optimierungsbedarf. Wie schon oben erkannt, zeigen sich die größten Probleme innerhalb der Skalen Schemata sowie Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses. Ebenfalls scheint es für die Skala Systematik Feedback große Schwierigkeiten zu geben. Die aufgezählten Items werden somit wegen zu geringer korrigierter Item-Skala-Korrelationen sowie Inter-Item-Korrelationen für weitere Berechnungen aus den Skalen eliminiert94. Danach zeigt sich, dass fast alle konstruierten Skalen hinsichtlich ihrer internen Skalenkonsistenz als sehr geeignet beurteilt werden können. Lediglich die Skala Systematik Feedback zeigt sich weiterhin optimierungsbedürftig. Tabelle 5 gibt einen Überblick über Cronbach`s Alpha (α) vor und nach der Itemselektion. 91 Um eine möglichst große Differenzierung zu ermöglichen, soll der Mittelwert für die sechs-stufige Skala zwischen 2.5 - 4.5 liegen und die Standardabweichung >1.2 sein. 92 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.115; 93 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.115; 94 Ergebnisse siehe externer Anhang 92 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 5: Cronbach`s Alpha vor und nach Itemselektion α vor Selektion Anzahl α nach Selektion Anzahl Expertise .84 4 .85 3 Subjektive Entscheidungsregeln .87 6 .87 6 Schemata .73 13 .82 7 Rechenschaftsverpflichtung .77 5 .78 4 Systematik Feedback .11 5 .51 3 Strukturiertheit Interview .76 5 .84 3 Konkretheit Anforderungsprofil .54 6 .81 3 Verantwortlichkeitsgefühl .71 6 .71 6 Kenntnis Anforderungsprofil .75 5 .78 4 Analytik Urteils- Entscheidungsprozess .75 19 .82 13 Entscheidungsdissonanz Anm.: als Kriterium der Güteprüfung gilt α>.7 .71 4 .71 4 Skala/ latente Variable Trotz der größtenteils sehr guten Indikatorreliabilität bleiben manche Items unterhalb der geforderten Grenzen der Item-to-Total-Korrelation sowie der Inter-Item-Korrelation. Bis auf u_49 würde sich aber bei ihrer Eliminierung für kein Item eine Verbesserung hinsichtlich Cronbach`s Alpha ergeben. Deshalb sowie aus inhaltlich-konzeptionellen Gründen, werden die Items vorerst in den Mess-Skalen belassen und evtl. zu einem späteren Zeitpunkt der Reliabilitäts- und Validitätsanalyse eliminiert. Die gesamte Skala Systematik Feedback muss als kritisch beurteilt werden, evtl. muss diese später von der Berechnung ausgeschlossen werden. Tabelle 6 gibt abschließend einen Überblick über die noch kritischen Items hinsichtlich der Kriterien Item-to-Total- und Inter-Item-Korrelation. 93 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 6: Übersicht über noch kritische Items nach Itemselektion Skala/ latente Variable Schemata Verantwortlichkeitsgefühl Verantwortlichkeitsgefühl Verantwortlichkeitsgefühl Kenntnis Anforderungsprofil Systematik Feedback Systematik Feedback Systematik Feedback Analytik Urteils- Entscheidungsprozess Analytik Urteils- Entscheidungsprozess Analytik Urteils- Entscheidungsprozess Analytik Urteils- Entscheidungsprozess Entscheidungsdissonanz Item Item-toTotal Inter-Item u_49 u_58 u_59 u_61 u_64 u_101 u_102 u_103 u_116 u_117 u_121 u_129 u_140 .34 .39 .32 .31 .50 .29 .37 .33 .36 .39 .35 .34 .34 .15 .21 .14 .15 .25 .09 .14 .11 .24 .27 .29 .14 .14 Anm.: Darstellung der Korrelationskoeffizienten r; als Kriterien der Güteprüfung gelten Item-to-Total >.5, Inter-Item-Korrelation >.3; Validitätsanalyse 1. Inhalts- und Expertenvalidität Inhalts- oder auch Expertenvalidität besteht dann, wenn eine fundierte Konzeptualisierung oder Expertenbeurteilung erfolgt ist und hohe Interkorrelationen zwischen den multiplen und semantisch ähnlichen Items einer Skala vorliegen (vgl. Hildebrandt, 1984, S.4295). Obwohl für die vorliegenden Items keine Expertenbeurteilung erfolgt ist, wurden sie eng am theoretischen Hintergrund (Kapitel 1-5) sowie auf Basis der Ergebnisse der Vorstudie entwickelt, in denen eignungsdiagnostische Experten bzw. praktisch tätige Recruiter interviewt wurden96. Ebenfalls zeigen obige Reliabilitätsberechnungen ausreichend bis hohe Interkorrelationen der Items je Skala. Deshalb kann die Inhaltsvalidität als gegeben angesehen werden. 2. Exploratorische Faktorenanalyse In einer exploratorischen Faktorenanalyse über alle Skalen soll überprüft werden, ob die einzelnen Items auch faktorenanalytisch den jeweils zugehörigen Konstrukten zugeordnet werden. Als Extraktionsmethode wird die Hauptkomponentenanalyse97 gewählt, als Rotation 95 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.128; Ergebnisse siehe externer Anhang 97 Die Faktorextraktion nach der Hauptkomponentenanalyse unterstellt, „dass die Varianz einer Ausgangsvariablen vollständig durch die Extraktion von Faktoren erklärt werden kann“ (Backhaus et al., 2006, S.291). Es wird also kein Messfehler berücksichtigt, die Kommunalität von 1 wird vollständig reproduziert (ebd.) „Das Ziel der Hauptkomponentenanalyse liegt in der möglichst umfassenden Reproduktion der Datenstruktur durch möglichst wenige Faktoren“ (ebd.). 96 94 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ wird die Varimax-Rotation98 gewählt. Zur Bestimmung der Dimensionalität der Faktorenstruktur wird wie gehabt auf das Kaiser-Kriterium zurückgegriffen. Mit einem KMO-Maß von .80 und einem signifikanten Bartlett-Test (p=.000) war die Stichprobe für eine Faktorenanalyse gut geeignet. Es konnten 15 Faktoren mit einem Eigenwert >1 und einer Varianzaufklärung von 67,5% identifiziert werden99. Alle Kommunalitäten liegen oberhalb >.5, dies bedeutet, dass die Varianzaufklärung der einzelnen Items durch die jeweiligen Faktoren als gut zu bewerten ist (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.107). Eine Übersicht über die Faktorenstruktur gibt Tabelle 7100. Tabelle 7: Faktorenstruktur Faktoren Item 1 u_51 .819 u_50 .816 u_43 .724 u_44 .699 u_128 -.692 u_46 .577 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 .486 u_37 .828 u_41 .796 u_40 .769 u_39 .731 u_42 .722 u_38 .695 u_116 .697 u_115 .598 u_124 .556 u_120 .544 u_117 .535 u_119 .533 .440 u_65 .804 u_66 .743 u_64 .635 u_63 .616 98 Bei der Varimax-Rotation werden die extrahierten Faktoren orthogonal zueinander rotiert, dies bedeutet, dass die Faktoren nicht untereinander korrelieren (Backhaus et al., 2006, S.318). 99 Ergebnisse siehe externer Anhang 100 Die Faktorladungsmatrizen wurden sortiert, mit einer Unterdrückung der Faktorladungen <.40, ausgegeben, um eine schnelle Übersicht über die Faktorenstruktur zu gewährleisten. 95 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ u_11 .857 u_13 .828 u_12 .774 u_94 .873 u_93 .810 u_95 .780 u_108 .801 u_109 .781 u_106 .639 u_105 .500 u_133 .780 u_127 .763 u_126 .714 u_140 -.700 u_139 -.632 u_61 .543 u_49 -.511 u_129 .459 u_60 .728 u_58 .696 u_56 .621 u_57 .579 u_59 .431 u_70 .890 u_69 .825 u_72 .749 u_138 .751 u_137 .723 u_121 .796 u_123 .575 u_102 .721 u_103 .434 u_101 .411 u_47 .507 .564 Anm.: Rotierte Komponentenmatrix der exploratorischen Faktorenanalyse über alle Items (Hauptkomponentenanalyse, Varimax-Rotation); Darstellung der Faktorladungen; Kreuzladungen auf verschiedenen Faktoren sind jeweils markiert; Die inhaltliche Interpretation der Faktorenstruktur zeigt eine perfekte Abbildung der Skalen: - subjektive Entscheidungsregeln: Faktor 2 - Kenntnis Anforderungsprofil: Faktor 4 96 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - Expertise: Faktor 5 - Strukturiertheit Interview: Faktor 6 - Rechenschaftsverpflichtung: Faktor 7 - Konkretheit Anforderungsprofil: Faktor 11 - Systematik Feedback: Faktor 14 Faktor 1 repräsentiert die Skala Schemata, allerdings ohne u_49101, dafür wird u_128102 mit aufgeführt. Die Faktoren 3, 8 und 13 repräsentieren die verschiedenen Aspekte der Skala Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses, aber ohne das Item u_129103. Die Skala Verantwortlichkeitsgefühl wird durch Faktor 10, allerdings ohne das Item u_61104 repräsentiert. Die Skala Entscheidungsdissonanz wird schließlich durch den Faktor 12 dargestellt, allerdings ohne die Items u_139105 und u_140106. Problematisch zeigt sich die Interpretation des Faktors 9. Dort sind die bislang fehlenden Items u_49, u_61, u_129, u_139 und u_140 enthalten. Deshalb wird zum Vergleich noch eine weitere konfirmatorische Faktorenanalyse berechnet, bevor die Skalen evtl. weiter verändert werden107. Inhaltliche Abweichungen gibt es dabei kaum, die Faktorenstruktur spiegelt auch hier die jeweiligen Konstrukte treffend wieder. Allerdings kann hier die Skala Entscheidungsdissonanz (inkl. Items u_139, u_140) vollständig dem Faktor 5 zugeordnet werden, ebenfalls wird das Item u_49 vom Faktor 1 schemagetriebene Entscheidung repräsentiert. Die Items u_61 und u_129 können nicht eindeutig einem Faktor zugeordnet werden. Da sie auch oben hinsichtlich ihrer Skala-Korrelation und Trennschärfe als kritisch bewertet wurden, werden sie deshalb nun aus den Mess-Skalen ausgeschlossen. 101 „In Bewerbungsgesprächen treffe ich manchmal Schlussfolgerungen, die eher auf meine Erfahrung als auf die Äußerungen eines Bewerbers zurück zu führen sind.“ 102 „In Bewerbungsgesprächen kann ich häufig schon frühzeitig eine Entscheidung treffen.“ 103 „In Bewerbungsgesprächen kann ich meine Eindrücke nicht immer explizit begründen.“ 104 „Wenn ich ehrlich bin, gehe ich manchmal etwas nachlässig oder oberflächlich bei meinen eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen vor.“ 105 „Nach einer eignungsdiagnostischen Entscheidung bin ich mir häufig unsicher, ob meine Einschätzungen und Entscheidungen tatsächlich richtig waren. 106 „Nach einer eignungsdiagnostischen Entscheidung hat sich schon häufiger herausgestellt, dass ich mich in meiner Prognose geirrt habe.“ 107 Ergebnisse siehe externer Anhang 97 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2.6.2 Gütekriterien der zweiten Generation Reliabilitätsanalyse Die Gütekriterien der zweiten Generation werden aus den Ergebnissen der konfirmatorischen Faktorenanalyse abgeleitet. Charakteristisch für die konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA) ist, dass die Faktoren nicht wie bei der exploratorischen Faktorenanalyse aus der Datenstruktur extrahiert, sondern a priori definiert werden (vgl. Weiber & Mühlhaus, 2010, S.120). Die CFA kann auch als „Spezialfall eines kompletten Strukturgleichungsmodells“ (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.119) verstanden werden, da sich die Ablaufschritte größtenteils mit denen der Strukturgleichungsmodellierung decken. Lediglich die kausalen Elemente entfallen. Als relevante Reliabilitätskriterien zur Prüfung der Indikator- und Konstruktreliabilität innerhalb der konfirmatorischen Faktorenanalyse gelten nach Weiber & Mühlhaus (2010, S.122) die Indikatorreliabilität (Squared Multiple Correlation = SMC), die Faktorreliabilität oder auch Composite Reliability (CR) und die durchschnittliche je Faktor extrahierte Varianz (DEV), auch Average Variance Extracted (AVE) genannt. Die Indikatorreliabilität (SMC), oder auch Faktorladung, „gibt den Anteil der Varianz eines Indikators an, der durch das Konstrukt erklärt wird“ (ebd.). Sie sollte mindestens .4 betragen (Homburg & Giering, 1996, S.16108). Die Faktorreliabilität oder auch Composite Reliability (CR) entspricht analog zu Cronbach`s Alpha der Indikatorreliabilität auf Konstruktebene und sollte >.6 ausfallen (Bagozzi & Yi, 1988, S. 80109). Die DEV oder AVE zeigt schließlich, „wie viel Prozent der Streuung des latenten Konstruktes über die Indikatoren durchschnittlich erklärt wird“ (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.123). Die AVE zeigt also, wie gut eine latente Variable durch alle ihr zugeordneten Indikatoren gemessen werden kann. Das Fornell-Larcker-Kriterium (1981, S.45f) fordert dabei die AVE >.5. Validitätsanalyse Validitätskriterien überprüfen die konzeptionelle Gültigkeit der Messung für das zu erhebende Konstrukt. Grundsätzlich wird dabei zwischen Inhalts-, Kriteriums- und Konstruktvalidität unterschieden (vgl. Bortz & Döring, 2006, S.200). 108 109 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.122; aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.123; 98 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Inhalts- oder auch Expertenvalidität besteht dann, wenn eine fundierte Konzeptualisierung oder Expertenbeurteilung erfolgt ist und hohe Interkorrelationen zwischen den multiplen und semantisch ähnlichen Items einer Skala vorliegen (vgl. Hildebrandt, 1984, S.42110). Dies kann für die vorliegende Untersuchung bestätigt werden (siehe Abschnitt oben). Die Überprüfung der Kriteriumsvalidität kann nur mit Hilfe eines validen Außenkriteriums erfolgen. Diese wurden in der vorliegenden Untersuchung nicht erhoben, da es sich auch bei den Außenkriterien um latente Konstrukte handelt, die wiederum operationalisiert werden müssten. Die Konstruktvalidität hingegen liegt vor, wenn die Messung ohne systematische Fehler erfolgt ist. Sie kann durch Konvergenz- und Diskriminanzvalidität überprüft werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.131). Konvergenzvalidität untersucht dabei die Zusammenhänge zwischen Indikatoren und Konstrukten, die Diskriminanzvalidität hingegen die Trennschärfe zwischen den Konstrukten. Dies bedeutet, dass sich die Indikatoren verschiedener Konstrukte signifikant voneinander unterscheiden und jeweils zum zugeordneten Konstrukt die stärkste Relation aufweisen müssen. Auf die Konvergenzvalidität kann durch das Fornell-Larcker-Kriterium geschlossen werden, wenn die AVE >.5 ausfällt (ebd.). Die Diskriminanzvalidität wird sowohl durch die Ergebnisse einer exploratorischen Faktorenanalyse über alle Konstrukte angezeigt111, als auch durch das Verhältnis zwischen AVE und den quadrierten Korrelationen anderer Faktoren. Die AVE muss dabei größer sein als die quadrierte Korrelation desselben Faktors mit einem anderen Faktor (Fornell & Larcker, 1981, S.46). Ebenfalls liefern die Kriterien der Maximum Shared Squared Variance (MSV) sowie der Average Shared Squared Variance (ASV) wichtige Hinweise auf Diskriminanzvalidität, es gilt MSV < ASV sowie ASV < AVE (Gaskin, 2012; Hair et al., 2010). Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der CFA sowie die Güteprüfung anhand der vorgestellten Kriterien SMC >.4, CR >.6, AVE >.5, MSV < ASV und ASV < AVE dargestellt. Abbildung 8 gibt zunächst einen Überblick über das grafische Mess-Modell in AMOS 19. 110 111 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.128; Ergebnisse siehe Tabelle 7: Faktorenstruktur konnte Konstrukte eindeutig repräsentieren 99 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Abbildung 8: Grafische Darstellung CFA Anm.: Darstellung der standardisierten Pfadkoeffizienten; die nicht-beobachtbaren latenten Variablen werden als ovale Ellipsen, die beobachtbaren manifesten Indikatoren als Rechtecke, die Fehlervariablen als Kreise dargestellt; das reflektive Mess-Modell einer latenten Variablen enthält immer die operationalisierten Indikatoren mit jeweils einer Fehlervariablen (Pfade); zur Berechnung der CFA wurden alle latenten Variablen miteinander kovariiert (Doppelpfade); Tabelle 8 zeigt neben den Standardfehlern (S.E.) und Critical Ratio-Werten (C.R.), die nichtstandardisierten (b) und standardisierten Regressionsgewichte (β) sowie Faktorladungen (SMC) als Ergebnisse der CFA. Alle Pfadkoeffizienten sind dabei hochsignifikant112. Alle Standardfehler (S.E.) liegen zwischen .067-.209, ebenso sind alle Critical Ratio-Werte (C.R.) >1.96 und liefern somit einen hochsignifikanten Erklärungsbeitrag zum Mess-Modell. Allerdings liegen manche Regressionsgewichte unter .5 sowie einige Faktorladungen (SMC) <.4 und sind damit als 112 zweiseitig getestet, Signifikanzniveau von p=.001 100 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ kritisch zu bewerten. Auch hier lassen sich einige Überschneidungen zu den schon oben als kritisch identifizierten Items erkennen. Tabelle 8: Item Ergebnisse CFA Skala Pfad S.E u_11 <--- Exp u_12 <--- Exp b59 .067 u_13 <--- Exp b1 u_37 <--- subjE u_38 <--- subjE u_39 <--- subjE u_40 <--- subjE u_42 <--- subjE b5 .099 u_41 <--- subjE b6 .091 u_43 <--- Sche u_44 <--- Sche C.R. b β SMC 1 .89 .78 14.87 .99 .82 .68 .072 13.25 .96 .74 .54 b4 .111 12.72 1.42 .84 .71 b2 .103 10.09 1.04 .66 .43 b3 .111 10.95 1.21 .71 .51 1 .71 .51 11.21 1.11 .73 .53 11.26 1.02 .73 .54 1 .68 .46 .97 .63 .40 b7 .104 9.36 u_46 <--- Sche b8 .087 7.35 .64 .49 .24 u_47 <--- Sche b9 .093 6.38 .59 .42 .18 u_49 <--- Sche b11 .114 5.89 .67 .39 .15 u_50 <--- Sche b12 .126 11.49 1.45 .81 .65 u_51 <--- Sche b13 .132 12.13 1.6 .87 .76 u_56 <--- Ver 1 .83 .69 u_57 <--- Ver b28 .082 12.91 1.06 .84 .70 u_58 <--- Ver b29 .09 4.94 .45 .32 .10 u_59 <--- Ver b30 .086 4.28 .37 .28 .08 b31 .077 7.94 .61 .50 .25 1 .61 .38 u_60 <--- Ver u_63 <--- KeA u_64 <--- KeA b33 .127 7.55 .96 .56 .32 u_65 <--- KeA b34 .108 9.48 1.02 .79 .62 u_66 <--- KeA b35 .12 9.59 1.15 .81 .65 u_105 <--- Rech 1 .57 .33 u_106 <--- Rech b36 .175 7.88 1.38 .64 .41 u_108 <--- Rech b37 .2 8.96 1.79 .82 .68 u_109 <--- Rech b38 .197 8.50 1.68 .73 .53 u_101 <--- SysF b39 .192 4.8 .91 .48 .23 u_102 <--- SysF 1 .50 .25 u_103 <--- SysF 1.02 .56 .31 u_93 <--- StrI 1 .72 .52 u_94 <--- StrI b41 .088 12.89 1.14 .97 .94 b40 .201 5.1 u_95 <--- StrI b42 .073 11.78 .86 .73 .53 u_69 <--- KoA b43 .077 11.20 .86 .72 .52 101 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ u_70 <--- KoA 1 .97 .93 u_72 <--- KoA b45 .07 10.12 .71 .64 .41 u_115 <--- Ana b20 .147 6.59 .97 .54 .29 u_116 <--- Ana b14 .126 4.89 .62 .36 .13 u_117 <--- Ana b15 .102 5.47 .56 .41 .17 u_119 <--- Ana b16 .141 6.40 .91 .51 .26 u_120 <--- Ana b17 .147 6.37 .94 .51 .26 u_121 <--- Ana b18 .155 5.01 .78 .37 .14 u_123 <--- Ana b19 .146 6.08 .89 .48 .23 u_124 <--- Ana 1 .51 .26 u_126 <--- Ana b21 .209 7.71 1.62 .70 .50 u_127 <--- Ana b22 .205 7.15 1.46 .61 .38 u_128 <--- Ana b23 .176 6.75 1.19 .56 .31 u_133 <--- Ana b60 .198 7.2 1.42 .62 .38 b25 .089 8.85 .78 .66 .43 1 .84 .70 u_137 <--- Diss u_138 <--- Diss u_139 <--- Diss b26 .112 7.76 .87 .55 .30 u_140 <--- Diss b27 .102 5.62 .57 .39 .15 Anm.: Darstellung der einzelnen Faktorladungen inkl. Pfadlabel, Standardfehler der Parameterschätzung (S.E.), Critical-Ratio-Werte (C.R.), nicht-standardisierten Pfadkoeffizienten (b), standardisierten Regressionsgewichte (β) und der Faktorladung (SMC); die jeweils kritischen Items hinsichtlich β und SMC sind markiert (als Kriterien der Güteprüfung gelten: β >.5, SMC >.4); Die quadrierte Korrelationsmatrix der Mess-Skalen sowie die Gütekriterien CR, AVE, MSV und ASV wurden mit dem Excel-Tool Stats Tool Package (Gaskin, 2012) berechnet und zeigen folgende Ergebnisse: Tabelle 9: Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen Skala StrI StrI .81 Exp Exp .04 .82 subjE -.14 -.34 Sche -.11 -.09 .13 .64 Ana .39 .21 -.32 -.52 .52 Diss -.17 -.35 .20 -.08 -.24 .63 Ver .21 .39 -.43 -.18 .42 -.37 KeA .28 .27 -.03 .20 .17 -.14 .14 .70 Rech .14 .24 -.37 -.37 .60 -.11 .44 -.04 .70 SysF .14 .12 -.03 .23 -.12 -.28 .23 .58 -.14 .51 KoA .22 .18 -.19 .00 .16 -.09 .09 .25 .10 .15 subjE Sche Ana Diss Ver KeA Rech SysF KoA .73 .60 .79 Anm.: markiert sind jeweils die kritischen Faktorkorrelationen, die größer als die AVE des jeweiligen Faktors ausfallen (Diskriminanzvalidität); 102 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 10: Kriterien der Güteprüfung hinsichtlich Konvergenz- und Diskriminanzvalidität CR AVE MSV ASV StrI .85 .66 .15 .04 Exp .86 .67 .15 .06 subjE .87 .54 .18 .07 Sche .82 .41 .27 .06 Ana .81 .27 .36 .12 Diss .71 .40 .14 .05 Ver .71 .37 .20 .10 KeA .79 .49 .34 .07 Rech .79 .49 .36 .09 SysF .52 .26 .34 .06 KoA .83 .62 .06 .02 Anm.: als Kriterien der Güteprüfung gelten: CR >.6, AVE >.5, MSV < ASV und ASV < AVE; markiert sind jeweils die kritischen Werte; In der Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen wird deutlich, dass die durchschnittlich erfasste Varianz eines Faktors (AVE) nicht immer größer ist, als jede quadrierte Korrelation dieses Faktors mit einem anderen Faktor. Dies ist zwar teilweise auf inhaltslogische Zusammenhänge zurückzuführen, dennoch zeigt sich hinsichtlich der diskriminanten Validität Optimierungsbedarf. Vor allem die AVE von Analytik fällt mit .27 viel zu gering aus, sodass es hier zu einigen problematischen quadrierten Faktorkorrelationen >.27 kommt. Dies indiziert auch Optimierungsbedarf hinsichtlich der konvergenten Validität. Auch innerhalb der Skala Systematik Feedback gibt es Validitätsprobleme. Dort fällt die AVE mit .26 und – ebenso wie in Analytik – MSV > AVE aus. Ebenso zeigen sich mit CR <.6, wie auch schon oben festgestellt, zusätzlich moderate Reliabilitätsprobleme. Deshalb muss das Modell weiter modifiziert werden. Zunächst wird dafür die Modellgüte betrachtet. Auch im Rahmen der konfirmatorischen Faktorenanalyse mit AMOS 19 werden die Maße der Modellgüte ausgegeben. Damit diese schon weiter genutzt werden können, sollen sie an dieser Stelle kurz aufgegriffen bzw. aufgezählt werden, bevor sie in Kapitel 6.2.8 (Modellschätzung und Evaluation des Strukturgleichungsmodells) inhaltlich genauer erläutert werden. 103 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die Evaluation der Modellgüte bzw. Anpassung des Modells an die empirischen Daten erfolgt nach Weiber & Mühlhaus (2010, S.158) sowie Hair et al. (2010, S.654) anhand folgender wichtiger Kriterien und Cut-Off-Werte: - Inferenzstatistische Gütemaße: - o RMSEA: <.05 - .08; PCLOSE: >.05; o CMIN/DF: < 2.5 Deskriptive Goodness of Fit-Maße: o Absolut: RMR <.10 o Relativ: GFI: >.9 und AGFI: >.9 Tabelle 11 zeigt die Anpassungsgüte der berechneten CFA. Tabelle 11: Anpassungsgüte des Ausgangsmodells – CFA RMSEA .07 Anpassungsgüte des Ausgangsmodells PCLOSE CMIN/DF RMR GFI .000 2.17 .14 .69 AGFI .65 Die inferenzstatistischen Gütemaße zeigen zwar eine recht gute Anpassung des Modells an die vorliegenden Daten, allerdings ist der RMSEA-Wert nicht mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von <.05 bestätigt, wenn der PCLOSE-Wert nicht >.05 ausfällt. Auch die deskriptiven Gütemaße fordern eine Modelloptimierung. Deshalb wurden im Rahmen der CFA die von AMOS ausgegebenen Parameterschätzungen sowie Residuen und Modification Indices betrachtet, die Hinweise zur Modifikation der Modellstruktur geben. Hierbei können zwei Strategien verfolgt werden – Parameter ausschließen oder aufnehmen (vgl. Weiber & Mühlhaus, 2010, S.190). Die Vereinfachung der Modellstruktur erfolgt auf Basis der Standardfehler der Schätzung (S.E.), sowie dem Critical Ratio (C.R.)-Wert. Diese liefern Hinweise darauf, welche Items keinen Erklärungsbeitrag zum Modell liefern. Deshalb sollten Parameter mit sehr hohen Standardfehlern sowie C.R.-Werten < 1.96 aus dem Modell ausgeschlossen werden. Dies ist jedoch in der vorliegenden CFA nicht erforderlich. Die Erweiterung der Modellstruktur hingegen, erfolgt durch die Betrachtung der standardisierten Residuen sowie der Modification Indices. Hier gelten sowohl standardisierte 104 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Residuen beitragsmäßig > 2 als kritisch, als auch hohe Modification Indices (M.I.), die zu einer deutlichen Verringerung des Chi-Quadrat-Wertes führen (ebd., S.192). Unter Berücksichtigung der M.I.-Werte wurde so sukzessive ein in seiner Anpassungsgüte verbessertes Modell erstellt. Der erste Modifikationsschritt war die Aufnahme neuer Kovarianzen zwischen den Fehlervariablen sowie die Verschiebung des Items u_128 zur Skala Schemata wegen sehr hoher M.I.-Werte und einer gleichzeitig starken Verringerung des Chi-Quadrat-Wertes. Dadurch konnte der Modell-Fit deutlich verbessert werden. Der RMSEA-Wert wird nun mit einer nur sehr geringen Irrtumswahrscheinlichkeit bestätigt. Auch die deskriptiven Gütemaße zeigen eine Verbesserung. Tabelle 12: Anpassungsgüte des modifizierten Modells – CFA Anpassungsgüte des modifizierten Modells RMSEA PCLOSE CMIN/DF RMR GFI .05 .88 1.61 .13 .79 Durch diese Modellmodifikation AGFI .78 verschieben sich allerdings auch standardisierte Regressionsgewichte sowie Faktorladungen als Ergebnisse der CFA. Dies trifft insbesondere auf die Skala Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses zu, da dort ein Item hinzugekommen ist. Tabelle 13 zeigt den Vergleich der kritischen Items im Ausgangsmodell sowie modifizierten Modell bezogen auf die standardisierten Regressionskoeffizienten (β) und Faktorladungen (SMC). 105 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 13: Vergleich Ergebnisse CFA im Ausgangsmodell und modifizierten Modell Start Item Skala β Modifiziert SMC β SMC u_46 <--- Sche .49 .24 .43 .19 u_47 <--- Sche .42 .18 .38 .14 u_49 <--- Sche .39 .15 .41 .17 u_116 <--- Ana .36 .13 .48 .23 u_117 <--- Ana .41 .17 .54 .29 u_121 <--- Ana .37 .14 .41 .17 u_123 <--- Ana .48 .23 .55 .30 u_126 <--- Ana .70 .50 .46 .21 u_127 <--- Ana .61 .38 .32 .10 u_133 <--- Ana .62 .38 .29 .09 u_140 <--- Diss .39 .15 .31 .10 u_58 <--- Ver .32 .10 .28 .08 u_59 <--- Ver .28 .08 .27 .07 Anm.: Darstellung der standardisierten Regressionsgewichte (β) und Faktorladungen (SMC) als Kriterien der Güteprüfung: es gilt β >.5, SMC >.4; die jeweils kritischen Items sind markiert; Auch die Matrizen der standardisierten Residuen werden überprüft. Dort zeigen sich vor allem u_49, u_127, u_133, u_140 mit gehäuften hohen Residuen problematisch. Deshalb werden im nächsten Schritt die Items u_47, u_49, u_121, u_127, u_133, u_140, u_58 und u_59 ausgeschlossen. Dadurch verbessert sich die Anpassungsgüte des Modells abermals und kann somit als sehr gut beurteilt werden. Tabelle 14: Anpassungsgüte des weiter modifizierten Modells – CFA Anpassungsgüte des weiter modifizierten Modells RMSEA PCLOSE CMIN/DF RMR GFI AGFI .05 .93 1.57 .12 .82 .79 Ebenso zeigen auch die Faktorkorrelationsmatrix sowie die Validitätskriterien deutlich verbesserte Ergebnisse. 106 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 15: Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen im modifizierten Modell Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen Skala StrI StrI .81 Exp subjE Sche Ana Diss Ver KeA Rech SysF Exp .04 .82 subjE -.15 -.35 .72 Sche -.13 -.11 .13 .71 Ana .43 .25 -.27 -.25 .57 Diss -.19 -.34 .20 -.08 -.31 .69 Ver .22 .38 -.44 -.20 .50 -.37 .74 KeA .28 .27 -.04 .18 .28 -.15 .13 .70 Rech .13 .33 -.45 -.33 .69 -.24 .57 .06 .65 SysF .14 .12 -.05 .24 .02 -.31 .23 .58 -.04 .52 KoA .22 .18 -.20 -.02 .20 -.08 .09 .25 .13 .14 KoA .79 Anm.: markiert sind jeweils die kritischen Faktorkorrelationen, die größer als die AVE des jeweiligen Faktors ausfallen (Diskriminanzvalidität); Tabelle 16: Kriterien der Güteprüfung im modifizierten Modell hinsichtlich Konvergenz- und Diskriminanzvalidität CR AVE MSV ASV StrI .85 .66 .18 .05 Exp .86 .67 .15 .07 subjE .86 .52 .21 .07 Sche .69 .50 .11 .04 Ana .79 .32 .48 .13 Diss .72 .48 .14 .06 Ver .77 .55 .33 .12 KeA .79 .49 .33 .07 Rech .75 .43 .48 .13 SysF .52 .27 .33 .06 KoA .82 .62 .06 .03 Anm.: als Kriterien der Güteprüfung gelten: CR >.6, AVE >.5, MSV < ASV und ASV < AVE; markiert sind jeweils die kritischen Werte; Nur noch die Skalen Analytik und Systematik Feedback weisen nunmehr eine optimierbare konvergente Validität auf, da das Fornell-Larcker-Kriterium (AVE >.5) mit .32 für Analytik und .27 für Systematik Feedback nicht voll erfüllt werden konnte und somit, bezogen auf die diskriminante Validität, auch MSV minimal größer als AVE ausfällt. Dieses Defizit ist aber nicht als substantiell zu bewerten. 107 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Auch die Matrix der quadrierten Faktorkorrelationen zeigt eine deutliche Verbesserung der diskriminanten Validität Zusammenhänge der zwischen geprüften den Skalen. Variablen Es werden deutlich, primär gehäuft für inhaltslogische die Variable Rechenschaftsverpflichtung. Obwohl keine Items aus der Skala eliminiert wurden, hat sich hier die AVE durch die Modifikation anderer Skalen leicht von .49 auf .43 verschlechtert, was sich auch in knapp höheren Faktorkorrelationen mit anderen Faktoren niederschlägt. Diese sind aber möglicherweise schon auf kausale Effekte zurückzuführen, denn inhaltlich lassen sich die Items der Rechenschaftsverpflichtung eindeutig von denen anderer Faktoren abgrenzen. Abschließend wird nochmal Cronbach`s Alpha für die veränderten Skalen Schemata (α=.85), Verantwortlichkeitsgefühl (α=.75), Analytik (α=.79) und Entscheidungsdissonanz (α=.69) berechnet. Die Güteprüfung kann somit abgeschlossen werden. Als Resultat der Güteprüfung, kann insgesamt auf hinreichende Reliabilität und Validität der Mess-Modelle geschlossen werden. Somit können die Mess-Skalen bzw. Variablen nun für die weitere Berechnung einer bivariaten Korrelationsanalyse, per arithmetischem Mittel fertig gestellt werden113. 6.2.7 Bivariate Korrelationsanalyse Durch die Berechnung bivariater Korrelationen nach Pearson können schon erste Zusammenhänge zwischen den Variablen identifiziert werden. Korrelationen stellen zwar ein notwendiges Kriterium für eine Ursache-Wirkungsbeziehung dar, aber kein hinreichendes (Preacher & Hayes, 2008, S.879), da Korrelationen keine Informationen über die Richtung des kausalen Effektes geben. Jedoch geben sie Auskunft über die Kovarianz zweier Variablen. Die Korrelationsmatrix unterstützt insgesamt die Stimmigkeit der vorgenommenen Konstruktoperationalisierung. Die Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalyse sind größtenteils hypothesenkonform. Sie werden nun in Tabelle 17 dargestellt und anschließend kurz erläutert. 113 Berechnung siehe externer Anhang 108 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 17: Bivariate Korrelationsmatrix nach Pearson Korrelationsmatrix der Variablen des SGM`s Exp Exp 1.00 subjE -.31 Sche -.04 Ver .35 KeA .20 KoA .18 StrI .04 SysF .09 Rech .21 Ana .20 subjE -.31** Sche -.04 Ver Diss -.33 1.00 .11 -.35 .02 -.18 -.10 .01 -.34 -.25 .21 .11 1.00 -.13 .21 .02 -.11 .16 -.29 -.21 -.06 .35** -.35** -.13* 1.00 .13 .14 .16 .14 .38 .40 -.30 KeA .20** .02 .21** .13* 1.00 .23 .26 .41 -.03 .18 -.08 KoA .18** -.18** .02 .14* .23** 1.00 .19 .11 .12 .20 -.15 StrI .04 -.10 -.11 .16** .26** .19** 1.00 .09 .13 .39 -.10 SysF .09 .01 .16** .14* .41** .11 .09 1.00 -.08 .01 -.13 Rech .21** -.35** -.29** .38** -.03 .12 .13* -.08 1.00 .51 -.14 Ana .20** -.25** -.21** .40** .18** .20** .39** .01 .51** 1.00 -.28 Diss -.33** .21** -.06 -.30** -.08 -.15* -.10 -.13* -.14* -.28** 1.00 Anm.: Darstellung des Korrelationskoeffizienten r, mit dem zweiseitigen Signifikanzniveau p: **=p<.01, *=p<.05; die signifikanten Korrelationen wurden jeweils markiert; Die Lernprozesse des Recruiters (Themenfeld 1) korrelieren erwartungsgemäß positiv (Expertise: r=.20**) sowie negativ (subjektive Entscheidungsregeln: r=-.25**, Schemata: r=.21**) mit einem analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess bei Einstellungsinterviews. Innerhalb des zweiten Themenfeldes organisationale Rahmenbedingungen zeigen die Ergebnisse ebenfalls – bis auf eine Ausnahme – signifikante Ergebnisse. Die stärkste Korrelation zeigt Rechenschaftsverpflichtung (r=.51**), ebenso korrelieren aber auch die Konkretheit des Anforderungsprofils (r=.20**) und die Strukturiertheit des Interviews (r=.39**) positiv mit einem analytisch geprägten Urteils- und Entscheidungsprozess. Nur die Variable Systematik des Feedbacks zeigt hier keinen signifikanten Zusammenhang (r=.01, p=.93). Die Mediatoren (Themenfeld 3) Verantwortlichkeitsgefühl und Kenntnis des Anforderungsprofils hängen hypothesenkonform positiv mit der Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses zusammen (r=.40** sowie r=.18**) Auch der negativ postulierte Zusammenhang zwischen der Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses ersichtlich (r=-.28**). und Ebenso der sind wahrgenommenen für alle Variablen Entscheidungsdissonanz außer für die wird subjektiven Entscheidungsregeln negative Zusammenhänge mit Entscheidungsdissonanz erkennbar. Hoch-signifikant fallen dabei Expertise (r=-.33**) und Verantwortlichkeitsgefühl (r=-.30**) aus. 109 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die subjektiven Entscheidungsregeln korrelieren hingegen positiv mit der wahrgenommenen Entscheidungsdissonanz (r=.21**). Für Rechenschaftsverpflichtung ist auch der positive Zusammenhang mit Verantwortlichkeitsgefühl (r=.38**), für Systematik des Feedbacks ist der positive Zusammenhang mit Kenntnis des Anforderungsprofils (r=.41**) hypothesenrelevant. Auch für die Strukturiertheit des Interviews (r=.26**) sowie die Konkretheit des Anforderungsprofils (r=.23**) lassen sich positive Zusammenhänge mit der Kenntnis des Anforderungsprofils feststellen. Auch hier unterstützen die Zusammenhänge die postulierten Hypothesen. Die Korrelationsmatrix der Variablen stellt also erste inhaltslogische und thesenrelevante Zusammenhänge dar. Die kausalen Effekte werden im Rahmen der Strukturgleichungsmodellierung nun mit dem kovarianzanalytischen Ansatz überprüft. 6.2.8 Kovarianzanalytische Modellschätzung – Evaluation des Gesamtmodells In diesem Kapitel soll nun das Strukturgleichungsmodell nach der Maximum-LikelihoodMethode geschätzt und evaluiert werden. Eine hohe Anpassungsgüte ist dabei dann gegeben, „wenn die mit Hilfe der Parameterschätzer berechneten Varianzen und Kovarianzen möglichst gut mit den empirisch gewonnenen Varianzen und Kovarianzen übereinstimmen“ (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.160). Wie bereits oben schon aufgelistet, lassen sich die wichtigsten Gütekriterien der Anpassungsgüte unterscheiden nach: - - Inferenzstatistischen Gütemaßen: o RMSEA: <.05 - .08; PCLOSE: <.05; o CMIN/DF: < 2.5 Deskriptiven Goodness of Fit-Maßen: o Absolut: RMR <.10 o Relativ: GFI: >.9 und AGFI: >.9 110 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Der χ²-Anpassungstest bildet zwar das wichtigste inferenzstatistische Kriterium, da er die vollständige Übereinstimmung zwischen empirischen Daten und Strukturgleichungsmodell bzw. den perfekten Modell-Fit misst114. Allerdings reagiert der χ²-Anpassungstest sehr sensitiv auf den Stichprobenumfang und kann weiterhin nicht den Fehler 2. Art abschätzen (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.161). Deshalb liefert der RMSEA (Root Mean Square of Approximation) aussagekräftigere Ergebnisse und wird bei <.05 als gut sowie bei <.08 als akzeptabel bewertet (Brown & Cudeck, 1993, S.136ff115). Der RMSEA prüft die Annäherung eines Modells an die Daten und bereinigt dabei die Modellkomplexität durch Berücksichtigung der Freiheitsgrade. Der PCLOSE-Wert prüft zudem die Nullhypothese der Irrtumswahrscheinlichkeit zum RMSEA, bei >.05 kann deshalb auf einen guten Modell-Fit geschlossen werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.162). CMIN/DF ist die Bezeichnung des Quotienten des χ²-Wertes in Relation zu den Freiheitsgraden. Dieser Quotient sollte laut Homburg & Baumgartner (1995, S.172116) < 2.5 sein. Je kleiner CMIN/DF, desto besser ist die Anpassungsgüte des Modells. Der Test von Hoelter gibt die kritische Stichprobengröße an, bei welcher der χ²-Test gerade noch akzeptiert würde. Absolute deskriptive Goodness of Fit-Maße wie der RMR (Root Mean Square Residual) setzen den χ²-Wert in Relation zur Komplexität des Modells. Je kleiner RMR ausfällt, desto gelungener ist dabei die Anpassung des Modells an die empirischen Daten (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.165). Ein guter Modell-Fit ergibt sich für <.10 (ebd.). Die relativen deskriptiven Goodness of Fit-Maße GFI und AGFI entsprechen dem Bestimmtheitsmaß R² (GFI) bzw. dem korrigierten R² (AGFI) (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.166f). Sie messen die relative Menge der vom Modell abgebildeten Kovarianzen und Varianzen und sind deshalb unabhängig von der Stichprobengröße. Sie beschreiben letztlich die Varianzaufklärung des getesteten Modells. Ein guter Modell-Fit ergibt sich jeweils für >.9 (ebd.). 114 Das χ²- Anpassungsmaß entspricht dabei einer Likelihood-Ratio-Teststatistik, mit der Nullhypothese, dass die modelltheoretische Kovarianz-Matrix der empirischen Kovarianz-Matrix entspricht. Der χ²-Wert fällt umso kleiner aus, je geringer die Differenz zwischen der modelltheoretischen und empirischen Kovarianz-Matrix ist. 115 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.162; 116 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.162; 111 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Nach Sichtung der Anpassungsgüte des Modells, liefern die Parameterschätzungen Auskunft über die postulierten Beziehungen der latenten Variablen. Die Stärke und Richtung der kausalen Effekte wird über die standardisierten Pfadkoeffizienten bzw. Regressionsgewichte untersucht. Sie zeigen analog zu den βGewichten in Regressionen, ob der Kausalzusammenhang positiv oder negativ ist und wie stark der Effekt ist. Pfadkoeffizienten von einer Größe ab .2 (Chin, 1998, S.8117) werden als bedeutsam bezeichnet. Weiterhin werden die Squared Multiple Correlations (SMC) ausgegeben. Sie geben die jeweilige Varianzaufklärung einer endogenen Variable durch die anderen Variablen an und können deshalb analog zum Bestimmtheitsmaß R² bei der Regressionsanalyse interpretiert werden (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.181). Chin (1998, S.323118) bewertet dabei SMC-Werte von .19 als schwach, von .33 als moderat und von .66 als substantiell. Der Standardfehler der Parameterschätzung (S.E.) gibt an, wie zuverlässig der Parameter geschätzt werden konnte. Ebenfalls kann mit dem Critical Ratio-Wert (C.R.) geprüft werden, welche Parameter keinen Erklärungsbeitrag zur Modellstruktur liefern. Deshalb sollten Parameter mit sehr hohen Standardfehlern sowie C.R. Werten <1.96 in den folgenden Schritten der Modellmodifikation aus dem Modell ausgeschlossen werden119 (Weiber & Mühlhaus, 2010, S.180). Abbildung 9 zeigt nun das grafische Strukturgleichungsmodell in AMOS 19. 117 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.181; aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.181; 119 Der Cut-Off Wert von 1.96 entspricht dabei dem t-Wert eines 2-seitigen Signifikanztests, mit p=.05, und der Nullhypothese, dass die geschätzten Werte sich nicht signifikant von 0 unterscheiden. 118 112 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Abbildung 9: Grafisches Strukturgleichungsmodell – Ausgangsmodell Tabelle 18 gibt weiterhin einen Überblick über die einzelnen Pfadkoeffizienten im berechneten Strukturgleichungsmodell. 113 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 18: Pfadkoeffizienten im SGM-Ausgangsmodell Wirkungszusammenhang subjE <--Exp Pfad S.E C.R. b β p Hypothese b39 .06 -4.94 -.28 -.35 *** 1.4 KoA <--- StrI b66 .06 3.43 .21 .22 *** 2.7 KeA <--- Exp b45 .05 3.21 .16 .22 ** 3.7 KeA <--- KoA b47 .05 2.19 .10 .14 .03 3.10 KeA <--- StrI b48 .05 3.19 .15 .21 ** 3.9 Ver <--- Rech b52 .07 6.16 .44 .49 *** 3.4 KeA <--- SysF b57 .11 4.16 .45 .50 *** 3.8 Sche <--- Rech b67 .05 -4.15 -.21 -.32 *** 2.5 Ver <--- SysF b70 .07 2.31 .17 .19 .02 3.5 Ver <--- StrI b40 .04 2.60 .11 .16 * 3.6 Sche <--- Exp b41 .04 -.27 -.01 -.02 .79 1.5 Ver <--- Exp b44 .05 4.17 .20 .27 *** 3.3 Sche <--- subjE b62 .05 -.08 .00 -.01 .93 1.6 Sche <--- StrI b56 .03 -1.46 -.05 -.09 .15 2.6 KeA <--- Rech b60 .06 -.98 -.06 -.07 .33 3.11 Ana <--- subjE b42 .05 1.02 .05 .06 .31 1.2 Ana <--- StrI b49 .04 4.30 .17 .29 *** 2.3 Ana <--- Ver b50 .07 1.55 .11 .13 .12 3.1 Ana <--- KoA b53 .03 .38 .01 .02 .70 2.4 Ana <--- KeA b54 .08 2.79 .22 .27 * 3.2 Ana <--- Rech b55 .08 5.67 .43 .59 *** 2.1 Ana <--- Exp b68 .04 .06 .00 .00 .95 1.1 Ana <--- SysF b69 .08 -1.61 -.13 -.17 .11 2.2 Ana <--- Sche b43 .07 -.24 -.02 -.02 .81 1.3 Diss <--- Ana b46 .08 -1.61 -.12 -.14 .11 4.1 Diss <--- Exp b71 .04 -3.13 -.13 -.23 ** 4.2 Diss <--- Ver b51 .07 -2.35 -.16 -.22 ** 4.3 Anm.: Darstellung der Wirkungszusammenhänge zwischen den latenten Variablen, der Pfadlabel, der Standardfehler der Parameterschätzung (S.E.), der Critical-Ratio-Werte (C.R.), der nicht-standardisierten Pfadkoeffizienten (b), der standardisierten Regressionsgewichte (β), dem Signifikanzniveau (p) und der jeweils zugehörigen Hypothese; für p gilt: ***=p<.001, **=p<.005, *=p<.010; die nicht-signifikanten Wirkungszusammenhänge sind jeweils markiert; Obwohl die meisten Regressionsgewichte signifikant sind und damit die postulierten Hypothesen bestätigen, zeigen die Pfade b41, b42, b43, b53, b60, b62 und b68 (Hypothesen 1.1-1.3 sowie 1.5-1.6, 2.4 und 3.11) mit C.R. Werten <1.96 sowie nicht-signifikanten Regressionsgewichten, unzureichende Erklärungsbeiträge im Gesamtmodell. Betroffen ist hier vor allem das erste Themenfeld der Lernprozesse. 114 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Auch die Übersicht der standardisierten totalen Effekte zeigt analog die nur geringen Wirkungsbeziehungen zwischen den Lernprozessen und der Analytik der Urteils- und Entscheidungsprozesses der Recruiter. Auch die organisationale Rahmenbedingung des konkreten Anforderungsprofils zeigt hier keinen Effekt auf Analytik. Tabelle 19: Standardisierte totale Effekte im SGM-Ausgangsmodell Skala StrI SysF Rech Exp subjE subjE 0 0 0 -.354 0 KoA .218 0 0 0 KeA .245 .495 -.068 Ver .159 .189 .489 Sche -.093 0 -.323 Ana .383 -.011 Diss -.088 -.04 KoA KeA Ver Sche Ana Diss 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 .216 0 .142 0 0 0 0 0 .269 0 0 0 0 0 0 0 -.017 -.006 0 0 0 0 0 0 .639 .076 .063 .06 .269 .132 -.015 0 0 -.196 -.302 -.009 -.008 -.037 -.239 .002 -.139 0 Anm.: Darstellung der standardisierten Regressionsgewichte (β); die unbedeutsamen Wirkungszusammenhänge sind jeweils markiert; Die Anpassungsgüte des Modells kann mit einem RMSEA=.05 und PCLOSE=.66 als sehr gut beurteilt werden. Ebenfalls spricht der CMIN/DF-Wert von 1.65 für eine sehr gute Modellanpassung an die Daten. Lediglich die deskriptiven Gütemaße zeigen leichte Abweichungen von den geforderten Grenzwerten (RMR <.10, GFI/AGFI <.90) einer guten Modellanpassung bzw. vollständigen Varianzaufklärung durch das Modell. Dennoch lässt sich die Anpassungsgüte insgesamt als gut beurteilen. Tabelle 20: Anpassungsgüte des SGM-Ausgangsmodells RMSEA .05 Anpassungsgüte des Ausgangsmodells PCLOSE CMIN/DF RMR GFI .66 1.65 .18 .80 AGFI .78 Eine Optimierung der Modellgüte kann durch eine Modellmodifikation erzielt werden, bei der irrelevante Wirkungsbeziehungen aus dem Gesamtgefüge ausgeschlossen werden. Bevor jedoch die kritischen Wirkungszusammenhänge aus dem Modell eliminiert werden, sollen zunächst die postulierten Mediationshypothesen überprüft werden, denn möglicherweise können auch multiple Mediator- bzw. Suppressoreffekte (vgl. Preacher & Hayes, 2008, S.881) dafür verantwortlich sein, dass manche Wirkungsbeziehungen in dem recht komplexen Strukturgleichungsmodell nicht signifikant ausfallen. 115 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2.8.1 Hypothesenprüfung und Interpretation – Analyse der direkten und mediierenden Effekte im Strukturgleichungsmodell Baron & Kenny (1986, S.1176) definieren intervenierende Variablen, die den kausalen Zusammenhang zwischen einer unabhängigen und abhängigen Variable beeinflussen, als Mediatoren. Mediatoren beschreiben dabei, warum ein Effekt von der unabhängigen auf die abhängige Variable auftritt, Moderatoren beschreiben im Gegensatz dazu, wann ein solcher Effekt auftritt. Mediatoren können rechnerisch identifiziert werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: - ein direkter Effekt der unabhängigen auf die abhängige Variable, - ein direkter Effekt der unabhängigen Variable auf die mediierende Variable, - ein direkter Effekt der mediierenden Variable auf die abhängige Variable sowie - ein reduzierter direkter Effekt zwischen unabhängiger und abhängiger Variable, wenn die mediierende Variable kontrolliert wird. Dabei liegt eine partielle Mediation vor, wenn der direkte Effekt der UV auf die AV im Vergleich reduziert wird, hingegen eine totale Mediation, wenn der direkte Effekt mit dem Einschluss des Mediators (intervenierende Variable - IV) vollständig verschwindet (ebd.). Zur Prüfung von mediierenden Effekten innerhalb Strukturgleichungsmodellen empfehlen Cheung & Lau (2007, S.297f) sowie Preacher & Hayes (2008, S.880) die Methode des biaskorrigierten Bootstrapping. Cheung & Lau (2007) verglichen acht verschiedene Berechnungsmethoden zur Prüfung von Mediator- und Suppressoreffekten miteinander und stellten fest, dass die BootstrappingMethode in AMOS die besten Ergebnisse liefert, wenn es darum geht, Mediator- oder Suppressoreffekte in komplexen kausalen Modellen zu prüfen. Die logische Vorgehensweise unterscheidet sich bei der Prüfung von Mediator- oder Suppressoreffekten nicht, nur fällt die Interpretation jeweils etwas anders aus. Als Vorgehensweise wird empfohlen, die Signifikanz der direkten und indirekten Effekte eines vollständigen Modells, mit der Signifikanz der direkten Effekte eines um die Mediatorvariablen reduzierten Modells zu vergleichen. Zur Signifikanzprüfung wird dabei die Methode des Bootstrapping eingesetzt (vgl. Efron & Tibshirani, 1993). Hierbei werden Teilstichproben gebildet und deren Pfadkoeffizienten miteinander verglichen (Preacher & Hayes, 2008, S.883; vgl. auch Hair et al., 2010, S.751755). In der vorliegenden Untersuchung werden zweiseitige Signifikanz-Tests mit einer 116 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ üblichen Anzahl von 1000 Teilstichproben, der Maximum-Likelihood-Methode und einem Signifikanzniveau von p=.05 berechnet (vgl. ebd.). Dabei gilt nach Cheung & Lau (2007): - Es liegt eine partielle Mediation vor, wenn o die direkten und indirekten Effekte des vollständigen wie auch die direkten Effekte des reduzierten Modells signifikant sind. - Es liegt eine totale Mediation vor, wenn o der indirekte Effekt im vollständigen Modell signifikant ist und o die Signifikanz des direkten Effekts des reduzierten Modells im vollständigen Modell verschwindet. - Es liegt ein indirekter Effekt vor, wenn o die direkten Effekte sowohl im vollständigen als auch reduzierten Modell nicht signifikant sind und o der indirekte Effekt im vollständigen Modell signifikant ist. Die Prüfung der postulierten mediierenden Effekte soll nach diesem Schema erfolgen. Deshalb werden die Mediationsmodelle im weiteren Berechnungsverlauf vom Gesamtmodell isoliert und jeweils ein vollständiges und ein um die Mediatorvariablen reduziertes Modell berechnet, in dem sowohl die direkten als auch die indirekten Effekte genauer betrachtet werden. Das vollständige Modell beinhaltet dabei drei Pfade zwischen der unabhängigen, mediierenden und abhängigen Variable120. Das reduzierte Modell in diesem Kontext bezieht sich ausschließlich auf den direkten Zusammenhang zwischen der unabhängigen und abhängigen Variable und beinhaltet nur einen Pfad. IV AV UV Vollständiges Modell AV UV Reduziertes Modell Abbildung 10: Vollständiges und reduziertes Modell zur Prüfung von Mediator-Effekten Anm.: UV= unabhängige Variable, IV= intervenierende Variable (Mediator), AV= abhängige Variable; 120 Im Kontext der Strukturgleichungsmodellierung wird hier auch von exogener, intervenierender und endogener Variable gesprochen. 117 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die standardisierten direkten sowie indirekten Effekte der vollständigen Modelle werden mit den standardisierten direkten Effekten der reduzierten Modelle nach dem Schema Cheung & Lau`s (2007) verglichen und gemeinsam in jeweils einer Tabelle pro Hypothese abgebildet. Durch die Gegenüberstellung eines solchen vollständigen und reduzierten Modells kann schnell und übersichtlich dargestellt werden, ob es sich jeweils um eine partielle oder totale Mediation, oder um einen indirekten Effekt handelt. Ebenfalls kann eindeutig identifiziert werden, welche einzelnen Variablen letztlich als Mediatoren fungieren. Damit werden auch die postulierten Hypothesen genau überprüft. Zusätzlich zu den mediierenden Hypothesen werden aber auch die direkten Hypothesen isoliert vom Gesamtmodell überprüft, um einen vollständigen Überblick über die Ergebnisse zu geben. Ebenfalls werden die Ergebnisse schon an dieser Stelle interpretiert. Die Tabellen 21-37 stellen nun die standardisierten Regressionsgewichte inklusive Signifikanzniveau je Hypothese dar. Hypothese 1.4 Tabelle 21: Hypothese 1.4 Skala Hypothese 1.4: Exp-subjE-Ana Exp β v. p β i.v. subjE -.343 .002 Ana .172 .044 p β r. p bestätigt Mediation: .072 .007 .242 partiell .002 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 1.4 lässt sich eine negative partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Expertise und Analytik durch die Variable subjektive Entscheidungsregeln bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt von Expertise auf Analytik durch den negativen Mediator subjektive Entscheidungsregeln in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =.172, p=.044 im Vergleich zu β =.242, p=.002) abgeschwächt. Dies bedeutet, dass Expertise – wie vermutet – vor allem mit der Anwendung expliziter statt subjektiver Entscheidungsregeln einher geht (β =-.343, p=.002), die dem Recruiter entweder 118 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ während seiner Einarbeitung explizit vermittelt wurden oder die er eigenständig expliziert hat, um diese im weiteren Lernprozess weiter zu evaluieren und modifizieren. Der Faktor Erfahrung führt somit zwangsläufig zu der Verfestigung von Entscheidungsregeln, die entweder in subjektiv-intuitiver Form (Routine) oder aber explizit-evaluierter Form (Expertise) vorliegen und den Entscheidungsmodus dementsprechend prägen. Der Effekt von Expertise auf Analytik wird also durch die individuellen Entscheidungsregeln vermittelt. Im Ergebnis des reduzierten Modells zeigt sich weiterhin ein positiver Effekt von Expertise auf Analytik. Dieser zeigt sich allerdings nur isoliert vom Gesamtmodell121. Die Expertise eines Recruiters begünstigt damit analytische Urteils- und Entscheidungsprozesse (Hypothese 1.1). Dies kann durch stark ausdifferenziertes Erfahrungswissen erklärt werden, welches der Recruiter durch zahlreiche Bewerbungsgespräche mit den unterschiedlichsten Personen und für die unterschiedlichsten Stellen erworben hat. Jenes hat er im Laufe seiner individuellen Lerngeschichte immer wieder modifiziert und evaluiert, was letztlich zu treffsicheren Entscheidungen führt. Das Ergebnis spricht somit für die in Kapitel 4.1 formulierte Annahme, dass ein Recruiter sein Expertenwissen explizit formulieren kann, trotzdem er es mittlerweile automatisch anwendet und sich primär auf die relevanten Cues und Inferenzen konzentriert. In diesem Kontext könnte, in Analogie zur Methodik der Strukturgleichungsmodellierung, von einer kontinuierlichen kognitiven Modellanpassung an die vorliegenden empirischen Bewerberdaten gesprochen werden. Aus je mehr Variablen und Wirkungsbeziehungen das kognitive Modell des Recruiters besteht und je häufiger diese Wirkungsbeziehungen an Bewerberstichproben überprüft wurden (vgl. Kapitel 3.1), desto genauer kann letztlich durch dieses Experten-Schema die Realität abgebildet und valide Prognosen daraus abgeleitet werden. Somit kann ein differenziertes und evaluiertes Expertenmodell, letztlich ein Schema reich an Expertenwissen, wertvolle Basis für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen sein. Wenn diese Entscheidungsregeln auch für Andere expliziert und zugänglich gemacht werden, kann ein solches Expertenmodell auch als Lernmodell und Evaluationsinstrument für eignungsdiagnostische Entscheidungen fungieren122. 121 β =.004, p=.951 für b68 siehe Tabelle 18 vgl. Methode der Hypothesenagglutination nach Wottawa, 1985/1987 sowie Methodik der simultanen Optierung multipler Cut-Offs nach Montel, 2006; siehe Kapitel 3.2 122 119 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Fazit Hypothesen 1.1 und 1.4 können bestätigt werden: - Hypothese 1.1: Die eignungsdiagnostische Expertise des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 1.4: Die subjektiven Entscheidungsregeln des Recruiters mediieren den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. Hypothese 1.5 Tabelle 22: Hypothese 1.5 Skala Hypothese 1.5: Exp-Sche-Ana Exp β v. p Sche -.104 .163 Ana .218 .004 β i.v. p β r. p abgelehnt Mediation: .024 .104 .242 .002 keine Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 1.5 lässt sich keine negative Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Expertise und Analytik durch die Variable Schemata bestätigen. Dies haben auch die Ergebnisse im Gesamtmodell (Tabelle 18) indiziert, da auch schon dort der erwartete signifikante Effekt zwischen unabhängiger und mediierender Variable ausgeblieben ist. Der Vollständigkeit halber wurde die Hypothese aber trotzdem isoliert vom Gesamtmodell überprüft. Obwohl ein knapp-signifikanter indirekter Effekt im vollständigen Modell nachgewiesen werden kann (β =.024, p=.104), kann die Mediations-Hypothese nicht bestätigt werden. Fazit Hypothese 1.5 kann nicht bestätigt werden: - Hypothese 1.5: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses NICHT. 120 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 1.6 Tabelle 23: Hypothese 1.6 Skala Hypothese 1.6: subjE-Sche-Ana subjE β v. p Sche .138 .055 Ana -.241 .002 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: -.030 .049 -.270 partiell .002 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 1.6 lässt sich eine positive partielle Mediation des negativen Zusammenhangs zwischen subjektiven Entscheidungsregeln und Analytik durch die Variable Schemata bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.10 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte negative Effekt der subjektiven Entscheidungsregeln auf Analytik durch den positiven Mediator Schemata in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =-.241, p=.002 im Vergleich zu β =-.270, p=.002) abgeschwächt. Ebenfalls begünstigen subjektive Entscheidungsregeln die Anwendung von Schemata in Einstellungsinterviews (β =.138, p=.055). Dies bedeutet, dass ein Recruiter, der seine eignungsdiagnostischen Entscheidungen auf der Basis subjektiver Entscheidungsregeln trifft, auch in stärkerem Umfang urteilsverzerrende Schemata anwendet, welche wiederum mit wenig analytischen Entscheidungsmustern in Zusammenhang stehen. Der Effekt subjektiver Entscheidungsregeln auf Analytik wird also durch diejenigen kognitiven Strukturen vermittelt, die durch die jeweils explizit-regelbasierten oder subjektiv-heuristischen Entscheidungsregeln aktiviert werden. Hier zeigt sich somit ebenfalls die hohe Bedeutung der Explikation von Entscheidungsregeln als Grundlage für professionelle eignungsdiagnostische Entscheidungen. Je höher der Anteil der übernommenen oder eigens erworbenen subjektiven Entscheidungsregeln ausfällt, umso stärker greift somit die These Wottawas & Oennings (2002), dass sich nicht-evaluierte Entscheidungsmuster durch Wiederholung in der eignungsdiagnostischen Praxis verfestigen (siehe Kapitel 4.3). Das Ergebnis zeigt ebenfalls einen direkten negativen Zusammenhang zwischen subjektiven Entscheidungsregeln und Analytik (β =-.270, p=.022), wie in Hypothese 1.2 formuliert. 121 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Auch hier zeigt sich dieser Effekt nur isoliert vom Gesamtmodell123. Aufgrund der komplexen Wechselwirkungen im Gesamtmodell scheint es innerhalb des ersten Themenfeldes zu sogenannten Suppressoreffekten gekommen zu sein, sodass die einzelnen Effekte nur isoliert nachgewiesen werden können. Deshalb wird an dieser Stelle auch der direkte Effekt von Schemata auf Analytik nochmals isoliert vom Gesamtmodell überprüft (Hypothese 1.3). Auch dieser zeigt sich mit β =-.253, p=.012124 signifikant. Somit führt schemagetriebene Wahrnehmung hypothesenkonform zu wenig analytischen Urteils- und Entscheidungsprozessen (siehe Kapitel 3.1). Fazit Hypothesen 1.2, 1.3 und 1.6 können somit bestätigt werden: - Hypothese 1.2: Die subjektiven Entscheidungsregeln des Recruiters wirken negativ auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 1.3: Die Anwendung von Schemata des Recruiters wirkt negativ auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 1.6: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den negativen Effekt subjektiver Entscheidungsregeln auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Hypothese 2.5 Tabelle 24: Hypothese 2.5 Skala Hypothese 2.5: Rech-Sche-Ana Rech β v. p Sche -.333 .004 Ana .672 .002 β i.v. p β r. p abgelehnt Mediation: .010 .758 .682 .002 keine Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 2.5 lässt sich keine Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Rechenschaftsverpflichtung und Analytik durch die Variable Schemata bestätigen. Allerdings zeigt sich mit β=-.333, p=.004 ein bedeutsamer negativer direkter Effekt zwischen der unabhängigen und mediierenden Variable. Dieser Effekt ist hypothesenkonform. 123 124 β =.063, p=.308 für b42 siehe Tabelle 18 siehe externer Anhang, vorher β =-.015, p=.807 für b43 siehe Tabelle 18 122 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Ebenfalls fallen die direkten Wirkungsbeziehungen zwischen Rechenschaftsverpflichtung und Analytik mit p<.005 und substantiellen Regressionsgewichten von β =.672/.682 signifikant aus (Hypothese 2.1). Allerdings zeigt sich mit p=.758 kein signifikanter indirekter Effekt, weshalb die Mediationshypothese abgelehnt werden muss. Rechenschaftsverpflichtung hat somit auch unabhängig von intervenierenden Variablen einen substantiellen Effekt auf Analytik. Die Ergebnisse zeigen trotzdem, dass durch die organisationale Rahmenbedingung der Rechenschaftsverpflichtung auch schematisch-heuristischen Entscheidungsmustern von Recruitern entgegengewirkt werden kann. Dadurch, dass der Recruiter seine eignungsdiagnostische Entscheidung vor Kollegen, Vorgesetzten oder Auftraggebern im Nachhinein begründen und rechtfertigen muss, werden seine schematisch-heuristischen Informationsverarbeitungsprozesse kontrolliert und statt dessen ein analytischer Verarbeitungsmodus aktiviert. Dieser Zusammenhang entspricht dem postulierten positiven Effekt von Rechenschaftsverpflichtung auf einen analytischen Urteils- und Entscheidungsprozess des Recruiters (siehe Kapitel 2.3.3). Fazit Hypothese 2.1 kann mit substantiellen Regressionsgewichten überzeugend belegt werden (vgl. auch Ergebnisse im Gesamtmodell): - Hypothese 2.1: Die Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. Hypothese 2.5 muss jedoch aufgrund des nicht-signifikanten indirekten Effektes abgelehnt werden. Es liegt kein Mediator-Effekt vor: - Hypothese 2.5: Die Anwendung von Schemata mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses NICHT. 123 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 2.6 Tabelle 25: Hypothese 2.6 Skala Hypothese 2.6: StrI-Sche-Ana StrI β v. p Sche -.125 .045 Ana .403 .002 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .025 .040 .428 .002 partiell Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 2.6 lässt sich eine negative partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen der Strukturiertheit des Interviews und der Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Schemata bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik durch den Mediator Schemata in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β=.403, p=.002 im Vergleich zu β=.428, p=.002) abgeschwächt. Dies bedeutet, dass der Einsatz strukturierter Interviews die Anwendung von subjektiven Schemata in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen tatsächlich effektiv vermindern kann. Der substantielle direkte positive Effekt der Strukturiertheit auf die Analytik (Hypothese 2.3, vgl. auch mit Ergebnissen im Gesamtmodell) bestätigt ebenfalls den bedeutsamen Kontrollmechanismus, welcher durch die Strukturierung des Interviews auf die Informationsverarbeitung des Recruiters ausgeübt wird (siehe Kapitel 2.3.1). Die kleine kontrollierende Maßnahme der Strukturierung zeigt sich – wie schon mehrfach empirisch belegt – auch in der vorliegenden Arbeit somit als sehr effektiv. Fazit Die Hypothesen 2.3 sowie 2.6 können bestätigt werden: - Hypothese 2.3: Die Strukturiertheit des Interviews wirkt positiv auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. - Hypothese 2.6: Die Anwendung von Schemata des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses negativ. 124 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 2.7 Tabelle 26: Hypothese 2.7 Skala Hypothese 2.7: StrI-KoA-Ana StrI β v. p KoA .222 .003 Ana .404 .002 β i.v. p β r. p knapp bestätigt Mediation: .024 .109 .428 partiell .002 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 2.7 lässt sich eine positive partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen der Strukturiertheit des Interviews und der Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Konkretheit des Anforderungsprofils knapp bestätigen. Die direkten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant, der indirekte Effekt ist mit p=.109 nur knapp signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik durch den Mediator Konkretheit des Anforderungsprofils in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =.404, p=.002 im Vergleich zu β =.428, p=.002) abgeschwächt. Der Effekt der Interviewstrukturierung auf Analytik wird also durch das jeweils im Interview verankerte Anforderungsprofil vermittelt. Dies bedeutet, dass die Effektivität strukturierter Interviews sich vor allem dadurch begründen lässt, dass diese zumeist konkrete Anforderungen beinhalten und damit auch Entscheidungsregeln vorgeben, an denen sich der Recruiter bei seiner Beurteilung und Entscheidung orientieren muss. Die Qualität des Anforderungsprofils ist damit wesentliche Voraussetzung für die Effektivität strukturierter Interviews sowie analytisch geprägter eignungsdiagnostischer Entscheidungen. Fazit Hypothese 2.7 kann bestätigt werden: - Hypothese 2.7: Die Konkretheit des Anforderungsprofils mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters positiv. 125 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 3.3 Tabelle 27: Hypothese 3.3 Skala Hypothese 3.3: Exp-Ver-Ana Exp β v. p Ver .377 .002 Ana .066 .412 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .178 .001 .242 total .002 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Bei Prüfung der Hypothese 3.3 zeigt sich ein besonders interessanter Effekt: eine totale Mediation. Der positive direkte Effekt von Expertise auf Analytik wird vollständig durch den Mediator Verantwortlichkeitsgefühl mediiert. Die Signifikanz des direkten Effektes im reduzierten Modell (β=.242, p=.002) verschwindet bei Integration des Mediators vollständig (β=.066, p=.412) und wird durch den hochsignifikanten indirekten Wirkungseffekt vermittelt (β=.178, p=.001). Deshalb zeigt sich auch im Gesamtmodell der direkte Effekt von Expertise auf Analytik als nicht-signifikant. Der Effekt von Expertise auf Analytik wird also vollständig durch das individuelle Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters vermittelt. Dies bedeutet, dass Expertise besonders das Verantwortlichkeitsgefühl eines Recruiters erhöht (β=.377, p=.002, Hypothese 3.1), was dann wiederum, konform zu der Theorie des persönlichen Involvements (siehe Kapitel 5.1), zu einem analytischen Entscheidungsmodus führt. Die Tatsache, dass sich ein Recruiter als „Experte“ beschreibt, führt hier also nicht dazu, dass er, sich selbst überschätzend, seine eignungsdiagnostischen Entscheidungen weniger systematisch und gewissenhaft trifft (siehe Kapitel 4.3). Im Gegenteil wird sogar deutlich, dass sein (subjektiver) Expertenstatus sein persönliches Verantwortlichkeitsgefühl substantiell steigert. Deshalb kann mit diesem Ergebnis das persönliche Involvement als entscheidende mediierende Variable für den Entscheidungsmodus im Kontext von Einstellungsinterviews bestätigt werden. Dieser Zusammenhang sollte somit auch in künftigen Forschungsarbeiten berücksichtigt werden. 126 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Fazit Die Hypothesen 3.1 und 3.3 können somit bestätigt werden: - Hypothese 3.1: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 3.3: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Hypothese 3.4 Tabelle 28: Hypothese 3.4 Skala Hypothese 3.4: Rech-Ver-Ana Rech β v. p Ver .590 .002 Ana .602 .001 β i.v. p β r. p abgelehnt Mediation: .084 .178 .682 .002 keine Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.4 lässt sich keine Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Rechenschaftsverpflichtung und Analytik durch die Variable Verantwortlichkeitsgefühl bestätigen. Allerdings zeigt sich mit β =.590, p=.002 ein substantieller positiver direkter Effekt zwischen der unabhängigen und mediierenden Variable. Dieser Effekt ist hypothesenkonform. Ebenfalls fallen die direkten Wirkungsbeziehungen zwischen Rechenschaftsverpflichtung und Analytik mit p<.005 und substantiellen Regressionsgewichten von β =.602/.682 erneut hochsignifikant aus. Es zeigt sich mit p=.178 allerdings kein ausreichend signifikanter indirekter Effekt, obwohl β=.084 dies indiziert. Deshalb muss die Mediationshypothese in dieser Untersuchung letztlich abgelehnt werden. Rechenschaftsverpflichtung zeigt somit auch hier unabhängig von intervenierenden Variablen einen substantiellen Effekt auf Analytik. Es bleibt aber festzuhalten, dass die organisationale Rahmenbedingung Rechenschaftsverpflichtung einen substantiellen Effekt auf das persönliche Involvement des Recruiters in eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen ausübt und das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters sowie seine Selbstaufmerksamkeit auf eignungsdiagnostisch relevante Kriterien maßgeblich erhöht (siehe Kapitel 5). 127 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Auch hier zeigt die kontextuelle Rahmenbedingung der Rechenschaftsverpflichtung eine große Wirkung, sowohl auf die motivationalen Faktoren des Recruiters, als auch auf seine Informationsverarbeitung. Fazit Hypothese 3.4 muss letztlich aufgrund des nicht ausreichend signifikanten indirekten Effektes abgelehnt werden. Es liegt kein Mediator-Effekt vor: - Hypothese 3.4: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters auf die Analytik seines Urteilsund Entscheidungsprozesses NICHT. Hypothese 3.5 Tabelle 29: Hypothese 3.5 Skala Hypothese 3.5: SysF-Ver-Ana SysF β v. p β i.v. Ver .246 .017 Ana -.103 .239 p β r. p bestätigt Mediation: .127 .011 .023 indirekter Effekt .889 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.5 zeigt sich ein signifikanter positiver indirekter Effekt von Systematik des Feedbacks auf Analytik (β =.127, p=.011). Positiv vermittelt wird der indirekte Effekt durch die Variable Verantwortlichkeitsgefühl (β =.246, p=.017). Dies bedeutet, dass die Evaluation des eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses nur dann einen Effekt auf einen analytischen Entscheidungsmodus des Recruiters zeigt, wenn das Feedback auch einen Effekt auf das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters ausübt, der Recruiter sich also persönlich involviert fühlt. Systematisches Feedback wirkt also nur indirekt auf Analytik ein, und zwar vermittelt durch die intervenierende motivationale Variable Verantwortlichkeitsgefühl. Hier ist deshalb vor allem die durch den Recruiter wahrgenommene Relevanz und Sinnhaftigkeit der evaluativen Maßnahmen entscheidend, damit das Feedback zu einer Erhöhung des persönlichen Involvements führen kann. Ebenfalls kommt der Ausgestaltung des Feedbacks eine besondere Relevanz zu, die in Kapitel 7 noch genauer ausgeführt wird. 128 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Der direkte Effekt der Systematik des Feedbacks auf das Verantwortlichkeitsgefühl ist ebenfalls hypothesenkonform. Evaluative Maßnahmen Selbstaufmerksamkeit erhöhen des dabei Recruiters das und persönliche aktivieren Involvement damit einen sowie die analytischen Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsmodus. Dies ist konform zu den Studien Chaiken`s et al. (1980/1989/1996), die das persönliche Involvement als entscheidende Informationsverarbeitungsmodus Determinante identifizieren konnten für einen (siehe systematischen Kapitel 5.1). Dieser Zusammenhang besteht auch in der vorliegenden Arbeit. Fazit Für Hypothese 3.5 kann somit ein indirekter Effekt bestätigt werden: - Hypothese 3.5: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt des systematischen Feedbacks über die Qualität der Einstellungsentscheidung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses INDIREKT. Hypothese 3.6 Tabelle 30: Hypothese 3.6 Hypothese 3.6: StrI-Ver-Ana StrI Skala β v. p Ver .216 .004 Ana .336 .002 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .092 .002 .428 partiell .002 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.6 lässt sich eine positive partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen der Strukturiertheit des Interviews und der Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Verantwortlichkeitsgefühl bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik durch den Mediator Verantwortlichkeitsgefühl in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β=.336, p=.002 im Vergleich zu β =.428, p=.002) abgeschwächt. Der Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik wird also durch das individuelle Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters vermittelt. 129 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Dies bedeutet, dass die Strukturierung des Interviews das persönliche Involvement des Recruiters hinsichtlich der wahrgenommen Bedeutsamkeit der Entscheidungssituation erhöht. Durch ein strukturiertes Interview wird dem Recruiter also die Wichtigkeit der Einstellungsentscheidung verstärkt bewusst, was sich dann in einem erhöhten Verantwortlichkeitsgefühl manifestiert (vgl. auch Chen et al., 2008). Das Ergebnis bedeutet aber auch, dass die Strukturierung des Interviews besonders für hoch involvierte Recruiter positive Konsequenzen auf die Analytik ihres Urteils- und Entscheidungsprozesses hat. So könnte es zum Beispiel auch noch andere motivationale oder persönliche Variablen geben, die das generelle persönliche Involvement bzw. das persönliche Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters positiv oder negativ und somit auch den MediationsEffekt beeinflussen. Dies sollte in weiteren Forschungsarbeiten genauer untersucht werden. Das Ergebnis zeigt weiterhin, dass sich die befragten Recruiter durch ein strukturiertes Einstellungsinterview nicht in ihrer Entscheidungsfreiheit und eignungsdiagnostischen Entscheidungsfindung eingeschränkt und weniger verantwortlich für diese fühlen. Das Ergebnis zeigt im Gegenteil, dass sich die Recruiter der weit reichenden Konsequenzen ihrer eignungsdiagnostischen Entscheidungen noch stärker bewusst werden. Ein negativer Effekt der Strukturierung (vgl. Kapitel 2.3.1) kann somit in dieser Untersuchung nicht gefunden werden. Fazit Hypothese 3.6 kann bestätigt werden: - Hypothese 3.6: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Hypothese 3.7 Tabelle 31: Hypothese 3.7 Skala Hypothese 3.7: Exp-KeA-Ana Exp β v. p KeA .264 .003 Ana .108 .032 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .063 .010 .242 .002 partiell Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; 130 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Für die Hypothese 3.7 lässt sich eine positive partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Expertise und Analytik durch die Variable Kenntnis des Anforderungsprofils bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt von Expertise auf Analytik durch den positiven Mediator Kenntnis des Anforderungsprofils in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =.108, p=.002 im Vergleich zu β =.242, p=.032) abgeschwächt. Dies bedeutet, dass sich der positive Effekt von Expertise auf Analytik vor allem dadurch begründen lässt, dass Expertise sich in einer besseren Kenntnis des Anforderungsprofils niederschlägt, welches im Entscheidungsprozess als wichtiger Beurteilungsmaßstab fungiert (vgl. Kapitel 2.3.2). Der Effekt von Expertise auf Analytik wird also durch die individuelle Kenntnis des Anforderungsprofils vermittelt. Der Faktor konkrete Kenntnis des Anforderungsprofils ist somit auch relevant, wenn es um die Differenzierung zwischen Routine- und Expertenwissen geht. Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle auch nochmals der vom Gesamtmodell isolierte direkte Effekt von Kenntnis des Anforderungsprofils auf Analytik berechnet. Dieser fällt mit β =.280, p=.007 allerdings nur unwesentlich höher aus als im Gesamtmodell (vgl. Tabelle 18). Fazit Hypothesen 3.2 und 3.7 können bestätigt werden: - Hypothese 3.2: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters wirkt positiv auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses. - Hypothese 3.7: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. 131 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 3.8 Tabelle 32: Hypothese 3.8 Skala Hypothese 3.8: SysF-KeA-Ana SysF β v. p KeA .580 .002 Ana -.224 .057 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .240 .001 .023 indirekter Effekt .889 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.8 zeigt sich im vollständigen Modell ein bedeutsamer positiver indirekter Effekt von Systematik des Feedbacks auf Analytik (β=.240, p=.001). Positiv und substantiell vermittelt wird der indirekte Effekt durch die Variable Kenntnis des Anforderungsprofils (β=.580, p=.002). Es zeigt sich also zunächst ein substantieller direkter positiver Effekt zwischen unabhängiger und intervenierender Variable. Dies bedeutet, dass systematisches Feedback über die Qualität der eignungsdiagnostischen Entscheidung in erster Linie einen starken Effekt auf die konkrete Kenntnis der jeweiligen Anforderungen ausübt. Dieser Effekt wird dann weiter auf den Entscheidungsmodus des Recruiters transportiert, da das jeweils individuell kognitiv verfügbare Anforderungsprofil als Beurteilungsmaßstab dient. So führen evaluative Maßnahmen erwartungsgemäß zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den konkreten Anforderungen der Stelle. Weiterhin zeigt das Ergebnis ein Vorzeichenwechsel im Vergleich des vollständigen und reduzierten Modells, der durch den substantiellen Zusammenhang zwischen unabhängiger und mediierender Variable zu erklären ist. Somit zeigt das Ergebnis des reduzierten Modells auch, dass sich ohne die intervenierende Variable Kenntnis des Anforderungsprofils, kein direkter positiver Effekt von Systematik des Feedbacks auf Analytik nachweisen lässt, wie in Hypothese 2.2 postuliert wurde125. Dies wurde auch schon bei Prüfung der Hypothese 3.5 festgestellt. Die Evaluation des eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses hat also nur dann einen positiven, nämlich indirekten Effekt auf einen analytischen Entscheidungsmodus des Recruiters, wenn das Feedback auch zu einer Modifikation des 125 Im Gesamtmodell zeigte sich dieser mit β =-.169, p=.107 für b69 noch knapp signifikant (siehe Tabelle 18). 132 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ individuell kognitiv verankerten Anforderungsprofils führt, der Recruiter also Anstrengungen unternimmt, sich mit den konkreten Anforderungen der Tätigkeit auseinanderzusetzen. Auch hier könnte die Berücksichtigung weiterer motivationaler oder persönlicher Faktoren interessant für die zukünftige Forschung sein. Ebenfalls sollten diejenigen Bedingungen identifiziert werden, unter denen Feedback einen positiven direkten, einen indirekten oder sogar negativen Effekt auf den Informationsverarbeitungsprozess eines Recruiters ausübt. Dieser Aspekt wird auch in Kapitel 7 nochmals aufgegriffen. Fazit Die in Hypothese 2.2 formulierte Annahme eines direkten Effektes kann abgelehnt werden: - Hypothese 2.2: Systematisches Feedback über die Qualität der Einstellungsentscheidung wirkt NICHT auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. Für Hypothese 3.8 kann allerdings ein indirekter Effekt bestätigt werden: - Hypothese 3.8: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt des systematischen Feedbacks über die Qualität der Einstellungsentscheidung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses INDIREKT. Hypothese 3.9 Tabelle 33: Hypothese 3.9 Skala Hypothese 3.9: StrI-KeA-Ana StrI β v. p KeA .276 .003 Ana .383 .002 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: .048 .038 .428 .002 partiell Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.9 lässt sich eine positive partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen der Strukturiertheit des Interviews und der Analytik des Urteilsund Entscheidungsprozesses von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Kenntnis des Anforderungsprofils bestätigen. 133 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.05 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik durch den Mediator Kenntnis des Anforderungsprofils in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β=.383, p=.002 im Vergleich zu β =.428, p=.002) abgeschwächt. Der Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf Analytik wird also auch durch die individuelle Kenntnis des Anforderungsprofils eines Recruiters vermittelt. Dies bedeutet, dass die in einem strukturierten Interview formulierten Tätigkeitsanforderungen sich auch in den kognitiven Strukturen des Recruiters verankern, was im idealen Fall dann zu einer besseren Kenntnis der Anforderungen und somit valideren Entscheidungsgrundlage führt. Auch hier ist deshalb wieder die Fundierung des Anforderungsprofils ein entscheidender Faktor für die Qualität der eignungsdiagnostischen Entscheidung. Fazit Die Hypothese 3.9 kann bestätigt werden: - Hypothese 3.9: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Strukturiertheit des Interviews auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Hypothese 3.10 Tabelle 34: Hypothese 3.10 Skala KoA β v. p KeA .245 .003 Ana .133 .112 β i.v. Hypothese 3.10: KoA-KeA-Ana p β r. p knapp bestätigt Mediation: .059 .007 .193 partiell .031 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.10 lässt sich eine positive partielle Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen der Konkretheit des Anforderungsprofils und der Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Kenntnis des Anforderungsprofils knapp bestätigen. Die direkte Wirkungsbeziehung ist im vollständigen Modell mit p=.112 nur knapp signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte positive Effekt der Konkretheit des Anforderungsprofils auf Analytik durch den Mediator Kenntnis des Anforderungsprofils in 134 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =.133, p=.112 im Vergleich zu β =.193, p=.031) abgeschwächt. Ein konkretes Anforderungsprofil führt also auch erwartungsgemäß zu einer besseren Kenntnis des Anforderungsprofils, der Wirkungseffekt auf den eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozess wird hier vermittelt. Ebenfalls zeigt sich mit β =.193, p=.031 im Ergebnis eine signifikante direkte positive Wirkungsbeziehung zwischen Konkretheit des Anforderungsprofils und Analytik (Hypothese 2.4), die im Gesamtmodell nicht zu erkennen ist126. Die Relevanz eines konkreten Anforderungsprofils für analytische Urteils- und Entscheidungsprozesse wird somit erneut untermauert. Fazit Hypothese 2.4 sowie 3.10 können bestätigt werden: - Hypothese 2.4: Die Konkretheit des Anforderungsprofils wirkt positiv auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters. - Hypothese 3.10: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Konkretheit des Anforderungsprofils auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses positiv. Hypothese 3.11 Tabelle 35: Hypothese 3.11 Skala Hypothese 3.11: Rech-KeA-Ana Rech β v. p KeA .053 .510 Ana .667 .002 β i.v. p β r. p abgelehnt Mediation: .013 .501 .682 .002 keine Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 3.11 lässt sich keine positive Mediation des positiven Zusammenhangs zwischen Rechenschaftsverpflichtung und Analytik durch die Variable Kenntnis des Anforderungsprofils bestätigen. Dies haben auch die Ergebnisse im Gesamtmodell (Tabelle 18) indiziert, da auch schon dort der erwartete signifikante Effekt zwischen unabhängiger und 126 β =.022, p=.702 für b53 (siehe Tabelle 18) 135 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ mediierender Variable ausgeblieben ist. Der Vollständigkeit halber wurde die Hypothese aber trotzdem isoliert vom Gesamtmodell überprüft. Der Mediations-Effekt kann nicht bestätigt werden. Fazit Hypothese 3.11 kann nicht bestätigt werden: - Hypothese 3.11: Die Kenntnis des konkreten Anforderungsprofils des Recruiters mediiert den positiven Effekt der Rechenschaftsverpflichtung auf die Analytik seines Urteils- und Entscheidungsprozesses NICHT. Hypothese 4.4 Tabelle 36: Hypothese 4.4 Skala Hypothese 4.4: Exp-Ana-Diss Exp β v. p Ana .242 .002 Diss -.281 .002 β i.v. p β r. p bestätigt Mediation: -.059 .001 -.316 partiell .006 Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Für die Hypothese 4.4 lässt sich eine positive partielle Mediation des negativen Zusammenhangs zwischen der Expertise und Entscheidungsdissonanz von Recruitern in Einstellungsinterviews durch die Variable Analytik im Urteils- und Entscheidungsprozess bestätigen. Sowohl die direkten als auch die indirekten Wirkungsbeziehungen sind mit p<.01 signifikant. Im vollständigen Modell wird der direkte negative Effekt der Expertise auf Entscheidungsdissonanz durch den Mediator Analytik in seiner Bedeutsamkeit und Signifikanz (β =-.281, p=.002 im Vergleich zu β =-.316, p=.006) abgeschwächt. Der Effekt der Expertise auf die Entscheidungsdissonanz des Recruiters wird also durch den individuellen Entscheidungsmodus vermittelt. Dies bedeutet, dass Expertise zu einem analytisch geprägten Entscheidungsmodus und dieser wiederum zu geringerer Entscheidungsdissonanz führt. Zum einen hat also Expertise einen positiven Effekt auf Analytik (siehe Hypothese 1.1), zum anderen aber auch mit β=-.316, p=.006 einen bedeutsamen negativen Effekt auf 136 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Entscheidungsdissonanz (Hypothese 4.2, vgl. auch Gesamtmodell), weshalb auch der indirekte Effekt negativ ausfällt (β =-.059, p=.001). Hier zeigt sich, dass Recruiter, die sich als Experten beschreiben, sich auch ihren eignungsdiagnostischen Entscheidungen im Nachhinein sicher sind. Dieser Zusammenhang wird entscheidend durch den analytischen Entscheidungsmodus vermittelt. Deshalb wird an dieser Stelle zusätzlich auch der direkte Effekt von Analytik auf Entscheidungsdissonanz (Hypothese 4.1) isoliert vom Gesamtmodell überprüft. Dieser fällt hier mit β=-.275, p=.025 bedeutsam signifikant aus127. Somit kann auch Hypothese 4.1 bestätigt werden. Ein analytischer Entscheidungsmodus führt im Rahmen eignungsdiagnostischer Entscheidungen zu verringerter Entscheidungsdissonanz. Bewusstes und rationales Abwägen gibt dabei dem Recruiter die subjektive Sicherheit, objektiv richtig entschieden zu haben. Fazit Hypothesen 4.1, 4.2 und 4.4 können bestätigt werden: - Hypothese 4.1: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. - Hypothese 4.2: Die eignungsdiagnostische Expertise des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. - Hypothese 4.4: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters mediiert den negativen Effekt seiner eignungsdiagnostischen Expertise auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz positiv. 127 im Vergleich zum Gesamtmodell: β =-.139, p=.108 für b46 (siehe Tabelle 18) 137 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Hypothese 4.5 Tabelle 37: Hypothese 4.5 Skala Hypothese 4.5: Ver-Ana-Diss Ver β v. p Ana .496 .002 Diss -.276 .010 β i.v. p β r. p abgelehnt Mediation: -.079 .142 -.341 .002 keine Anm.: Darstellung der standardisierten direkten Effekte im vollständigen Modell (β v.), der standardisierten indirekten Effekte im vollständigen Modell (β i.v.) und der standardisierten direkten Effekte im reduzierten Modell (β r.) sowie jeweils des Signifikanzniveaus p; die signifikanten Effekte sind jeweils markiert; Im Rahmen der Hypothesenprüfung 4.5 lässt sich keine Mediation des negativen Zusammenhangs zwischen Verantwortlichkeitsgefühl und Entscheidungsdissonanz durch die Variable Analytik bestätigen. Allerdings zeigt sich mit β=.496, p=.002 erneut ein substantieller positiver direkter Effekt zwischen der unabhängigen und mediierenden Variable, wie in Hypothese 3.1 formuliert. Ebenfalls fallen die direkten Wirkungsbeziehungen zwischen Verantwortlichkeitsgefühl und Entscheidungsdissonanz mit p<.010 und bedeutsamen Regressionsgewichten von β =-.341/.276 signifikant aus (Hypothese 4.3, vgl. auch Ergebnisse im Gesamtmodell). Es zeigt sich mit p=.142 nur kein ausreichend signifikanter indirekter Effekt, obwohl β=-.079 dies indiziert. Deshalb muss die Mediationshypothese in dieser Untersuchung letztlich abgelehnt werden. Verantwortlichkeitsgefühl zeigt somit auch unabhängig von intervenierenden Variablen einen bedeutsamen Effekt auf Entscheidungsdissonanz. Dies bedeutet, dass wenn sich der Recruiter stark involviert bzw. verantwortlich für seine eignungsdiagnostischen Entscheidungen fühlt, er seine Entscheidungen im Nachhinein auch weniger anzweifelt, da er sich sicher sein kann, nach bestem Wissen und Gewissen entschieden zu haben. Fazit Hypothese 4.3 kann bestätigt werden: - Hypothese 4.3: Das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters wirkt negativ auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz. Hypothese 4.5 muss letztlich aufgrund des nicht ausreichend signifikanten indirekten Effektes abgelehnt werden. Es liegt kein Mediator-Effekt vor: 138 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - Hypothese 4.5: Die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses des Recruiters mediiert den negativen Effekt seines Verantwortlichkeitsgefühls auf seine wahrgenommene Entscheidungsdissonanz NICHT. Gesamtfazit der Hypothesenprüfung Die Ergebnisse bestätigen den Großteil der postulierten Hypothesen. Alle getesteten Mediationshypothesen außer 1.5 und 3.11 (wie auch schon im Gesamtmodell ersichtlich) zeigen signifikante direkte Zusammenhänge zwischen der jeweils unabhängigen und mediierenden Variable. Allerdings können für die Hypothesen 2.5, 3.4 und 4.5 keine signifikanten indirekten Effekte gefunden werden. Somit müssen diese Mediationshypothesen in der vorliegenden Untersuchung abgelehnt werden. Für die Variable Systematik des Feedbacks (Hypothesen 3.5 und 3.8) wurden ausschließlich indirekte Effekte gefunden, diese Besonderheit wird in Kapitel 7 als Anregung für zukünftige Forschungsarbeiten noch genauer diskutiert. Für die Hypothese 3.3 wurde sogar eine totale Mediation gefunden, auch dieser Zusammenhang wird in Kapitel 7 nochmals aufgegriffen. Alle anderen Mediations-Hypothesen können mit partieller Mediation bestätigt werden. Weiterhin zeigen sich bis auf Hypothese 2.2 alle postulierten direkten Effekte isoliert vom Gesamtmodell signifikant. Dies ist durch das komplexe Wirkungsgefüge des Strukturgleichungsmodells zu erklären. Dadurch werden einige Wirkungseffekte unterdrückt und im Gesamtmodell als nichtsignifikant angezeigt, obwohl sie tatsächlich signifikant sind. Tabelle 38 zeigt nun die Ergebnisse der Hypothesenprüfung übersichtlich zusammengefasst. 139 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 38: Zusammenfassung der Hypothesenprüfung AV/IV UV Richtung Hypothese Direkter Effekt? Mediator? Bestätigt? Ana <--- Exp Pos. 1.1 Ja, nur isoliert . Ja Ana <--- subjE Neg. 1.2 Ja, nur isoliert . Ja Ana <--- Sche Neg. 1.3 Ja, nur isoliert . Ja subjE <--- Exp Neg. 1.4 . Partiell Ja Sche <--- Exp Neg. 1.5 . Nein Nein Sche <--- subjE Pos. 1.6 . Partiell Ja Ana <--- Rech Pos. 2.1 Ja . Ja Ana <--- SysF Pos. 2.2 Nein . Nein Ana <--- StrI Pos. 2.3 Ja . Ja Ana <--- KoA Pos. 2.4 Ja, nur isoliert . Ja Sche <--- Rech Neg. 2.5 . Nein Nein Sche <--- StrI Neg. 2.6 . Partiell Ja KoA <--- StrI Pos. 2.7 . Partiell Ja Ana <--- Ver Pos. 3.1 Ja . Ja Ana <--- KeA Pos. 3.2 Ja . Ja Ver <--- Exp Pos. 3.3 . Total Ja Ver <--- Rech Pos. 3.4 . Nein Nein Ver <--- SysF Pos. 3.5 . Indirekt Ja Ver <--- StrI Pos. 3.6 . Partiell Ja KeA <--- Exp Pos. 3.7 . Partiell Ja KeA <--- SysF Pos. 3.8 . Indirekt Ja KeA <--- StrI Pos. 3.9 . Partiell Ja KeA <--- KoA Pos. 3.10 . Partiell Ja KeA <--- Rech Pos. 3.11 . Nein Nein Diss <--- Ana Neg. 4.1 Ja, nur isoliert . Ja Diss <--- Exp Neg. 4.2 Ja . Ja Diss <--- Ver Neg. 4.3 Ja . Ja Ana <--- Exp Pos. 4.4 . Partiell Ja Ana <--- Ver Pos. 4.5 . Nein Nein Anm.: Darstellung der Wirkungsbeziehung, der Wirkungsrichtung, der direkten und mediierenden Effekte sowie der Ergebnisse der Hypothesenprüfung; die nicht-bestätigten Wirkungszusammenhänge sind jeweils markiert; 6.2.8.2 Modellmodifikation Auf Basis dieser Ergebnisse soll nun das Strukturgleichungsmodell fertig gestellt werden, indem nicht-signifikante Pfade ausgeschlossen werden. Dies trifft ausschließlich auf die Pfade b41 (Hypothese 1.5) sowie b60 (Hypothese 3.11) zu, da auch die abgelehnten Mediationshypothesen 2.5, 3.4 und 4.5 bei ihrer Prüfung signifikante 140 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ direkte Effekte zwischen unabhängiger und mediierender Variable gezeigt haben und deshalb einen Erklärungsbeitrag im Modell liefern. Auch wird b69 (Hypothese 2.2) im Modell belassen, da signifikante indirekte Effekte für die Variable Systematik des Feedbacks nachgewiesen werden konnten. Abbildung 11 stellt nun die grafische Abbildung des Endmodells dar. Abbildung 11: Grafisches Strukturgleichungsmodell – Endmodell 141 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Ebenfalls werden die Wirkungszusammenhänge des Gesamtmodells abschließend dargestellt. Tabelle 39: Pfadkoeffizienten im SGM-Endmodell Wirkungszusammenhang subjE <--Exp Pfad S.E C.R. b β p Hypothese b39 .06 -4.93 -.28 -.35 *** 1.4 KoA <--- StrI b66 .06 3.43 .21 .22 *** 2.7 KeA <--- Exp b45 .05 2.99 .15 .20 ** 3.7 KeA <--- KoA b47 .05 2.14 .10 .14 * 3.10 KeA <--- StrI b48 .05 3.12 .15 .21 ** 3.9 Ver <--- Rech b52 .07 6.21 .44 .49 *** 3.4 KeA <--- SysF b57 .11 4.17 .46 .50 *** 3.8 Sche <--- Rech b67 .05 -4.10 -.21 -.32 *** 2.5 Ver <--- SysF b70 .07 2.27 .17 .18 * 3.5 Ver <--- StrI b40 .04 2.60 .11 .16 *** 3.6 Ver <--- Exp b44 .05 4.14 .20 .27 *** 3.3 Sche <--- subjE b62 .05 0.05 .00 .00 .96 1.6 Sche <--- StrI b56 .03 -1.46 -.05 -.09 .15 2.6 Ana <--- subjE b42 .05 1.01 .05 .06 .31 1.2 Ana <--- StrI b49 .04 4.37 .17 .29 *** 2.3 Ana <--- Ver b50 .07 1.53 .11 .13 .13 3.1 Ana <--- KoA b53 .03 0.43 .01 .02 .67 2.4 Ana <--- KeA b54 .08 2.72 .21 .25 ** 3.2 Ana <--- Rech b55 .07 5.66 .42 .58 *** 2.1 Ana <--- Exp b68 .04 0.11 .01 .01 .91 1.1 Ana <--- SysF b69 .08 -1.56 -.12 -.16 .12 2.2 Ana <--- Sche b43 .07 -0.28 -.02 -.02 .78 1.3 Diss <--- Ana b46 .08 -1.62 -.12 -.14 .11 4.1 Diss <--- Exp b71 .04 -3.14 -.13 -.23 ** 4.2 Diss <--- Ver b51 .07 -2.34 -.16 -.22 * 4.3 Anm.: Darstellung der Wirkungszusammenhänge zwischen den latenten Variablen, der Pfadlabel, der Standardfehler der Parameterschätzung (S.E.), der Critical-Ratio-Werte (C.R.), der nicht-standardisierten Pfadkoeffizienten (b), der standardisierten Regressionsgewichte (β), dem Signifikanzniveau (p) und der jeweils zugehörigen Hypothese; für p gilt: **=p<.010, *=p<.050; Tabelle 40 zeigt abschließend die Anpassungsgüte des modifizierten Strukturgleichungsmodells an die empirischen Daten. Diese ist fast identisch zum Ausgangsmodell. Die inferenzstatistischen Gütemaße indizieren eine sehr gute Modellanpassung, wohingegen die deskriptiven Gütemaße auf eine noch nicht vollständige Varianzaufklärung des Modells hinweisen. 142 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Schließlich handelt es sich bei dem vorgeschlagenen Rahmenmodell um ein sehr komplexes theoretisches Modell. Es bildet die Realität der empirischen Daten dieser Untersuchung zwar nicht perfekt, aber in einem hohen Maße ab und kann deshalb als empirische Basis für praktisch relevante Ableitungen sowie Anregung für weitere empirische Studien genutzt werden. Deshalb kann die Anpassungsgüte insgesamt als sehr gut bis gut beurteilt und das vorgeschlagene theoretische Modell im Kontext der vorliegenden Untersuchung bestätigt werden. Tabelle 40: Anpassungsgüte des SGM-Endmodells RMSEA .05 Anpassungsgüte des Endmodells PCLOSE CMIN/DF RMR GFI .67 1.65 .18 .80 AGFI .78 Ebenfalls wird die Varianzaufklärung der einzelnen endogenen latenten Variablen abschließend noch aufgeführt. Tabelle 41: Varianzaufklärung (SMC) der endogenen Variablen Skala SMC subjE .125 KoA .047 KeA .368 Ver .372 Sche .11 Ana .626 Diss .184 Die endogenen Variablen zeigen sowohl wenig bedeutsame als auch substantielle Varianzaufklärungen, was nicht zuletzt durch die Anzahl der relevanten exogenen Variablen zu erklären ist. Die substantiellste Varianzaufklärung erfährt die zentrale Variable dieser Untersuchung, die Variable Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses mit 62,6%. Auch die mediierenden Variablen zwischen organisationalen Rahmenbedingungen und dem Entscheidungsmodus, nämlich Verantwortlichkeitsgefühl sowie Kenntnis des Anforderungsprofils als Indikatoren für das persönliche Involvement des Recruiters erfahren moderate Varianzaufklärungen von 37,2% und 36,8% durch die organisationalen Rahmenbedingungen. Die persönlichen Lernprozesse des Recruiters fungieren primär als exogene Variablen und zeigen deshalb nur geringe Varianzaufklärungen. 143 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.2.9 Fazit und methodische Optimierungsvorschläge Ziel der vorliegenden Arbeit war es, ein kausales Modell zu den Determinanten analytisch geprägter Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern in Einstellungsinterviews zu entwickeln und dieses empirisch zu überprüfen. Dies ist insofern gelungen, als dass der Prozess der Strukturgleichungsmodellierung mit einer sehr guten Anpassungsgüte des theoretisch erarbeiteten Modells an die empirischen Daten abgeschlossen werden konnte. Im Rahmen der Hypothesenprüfung wurden nahezu alle postulierten Wirkungsbeziehungen – direkte wie mediierende Effekte – bestätigt. Durch das komplexe Wirkungsgefüge des Strukturgleichungsmodells erfolgte die Prüfung der einzelnen Hypothesen dabei mit der Methode des bias-korrigierten Bootstrapping isoliert vom Gesamtmodell (vgl. Preacher & Hayes, 2008; Cheung & Lau, 2007). Die vorherige Güteprüfung des Strukturgleichungsmodells indizierte eine ausreichende Güte der Operationalisierung der reflektiven Mess-Indikatoren. Dennoch bleibt hier im Hinblick auf replizierende Studien noch Optimierungsbedarf bestehen, insbesondere für die Skalen Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses und Systematik des Feedbacks. Trotzdem die Datenerhebung vollständig anonym erfolgte, können Effekte sozialer Erwünschtheit nicht gänzlich ausgeschlossen werden, wie die insgesamt recht hoch ausgeprägten Mittelwerte der Skalen Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses sowie Verantwortlichkeitsgefühl gezeigt haben. Hier hätte ein Vortest möglicherweise dazu beitragen können, noch trennschärfere Items für diese beiden Skalen zu erhalten. Grundsätzlich ist auch das common-method-Problem für das vorliegende Strukturgleichungsmodell relevant. Podsakoff et al. (2003, S.879) beschreiben den common-method-Effekt als denjenigen Effekt, der die Wirkungsbeziehung zwischen einer unabhängigen und abhängigen Variablen dann systematisch beeinflusst, wenn beide Konstrukte mit derselben Methode erhoben wurden. Dies trifft auch auf die Variablen des vorliegenden Strukturgleichungsmodells zu. Obwohl einem potenziellen common-method-Effekt im Rahmen der vorbereitenden Berechnungen mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse bereits statistisch widersprochen werden konnte (Kapitel 6.2.5), könnte dennoch ein gewisser Anteil an 144 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Varianzaufklärung auf den für alle latenten Variablen verwendeten Online-Fragebogen zurück zu führen sein. Podsakoff et al. (2003, S.887) schlagen dementsprechend vor, sowohl die Erhebungsmethoden zwischen den einzelnen Variablen, als auch die zugeordneten Studienteilnehmer für die einzelnen Variablen zu separieren. Letzteres macht jedoch für den Kontext dieser Arbeit, mit der Fragestellung individueller Entscheidungsmuster und dessen Determinanten, eher wenig Sinn. Allerdings könnte für zukünftige Studien eine Variation der Erhebungsmethoden zwischen den Variablen angedacht werden. Auch eine zeitliche Separierung zwischen der Messung exogener und endogener Variablen (Podsakoff et al., 2003, S.888) wäre theoretisch möglich. Bei einer Erhebung von Prädiktorund Kriteriumsvariablen zu verschiedenen Messzeitpunkten, sollte allerdings eine ausreichende Stichprobengröße bzw. Rücklaufquote sicher gestellt werden, da hier besonders die Gefahr des drop-outs besteht. Deshalb wurde in der vorliegenden Arbeit auf ein Untersuchungsdesign mit verschiedenen Messzeitpunkten verzichtet. Weiterhin sollte die Option der ausbalancierten Darbietungsreihenfolge der Items (Podsakoff et al., 2003, S.888) zukünftig stärker berücksichtigt werden. In der vorliegenden Studie wurden die Variablen allen Teilnehmern in aufeinander aufbauender Reihenfolge dargeboten (exogene – intervenierende – endogene Variablen). Somit konnte das Problem der reversen kausalen Effekte (Kenny, 2012) vermindert werden. Dies tritt dann auf, wenn die abhängigen Variablen zeitlich vor den unabhängigen Variablen erhoben werden. Unter dieser Bedingung kann der Wirkungseffekt dann nicht mehr eindeutig auf die unabhängige Variable zurück geführt werden. Dieses potenzielle Risiko könnte mit einer randomisierten und gruppenbezogenen ausbalancierten Darbietungsreihenfolge der Items noch weiter minimiert werden – und zwar mit sehr geringem Aufwand. 145 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.3 Kausaleffekte in der Fallstudie – Analyse der Gruppenunterschiede anhand multivariater allgemeiner Modelle 6.3.1 Versuchsdesign Um die kausalen Rechenschaftsverpflichtung Effekte und der organisationalen Konkretheit des Rahmenbedingungen Anforderungsprofils auf den Entscheidungsmodus des Recruiters auch experimentell zu überprüfen, wurde ein fiktives Fallbeispiel über Frau Mustermann konstruiert. Frau Mustermann hat sich als Trainee HRM in einem international agierenden Konzern beworben und erfüllt die fachlichen Voraussetzungen sehr gut. Frau Meier hat als stellvertretende Personalreferentin das Bewerbungsgespräch mit Frau Mustermann geführt und darüber eine Zusammenfassung verfasst. Anhand dieses Gesprächsprotokolls sollen als abhängige Variablen zum einen die Analytik der Beurteilung von Frau Meier sowie zum anderen die eigene Analytik der Entscheidung des Recruiters zur Bewerberin Frau Mustermann erhoben werden. Experimentell manipuliert wurden dabei die organisationalen Rahmenbedingungen Konkretheit des Anforderungsprofils und Rechenschaftsverpflichtung. So enthält - Bedingung A: ein konkretes und verhaltensbezogen ausformuliertes Anforderungsprofil sowie den Hinweis, dass die eignungsdiagnostische Entscheidung im Nachhinein vor Vorgesetzten begründet werden muss 146 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Wichtige Info: All Ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen müssen Sie grundsätzlich vor den zukünftigen Vorgesetzten der Trainees sowie vor Ihrem eigenen Vorgesetzten begründen können! Anforderungen für Trainees HRM: Komplexität im Denken: - kann komplexe Zusammenhänge analysieren und Strategien ableiten - kann komplizierte Zusammenhänge verständlich darstellen Kommunikation/ Rhetorik: - kann sich gut ausdrücken - argumentiert strukturiert - kann frei und flüssig vor einer Gruppe sprechen - hört aufmerksam zu - hält Blickkontakt Teamfähigkeit: - kann sich gut in ein Team integrieren und Kompromisse eingehen - engagiert sich für ein gemeinsames Ziel - kann eigene Interessen zurückstecken Leistungsbereitschaft: - stellt hohe Ansprüche an die eigene Leistung - arbeitet zielorientiert und engagiert - setzt sich hohe, aber realistische Ziele Motivation und Identifikation: - zeigt starkes Interesse, stellt inhaltlich relevante Fragen - kann sich mit dem Unternehmen und Inhalten identifizieren - begründet Interesse an und Identifikation mit Unternehmen detailliert und nachvollziehbar Kritik- und Konfliktfähigkeit: - reflektiert eigenes Verhalten und Misserfolge - übernimmt Verantwortung für Fehler und Misserfolge - weicht Konflikten nicht aus - reagiert sachlich und diplomatisch auf Konflikte Zuverlässigkeit - arbeitet genau und sorgfältig - hält Absprachen und Vorschriften ein - bringt angefangene Aufgaben auch zu Ende Abbildung 12: Bedingung A in der Fallstudie - Bedingung B: ein abstrakt formuliertes Anforderungsprofil und keinen Hinweis darauf, dass die eignungsdiagnostische Entscheidung im Nachhinein vor Vorgesetzten begründet werden muss Anforderungen für Trainees HRM: - hohe Komplexität im Denken gute Kommunikation/ Rhetorik Teamfähigkeit Leistungsbereitschaft Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen Kritik- und Konfliktfähigkeit Zuverlässigkeit Abbildung 13: Bedingung B in der Fallstudie Das Gesprächsprotokoll von Frau Meier bezieht sich vor allem auf eigenschaftsbezogene und persönliche Eindrücke, die aber größtenteils konform mit den in Bedingung B genannten 147 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Anforderungen sind. Die verhaltensbezogenen Anforderungen, die in Anforderungsprofil A formuliert sind, werden dagegen nicht im Gesprächsprotokoll aufgeführt. Zusammenfassung des Bewerbungsgespräches mit Frau Mustermann: - ist sehr nett und sympathisch ist höflich und eher zurückhaltend wirkt bescheiden und gutmütig kann sich gut ausdrücken, braucht manchmal aber Zeit zum Überlegen nennt als Bewerbungsmotiv die globale Ausrichtung des Konzerns sowie die internationale Karriereperspektive Interesse an HRM hat sich durch Praktika gefestigt: vor allem Personalauswahl sei interessant, wegen dem persönlichen Kontakt zu Menschen konnte in Praktika erste Erfahrungen im Bewerbermanagement und in der Seminarorganisation sammeln Ziel für die nächsten 3 Jahre: Trainee-Programm gut abschließen, übernommen werden, langfristig gerne an Auslandsprojekten mitarbeiten nennt als Stärken: Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit und Ehrgeiz nennt als Schwächen: Zurückhaltung, zu hoher Perfektionismus, manchmal zu sensibel zu sein sagt, sie arbeite gerne und sei sehr fleißig ihre Antworten wirken ehrlich und spontan Fazit: sympathisch, ehrgeizig, zuverlässig und motiviert; Abbildung 14: Gesprächsprotokoll in der Fallstudie Deshalb werden für Bedingung A signifikant höhere Ausprägungen der abhängigen Variablen Analytische Beurteilung und Analytische Entscheidung postuliert, als für Bedingung B. Diese Hypothese wird demzufolge mit einem einfaktoriellen between-subjects-Design überprüft. 6.3.2 Operationalisierung und Reliabilität der abhängigen Variablen Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die operationalisierten Items der abhängigen Variablen128. Als Mess-Skalierung wurde auch hier eine sechs-stufige Likert-Skala129 gewählt, ebenfalls wurden die Items zur weiteren Berechnung umkodiert130. 128 Die vollständigen Items sind in Anhang 2 einzusehen. 1: „trifft voll zu“ bis 6: „trifft überhaupt nicht zu“ 130 immer nach demselben Schema: v_141 wird umkodiert in u_141 usw. 129 148 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabelle 42: Konstruktoperationalisierung in der Fallstudie AV Items Zahl Analytische Beurteilung u_141u_156 16 Analytische Entscheidung u_157u_162 6 Beispiel-Items Die Einschätzungen und Beurteilungen von Frau Meier wirken auf mich... v_142: analytisch v_146: logisch nachvollziehbar v_148: anforderungsbezogen v_154: vollständig Zu welcher Entscheidung gelangen Sie nun aufgrund der Zusammenfassung von Frau Meier? v_158: Ich werde Frau Mustermann die Stelle anbieten. v_160: Ich kann noch keine Entscheidung treffen, da ich nicht genügend Informationen über die Erfüllung der einzelnen Anforderungen besitze. v_161: Ich kann keine zuverlässige Aussage darüber treffen, ob Frau Mustermann die Anforderungen für die Stelle erfüllt. v_162: Ich werde noch ein weiteres Bewerbungsgespräch mit Frau Mustermann führen, um eine Entscheidung treffen zu können. Anm.: Darstellung von je vier Beispiel-Items für jede abhängige Variable, außerdem Gesamtzahl der Items pro Skala; In dem für dieses Untersuchungsdesign genutzten Datensatz wurden diejenigen Teilnehmer eliminiert, die fehlende Werte in den Items v_141 – v_162 aufwiesen, somit lag ein Datensatz mit 219 vollständigen Datensätzen vor131. Im Rahmen der Reliabilitätsanalyse wurden die Items u_143, u_145, u_147 wegen zu geringer Korrelation mit der Gesamtskala (Item-to-Total-Korrelation) sowie zu geringer Trennschärfe (Inter-Item-Korrelation) aus den Skalen eliminiert132. Cronbach`s Alpha liegt somit für Analytik der Beurteilung bei α=.91 (13 Items) und Analytik der Entscheidung (6 Items) bei α=.82. Der Kolmogorov-Smirnoff-Test bestätigt mit p=.185 für die Skala Analytik der Beurteilung sowie p=.004 für die Skala Analytik der Entscheidung die univariate Normalverteilungsannahme für letztere Skala nicht. Allerdings fallen die Schiefe- und Wölbungsmaße nicht >1 aus, sodass nur eine moderate Verletzung der Normalverteilungsannahme vorliegt (Temme & Hildebrandt, 2009, S.166133). 131 Datensätze siehe externer Anhang siehe externer Anhang 133 aus Weiber & Mühlhaus, 2010, S.146; 132 149 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.3.3 Ergebnisse der Fallstudie – multivariate allgemeine lineare Modelle Zur Überprüfung der Gruppenunterschiede zwischen Bedingung A und B werden multivariate allgemeine lineare Modelle (ALM) in SPSS 19 berechnet. Diese bieten im Vergleich zur einfaktoriellen ANOVA den Vorteil, dass auch Parameterschätzungen (β) abgegeben werden können. Das ALM kombiniert dabei die Prozeduren Varianz- und Regressionsanalysen miteinander (vgl. Brosius, 2008, S.614). Die Prüfgröße F testet bei univariaten allgemeinen linearen Modellen die mittlere Streuung zwischen den Stichproben im Verhältnis zur mittleren Streuung innerhalb der Stichproben. Ist die mittlere Streuung zwischen den Stichproben größer als innerhalb den Stichproben, wird die Nullhypothese identischer Erwartungswerte zum α - Niveau abgelehnt (Handl, 2002, S.299; Backhaus et al., 2006, S.139f134). Bei multivariaten allgemeinen linearen Modellen bilden die multivariaten Tests - Pillai-Bartlett Spurkriterium (Pillai, 1960) - Wilks Lambda (Wilks, 1932) - Hotelling-Lawley Spurkriterium (Hotelling, 1951; Lawley, 1938) - Roy's Maximalwurzel (Roy, 1957) die relevanten Prüfgrößen (Moosbrugger, 1978; Timm, 1975; Olson, 1976135). Bezüglich der Voraussetzungen der Varianzanalyse testet der Box-M-Test die Homogenität der Varianz-Kovarianz Matrizen (Homoskedastizität). Der Levene-Test testet weiterhin die Varianzhomogenität der Vergleichsgruppen. Backhaus et al. (2006, S.151) sowie Field (2009, S.360) bemerken allerdings, dass sich die Varianzanalyse grundsätzlich robust gegenüber leichten Verletzungen der Normalverteilung, der Homogenität der Varianz-Kovarianz Matrizen sowie auch der Varianzhomogenität zeigt, vor allem wenn vergleichbare Stichprobengrößen vorhanden sind. 134 Nach Backhaus et al. (2006, S.129) bildet die theoretische F-Verteilung den „Maßstab zur Beurteilung des empirischen F-Wertes“. Auf einen faktoriellen Einfluss kann dabei dann geschlossen werden, wenn der empirische F-Wert größer als der theoretische F-Wert ausfällt (ebd.). SPSS berechnet zusätzlich zum empirischen F-Wert das Signifikanzniveau. Ist die Signifikanz kleiner als das vorgegebene Testniveau, kann die Nullhypothese abgelehnt werden. Der Vergleich mit dem theoretischen F-Wert in einer Tabelle entfällt dadurch (ebd., S.146f). 135 Das Pillai-Bartlett Spurkriterium testet die Gruppenunterschiede der einzelnen abhängigen Variablen. Dieser Test zeigt sich besonders robust gegenüber Verletzungen der Annahmen der multivariaten Normalverteilung, der Homogenität der Varianz-Kovarianz Matrizen (Homoskedastizität), der Linearität der Zusammenhänge und der fehlenden Multikollinearität der abhängigen Variablen (vgl. Backhaus et al., 2006, S.150). Wilks Lamda testet das Verhältnis der Matrix der Zwischengruppeneffekte zu der Matrix der Innergruppeneffekte. Der Hotelling-Test testet auf die Gleichheit der Mittelwertsvektoren aller abhängigen Variablen zwischen beiden Gruppen. Roy`s größter Eigenwert testet die Gruppenunterschiede auf der gemeinsamen Dimension aller abhängigen Variablen. 150 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Grundsätzlich sollten deshalb möglichst gleichgroße Zellstichproben zur Berechnung angestrebt werden. Das partielle Eta² beschreibt schließlich jeweils den Anteil des jeweiligen Haupteffektes bzw. Parameters an der Gesamtvarianz (Brosius, 2008, S.629). Der berechnete Erklärungsanteil ist dabei „um die Einflüsse der übrigen im Modell enthaltenen Faktoren bereinigt“ (Backhaus et al., 2006, S.147). Tabellengruppe 1 zeigt nun die Ergebnisse des Mittelwertvergleiches für den Faktor Bedingung A oder B bezogen auf die abhängigen Variablen (AV) Analytik Beurteilung (AnaB) und Analytik Entscheidung (AnaEnt). Tabellengruppe 1: Multivariates ALM Fallstudie Faktor Bedingung A vs. B auf AnaB, AnaEnt Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Variable Bedingung AV F(1, 217) p Eta² R² Korr.R² AnaB .214 .644 .001 .001 -.004 AnaEnt .186 .667 .001 .001 -.004 Anm.: Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F(2, 216) p Eta² Pillai-Spur .005 .495 .610 .005 Wilks-Lambda .995 .495 .610 .005 Hotelling-Spur .005 .495 .610 .005 Größte charakt. Wurzel Roy .005 .495 .610 .005 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix=1.65, F(3, 1814165)=.55, p=.651; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Analytik Beurteilung F(1, 217)=2.06, p=.153; für Analytik Entscheidung F(1, 217)=.006, p=.937; AV AnaB AnaEnt Übersicht der Parameterschätzer Bedingung N MW SD β p Eta² A 114 4.04 .86 .051 .644 .001 B 105 3.99 .76 0 . . A 114 4.56 1.07 -.061 .667 .001 B 105 4.62 1.03 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; 151 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Es können mit F(1, 217)=.214, p=.644 und F(1, 217)=.186, p=.667 keine signifikanten Mittelwertsunterschiede zwischen den Bedingungen A und B für die erhobenen abhängigen Variablen nachgewiesen werden. Die Mittelwerte der beiden Gruppen sind nahezu identisch. Hierbei fällt auf, dass die Mittelwerte der abhängigen Variablen insgesamt recht hoch ausfallen (MW=3.99 - 4.04 für AnaB und MW=4.56 - 4.62 für AnaEnt), besonders für Analytik der Entscheidung (vgl. auch Prüfung der Normalverteilung136). Dies zeigt, dass die meisten Teilnehmer keine Entscheidung bezogen auf Frau Mustermann mit den vorliegenden Informationen treffen wollen. Möglicherweise ist hier die Operationalisierung des Gesprächsprotokolls, welches als Grundlage der fiktiven Beurteilung und Entscheidung diente, insgesamt zu offensichtlich optimierungsbedürftig ausgefallen, sodass es nicht ausreichend zwischen analytischer und weniger analytischer Beurteilung differenziert. Ebenfalls könnte der Fokus auf nur schriftlich vorliegende Informationen über die fiktive Bewerberin zu einer stärker analytischen Prägung der Beurteilung und Entscheidung geführt haben, da eigene subjektive Eindrücke nicht gewonnen werden konnten. Das Studiendesign könnte deshalb mit einem Videobeispiel als Beurteilungsgrundlage einen stärkeren realen Bezug erhalten und dadurch optimiert werden. Nicht zuletzt ist auch eine Beeinflussung des Entscheidungsmodus durch die vorhergehende Befragung zu den Determinanten analytischer Urteils- und Entscheidungsprozesse in Einstellungsinterviews nicht auszuschließen. Es könnte ein Priming-Effekt aufgetreten sein, welcher die Selbstaufmerksamkeit des Teilnehmers im Hinblick auf seine eigenen eignungsdiagnostischen Entscheidungsmuster erhöht und somit die Ergebnisse verfälscht haben könnte. Die Variation der organisationalen Rahmenbedingungen des Anforderungsprofils und der Rechenschaftsverpflichtung zeigt hier also zunächst keinen Effekt auf den analytischen Entscheidungsmodus der befragten Recruiter. 136 siehe externer Anhang 152 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Allerdings lassen sich signifikante Unterschiede zwischen Bedingung A und B für die Gruppe der Psychologen (N=30) sowie für die Gruppe derjenigen Recruiter feststellen, die im demografischen Teil erhöhten eignungsdiagnostischen Weiterbildungsbedarf (N=69) angeben. Die folgende Tabellengruppe 2 zeigt die signifikanten Unterschiede für diejenigen Recruiter, die als Fachrichtung des qualifizierenden Studiums Psychologie angegeben haben. Tabellengruppe 2: Multivariates ALM Fallstudie Gruppe Psychologen Gruppe Psychologen: Faktor Bedingung A vs. B auf AnaB, AnaEnt Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Variable Bedingung AV F(1, 28) p Eta² R² Korr.R² AnaB 10.05 .004 .264 .264 .238 AnaEnt .15 .702 .005 .005 -.030 Anm.: Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F(2, 27) p Eta² Pillai-Spur .341 7.0 .004 .341 Wilks-Lambda .659 7.0 .004 .341 Hotelling-Spur .518 7.0 .004 .341 Größte charakt. Wurzel Roy .518 7.0 .004 .341 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix=4.97, F(3, 27005)=1.52, p=.207; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Analytik Beurteilung F(1, 28)=4.42, p=.045; für Analytik Entscheidung F(1, 28)=3.26, p=.082; AV AnaB AnaEnt Übersicht der Parameterschätzer Bedingung N MW SD β p Eta² A 18 4.57 .41 .669 .004 .264 B 12 3.90 .74 0 . . A 18 5.08 .74 .125 .702 .005 B 12 4.96 1.04 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Der Faktor Bedingung erklärt für die Gruppe Psychologen mit 26,4% einen Großteil der Varianz der zu erklärenden abhängigen Variable Analytik der Beurteilung (F(1, 28)=10.05, p=.004, Eta²=.264, korr.R² für das Gesamtmodell=.238). 153 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Weiterhin zeigt sich mit β =.669, p=.004 ein substantieller Unterschied für die Ausprägung der Analytik der Beurteilung bei Bedingung A (MW=4.57) im Vergleich zu Bedingung B (MW=3.90). Psychologen haben das Gesprächsprotokoll von Frau Meier also wie postuliert signifikant analytischer beurteilt, wenn sie ein konkretes Anforderungsprofil als Referenz nutzen konnten und sich außerdem zu Rechenschaft verpflichtet fühlten. Dies indiziert, dass die befragten Psychologen tatsächlich die in dem Gesprächsprotokoll aufgeführten Informationen mit dem dargebotenen Anforderungsprofil verglichen und das Anforderungsprofil somit als Beurteilungsgrundlage genutzt haben. Dies ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass Psychologen aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung erfahrener als andere Berufsgruppen darin sind, Anforderungsprofile für eignungsdiagnostische Beurteilungen zu nutzen. Allerdings haben auch sie, unabhängig der Bedingung A oder B, die Entscheidung über die Einstellung von Frau Mustermann nicht treffen wollen. Es konnte kein signifikanter Haupteffekt nachgewiesen werden (F(1, 28)=.15, p=.702). Somit konnte, bezogen auf die AV Analytik der Entscheidung, auch hier kein signifikanter Gruppenunterschied zwischen Bedingung A und B gefunden werden. Der Levene-Test zeigt mit F(1, 28)=4.42, p=.045 für AnaB und F(1, 28)=3.26, p=.082 für AnaEnt leichte Verletzungen der Homogenitätsannahme der Fehlervarianzen, was möglicherweise auf die eher kleine Zellstichprobengröße zurück zu führen sein kann. Der multivariate Test nach Roy zeigt sich aber dennoch mit F(2, 27)=7, p=.004 signifikant und indiziert eine hohe Varianzaufklärung von Eta²=.341. Weiterhin wurden signifikante Unterschiede für diejenigen Studienteilnehmer gefunden, die im demografischen Teil einen erhöhten eignungsdiagnostischen Weiterbildungsbedarf angegeben haben. Diese werden in Tabellengruppe 3 dargestellt. 154 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabellengruppe 3: Multivariates ALM Fallstudie Gruppe erhöhter Weiterbildungsbedarf Gruppe erhöhter Weiterbildungsbedarf: Bedingung A vs. B auf AnaB, AnaEnt Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Variable Bedingung AV F(1, 67) p Eta² R² Korr.R² AnaB 1.00 .321 .015 .015 .000 AnaEnt 4.71 .033 .066 .066 .052 Anm.: Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F(2, 66) p Eta² Pillai-Spur .075 2.69 .075 .075 Wilks-Lambda .925 2.69 .075 .075 Hotelling-Spur .081 2.69 .075 .075 Größte charakt. Wurzel Roy .081 2.69 .075 .075 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix=1.19, F(3, 831236)=.38, p=.766; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Analytik Beurteilung F(1, 67)=.04, p=.837; für Analytik Entscheidung F(1, 67)=.52, p=.473; AV AnaB AnaEnt Übersicht der Parameterschätzer Bedingung N MW SD β p Eta² A 35 3.75 .87 -.214 .321 .015 B 34 3.97 .91 0 . . A 35 4.03 1.21 -.599 .033 .066 B 34 4.63 1.08 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Es zeigt sich mit F(1, 67)=4.71, p=.033 ein signifikanter Haupteffekt des Faktors Bedingung A vs. B auf die Ausprägung der Analytik der Entscheidung. Ebenfalls wird mit β=-.599 ein substantieller negativer Unterschied zwischen Bedingung A (MW=4.03) und Bedingung B (MW=4.63) für AnaEnt festgestellt. Damit zeigt sich hier der gegenteilige Effekt, ein globales Anforderungsprofil führt hier zu positiveren Einstellungsentscheidungen über Frau Mustermann, als ein konkretes Anforderungsprofil. Dies indiziert, dass die Recruiter sich bei ihrer Beurteilung und Entscheidung nicht auf die in den Anforderungsprofilen formulierten Informationen bezogen und diese weiterhin nicht mit den im Gesprächsprotokoll aufgeführten Charakteristika systematisch verglichen haben. Dies indiziert zum einen tatsächlich erhöhten Weiterbildungsbedarf bei den befragten Recruitern, zum anderen könnte es hier aber auch zu einer Überlastung der 155 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Informationsverarbeitungskapazität gekommen sein, da sich das Anforderungsprofil gemerkt werden musste. Nachdem es einmal gelesen wurde, konnte es nicht wieder aufgerufen werden. Da die Fallstudie sequentiell aufgebaut war, musste der Teilnehmer das Anforderungsprofil während seiner Beurteilung des Gesprächsprotoskolls aus dem Gedächtnis abrufen. Auch diesbezüglich könnte das Forschungsdesign weiter optimiert und an reale Beurteilungssituationen angepasst werden. 6.3.4 Fazit und methodische Optimierungsvorschläge Die experimentelle Überprüfung der im Strukturgleichungsmodell überzeugend belegten Effekte von organisationalen Rahmenbedingungen auf die Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern zeigt sich in der vorliegenden Fallstudie nur eingeschränkt erfolgreich. Es konnten nur für die Subgruppen Psychologen und erhöhter eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf signifikante Unterschiede zwischen Bedingung A und B für jeweils eine abhängige Variable gefunden werden. Die Begutachtung der insgesamt hoch ausgeprägten Mittelwerte der erhobenen abhängigen Variablen zeigt, insbesondere für die Skala Analytik der Entscheidung, dass die meisten Teilnehmer keine Entscheidung bezogen auf Frau Mustermann mit den vorliegenden Informationen treffen wollen. Vermutet wurde hier, dass das Gesprächsprotokoll nicht ausreichend zwischen analytischer und weniger analytischer Beurteilung differenziert, da es objektiv optimierungsbedürftig erscheint. Hier könnte ein Vortest die Güte des Stimulusmaterials zukünftig verbessern. Eine andere mögliche Erklärung könnte die zu wenig realistische Entscheidungssituation sein, die den Teilnehmern das Treffen der Entscheidung erschwert haben könnte. Deshalb sollte, als wichtige Anregung zur Optimierung des Studiendesigns, der Versuch zur Nachbildung einer stärker realen eignungsdiagnostischen Entscheidungssituation unternommen werden. Mit einer Videosequenz als Beurteilungsgrundlage könnten auch subjektive Eindrücke über den fiktiven Bewerber gebildet und erhoben werden. Dies war in der aktuellen Studie kaum möglich, da das Stimulusmaterial ausschließlich schriftlich vorlag. Problematische Randbedingung ist hierbei jedoch die Gewinnung der Stichprobe, denn idealerweise sollten die Wirkungseffekte, wie auch in der vorliegenden Fallstudie, an einer 156 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ populationsvaliden Stichprobe von praktisch tätigen Recruitern überprüft werden. Dies konnte in der vorliegenden Studie mit immerhin 219 Recruitern, die das Fallbeispiel nach der Haupterhebung noch vollständig bearbeitet haben, erreicht werden. Ebenfalls sollte solch eine experimentelle Studie zukünftig von anderen Erhebungen isoliert werden, da es in der vorliegenden Arbeit möglicherweise zu einem Priming-Effekt (vgl. Podsakoff et al., 2003) durch die vorherige Befragung über die Determinanten analytischer Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern in Einstellungsinterviews gekommen sein könnte. Dadurch könnte ebenfalls die sehr analytische Prägung der Studienteilnehmer in der Auseinandersetzung mit dem Stimulusmaterial zu erklären sein. Da die Teilnehmer zuvor Auskunft über ihre analytisch oder intuitiv geprägten eignungsdiagnostischen Entscheidungsmuster geben und sich somit selber hinterfragen mussten, könnten die Ergebnisse bezogen auf die Fallstudie somit verfälscht worden sein. Deshalb bleiben die im Strukturgleichungsmodell bestätigten Wirkungseffekte mit zukünftigen Forschungsarbeiten noch experimentell zu belegen. Interessant für die weitere Forschung könnten dabei Gruppenunterschiede zwischen Psychologen und Recruitern anderer Fachrichtungen sein. 6.4 Clusteranalyse zur Identifikation von spezifischen Recruiter-Typen Zur Differenzierung von Recruiter-Typen innerhalb der Stichprobe soll besonderer Fokus auf ähnlich geartete individuelle Lernprozesse sowie ähnliche organisationale Rahmenbedingungen gelegt werden, unter denen die Recruiter eignungsdiagnostische Entscheidungen treffen. Dazu soll die Methode der Clusteranalyse eingesetzt werden. Die Clusteranalyse ist eine Analysemethode zur Identifizierung „homogener Teilmengen von Objekten“ aus einer „heterogenen Gesamtheit von Objekten“ (Backhaus et al., 2006, S.490). Die klassischen Ablaufschritte einer Clusteranalyse sind: 157 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ - die Bestimmung der Ähnlichkeiten, wofür die Ausgangsdaten in eine Ähnlichkeitsoder Distanzmatrix überführt und anhand von Ähnlichkeits- oder Distanzmaßen quantifiziert werden137 (ebd., S.493f) - die Auswahl des Fusionierungsalgorithmus zur Zusammenfassung der Gruppen138 (ebd., S.511) und - die Bestimmung der Clusteranzahl anhand des Elbow-Kriteriums139 (ebd., S.534). In der vorliegenden Arbeit wird die Methode der Two-Step-Clusterbildung140 gewählt, da bei dieser Methode sowohl kontinuierliche als auch kategoriale Variablen sowie Evaluationsfelder berücksichtigt werden können (Brosius, 2008, S.745). Ebenfalls wird als Distanzmaß auch bei stetigen Variablen die Log-Likelihood-Methode gewählt. Diese Methode folgt der Annahme, dass die Variable in der Grundgesamtheit einer Normalverteilung (bei kontinuierlichen Variablen) oder multinomialen Verteilung (bei kategorialen Variablen) folgt. Somit lässt sich die Wahrscheinlichkeit errechnen, mit der in einer Stichprobe die tatsächlich beobachteten Mittelwerte und Varianzen auftreten, wenn die Cluster jeweils repräsentativ für die Grundgesamtheit sind (ebd., S.752). Demnach wird ein Fall dann einem Cluster zugeordnet, wenn diese Zuordnung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit verbunden ist. Es wurden insgesamt 10 verschiedene Clusterlösungen berechnet, von denen die beiden interessantesten im Folgenden dargestellt werden141. 137 In der Praxis ist das Proximitätsmaß der quadrierten euklidischen Distanz besonders bedeutsam, die quadrierten Differenzwerte werden dabei addiert, aus dieser Summe wird wiederum die Wurzel gezogen (Backhaus et al., 2006, S.504). 138 In der Praxis sind vor allem hierarchisch-agglomerative Verfahren bedeutsam. Hier werden, begonnen mit der feinsten Partition, die Cluster mit der jeweils geringsten Distanz zueinander anhand der Single-Linkage- (jeweils kleinste Distanz), Complete-Linkage- (größte Distanz) oder Ward-Methode (geringste Streuung) zu einem neuen Cluster gruppiert (ebd., S.514-527). Die Ward-Methode verspricht nach Bergs (1981, S.96f) „sehr gute Partitionen“, neigt allerdings dazu, etwa gleich große Gruppen zu bilden (aus Backhaus et al., 2006, S.528). 139 Vergleich der Heterogenitätsentwicklung mit der Clusteranzahl 140 Der Rechenalgorithmus der zweistufigen Cluster-Analyse basiert auf dem BIRCH-Algorithmus (Balanced Iterative Reducing and Clustering using Hierarchies): zunächst werden mit Hilfe von Heuristiken und einem sequentiellen groben Clusterverfahren ein sogenannter Cluster-Baum erstellt, dessen Äste danach im zweiten Schritt hierarchisch agglomeriert werden (Brosius, 2008, S.746). 141 alle anderen berechneten Clusterlösungen siehe externer Anhang 158 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.4.1 Clusterlösung 2 – basierend auf persönlichen Lernprozessen Die Clusterlösung 2 berücksichtigt die kontinuierlichen Variablen subjektive Entscheidungsregeln und Expertise, also die persönlichen Lernprozesse des Recruiters, als Klassifikationskriterien für das Evaluationskriterium Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses. Abbildung 15 stellt die Cluster vergleichend im Hinblick auf die Mediane der relevanten Variablen dar. Clusterlösung 2: Kontinuierliche Variablen: subjE & Exp, Evaluationskriterium: Ana Cluster 1 (29% bzw. 79 Fälle) Cluster 2 (27,6% bzw. 75 Fälle) Mediane Exp=4.01, subjE=3.83, Ana=4.5 Exp=5.01, subjE=2.17, Ana=4.87 Mittelwerte Exp=4.28, subjE=4.02, Ana=4.49 Exp=5.08, subjE=2.15, Ana=4.76 Cluster 3 (25,7% bzw. 70 Fälle) Cluster 4 (17,6% bzw. 48 Fälle) Mediane Exp=3.33, subjE=2.17, Ana=4.63 Exp=2, subjE=4.33, Ana=4.25 Mittelwerte Exp=3.1, subjE=2.15, Ana=4.64 Exp=1.94, subjE=4.46, Ana=4.22 Exp subjE Ana Exp subjE Ana Abbildung 15: Übersicht über Clusterlösung 2 mit 4 Clustern Anm.: Darstellung der Clustermediane im Verhältnis zu den Medianen der Gesamtverteilung (Exp=4, subjE=3, Ana=4.57); Mittelwerte sind informationshalber zusätzlich dargestellt; 159 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die dargestellten Cluster lassen sich wie folgt charakterisieren: - Cluster 1 repräsentiert Recruiter, die sich zwar tendenziell als Experten bezeichnen, aber trotzdem starken Gebrauch von subjektiven Entscheidungsregeln machen und somit in ihrer Ausprägung von Analytik auch noch knapp unter dem Gesamt-Median bleiben. - Im Cluster 2 allerdings, lassen sich die echten Experten identifizieren. Diese Recruiter ordnen sich eindeutig der Expertengruppe zu, benutzen vor allem explizite Entscheidungsregeln bei der Entscheidungsfindung und entscheiden schließlich auch stark analytisch geprägt. - Im Cluster 3 zeigen sich die Recruiter eher vorsichtig, sich der Gruppe der Experten hinzu zu ordnen, dennoch nutzen sie ebenfalls eindeutig explizite Entscheidungsregeln und entscheiden auch etwas analytischer als der GesamtMedian der Verteilung. - Cluster 4 schließlich repräsentiert die Nicht-Experten-Gruppe, diese Recruiter nutzen vor allem subjektive Entscheidungsregeln, entscheiden wenig analytisch und charakterisieren sich auch dementsprechend selbstkritisch als Nicht-Experten. Die Ergebnisse sind somit ebenfalls im Hinblick auf die schwierige Differenzierung zwischen echter Expertise und nicht-evaluierter Routine interessant (Kapitel 4.2 und 4.3). So lassen sich die Cluster weiter durch folgende demografische Variablen charakterisieren: Tabelle 43: Charakterisierung der Clusterlösung 2 anhand demografischer Variablen Charakterisierung der Cluster – demografische Variablen Cluster 1 2 3 4 Alter Erfahrung m/w Fach Status Unt.größe W.bildung W.bedarf 41.32 9.42 46% m 30% Wiwi 69% int 28% >2000 49% 1-3 48% mittel 54% w 11% Psy 17% ext 22% 150-500 19% >5 27% hoch 37% m 40% Wiwi 59% int 25% >2000 47% 1-3 40% mittel 63% w 19% Psy 32% ext 20%<50 23% >5 28% gering 21% m 47% Wiwi 53% int 30% <50 50% 1-3 50% mittel 79% w 11% Psy 41% ext 23% >2000 26% keine 27% hoch 10% m 52% Wiwi 56% int 38% <50 60% keine 42% mittel 90% w 10% Psy/Sowi 27% ext 21% 150-500 40% 1-3 33% hoch 39.63 32.67 34.13 9.88 4.66 5.19 Anm.: Darstellung deskriptiver Statistik (MW für Alter und praktische Erfahrung in der Durchführung eignungsdiagnostischer Interviews) sowie prozentuale Häufigkeiten für Geschlecht, Fachgruppe, Recruiting-Status, Unternehmensgröße, Häufigkeit Weiterbildung und Weiterbildungsbedarf; die beiden am häufigsten genannten Aspekte sind jeweils aufgeführt; relevante Unterschiede sind markiert; 160 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Cluster 1 und 2 sowie 3 und 4 ähneln sich grundsätzlich in der jeweiligen Erfahrung in der praktischen Durchführung von Einstellungsinterviews. Die Recruiter der Cluster 1 und 2 weisen 9-10 jahrelange Erfahrung auf, die Recruiter der Cluster 3 und 4 nur etwa halb so viel. Der Unterschied ist mit F(3, 268)=14.86, p=.000, Eta²=.143 auch statistisch signifikant142. Cluster 1 und 2 lassen sich aber auch insofern voneinander differenzieren, als dass sich im Cluster 2 ein höherer Anteil an Psychologen, an externen Personaldienstleistern, an kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern sowie ein gegensätzlicher Anteil von 28% der Recruiter, die ihren Weiterbildungsbedarf nur als gering einschätzen befindet, während im Cluster 1 der persönliche Weiterbildungsbedarf mit 27% als hoch eingeschätzt wird. Dies ist auch konform zu dem Ergebnis, dass die Recruiter in Cluster 1 vor allem subjektive Entscheidungsregeln für ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen nutzen. Auch Cluster 3 und 4 zeigen Unterschiede im Hinblick auf den Anteil externer Personaldienstleister, der in Cluster 3 höher ausfällt, sowie dort auch ein höherer Anteil großer Unternehmen mit über 2000 Mitarbeitern. Wesentlich ist auch hier der Unterschied zwischen der Häufigkeit von eignungsdiagnostischer Weiterbildung. So haben in Cluster 4 60% der Recruiter noch keine Weiterbildungen besucht, in Cluster 3 sind es hingegen nur 26% der Befragten, die noch keine eignungsdiagnostische Weiterbildung absolviert haben. Mithilfe eines multivariaten allgemeinen linearen Modells werden nun auch die Gruppenunterschiede der einzelnen Cluster hinsichtlich ihrer Ausprägungen für die abhängigen Variablen Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses, der Entscheidungsdissonanz sowie des Verantwortlichkeitsgefühls für die den Clustern zugeordneten Recruiter untersucht. Der Test auf Zwischen-Gruppen-Unterschiede zeigt mit F(3, 268)=7.39 für Ana, F(3, 268)=16.74 für Ver, F(3, 268)=7.81 für Diss für alle abhängigen Variablen hoch-signifikante Haupteffekte (p<.001) für den Faktor Clusterzugehörigkeit. Besonders für die abhängige Variable Verantwortlichkeitsgefühl ergibt sich mit Eta²=.158 und korr.R²=.148 eine hohe Varianzaufklärung. 142 siehe externer Anhang 161 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabellengruppe 4: Multivariates ALM Clusterlösung 2 Faktor Cluster auf die zu erklärenden Variablen Ana, Ver, Diss Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Clusterlösung 2:subjE, Exp AV F(3, 268) p Eta² R² Korr.R² Ana 7.39 .000 .076 .076 .066 Ver 16.74 .000 .158 .158 .148 Diss 7.81 .000 .080 .080 .070 Anm.:Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F df1 df2 p Eta² Pillai-Spur .21 6.58 9 804 .000 .069 Wilks-Lambda .80 7.03 9 648 .000 .073 Hotelling-Spur .25 7.39 9 794 .000 .077 Größte charakt. Wurzel Roy .24 21.11 3 268 .000 .191 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix= 61.13, F(18, 183651)=3.32, p=.000; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Ana F(3, 268)=1.71, p=.165; für Ver F(3, 268)=5.51, p=.001; für Diss F(3, 268)=8.66, p=.000; AV Ana Ver Diss Clusterlösung 2: subjE/Exp auf Ana, Ver, Diss Übersicht der Parameterschätzer Cluster N MW SD β p Eta² 1 79 4.49 .55 .26 .028 .018 2 75 4.76 .76 .53 .000 .069 3 70 4.64 .62 .42 .001 .042 4 48 4.22 .64 0 . . 1 79 4.49 .82 .61 .000 .052 2 75 4.97 .69 1.1 .000 .149 3 70 4.73 .83 .86 .000 .094 4 48 3.88 1.19 0 . . 1 79 2.33 .59 -.35 .004 .031 2 75 2.10 .47 -.58 .000 .079 3 70 2.30 .72 -.29 .022 .019 4 48 2.68 .89 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Innerhalb der Clusterlösung 2 zeigen sich für alle abhängigen Variablen mit p<.05 hochsignifikante Unterschiede zwischen den einzelnen identifizierten Clustern. Die größte Varianzaufklärung erfährt die Variable Verantwortlichkeitsgefühl (Eta²=.149). 162 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ So weisen die echten Experten in Cluster 2 mit β=1.1, p=.000 und einem MW=4.97 das am stärksten ausgeprägte Verantwortlichkeitsgefühl auf. Ebenfalls zeigen die Recruiter in Cluster 2 mit β=.53, p=.000 und einem MW=4.76 auch die am stärksten analytisch geprägten Entscheidungsmuster. Demzufolge ist sich die Expertengruppe in Cluster 2 auch der Qualität ihrer eignungsdiagnostischen Entscheidungen signifikant sicherer als die Recruiter anderer Cluster, was sich mit einem substantiellen Unterschied von β=-.58, p=.000 und dem geringsten MW=2.10 für die abhängige Variable Entscheidungsdissonanz zeigt. Die Nicht-Expertengruppe in Cluster 4 zeigt erwartungskonform sowohl die niedrigsten Ausprägungen in Analytik (MW=4.22) und Verantwortlichkeitsgefühl (MW=3.88), als auch die höchsten Ausprägungen in der Entscheidungsdissonanz (MW=2.68). Cluster 3 unterscheidet sich insofern von Cluster 1, als dass Cluster 3 mit MW=4.64 (β=.42, p=.001) stärker analytisch geprägte Entscheidungsmuster als Cluster 1 (MW=4.49, β=.26, p=.028) sowie ebenfalls mit MW=4.73 (β=.86, p=.000) höheres persönliches Involvement als Cluster 1 (MW=4.49, β=.61, p=.000) aufweist. Cluster 3 scheint also diejenigen Recruiter zu repräsentieren, die sich auf dem Weg zum eignungsdiagnostischen Experten befinden. Sowohl der Box-M-Test als auch der Levene-Test fallen signifikant aus. Obwohl sich die Varianzanalyse grundsätzlich robust gegenüber diesen Verletzungen der Annahmen der Homogenität der Varianz-Kovarianz Matrizen sowie auch der Varianzhomogenität zeigt (Backhaus et al., 2006, S.151; Field, 2009, S.360), könnte die Aussagekraft der Varianzanalyse dennoch etwas beeinträchtigt sein, da der Cluster 4 mit N=48 eine abweichende Stichprobengröße als Cluster 1-3 (N=70-79) aufweist. Dennoch zeigt sich der multivariate Test nach Roy mit F(3, 268)=21.11, p=.000 hoch-signifikant und indiziert eine hohe Varianzaufklärung von Eta²=.191. 6.4.2 Clusterlösung 4 – basierend auf organisationalen Rahmenbedingungen Clusterlösung 4 hingegen, berücksichtigt die kontinuierlichen Variablen Konkretheit des Anforderungsprofils, Strukturiertheit des Interviews sowie Rechenschaftsverpflichtung, also organisationale Rahmenbedingungen, als Klassifikationskriterien für die Evaluationskriterien Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses sowie dem Verantwortlichkeitsgefühl als Indikator des persönlichen Involvements des Recruiters. Abbildung 16 stellt die Cluster vergleichend im Hinblick auf die Mediane der relevanten Variablen dar. 163 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Clusterlösung 4: Kontinuierliche Variablen: Rech, StrI & KoA, Evaluationskriterien: Ver & Ana Cluster 1 (23,5% bzw. 64 Fälle) Cluster 2 (18,8% bzw. 51 Fälle) KoA=4.67, Rech=4.76, StrI=3.5, Ana=4.5, Ver=4.67 KoA=4.7, Rech=4.79, StrI=3.09, Ana=4.52, Ver=4.71 KoA=2.66, Rech=3.51, StrI=4.01 Ana=4.13, Ver=4.34 KoA=2.46, Rech=3.76, StrI=3.86 Ana=4.31, Ver=4.33 Cluster 3 (29,8% bzw. 81 Fälle) Cluster 4 (27,9% bzw. 76 Fälle) KoA=5, Rech=3.01, StrI=4.67 Ana=4.25, Ver=4.34 KoA=4.76, Rech=2.86, StrI=4.69 Ana=4.31, Ver=4.29 KoA=5, Rech=5.26, StrI=5.67 Ana=5, Ver=5 KoA=4.88, Rech=5.3, StrI=5.47 Ana=5.01, Ver=4.93 KoA Rech StrI Ana Ver Mediane Mittelwerte KoA Rech StrI Ana Ver Mediane Mittelwerte Abbildung 16: Übersicht über Clusterlösung 4 mit 4 Clustern Anm.: Darstellung der Clustermediane im Verhältnis zu den Medianen der Gesamtverteilung (KoA=4.67, Rech=4.26, StrI=4.67, Ana=4.57, Ver=4.67); Mittelwerte sind informationshalber zusätzlich dargestellt; 164 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die dargestellten Cluster lassen sich wie folgt charakterisieren: - Cluster 1 repräsentiert Recruiter, die zur Rechenschaft über ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen verpflichtet sind, aber keinen Gebrauch von strukturierten Einstellungsinterviews machen. Sie bleiben in ihrer Ausprägung von Analytik knapp unter dem Gesamt-Median und entsprechen diesem hinsichtlich ihres Verantwortlichkeitsgefühls genau. Die Konkretheit des Anforderungsprofils zeigt sich ebenfalls gleich dem Gesamt-Median. - Im Cluster 2 profitieren die Recruiter weder von einem strukturierten Interview, noch von einem konkreten Anforderungsprofil. Weiterhin müssen sie keine Rechenschaft über ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen abgeben. Dadurch zeigen sich auch ihr Verantwortlichkeitsgefühl sowie die Ausprägung von Analytik nur sehr wenig. - Im Cluster 3 müssen die Recruiter ihre Entscheidungen zwar nicht begründen, sie nutzen aber die Vorteile eines strukturierten Interviews sowie eines konkreten Anforderungsprofils. Dennoch fallen Verantwortlichkeitsgefühl und Analytik weit unter dem Gesamt-Median aus. - Cluster 4 schließlich repräsentiert diejenigen Recruiter, die bei ihren eignungsdiagnostischen Entscheidungen durch alle aufgeführten organisationalen Rahmenbedingungen profitieren. Sie nutzen ein konkretes Anforderungsprofil, ein strukturiertes Interview und sind auch zu Rechenschaft über ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen verpflichtet. Dementsprechend zeigen auch die Evaluationsfelder Verantwortlichkeitsgefühl und Analytik sehr starke Ausprägungen. Weiterhin lassen sich die Cluster durch folgende demografische Variablen charakterisieren: Tabelle 44: Charakterisierung der Clusterlösung 4 anhand demografischer Variablen Charakterisierung der Cluster – demografische Variablen Cluster Recruiting-Status Unternehmensgröße Weiterbildung 1 75% int, 22% ext 22% <50, 22% 150-500 41% 1-3, 25% keine 2 55% int, 33% ext 31% <50, 26% >2000 49% 1-3, 29% keine 3 49% int, 40% ext 27% <50, 24% >2000 44% 1-3, 27% keine 4 62% int, 21% ext 32% >2000, 21% 500-1000 54% 1-3, 17% 3-5 Anm.: Darstellung prozentualer Häufigkeiten für Recruiting-Status, Unternehmensgröße, Häufigkeit Weiterbildung; die beiden am häufigsten genannten Aspekte sind jeweils aufgeführt; relevante Unterschiede sind markiert; 165 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die demografischen Ergebnisse zeigen, dass sich besonders Cluster 4 von den anderen Clustern differenzieren lässt. Wesentliche Unterschiede bestehen in der Unternehmensgröße sowie in der Häufigkeit der Weiterbildung. So zeigt sich für Cluster 4, dass vor allem in Großunternehmen die für eignungsdiagnostische Entscheidungen relevanten organisationalen Rahmenbedingungen erfolgreich implementiert sind und deren positive Effekte noch durch Weiterbildungen ergänzt werden. Mithilfe eines multivariaten allgemeinen linearen Modells werden nun auch die Gruppenunterschiede der einzelnen Cluster hinsichtlich ihrer Ausprägungen für die abhängigen Variablen Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses, der Entscheidungsdissonanz sowie des Verantwortlichkeitsgefühls für die den Clustern zugeordneten Recruiter untersucht. Der Test auf Zwischen-Gruppen-Unterschiede zeigt mit F(3, 268)=21.38 für Ana, F(3, 268)=8.15 für Ver, F(3, 268)=2.06 für Diss für die erst genannten abhängigen Variablen hochsignifikante Haupteffekte (p<.001). Für Entscheidungsdissonanz fällt der Haupteffekt nur knapp-signifikant (p=.106) aus. Besonders für die abhängige Variable Analytik ergibt sich mit Eta²=.193 und korr.R²=184 eine hohe Varianzaufklärung. Tabellengruppe 5: Multivariates ALM Clusterlösung 4 Faktor Cluster auf Ana, Ver Diss, Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Clusterlösung 4:Rech, StrI, KoA AV F(3, 268) p Eta² R² Korr.R² Ana 21.38 .000 .193 .193 .184 Ver 8.15 .000 .084 .084 .073 Diss 2.06 .106 .023 .023 .012 Anm.: Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F df1 df2 p Eta² Pillai-Spur .22 7.10 9 804 .000 .074 Wilks-Lambda .78 7.63 9 648 .000 .079 Hotelling-Spur .27 8.05 9 794 .000 .084 Größte charakt. Wurzel Roy .26 23.03 3 268 .000 .205 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix= 41.60, F(18, 196579)=2.26, p=.002; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Ana F(3, 268)=3.29, p=.021; für Ver F(3, 268)=2.5, p=.060; für Diss F(3, 268)=2.28, p=.080; 166 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ AV Ana Ver Diss Clusterlösung 4: Rech/StrI/KoA auf Ana, Ver, Diss Übersicht der Parameterschätzer Cluster N MW SD β p Eta² 1 64 4.52 .59 -.49 .000 .078 2 51 4.31 .74 -.70 .000 .131 3 81 4.31 .60 -.70 .000 .162 4 76 5.01 .52 0 . . 1 64 4.71 .80 -.21 .169 .007 2 51 4.33 .92 -.59 .000 .046 3 81 4.29 1.07 -.63 .000 .067 4 76 4.93 .78 0 . . 1 64 2.38 .69 .19 .098 .010 2 51 2.37 .74 .28 .023 .019 3 81 2.38 .73 .19 .075 .012 4 76 2.19 .56 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; die signifikanten Ergebnisse sind markiert; Innerhalb der Clusterlösung 4 zeigen sich für fast alle abhängigen Variablen mit p<.10 signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Clustern. Diejenigen Recruiter in Cluster 4, die von allen in der Clusterbildung berücksichtigten organisationalen Rahmenbedingungen profitieren, zeigen mit MW=5.01 erwartungsgemäß die stärksten analytischen Ausprägungen hinsichtlich ihrer eignungsdiagnostischen Entscheidungsmuster, das am stärksten ausgeprägte Verantwortlichkeitsgefühl (MW=4.93) sowie die geringsten Ausprägungen in der Entscheidungsdissonanz (MW=2.19). Weiterhin zeigen die Recruiter in Cluster 1 mit β=-.49, p=.000 und einem MW=4.52 für Analytik sowie β=-.21, p=.169 und einem MW=4.71 für Verantwortlichkeitsgefühl tendenziell noch ähnliche Ausprägungen, die vor allem auf den Effekt der Rechenschaftsverpflichtung zurück zu führen sind (siehe Abbildung 16). Somit zeigen sich auch hier, analog zu den Ergebnissen der Strukturgleichungsmodellierung, die positiven Effekte organisationaler Rahmenbedingungen, insbesondere für die Variable Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters. Dennoch fallen auch hier der Box-M Test und Levene-Test für alle Variablen signifikant aus, da auch hier der Cluster 2 (N= 51) in seiner Stichprobengröße von den anderen Clustern abweicht. Doch auch hier zeigt sich mit F(3, 268)=23.03, p=.000 der multivariate Test nach Roy hoch-signifikant und indiziert trotzdem eine hohe Varianzaufklärung von Eta²=.205. 167 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.5 Analyse von Gruppenunterschieden – uni- und multivariate allgemeine lineare Modelle Nachdem konform zu dem dynamisch-interaktionistischen Paradigma der Psychologie sowie den postulierten Hypothesen nachgewiesen wurde, dass sowohl die Lernprozesse des Recruiters als auch die organisationalen Rahmenbedingungen die Analytik seines Urteilsund Entscheidungsprozesses bei Einstellungsinterviews beeinflussen (Kapitel 6.2), gilt es nun, den Einfluss demografischer Variablen (Kapitel 6.5.1) auf die Analytik der Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern zu spezifizieren. Ebenfalls sollen die Einflüsse von Unternehmensgröße und Recruitingstatus als interne Personalfachkraft oder externer Personaldienstleister auf die jeweiligen Ausprägungen der organisationalen Rahmenbedingungen Rechenschaftsverpflichtung, Strukturiertheit des Interviews, Konkretheit des Anforderungsprofils und Systematik des Feedbacks untersucht werden (Kapitel 6.5.2). Zur Berechnung der Gruppenunterschiede werden uni- und multivariate allgemeine lineare Modelle (ALM) mit SPSS 19 berechnet. 6.5.1 Einfluss demografischer Variablen auf die Analytik des eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesses Von allen erhobenen demografischen Variablen zeigt nur der Faktor Dauer der Unternehmenszugehörigkeit keinen Effekt auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses eines Recruiters. Diese Ergebnisse werden deshalb nicht aufgeführt143. Vorab sollte noch festgehalten werden, dass die im folgenden Kapitel aufgenommene abhängige Variable Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses trotz Normalverteilung nur eine sehr geringe Streuung aufweist, weshalb sich die dargestellten Gruppen-Mittelwerte der Skala grundsätzlich nicht stark voneinander unterscheiden (MW=4.55, SD=.67, Min=2.63, Max=6.00, vgl. auch Kapitel 6.2.5). Dennoch wurden für einige Faktoren signifikante Gruppenunterschiede gefunden. Diese werden nun dargestellt und im Gesamtkontext der Arbeit interpretiert. 143 Sie sind aber im externen Anhang einsehbar. 168 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Fachrichtung des qualifizierenden Studiums Tabelle 45: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Fachrichtung des Studiums Gruppenunterschiede für Fachrichtung des Studiums auf Ana Übersicht der Parameterschätzer Fachrichtung N MW SD β p Eta² o.A. 44 4.39 .63 .02 .870 .000 Wirtschaft 112 4.52 .65 .15 .234 .005 Psychologie 36 4.94 .60 .57 .000 .048 Recht 13 4.69 .59 .32 .129 .009 Erziehung 12 4.58 .59 .22 .326 .004 SoWi 21 4.62 .62 .25 .167 .007 Sonstiges 34 4.37 .78 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(6, 265)=3.21, p=.005; Eta² = .068, R²=.068, korr.R²=.047; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(6, 265)=.69, p=.656; Die Ergebnisse zeigen mit einem substantiellen Haupteffekt von F(6, 265)=3.21, p=.005 sowie β=.57, einem Mittelwert von 4.94 und einem Erklärungsanteil des Faches Psychologie an der Gesamtvarianz von 4,8%144 eine signifikant höhere Ausprägung der Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses Fachrichtungen (Streuung von bei β=.02-.32 Psychologen und MW im Vergleich 4.37-4.69 bei zu anderen den anderen Fachrichtungen). Dies indiziert, dass sich Psychologen aufgrund ihrer Ausbildung und fachlich relevanten Kompetenzen in ihrer Beurteilung und Entscheidung tatsächlich stärker an den konkreten Anforderungen ausrichten und diese im Einstellungsinterview analytisch abtesten sowie systematisch zu bestätigen oder zu widerlegen suchen. Dieses Ergebnis unterstützt die Forderung der DIN 33430, dass nur eignungsdiagnostisch qualifizierte Personen Personalbeurteilungen vornehmen sollten (siehe Kapitel 2.1). Die geringsten analytischen Ausprägungen zeigen diejenigen Recruiter, die keine Angaben gemacht (MW=4.39) oder Sonstiges (MW=4.37) angegeben haben. Eventuell liegt hier sogar keine fachliche Berufsqualifizierung vor. Danach folgen die Wirtschaftswissenschaftler (β=.15 MW=4.52), die mit 112 Personen auch den größten Anteil der Stichprobe ausmachen. 144 gesamtes partielles Eta² für den Faktor Fachrichtung nur .068 = 6,8% Varianzaufklärung; 169 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die Teilnehmer mit dem fachlichen Hintergrund Rechts-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften (β=.32, MW=4.69, β=.22, MW=4.58 und β=.25, MW=4.62) zeigen im Vergleich ebenfalls tendenziell analytischere Urteils- und Entscheidungsmuster als die Teilnehmer mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung. Um die Unterschiede für den demografischen Faktor Fachrichtung noch weiter für die Variablen Entscheidungsdissonanz und Expertise zu spezifizieren, wurde dafür noch ein weiteres multivariates allgemeines lineares Modell berechnet. Hier zeigt sich mit F(6, 265)=2.74, p=.013 und Eta²=.058 ein signifikanter Haupteffekt auf die abhängige Variable Expertise. Der Effekt auf Entscheidungsdissonanz fällt mit F(6, 265)=1.74, p=.111 hingegen nur knapp signifikant aus. Die Ergebnisse sind in der Tabellengruppe 6 dargestellt. Tabellengruppe 6: Multivariates ALM – Fachrichtung auf Entscheidungsdissonanz und Expertise Faktor Fachrichtung auf Entscheidungsdissonanz und Expertise Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Variable Fachrichtung AV F(6, 265) p Eta² R² Korr.R² Diss 1.74 .111 .038 .038 .016 Exp 2.74 .013 .058 .058 .037 Anm.: Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(df1, df2), Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Multivariate Tests Wert F df1 df2 p Eta² Pillai-Spur .11 2.48 12 530 .004 .053 Wilks-Lambda .90 2.48 12 528 .004 .053 Hotelling-Spur .11 2.48 12 526 .004 .054 Größte charakt. Wurzel Roy .08 3.42 6 265 .003 .072 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix= 10.24, F(18, 24359)=.55, p=.937; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Entscheidungsdissonanz F(6, 265)=.57, p=.754; für Expertise F(6, 265)=.78, p=.588; 170 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ AV Diss Exp Fach Übersicht der Parameterschätzer N MW SD β p Eta² o.A. 44 2.21 .60 -.33 .036 .017 Wirtschaft 112 2.27 .66 -.27 .047 .015 Psychologie 36 2.39 .72 -.15 .355 .003 Recht 13 2.28 .57 -.26 .246 .005 Erziehung 12 2.75 .81 .21 .356 .003 SoWi 21 2.41 .71 -.13 .502 .002 Sonstiges 34 2.54 .76 0 . . o.A. 44 4.17 1.20 .08 .793 .000 Wirtschaft 112 3.65 1.27 -.45 .074 .012 Psychologie 36 4.06 1.44 -.04 .889 .000 Recht 13 3.26 1.33 -.84 .043 .015 Erziehung 12 3.47 1.53 -.63 .143 .008 SoWi 21 3.21 1.12 -.89 .012 .024 Sonstiges 34 4.10 1.11 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Interessant ist hierbei, dass die Gruppe der Wirtschaftswissenschaftler, trotz einem signifikant geringeren analytischen Entscheidungsstil als alle anderen Fachrichtungen (siehe Tabelle 45), dennoch signifikant weniger Entscheidungsdissonanz bezogen auf ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen empfinden (β=-.27, MW=2.27, Eta²=.015) als Gruppen anderer Fachrichtungen. Dies impliziert, dass sich die Gruppe der Wirtschaftswissenschaftler deutlich sicherer als die Gruppen anderer Fachrichtungen bei Personalentscheidungen fühlt und ihre Urteile weniger kritischer hinterfragt und anzweifelt, als es zum Beispiel Erziehungswissenschaftler (mit MW=2.75 höchste Ausprägung), Sozialwissenschaftler und Psychologen tun. Ebenfalls beschreibt sich die Gruppe der Wirtschaftswissenschaftler (β=-.45, MW=3.65, Eta²=.012) – ungerechtfertigt wie in Tabelle 45 ersichtlich – eher als Gruppe von „Experten“, als es auch hier wieder alle anderen Fachgruppen, außer die der Psychologen tun (Streuung von β=-.63 bis β=-.89 sowie MW=3.21-3.47 für Rechts-, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler). Dies weist auf die Gefahr hin, dass sich besonders bei „Nicht-Eignungsdiagnostikern“ wenig analytische Entscheidungsmuster durch simple Wiederholung verfestigen und somit zu dem Phänomen der intuitiven Selbstüberschätzung (nach Kahneman & Klein, 2009, S.518) führen 171 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ können. Dadurch steigt dann zwar die subjektive Sicherheit bei der Entscheidungsfindung, allerdings nicht die eignungsdiagnostische Objektivität und Gültigkeit der Entscheidung (siehe Kapitel 4.3). Die befragten Psychologen, beschreiben sich mit MW=4.06 am eindeutigsten als eignungsdiagnostische Experten, was aber auch in Kongruenz zu ihrem stark analytisch geprägten Entscheidungsstil steht. Recruitingstatus als interne Personalfachkraft vs. externer Personaldienstleister Tabelle 46: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Recruitingstatus Gruppenunterschiede für Recruitingstatus auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer Recruitingstatus N MW SD β p Eta² Interne Personalfachkraft 163 4.61 .63 .18 .061 .015 Externer Personaldienstleister 79 4.44 .77 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(1, 240)=3.54, p=.061; Eta² = .015, R²=.015, korr.R²=.010; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(1, 240)=3.42, p=.066; Zwischen intern angestellten Personalfachkräften und externen Personaldienstleistern zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede bezogen auf die Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses (Haupteffekt von F(1, 240)=3.54, p=.061). So entscheiden interne Personalangestellte etwas analytischer als externe Personaldienstleister (β=.18, MW=4.61 im Vergleich zu MW=4.44, Eta²=.015). Erklären lässt sich dies womöglich durch die konkretere Kenntnis der unternehmensspezifischen Anforderungen bei internen Personalfachkräften, die dann im Beurteilungsprozess als Personalangestellten im Referenz Vergleich fungieren. zu einem Ebenfalls externen bieten sich Personaldienstleister einem mehr Möglichkeiten, seine Beurteilungen auch im Nachhinein noch mit Hilfe konkreter Erfahrungen, Mitarbeiter-Beurteilungen sowie -Gesprächen zu reflektieren und zu evaluieren. So kann sich ein ehemaliger Bewerber als Mitarbeiter in konkreten Arbeitssituationen möglicherweise anders verhalten, als es der Recruiter im Einstellungsinterview prognostiziert hat. Dies führt dann mit erhöhter Wahrscheinlichkeit dazu, dass der Recruiter sein Urteil und seine 172 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ eignungsdiagnostischen Entscheidungsregeln hinterfragt und modifiziert, als es ein externer Personaldienstleister kann, der dieses Feedback nicht erhält (siehe auch Kapitel 2.3.3). Um diese Erklärungen auch varianzanalytisch belegen zu können, wurde ein weiteres multivariates ALM berechnet, in diesem Fall mit dem Faktor Recruitingstatus für die zu erklärenden Variablen Systematik des Feedbacks, Konkretheit des Anforderungsprofils sowie Kenntnis des Anforderungsprofils. Der Vergleich der Mittelwerte bestätigt die geäußerten Zusammenhänge145, allerdings bestehen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der genannten Variablen146. Auch hinsichtlich der eingeschätzten Expertise und wahrgenommenen Entscheidungsdissonanz unterscheiden sich interne Personalfachkräfte und externe Personaldienstleister nicht weiter signifikant voneinander147. Praktische Erfahrung in der Durchführung von Einstellungsinterviews Tabelle 47: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Erfahrung in Einstellungsinterviews auf Analytik Gruppenunterschiede für Erfahrung auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer Gruppe Erfahrung bis 3 Jahre N MW SD β p Eta² 76 4.39 .68 -.23 .010 .025 über 3 Jahre 196 4.62 .66 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(1, 270)=6.81, p=.010; Eta² = .025, R²=.025, korr.R²=.021; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(1, 270)=.21, p=.648; Auch der Faktor Erfahrung in der praktischen Durchführung von Einstellungsinterviews hat einen signifikanten Haupteffekt auf die Analytik im Urteils- und Entscheidungsprozess: F(1, 270)=6.81, p=.010. Die Recruiter mit wenig Erfahrung (< 3 Jahre) entscheiden auch weniger analytisch als die Recruiter mit mehr Erfahrung (> 3 Jahre) (β=-.23, MW=4.39 im Vergleich zu MW=4.62, 145 KoA: MW=4.42 für interne im Vergleich zu MW=4.22 für externe Personaler; KeA: MW=3.67 für interne im Vergleich zu MW=3.52 für externe Personaler; SysF nur minimaler Unterschied: MW=3.01 für interne im Vergleich zu MW=2.93 für externe Personaler; 146 F(1, 240)=.20, p=.656 für SysF, F(1, 240)=1.64, p=.202 für KoA, F(1, 240)=.96, p=.328 für KeA; siehe externer Anhang; 147 F(1, 240)=.33, p=.566 für Exp, F(1, 240)=1.60, p=.207 für Diss; siehe externer Anhang; 173 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Eta²=.025). Es lässt sich also ein positiver Effekt von Erfahrung auf eignungsdiagnostische Informationsverarbeitungsprozesse feststellen. Die Annahme, dass Erfahrung vor allem zur Verfestigung subjektiver Entscheidungsregeln bzw. nicht-evaluierter Routine führt (vgl. Kapitel 4.3), kann in der vorliegenden Untersuchung somit nicht bestätigt werden. Dies wird auch in der folgenden Berechnung deutlich: Tabelle 48: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Erfahrung in Einstellungsinterviews auf Expertise Gruppenunterschiede für Erfahrung auf Expertise Übersicht der Parameterschätzer Gruppe Erfahrung bis 3 Jahre N MW SD β p Eta² 76 2.90 1.03 -1.23 .000 .182 über 3 Jahre 196 4.13 1.31 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(1, 270)=60.23, p=.000; Eta² = .182, R²=.182, korr.R²=.179; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(1, 270)=3.6, p=.059; Der Faktor Erfahrung erklärt hierbei mit 18,2% einen Großteil der Varianz der zu erklärenden Variable Expertise (F(1, 270)=60.23, p=.000, Eta²=.182). Die objektive Erfahrung des Recruiters hängt also sehr stark mit der subjektiven Einschätzung „Ich bin ein eignungsdiagnostischer Experte“ zusammen (β=-1.23, MW=2.90 für Recruiter mit <3 Jahren Erfahrung im Vergleich zu MW=4.13 für Recruiter mit >3 Jahren Erfahrung) und führt tatsächlich zu einem analytischen Entscheidungsmodus. Erfahrene Interviewer weisen somit einen stärker analytisch geprägten Entscheidungsmodus auf, als weniger erfahrene Interviewer. Somit kann die These, dass sich eignungsdiagnostische Erfahrung vor allem in ungerechtfertigter überhöhter Selbsteinschätzung manifestiert (siehe Kapitel 4.3), in dieser Arbeit nicht bestätigt werden. Vielmehr zeigen die Ergebnisse den gegenteiligen Zusammenhang. Auch dieser sollte durch weitere Forschungsarbeiten weiter untersucht werden. 174 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Unternehmensgröße Tabelle 49: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Unternehmensgröße Gruppenunterschiede für Unternehmensgröße auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer UnternehmensN MW SD β p Eta² größe < 50 MA 64 4.38 .73 -.26 .024 .019 50-150 MA 29 4.38 .66 -.27 .071 .012 150-500 MA 52 4.58 .70 -.07 .574 .001 500-1000 MA 35 4.78 .62 .13 .351 .003 1000-2000 MA 24 4.57 .47 -.08 .620 .001 >2000 MA 66 4.65 .64 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(6, 265)=2.08, p=.056; Eta² = .045, R²=.45, korr.R²=.023; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(6, 265)=1.15, p=.336; Die Ergebnisse zeigen weiterhin für den Faktor Unternehmensgröße einen signifikanten Haupteffekt (F(6, 265)=2.08, p=.056) auf den individuellen Entscheidungsmodus der befragten Recruiter. Die Ergebnisse zeigen mit β=-.26 (MW=4.38, Eta²=.019) bei Recruitern in kleinen Unternehmen mit <50 MA (N=64) und β=-.27 (MW=4.38, Eta²=.012) bei Recruitern in Unternehmen mit 50-150 MA (N=29) eine signifikant niedrigere Ausprägung der Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses im Vergleich zu Recruitern in größeren Unternehmen (Streuung von β=-.07-.13 und MW 4.57-4.78148). Die höchsten Mittelwerte zeigen Recruiter in Unternehmen mit 500-1000 MA (N=35, β=.13, MW=4.78, Eta²=.003). Den größten Anteil an der Stichprobe sind mit N=66 Recruiter aus Großunternehmen oder Konzernen mit über 2000 Mitarbeitern und einem Mittelwert von 4.65, was ebenfalls auf die dortige stark analytisch geprägte eignungsdiagnostische Praxis hinweist. Dies indiziert, konform zu den Ergebnissen Stephan`s & Westhoff`s (2002) sowie den Ergebnissen der Clusteranalyse (Kapitel 6.4), dass vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen eignungsdiagnostischer Handlungsbedarf und Optimierungspotenzial bestehen. Dies wird auch in Kapitel 6.5.2 noch weiter untersucht. 148 2 Personen, die keine Angaben zur Unternehmensgröße gemacht haben, wurden aus der tabellarischen Darstellung ausgeschlossen; 175 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Unternehmensbranche Tabelle 50: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Unternehmensbranche Gruppenunterschiede für Unternehmensbranche auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer Branche N MW SD β p Eta² o.A. 4 4.25 1.30 -.96 .055 .015 Automobil 17 4.95 .71 -.26 .525 .002 Bau 1 4.50 . -.71 .347 .004 Bildung 1 4.75 . -.46 .543 .002 Chemie 5 4.58 .77 -.63 .184 .007 Dienstleistung 26 4.56 .48 -.65 .105 .011 Einzelhandel 2 3.63 .00 -1.58 .008 .028 Energie 6 5.19 .39 -.02 .964 .000 Finanzen/Versicherung 34 4.63 .66 -.58 .138 .009 Gesundheit 4 4.38 .87 -.83 .095 .011 Handel 6 4.23 .22 -.98 .034 .018 Immobilien 4 4.22 .30 -.99 .048 .016 Industrie 45 4.64 .55 -.56 .148 .009 IT 6 4.00 .44 -1.21 .009 .028 Konsumgüter 2 4.63 .00 -.58 .327 .004 Logistik 5 4.55 .34 -.66 .167 .008 Luft- & Raumfahrt 2 4.25 .88 -.96 .108 .011 Medien 4 4.59 .85 -.62 .218 .006 Medizintechnik 1 4.63 . -.58 .439 .002 öffentlicher Dienst 6 4.67 .26 -.54 .241 .006 Personaldienstleistung 62 4.31 .77 -.89 .021 .022 Pharmazie 1 4.00 . -1.21 .109 .011 Telekommunikation 1 4.50 . -.71 .347 .004 Textil 2 4.75 1.41 -.46 .441 .002 Tourismus 2 4.50 .53 -.71 .235 .006 Transport 1 4.75 . -.46 .543 .002 Unternehmensberatung 17 4.91 .59 -.30 .468 .002 Verkehr 1 4.50 . -.71 .347 .004 Verpackungen 1 4.25 . -.96 .204 .007 Versorgung 3 5.21 .89 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(29, 242)=1.51, p=.050; Eta² = .154, R²=.154, korr.R²=.052; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(29, 242)=2.31, p=.000; 176 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Auch die Unternehmensbranche zeigt mit einer Varianzaufklärung von 15,4% einen signifikanten Haupteffekt (F(29, 242)=1.51, p=.050) hinsichtlich der Analytik der Urteils- und Entscheidungsprozesse der agierenden Recruiter. Die Streuung fällt mit MW von 4.00-5.21 recht breit aus und zeigt besonders für die Branchen Automobil (MW=4.95), Energie (MW=5.19), Unternehmensberatung (MW=4.91) und Versorgung (MW=5.21) besonders stark analytisch geprägte Urteils- und Entscheidungsmuster der dort handelnden Recruiter. Signifikant abweichende Urteils- und Entscheidungsprozesse lassen sich für die in Minderheiten vertretenen Branchen Einzelhandel, Gesundheit, Handel, Immobilien, IT, Luft & Raumfahrt, Pharmazie und o.A. feststellen (N gesamt =19, Streuung von β=-1.58 bis β=-.83 und MW=3.63 - 4.38). Allerdings zeigt auch die Branche Personaldienstleistung (β=-.89, MW=4.31, Eta²=.022; mit N=62 größter Branchenanteil der Stichprobe) signifikant niedrigere Ausprägungen der Analytik im Urteils- und Entscheidungsprozess. Analog zu den in Tabelle 46 bereits dargestellten Ergebnissen zum Recruitingstatus intern vs. extern, kann diese deutliche Abweichung besonders deshalb als problematisch interpretiert werden, da externe Personaldienstleister aufgrund ihrer fachlichen Spezialisierung im Bereich Recruiting, Personalauswahl oder auch Personalentwicklung, in der Regel als Experten engagiert werden, um Unternehmen bei Personalauswahlprozessen extern zu unterstützen, diese zu optimieren oder sogar für das Unternehmen zu übernehmen. Im Wiederspruch dazu zeigen sich bei Personaldienstleistern in der vorliegenden Arbeit allerdings keine stärker analytisch geprägten Entscheidungsmuster, die letztlich als Indikator für die Güte der eignungsdiagnostischen Entscheidung fungieren, als bei internen Personalfachkräften. Deshalb mag der eignungsdiagnostische Nutzen von Personaldienstleistungen womöglich in der Gestaltung und Durchführung von Assessment Centern oder anderen Elementen der Personalauswahl oder -entwicklung liegen, bezogen auf die Durchführung von Einstellungsinterviews allerdings, lässt sich der Nutzen einer Personaldienstleitung aufgrund der vorliegenden Ergebnisse vorerst anzweifeln. Zur weiteren Klärung des Zusammenhanges sollte auch die zukünftige Forschung beitragen. 177 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Häufigkeit der eignungsdiagnostischen Weiterbildung Tabelle 51: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung auf Analytik Gruppenunterschiede Häufigkeit Weiterbildung auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer Weiterbildung N MW SD β p Eta² mehr als 5 mal 42 4.47 .73 .08 .529 .001 3-5 mal 37 4.69 .68 .31 .025 .019 1-3 mal 128 4.63 .62 .25 .016 .022 noch nicht 65 4.38 .70 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(3, 268)=2.76, p=.043; Eta² = .030, R²=.030, korr.R²=.019; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(3, 268)=.76, p=.515; Auch der Faktor eignungsdiagnostischer Weiterbildung zeigt einen signifikanten Haupteffekt auf die Analytik im Urteils- und Entscheidungsprozess der befragten Recruiter (F(3, 268)=2.76, p=.043; vgl. auch Kapitel 2.3.3 zum Interviewertraining). Die Recruiter mit bereits 1-3 und 3-5 absolvierten Weiterbildungen entscheiden signifikant analytischer als diejenigen Recruiter, die noch keine Weiterbildung besucht haben (β=.31, MW=4.69 für die Gruppe 3-5 Weiterbildungen; β=.25, MW=4.63 für die Gruppe 1-3 Weiterbildungen im Vergleich zu MW=4.38 für die Gruppe ohne Weiterbildungen). Der positive Trainingseffekt erreicht allerdings bei mehr als 5 absolvierten Weiterbildungen einen Deckeneffekt, denn ein positiver Effekt bzw. eine weitere Steigerung der Analytik im Urteils- und Entscheidungsprozess durch noch mehr Weiterbildungen lässt sich hier nicht feststellen. Die Gruppe der Recruiter, die schon an mehr als 5 Weiterbildungen teilgenommen hat, zeigt mit einem MW=4.47 wieder niedrigere Ausprägungen. Interessant ist hierbei in diesem Zusammenhang, dass die eingeschätzte Expertise fast linear mit der Anzahl der absolvierten Weiterbildungen steigt, wie bei Sichtung der jeweiligen Parameterschätzer des ALM`s in Tabelle 52 ersichtlich wird. Der Faktor Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung erklärt hierbei mit 22,3% einen Großteil der Varianz der zu erklärenden Variable Expertise (Haupteffekt von F(3, 268)=25.62, p=.000, Eta²=.223). 178 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Trotzdem also diejenigen Recruiter, die schon an mehr als 5 Weiterbildungen teilgenommen haben, wieder niedrigere analytische Ausprägungen zeigen, beschreiben sie sich dennoch am eindeutigsten – und ungerechtfertigt wie in Tabelle 51 ersichtlich – als Experten (β=1.8, MW=4.69, Eta²=.190). Die anderen Gruppen zeigen sich dort selbstkritischer (Streuung β=.87-1.52, MW=2.89 - 4.41). Tabelle 52: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für Häufigkeit eignungsdiagnostischer Weiterbildung auf Expertise Gruppenunterschiede für Häufigkeit Weiterbildung auf Expertise Übersicht der Parameterschätzer Weiterbildung N MW SD β p Eta² mehr als 5 mal 42 4.69 .86 1.8 .000 .190 3-5 mal 37 4.41 1.03 1.52 .000 .134 1-3 mal 128 3.76 1.16 .87 .000 .084 noch nicht 65 2.89 1.32 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(3, 268)=25.62, p=.000; Eta² = .223, R²=.223, korr.R²=.214; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(3, 268)=1.88, p=.133; Eingeschätzter eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf Tabelle 53: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf auf Analytik Gruppenunterschiede für Weiterbildungsbedarf auf Analytik Übersicht der Parameterschätzer WeiterbildungsN MW SD β p Eta² bedarf sehr hoch 13 4.49 .47 -.85 .006 .028 hoch 72 4.60 .65 -.74 .005 .029 mittel 123 4.47 .68 -.87 .001 .041 gering 57 4.59 .64 -.75 .005 .029 kein Bedarf 7 5.34 .79 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(4, 267)=3.15, p=.015; Eta² = .045, R²=.045, korr.R²=.031; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(4, 267)=1.03, p=.390; Zum Schluss findet sich auch für den eingeschätzten eignungsdiagnostischen Weiterbildungsbedarf der Recruiter ein signifikanter Haupteffekt auf die Analytik ihres Urteilsund Entscheidungsprozesses (F(4, 267)=3.15, p=.015, Eta²=.045). 179 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Interessant ist, dass die Streuung zwischen den Gruppen sehr hoher bis geringer Weiterbildungsbedarf nur sehr gering ist (MW=4.47-4.60), die subjektive Einschätzung sich also nicht mit den tatsächlichen Fakten deckt. Allerdings gibt es eine kleine Gruppe von Recruitern (N=7), die keinen Weiterbildungsbedarf angibt und auch sehr hohe analytische Ausprägungen in ihrem Entscheidungsstil aufweist (MW=5.34). Somit unterscheiden sich die anderen Gruppen sehr stark (β=-.74 bis β=-.87) von dieser Experten-Gruppe. Der eingeschätzte eignungsdiagnostische Weiterbildungsbedarf verläuft auch hier wieder fast linear mit der eingeschätzten Expertise der befragten Recruiter. Auch hier beschreiben sich diejenigen Recruiter, die am stärksten analytisch entscheiden und demzufolge auch keinen Weiterbildungsbedarf angeben, mit einem Mittelwert von 4.81 eindeutig als Experten (F(4, 267)=1.52, p=.195). Tabelle 54: Univariates ALM – Gruppenunterschiede für eignungsdiagnostischer Weiterbildungsbedarf auf Expertise Gruppenunterschiede für Weiterbildungsbedarf auf Expertise Übersicht der Parameterschätzer WeiterbildungsN MW SD β p Eta² bedarf sehr hoch 13 3.46 1.35 -1.35 .026 .018 hoch 72 3.71 1.41 -1.1 .032 .017 mittel 123 3.75 1.17 -1.06 .034 .017 gering 57 3.91 1.34 -.90 .081 .011 kein Bedarf 7 4.81 1.44 0 Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; die signifkanten Ergebnisse sind markiert; Nicht-signifikanter Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(4, 267)=1.52, p=.195; Eta² = .022, R²=.022, korr.R²=.008; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz F(4, 267)=1.24, p=.292; 180 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ 6.5.2 Einfluss der Unternehmensgröße und des Recruitingstatus auf die organisationalen Rahmenbedingungen eignungsdiagnostischer Entscheidungen Im Folgenden sollen die organisationalen Rahmenbedingungen unter denen Recruiter eignungsdiagnostische Entscheidungen treffen, anhand der Faktoren Unternehmensgröße und Recrutingstatus intern vs. extern voneinander differenziert werden. Der Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede zeigt zunächst, ob signifikante Haupteffekte für die jeweiligen Faktoren bestätigt werden können. Es können signifikante Haupteffekte für beide Faktoren Unternehmensgröße und Recruitingstatus zunächst nur für die abhängige Variable Rechenschaftsverpflichtung gefunden werden (Unternehmensgröße: F(6, 265)=4.26, p=.000, Eta²=.088; Recruitingstatus: F(1, 240)=16.24, p=.000, Eta²=.063). Tabelle 55: Faktoren Unternehmensgröße und Recruitingstatus auf organisationale Rahmenbedingungen – Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Faktoren Unternehmensgröße und Recruitingstatus auf Rech, StrI, SysF, KoA Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede Variable AV F p Eta² R² Korr.R² Rech 4.26 .000 .088 .088 .067 Unternehmens- StrI 1.13 .345 .025 .025 .003 größe SysF 1.29 .263 .028 .028 .006 KoA 1.09 .366 .024 .024 .002 Rech 16.24 .000 .063 .063 .059 Recruiting- StrI 1.29 .258 .005 .005 .001 status SysF .20 .656 .001 .001 -.003 KoA 1.64 .202 .007 .007 .003 Anm.: Darstellung Test der Zwischen-Gruppen-Unterschiede mit F(6, 265) für Unternehmensgröße, F(1, 240) für Recruitingstatus; Signifikanzniveau p, Partielles Eta², R² sowie korrigiertem R²; Im Folgenden wird zunächst der Faktor Unternehmensgröße betrachtet. 181 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabellengruppe 7: Multivariates ALM – Unternehmensgröße auf organisationale Rahmenbedingungen Multivariate Tests Wert F df1 df2 p Eta² Pillai-Spur .16 1.82 24 1060 .009 .040 Wilks-Lambda .85 1.84 24 915 .008 .040 Hotelling-Spur .17 1.85 24 1042 .008 .041 Größte charakt. Wurzel Roy .11 4.77 6 265 .000 .097 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix= 50.03, F(50, 55197)=.96, p=.564; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Rech F(6, 265)=3.81, p=.001; für StrI F(6, 265)=1.14, p=.339; für SysF F(6, 265)=.39, p=.883; für KoA F(6, 265)=.38, p=.894; AV Rech StrI SysF KoA Unternehmensgröße auf organisationale Rahmenbedingungen Übersicht der Parameterschätzer Gruppe N MW SD β p Eta² o.A. 2 4.25 2.37 -.23 .799 .000 < 50 MA 64 3.73 1.50 -.75 .001 .042 50-150 MA 29 3.50 1.37 -.98 .001 .044 150-500 MA 52 4.24 1.21 -.24 .304 .004 500-1000 MA 35 4.53 1.00 .05 .857 .000 1000-2000 MA 24 4.58 1.05 .10 .734 .000 >2000 MA 66 4.48 1.16 0 . . o.A. 2 5.00 .00 .32 .749 .000 < 50 MA 64 4.26 1.25 -.43 .080 .011 50-150 MA 29 4.06 1.65 -.62 .044 .015 150-500 MA 52 4.42 1.37 -.26 .315 .004 500-1000 MA 35 4.37 1.47 -.31 .285 .004 1000-2000 MA 24 4.08 1.28 -.60 .071 .012 >2000 MA 66 4.68 1.40 0 . . o.A. 2 2.00 1.41 -.86 .330 .004 < 50 MA 64 2.86 1.28 .00 .997 .000 50-150 MA 29 3.25 1.08 .39 .150 .008 150-500 MA 52 3.31 1.24 .46 .046 .015 500-1000 MA 35 3.05 1.13 .19 .461 .002 1000-2000 MA 24 2.97 1.24 .11 .697 .001 >2000 MA 66 2.86 1.26 0 . . o.A. 2 5.00 .94 .52 .527 .002 < 50 MA 64 4.17 1.15 -.31 .117 .009 50-150 MA 29 4.28 1.09 -.21 .409 .003 150-500 MA 52 4.17 1.25 -.31 .139 .008 500-1000 MA 35 4.55 1.12 .07 .776 .000 1000-2000 MA 24 4.57 1.01 .09 .755 .000 >2000 MA 66 4.48 1.09 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; 182 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Die Ergebnisse zeigen mit einem Unterschied von β=-.75, MW=3.73, Eta²=.042 bei Recruitern in kleinen Unternehmen mit < 50 MA (N=64) und β=-.98, MW=3.5, Eta²=.044 bei Recruitern in Unternehmen mit 50-150 MA (N=29) eine signifikant niedrigere Ausprägung der organisationalen Rahmenbedingung Rechenschaftsverpflichtung als in größeren Unternehmen (Streuung β=.05 bis β=-.24 und MW=4.24-4.53). Dies kann möglicherweise darauf zurück zu führen sein, dass Recruiter in kleinen Unternehmen auch innerhalb kleinerer Teams Personalentscheidungen treffen, vielleicht sogar gänzlich eigenverantwortlich, ohne dass die Entscheidungen noch vor Vorgesetzten oder Teamkollegen begründet werden müssen. Da der Faktor Rechenschaftsverpflichtung in der vorliegenden Arbeit aber als sehr effektive kontextuelle Rahmenbedingung zur Kontrolle intuitiver Entscheidungsmuster identifiziert worden ist, sollte dieses Potenzial auch von kleineren Unternehmen stärker berücksichtigt werden. Hier zeigt sich also vor allem in kleineren Unternehmen noch dringender Optimierungsbedarf. Die Ergebnisse zeigen weiterhin mit einem Unterschied von β=-.43, MW=4.26, Eta²=.011 bei Recruitern in kleinen Unternehmen mit < 50 MA (N=64) und β=-.62, MW=4.06, Eta²=.015 bei Recruitern in Unternehmen mit 50-150 MA (N=29) sowie auch in größeren Unternehmen mit 1000-2000 MA mit β=-.60, MW=4.08, Eta²=.012 (N=24) eine substantiell niedrigere Ausprägung der organisationalen Rahmenbedingung Strukturiertheit des Interviews als in den anderen Unternehmen (Streuung MW=4.37 - 4.68). Auch hier besteht also Optimierungsbedarf hinsichtlich der Standardisierung von Personalauswahlprozessen. Überraschend ist, dass in dieser Stichprobe auch in großen Unternehmen noch wenig strukturierte Einstellungsinterviews durchgeführt werden, obwohl deren Effektivität vielfach überzeugend belegt wurde (Kapitel 2.3.1), auch in dieser Studie. Die höchste Strukturierung weisen die Einstellungsinterviews in Unternehmen mit mehr als 2000 MA auf (MW=4.68). Die höchste Ausprägung bezogen auf die Systematik des Feedbacks zeigen Unternehmen mit 150-500 MA (β=.46, MW=3.31, Eta²=.015; N=52), die niedrigsten Ausprägungen zeigen mit einem Mittelwert von 2.86 kleine Unternehmen mit <50 MA sowie auch große Unternehmen mit >2000 MA. 183 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Innerhalb kleiner Unternehmen sollten potenzielle Evaluationskriterien grundsätzlich leichter verfügbar sein als in Unternehmen mit größeren Strukturen, bei denen die Personalabteilung häufig von den Fachabteilungen isoliert ist. Dieser Vorteil sollte deshalb in der Praxis ausgenutzt werden. Bei Betrachtung der Skala Systematik des Feedbacks wird mit durchgängig geringeren Mittelwerten als bei allen anderen Skalen (vgl. auch Kapitel 6.2.5) deutlich, dass das Thema Evaluation in der eignungsdiagnostischen Praxis grundsätzlich stark vernachlässigt wird, unabhängig von der Unternehmensgröße. Deshalb ist grundsätzlich hohes eigeninitiatives Engagement des Recruiters gefragt, wenn er seine eignungsdiagnostischen Entscheidungsregeln und Prognosen mittels konkreter Outcome-Variablen wie beruflichen Erfolgen des Mitarbeiters evaluieren möchte. Abhilfe kann hier eine systematisch Entscheidungsprozesses schaffen. durchgeführte So könnte unternehmensweite die standardisierte Evaluation des Auswertung des Einstellungsinterviews im Vergleich zu der standardisierten Vorgesetztenbeurteilung des Mitarbeiters ein erster Schritt auf dem Wege zu einer professionellen eignungsdiagnostischen Praxis sein. Die geringsten Ausprägungen bezogen auf die Konkretheit des Anforderungsprofils zeigen Unternehmen mit <50 MA und Unternehmen mit 150-500 MA (jeweils β=.-31, MW=4.17, Eta²=.009 bzw Eta²=.008). Hier zeigen größere Unternehmen stärkere Ausprägungen (Streuung von MW 4.28-4.57). Auch hier wird somit der Optimierungsbedarf in kleineren Unternehmen hinsichtlich der professionellen Gestaltung von Personalauswahlprozessen erneut verdeutlicht. Vor allem in kleineren Unternehmen sollte dabei der Vorteil der leichten Zugänglichkeit sowie Verfügbarkeit von stellen- und anforderungsrelevanten Informationen zur Erstellung von Anforderungsprofilen ausgenutzt werden. Tabellengruppe 8 zeigt die Ergebnisse nun für den Faktor Recruitingstatus im Detail. 184 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Tabellengruppe 8: Multivariates ALM – Recruitingstatus auf organisationale Rahmenbedingungen Multivariate Tests Wert F(4, 237) p Eta² Pillai-Spur .08 5.26 .000 .082 Wilks-Lambda .92 5.26 .000 .082 Hotelling-Spur .09 5.26 .000 .082 Größte charakt. Wurzel Roy .09 5.26 .000 .082 Anm.: Box-M-Wert zur Prüfung der Homogenität der Varianz-Kovarianz-Matrix= 21.5, F(10, 115723)=2.1, p=.021; Levene-Test auf Homogenität der Fehlervarianz: für Rech F(1, 240)=18.76, p=.000; für StrI F(1, 240)=.47, p=.494; für SysF F(1, 240)=1.12, p=.292; für KoA F(1, 240)=.80, p=.372; Gruppenunterschiede für Recruitingstatus auf organisationale Rahmenbedingungen Übersicht der Parameterschätzer AV Gruppe N MW SD β p Eta² Rech StrI SysF KoA Interner Personaler 163 4.37 1.13 .70 .000 .063 Externer Dienstleister 79 3.67 1.51 0 . . Interner Personaler 163 4.25 1.42 -.22 .258 .005 Externer Dienstleister 79 4.46 1.35 0 . . Interner Personaler 163 3.01 1.20 .08 .656 .001 Externer Dienstleister 79 2.93 1.32 0 . . Interner Personaler 163 4.42 1.08 .19 .202 .007 Externer Dienstleister 79 4.22 1.15 0 . . Anm.: Darstellung der Zellstichprobengröße (N), des Mittelwertes (MW), der Standardabweichung (SD), der Parameterschätzer (β), des Signifikanzniveaus (p) und Eta²; signifikante Ergebnisse sind markiert; Obwohl sich die organisationalen Rahmenbedingungen zwischen intern angestellten Personalfachkräften und externen Personaldienstleistern auf fast allen Variablen unterscheiden, wird der Unterschied nur für den Faktor Rechenschaftsverpflichtung als signifikant ausgewiesen. Dieser Unterschied ist mit β=.70, p=.000, MW=4.37 für interne Personalfachkräfte im Vergleich zu MW=3.67 für externe Personaldienstleister (Eta²=.063), allerdings substantiell. Dies verwundert insofern, als dass externe Personaldienstleister im Regelfall als Berater von einem Unternehmen engagiert werden und eine wesentliche Aufgabe der beratenden Tätigkeit deshalb auch in der Begründung von Empfehlungen liegen sollte. Das Ergebnis indiziert im Gegensatz dazu, dass der Dienstleister aufgrund seines vermeintlichen Expertenstatus (vgl. auch Ergebnisse in Tabelle 46) seine eignungsdiagnostischen Urteile und Entscheidungen im Nachhinein weniger rechtfertigen und begründen muss, als ein unternehmenseigener Mitarbeiter. 185 6 Empirische Prüfung der kausalen Zusammenhänge ___________________________________________________________________________________________ Dies ist im Hinblick auf die eignungsdiagnostische Qualitätssicherung als kritisch zu bewerten. Weiterhin zeigen sich auch für die Variablen Strukturiertheit des Interviews sowie Konkretheit des Anforderungsprofils leichte Unterschiede zwischen intern angestellten Personalfachkräften und externen Personaldienstleistern, die sich aber nicht als signifikant (p>.100) darstellen (StrI: β=-.22, MW=4.25 für interne im Vergleich zu MW=4.46 für externe Personaler, Eta²=.005; KoA: β=.19, MW=4.42 für interne im Vergleich zu MW=4.22 für externe Personaler, Eta²=.005). So verwenden externe Dienstleister zwar häufiger strukturierte Interviews als interne Personalangestellte, was grundsätzlich positiv zu bewerten ist, allerdings bleibt der postulierte Effekt auf analytisch geprägtere Urteils- und Entscheidungsprozesse dabei für Personaldienstleister in dieser Untersuchung aus (siehe Ergebnisse Tabelle 46). Hier sind die Relevanz sowie eignungsdiagnostische Fundierung des Anforderungsprofils die entscheidenden Größen für die Konstruktion valider strukturierter Interviews (vgl. auch Hypothese 2.7 zum Mediatoreffekt für Konkretheit des Anforderungsprofils). Da Personaldienstleister weniger konkrete Anforderungsprofile als interne Personalangestellte nutzen, bleiben somit die erhofften positiven Effekte aus. Fehlt das Fundament des Anforderungsprofils, hilft also auch die bloße Strukturierung des Einstellungsinterviews nicht weiter. Hier sind deshalb die Unternehmen als Auftraggeber gefordert, gemeinsam mit den Beratern ein fundiertes und verhaltensbezogenes Anforderungsprofil zu entwickeln, das zur Konstruktion valider Einstellungsinterviews dient (zur wissenschaftlich empfohlenen Vorgehensweise siehe Kapitel 2.3.2). 186 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ 7. Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis Ziel der vorliegenden Arbeit war es, ein kausales Modell zu den Determinanten analytisch geprägter Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern in Einstellungsinterviews zu entwickeln und dieses empirisch zu überprüfen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Prüfung von mediierenden Variablen, um diejenigen intervenierenden kausalen Mechanismen zu identifizieren, welche die Informationsverarbeitungsprozesse von Recruitern entscheidend prägen. Dies wurde mit der Methodik der Strukturgleichungsmodellierung erfolgreich umgesetzt. Konform zu dem dynamisch-interaktionistischen Paradigma der Psychologie, wurden dabei als Determinanten sowohl organisationale Rahmenbedingungen sowie persönliche Lernprozesse und motivationale Faktoren des Recruiters berücksichtigt. Die Ergebnisse wahrgenommene des Strukturgleichungsmodells Expertise eines Recruiters haben positiv gezeigt, dass mit einem die subjektiv analytischen eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozess zusammenhängt. Dies unterstützt zum einen die in dieser Arbeit formulierte Annahme, dass ein Recruiter sein Expertenwissen explizit formulieren kann, obwohl er es mittlerweile automatisch anwendet und sich primär auf die relevanten Cues und Inferenzen konzentriert. Damit unterscheidet sich ein eignungsdiagnostischer Experte möglicherweise deutlich von Experten anderer Fachgebiete. Die Differenzierung und inhaltliche Kategorisierung von explizitem und implizitem eignungsdiagnostischen Expertenwissen bei Recruitern könnte deshalb aufbauend interessanter Gegenstand zukünftiger Untersuchungen und Grundlage für die inhaltliche Konzeption von Interviewertrainings sein. Zum anderen zeigt der positive Zusammenhang zwischen Expertise und Analytik in der vorliegenden Arbeit, dass die Tatsache, dass sich ein Recruiter als „Experte“ beschreibt, nicht dazu führt, dass er aufgrund dieser Selbsteinschätzung seine eignungsdiagnostischen Entscheidungen weniger systematisch oder gewissenhaft trifft und seine eignungsdiagnostischen Fähigkeiten dabei überschätzt. Im Gegenteil wird sogar deutlich, dass sein (subjektiver) Expertenstatus sowohl sein persönliches Verantwortlichkeitsgefühl, als Indikator seines persönlichen Involvements, als 187 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ auch die Analytik seiner Informationsverarbeitungsprozesse substantiell steigert. Die Variable Verantwortlichkeitsgefühl fungierte dabei als totaler Mediator. Auch die Ergebnisse allgemeiner linearer Modelle unterstützen diesen Zusammenhang. Es konnte gezeigt werden, dass erfahrene Recruiter analytischere Ausprägungen ihres Entscheidungsmodus als wenig erfahrene Recruiter aufweisen. Der objektive Faktor Erfahrung hängt hier folglich positiv mit der subjektiven Einschätzung als Experte zusammen. Das Phänomen der intuitiven Selbstüberschätzung bei vermeintlichen Experten (Kahneman & Klein, 2009; Kleinmuntz, 1990; Einhorn & Hogarth, 1978) sowie negative Effekte für den Faktor diagnostische Erfahrung (Gehrlein et al., 1993) können in der vorliegenden Arbeit somit nicht festgestellt werden. In diesem Zusammenhang könnte sich die weitere Untersuchung mediierender und auch moderierender Variablen als fruchtbar erweisen, um diejenigen Bedingungen zu identifizieren, unter denen eignungsdiagnostische Erfahrung positive oder negative Effekte auf die Urteilsvalidität ausübt. Wichtiger zu berücksichtigender Kontext ist dabei die Validität der Lernumgebung des Recruiters (Kahneman & Klein, 2009). Weiterhin kann mit den Ergebnissen des Strukturgleichungsmodells das persönliche Involvement als entscheidende mediierende Variable zwischen organisationalen Rahmenbedingungen sowie persönlichen Lernprozessen und des Entscheidungsmodus des Recruiters im Kontext von Einstellungsinterviews bestätigt werden. Dieser intervenierende Zusammenhang sollte somit auch in künftigen Forschungsarbeiten berücksichtigt werden. Auch lassen sich hier noch weitere motivationale Faktoren oder Persönlichkeitsfaktoren als intervenierende Variablen für einen eher analytisch oder intuitiv geprägten Entscheidungsmodus vermuten. Der Einfluss weiterer motivationaler oder persönlicher Faktoren des Recruiters auf seinen Entscheidungsmodus könnte sich als ergiebiges Forschungsfeld für die Zukunft erweisen und ebenfalls als theoretische Basis für die Konstruktion von Interviewertrainings dienen. Auch die individuelle Präferenz eines Recruiters für einen analytischen bzw. deliberaten oder intuitiven Entscheidungsstil (Betsch, 2004) könnte dabei eine Rolle spielen. 188 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Bezogen auf die organisationalen Rahmenbedingungen unter denen Recruiter entscheiden, konnte in der vorliegenden Arbeit vor allem der positive Effekt der Rechenschaftsverpflichtung, sowohl auf motivationale Variablen, aber auch auf den Urteilsund Entscheidungsprozess des Recruiters, mit substantiellen Wirkungseffekten bestätigt werden. In der Implementierung von Rechenschaftsverpflichtung für Einstellungsentscheidungen liegt somit großes Potenzial, um die Qualität eignungsdiagnostischer Urteils- und Entscheidungsprozesse in der Praxis zu optimieren. Hierbei sollte die unterschiedliche Effektivität von Rechenschaft über das Ergebnis im Vergleich zu Rechenschaft über den Prozess berücksichtigt werden (Brtek & Motowidlo, 2002). Anzustreben ist die Rechenschaftsverpflichtung über den eignungsdiagnostischen Prozess. Eine praktische Maßnahme wäre zum Beispiel eine (halb-)standardisierte Auswertung des Einstellungsinterviews, bei der mit Hilfe einer Checkliste auch von Kollegen oder Vorgesetzten nachvollzogen werden kann, ob die relevanten Anforderungen objektiv als erfüllt betrachtet werden können. Dieses Protokoll könnte somit als Grundlage für eine Konsensdiskussion dienen oder aber im Rahmen von regelmäßigen Qualitätszirkeln mit anderen Recruitern diskutiert werden. Dies setzt natürlich eine angemessene Selbstreflektion und Diskussionsbereitschaft der Recruiter voraus. Weiterhin wurden auch für die Strukturiertheit des Interviews sowie für die Konkretheit des Anforderungsprofils bedeutsame Kontrollmechanismen auf den Informationsverarbeitungsmodus sowie auch auf motivationale Faktoren des Recruiters belegt. Die Effektivität strukturierter Interviews lässt sich dabei vor allem dadurch begründen, dass diese zumeist konkrete Anforderungen beinhalten und damit Entscheidungsregeln vorgeben, an denen sich der Recruiter bei seiner Beurteilung und Entscheidung orientieren muss. Dieser Zusammenhang konnte mit signifikanten Mediator-Effekten belegt werden. Die stellenrelevante Fundierung des Anforderungsprofils ist damit wesentliche Voraussetzung für die Effektivität strukturierter Interviews sowie analytisch geprägter eignungsdiagnostischer Entscheidungen. Dies konnte zusätzlich mit den Ergebnissen der allgemeinen linearen Modelle belegt werden. Die bloße Strukturierung eines Interviews zeigt nur einen geringen Wirkungseffekt, wenn das zugrunde liegende Anforderungsprofil nicht verhaltensbezogen, konkret und stellenrelevant konstruiert wurde. Hier könnten auch Moderator-Analysen in zukünftigen Forschungsarbeiten den kausalen Zusammenhang weiter belegen. 189 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Für das Feedback konnten nur indirekte Effekte auf den eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozess eines Recruiters gefunden werden. Als entscheidende intervenierende Variable konnte hier das Verantwortlichkeitsgefühl des Recruiters als Indikator seines persönlichen Involvements identifiziert werden. Dies bedeutet, dass das Feedback über die Qualität der eignungsdiagnostischen Entscheidung nur dann einen Effekt auf einen analytischen Entscheidungsmodus des Recruiters zeigt, wenn es einen Effekt auf das Verantwortlichkeitsgefühl bzw. Engagement des Recruiters ausübt, der Recruiter sich also persönlich involviert fühlt. Dieses Ergebnis schließt an die Studie von Hammond, Summers & Deane (1973) sowie an die Meta-Analyse von Kluger & DeNisi (1996) an. Während Hammond et al. (1973) sogar negative Effekte für Outcome-Feedback nachweisen konnten, haben Kluger & DeNisi (1996) zwar einen allgemeinen positiven Effekt von Feedback auf Performance (d=.41) nachweisen können, allerdings fanden sie auch bei einem Drittel der berücksichtigten Arbeiten einen negativen Effekt. Durch eine Moderatoranalyse konnten sie nachweisen, dass das Feedback die Leistung dann vermindert, wenn es die Aufmerksamkeit von der Aufgabe hin zum Selbst verschiebt (ebd., S.278). Auch Hattie & Timperley (2007, S.87) haben vier Feedbackebenen voneinander unterschieden, um die Bedingungen, unter denen positive oder negative Effekte von Feedback auftreten, besser verstehen zu können. Sie unterscheiden Feedback über die Aufgabe, Feedback über den Prozess, Feedback über die Selbstregulation und Feedback über das Selbst voneinander. Analog zu Kluger & DeNisi (1996) schreiben die Autoren dem Feedback über das Selbst die geringste Effektivität zu (ebd., S.90). Hingegen bescheinigen sie dem aufgabenbezogenen und selbstregulatorischen Feedback eine besondere Funktion für den Erwerb von Expertenwissen. Womöglich ließe sich mit diesem konzeptionellen Ansatz auch die Effektivität des Feedbacks, welches die Recruiter über ihre eignungsdiagnostischen Tätigkeit erhalten, besser erklären. Die Untersuchung relevanter moderierender Variablen, die zu positiven oder negativen Effekten von Feedback über eignungsdiagnostische Entscheidungen führen, sollte sich besonders bedeutsam für die systematische Implementierung von Feedback in der eignungsdiagnostischen Praxis erweisen. Jelley & Goffin (2001) konnten zum Beispiel zeigen, dass bestimmte Priming-Effekte dazu genutzt werden können, genaueres und diagnostisch nützlicheres Feedback zu erhalten. 190 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Hier kommt also der formalen wie inhaltlichen Ausgestaltung des Feedbacks eine besondere praxisrelevante Rolle zu. Eine wichtige noch offene Forschungsfrage ist deshalb grundsätzlich, wie aufgabenbezogenes und selbstregulatorisches Feedback in der Praxis ausgestaltet und idealerweise unternehmensweit implementiert werden können. Durch den Fokus auf tatsächlich wirksame evaluative Maßnahmen, können somit auch Fehlinvestitionen verhindert werden. Weiterhin kann aufgrund der vorliegenden Ergebnisse der Explikation von Entscheidungsregeln, z.B. durch eine systematische Einarbeitung des Recruiters, eine besondere Bedeutung für einen analytischen Entscheidungsmodus und letztlich auch für den Erwerb von Expertenwissen zugeschrieben werden. Als entscheidende Bedingungen für die Ausbildung von expertise-basierter statt heuristischer Intuition wurden in der vorliegenden Arbeit zum einen die Validität der Lernumgebung (Kahneman & Klein, 2009) und zum anderen ein disziplinierter analytischer Urteils- und Entscheidungsprozess angenommen, der im gesamten Lernprozess immer wieder kritisch reflektiert und modifiziert wird. Am Anfang des Lernprozesses zum Experten steht somit immer die Explikation von eignungsdiagnostischen Entscheidungsregeln, die dann schrittweise evaluiert werden. In diesem Kontext könnte – in Analogie zur Methodik der Strukturgleichungsmodellierung – von einer kontinuierlichen kognitiven Modellanpassung an die vorliegenden empirischen Bewerberdaten gesprochen werden. Aus je mehr Variablen und Wirkungsbeziehungen das kognitive Modell des Recruiters besteht und je häufiger diese Wirkungsbeziehungen an Bewerberstichproben überprüft wurden, desto genauer können letztlich durch dieses Experten-Schema die Realität abgebildet und valide Prognosen daraus abgeleitet werden. Somit kann ein differenziertes und evaluiertes Expertenmodell wertvolle Basis für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen sein. Wenn diese Entscheidungsregeln auch für Andere expliziert und zugänglich gemacht werden, kann ein solches Expertenmodell auch als Lernmodell und Evaluationsinstrument für eignungsdiagnostische Entscheidungen fungieren (Montel, 2006; Wottawa, 1985/1987). Auch an dieser Stelle eröffnet sich somit erheblicher Forschungsbedarf, schwierige Randbedingung ist allerdings die Gewinnung der Stichprobe an Recruitern, deren eignungsdiagnostische Entscheidungen jeweils am Einzelfall in ein mathematisches Modell überführt werden müssten. 191 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Eine im Vergleich sehr unkompliziert umzusetzende praktische Maßnahme ist deshalb die Explikation und Diskussion von Entscheidungsregeln während der Einarbeitungsphase. Dadurch, dass der Fokus nicht einfach auf der Übereinstimmung zwischen der Entscheidung des vermeintlichen Experten und Novizen liegt, sondern auf der Reflektion der verwendeten Entscheidungsregeln, erhalten der Novize (aber auch der erfahrene Kollege) die Möglichkeit, diese Entscheidungsregeln an Einzelfällen explizit anzuwenden und zu validieren. Voraussetzung ist deshalb ein hohes Maß an Analytik, Selbstreflektion und die Bereitschaft zur Diskussion bei den bereits praktisch tätigen Recruitern. Auch das persönliche Involvement des Recruiters erhält eine wichtige Funktion, wenn es für den praktisch tätigen Recruiter darum geht, aus nicht-validen eignungsdiagnostischen Lernumgebungen schrittweise validere eignungsdiagnostische Lernumgebungen zu schaffen und sich Evaluationskriterien verfügbar zu machen. Da seine normale Lernumgebung in der Regel nur wenig Möglichkeiten zur Evaluation bereitstellt, muss der Recruiter eigene Anstrengungen unternehmen, damit er seine Prognosen auch anhand konkreter Outcome-Variablen evaluieren kann. Dies funktioniert vor allem in größeren Unternehmen nur dann, wenn der Recruiter sich die entsprechenden Informationen durch den aktiven Austausch mit Fachvorgesetzten, Kollegen oder dem Mitarbeiter selbst einholt. Mögliche Outcome-Variablen, die ihm als Evaluationskriterien dienen könnten, können sich in konkreter beruflicher Leistung wie Projekterfolgen, Führungsakzeptanz, Teamintegration oder in Form anderer Indikatoren manifestieren. Auch hier können die Einstellungsinterviews wie standardisierte auch Dokumentation standardisierte und evaluative Auswertung Maßnahmen von oder Mitarbeiterbeurteilungen den zeitlich intensiven Aufwand für den einzelnen Recruiter maßgeblich reduzieren und wichtige Meilensteine auf dem Wege zu einer professionellen eignungsdiagnostischen Praxis sein. Abschließend wurde für einen analytischen eignungsdiagnostischen Entscheidungsmodus auch ein negativer Effekt auf die Entscheidungsdissonanz des Recruiters nachgewiesen. Dieser Effekt wird in diversen Forschungsarbeiten für komplexe Entscheidungen auch positiv nachgewiesen (z.B. Betsch, 2004). Im Rahmen eignungsdiagnostischer Entscheidungen allerdings, gibt eine systematische Informationsverarbeitung subjektive Sicherheit über die Validität der Entscheidung. Auch dieser Zusammenhang könnte mit replizierenden Arbeiten noch weiter untersucht werden. 192 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Die vorliegende Arbeit liefert somit im Kontext des Einstellungsinterviews einen Forschungsbeitrag, der substantielle Ergebnisse für organisationale Einflussfaktoren, vor allem für die Rechenschaftsverpflichtung des Recruiters, aber auch für persönliche und motivationale Einflussfaktoren, insbesondere für das persönliche Involvement des Recruiters, belegt. Ebenfalls baut die Arbeit auf der Diskussion von eignungsdiagnostischer Erfahrung als Determinante von Expertise oder nicht-evaluierter Routine sowie auf der Kontroverse zur Überlegenheit eines analytischen oder intuitiven Entscheidungsmodus bei komplexen Entscheidungen auf. Deskriptive wie normative Entscheidungstheorien wurden dabei auf den Kontext des Einstellungsinterviews übertragen und als Resultat dessen, wurden besonders die Validität der Lernumgebung und ein analytischer Urteils- und Entscheidungsmodus des Recruiters als wichtige Prämissen für den Erwerb von eignungsdiagnostischem Expertenwissen identifiziert. Ebenfalls wurde in der vorliegenden Arbeit ein analytischer Entscheidungsmodus als Prämisse für valide eignungsdiagnostische Entscheidungen und damit einem intuitiven Entscheidungsmodus als überlegen angenommen. Die letztliche Prüfung der Validität analytischer im Vergleich zu intuitiven eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozessen steht allerdings noch aus. Dies konnte im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden. Hier gilt es deshalb im Rahmen zukünftiger Forschungsarbeiten, die Wirkungs- zusammenhänge im Hinblick auf ein Außenkriterium zu überprüfen. Problematische Randbedingungen sind dabei die Verfügbarkeit solch eignungsdiagnostischer Außenkriterien und damit auch die Gewinnung einer ausreichend großen populationsvaliden Stichprobe. Bezogen auf die Kontroverse zur Überlegenheit eines analytischen oder intuitiven Entscheidungsmodus bei Einstellungsinterviews sollte auch die Kombination beider Entscheidungsmodi aufgrund neuerer Forschungsergebnisse in Betracht gezogen und weiter überprüft werden. So haben Nordgren, Bos & Dijksterhuis (2011, S.509ff) gezeigt, dass sich bei komplexen Entscheidungen die Kombination von zunächst bewusster und darauf folgender unbewusster Informationsverarbeitung als besonders effektiv erweist. Auch Glöckner (2008) sowie 193 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Glöckner & Betsch (2008) belegen das Potenzial, das in der Integration von beiden Entscheidungsmodi liegt. Im Kontext von Einstellungsinterviews stellt sich somit die Frage, welche konkreten Elemente analytisch-bewusst verarbeitet werden sollten und welche Elemente intuitiv-unbewusst verarbeitet werden dürfen. Auch an dieser Stelle ergeben sich somit weitere Forschungsansätze, die direkte praktische Relevanz besitzen. Im Hinblick auf methodische Optimierungsvorschläge für das vorliegende Strukturgleichungsmodell wurde insbesondere der common-method-Effekt diskutiert (vgl. Podsakoff et al., 2003). Da zur Erhebung aller latenter Variablen derselbe Online-Fragebogen eingesetzt wurde, könnte ein gewisser Anteil an Varianzaufklärung auf diese Erhebungsmethode zurück zu führen sein. Deshalb könnte das verwendete Untersuchungsdesign durch die Variation der Erhebungsmethoden zwischen den Variablen sowie die zeitliche Separierung der Messung exogener und endogener Variablen (Podsakoff et al., 2003, S.887f) optimiert werden. Bei einer Erhebung von Prädiktor- und Kriteriumsvariablen zu verschiedenen Messzeitpunkten, sollte allerdings eine ausreichende Stichprobengröße bzw. Rücklaufquote sicher gestellt werden, da hier besonders die Gefahr des drop-outs besteht. Deshalb wurde in der vorliegenden Arbeit auf ein Untersuchungsdesign mit verschiedenen Messzeitpunkten verzichtet. Weiterhin sollte die Option der ausbalancierten Darbietungsreihenfolge der Items (Podsakoff et al., 2003, S.888) zukünftig stärker berücksichtigt werden. In der vorliegenden Studie wurden die Variablen allen Teilnehmern in aufeinander aufbauender Reihenfolge dargeboten (exogene – intervenierende – endogene Variablen), womit das Problem der reversen kausalen Effekte (Kenny, 2012) zwar vermindert werden konnte, aber dennoch durch eine gruppenbezogene randomisierte ausbalancierte Darbietung noch weiter minimiert werden könnte. Hinsichtlich der Gütekriterien bzw. Operationalisierung der reflektiven Mess-Indikatoren bleibt noch Optimierungsbedarf für die Skala Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses und Systematik des Feedbacks bestehen. Die Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells wurden weiterhin durch die Ergebnisse einer experimentellen Fallstudie (einfaktorielles between-subjects-Design), einer Clusteranalyse zur Identifizierung von spezifischen Recruiter-Typen (basierend auf persönlichen Lernprozessen und organisationalen Rahmenbedingungen) sowie uni- und multivariater 194 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ allgemeiner Modelle ergänzt, welche den Erklärungsbeitrag demografischer Faktoren für die analytische Ausprägung des Entscheidungsmodus des Recruiters und die Ausprägung unternehmensinterner organisationaler Rahmenbedingungen spezifiziert haben. Die experimentelle Überprüfung der im Strukturgleichungsmodell überzeugend belegten Effekte von organisationalen Rahmenbedingungen auf die Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern zeigte sich dabei in der vorliegenden Arbeit nur eingeschränkt erfolgreich. Es konnten eignungsdiagnostischer nur für die Subgruppen Weiterbildungsbedarf Psychologen bedeutsame signifikante und erhöhter Unterschiede zwischen der randomisiert dargebotenen Bedingung A und B, bei denen die Variablen Rechenschaftsverpflichtung und Konkretheit des Anforderungsprofils für eine fiktive Entscheidungssituation variiert wurden, für jeweils eine abhängige Variable gefunden werden. Als Anregung zur Optimierung des Studiendesigns wurden Vorschläge hinsichtlich einer stärker realen eignungsdiagnostischen Entscheidungssituation, in der auch subjektive Eindrücke über den fiktiven Bewerber gewonnen werden können (z.B. Darbietung einer Videosequenz), unterbreitet. Wichtige praktische Randbedingung ist hierbei allerdings ebenfalls die Gewinnung einer ausreichend großen populationsvaliden Stichprobe. Auch die Operationalisierung des Gesprächsprotokolls, welches als Grundlage der fiktiven Beurteilung und Entscheidung in der Fallstudie diente, könnte noch optimiert werden. Möglicherweise ist diese zu wenig trennscharf ausgefallen. Weiterhin wurde ein Priming-Effekt (vgl. Podsakoff et al., 2003) durch die vorherige Befragung über die Determinanten analytischer Urteils- und Entscheidungsprozesse von Recruitern in Einstellungsinterviews als Erklärung für die sehr analytische Prägung der Ergebnisse in der Fallstudie herangezogen. Deshalb sollte die experimentelle Überprüfung der postulierten Effekte in Zukunft isoliert von einer weiteren Befragung erfolgen. Grundsätzlich sollten die im Strukturgleichungsmodell identifizierten kausalen Effekte experimentell überprüfbar sein. Diesbezüglich liefert die vorliegende Arbeit einen ergiebigen empirischen Rahmen, wenn es um die Fragestellung geht, welche Determinanten und intervenierenden Variablen bei der Konstruktion solcher Versuchsdesigns berücksichtigt und operationalisiert werden sollten. Die experimentelle Überprüfung der kausalen Effekte steht somit noch aus und ist eine wichtige Aufgabe, die in zukünftigen Forschungsarbeiten angegangen werden sollte. 195 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ Die Ergebnisse der uni- und multivariaten allgemeinen Modelle haben weiterhin für die an der Studie teilnehmenden Psychologen interessante Unterschiede hinsichtlich ihrer eignungsdiagnostischen Urteils- und Entscheidungsprozesse im Vergleich zu anderen Fachgruppen ergeben. So zeigen die Ergebnisse, wie auch schon in der Fallstudie, dass sich Psychologen in ihrer Beurteilung und Entscheidung tatsächlich stärker als andere Fachgruppen an den konkreten Anforderungen ausrichten und diese im Einstellungsinterview analytisch zu bestätigen oder zu widerlegen suchen. Auch Lievens & De Paepe (2004, S.36/40) haben einen ähnlichen Zusammenhang zwischen einer psychologischen Ausbildung und einer stärkeren Nutzung von hoch-strukturierten Interviews angenommen. Diesen konnten sie in ihrer Studie allerdings nicht bestätigen. Hier zeigt sich deshalb weiterer Untersuchungsbedarf. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit zeigt sich jedenfalls die Wichtigkeit von psychologischem und eignungsdiagnostischem Fachwissen im Hinblick auf analytische eignungsdiagnostische Entscheidungen. Da die Mehrheit der praktisch tätigen Recruiter, wie auch in der vorliegenden Stichprobe, aber in der Regel aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich stammt und somit keine eignungsdiagnostische Ausbildung absolviert hat, kommt psychologisch fundierten eignungsdiagnostischen Weiterbildungen eine besondere Bedeutung in der Qualitätssicherung eignungsdiagnostischer Entscheidungsprozesse in der Praxis zu. Positive Effekte eignungsdiagnostischer Weiterbildung auf die Urteils- und Entscheidungsprozesse der Recruiter haben sich in dieser Arbeit im Rahmen der ALM, aber auch der Clusteranalyse gezeigt. Allerdings erreichte dieser positive Trainingseffekt bei mehr als 5 absolvierten Weiterbildungen einen Deckeneffekt, der in weiteren Forschungsarbeiten noch genauer untersucht werden könnte. In diesem Zusammenhang könnte auch die fachliche Fundierung der jeweiligen Weiterbildung relevant zur Erklärung des Deckeneffektes und Gegenstand weiterer Arbeiten sein. Auch zwischen unternehmensinternen Personalfachkräften und externen Personaldienstleistern wurden wichtige praxisrelevante Unterschiede festgestellt. So weisen interne Personalfachkräfte stärker analytisch geprägte Entscheidungsmuster als externe Personaldienstleister auf, was sich durch die konkretere Kenntnis der 196 7 Zusammenfassung und Implikationen für die eignungsdiagnostische Forschung und Praxis ___________________________________________________________________________________________ unternehmensspezifischen Evaluationskriterien erklären Anforderungen lässt, sowie die zu leichteren einer Verfügbarkeit Explikation und von Modifizierung eignungsdiagnostischer Entscheidungsregeln beitragen. Dieses Ergebnis indiziert somit einen verminderten Nutzen, wenn externe Personaldienstleister im Auftrag für Unternehmen Einstellungsinterviews durchführen. Ebenfalls wurde für externe Personaldienstleister festgestellt, dass diese aufgrund ihres vermeintlichen Expertenstatus weniger zur Rechenschaft über ihre eignungsdiagnostischen Entscheidungen verpflichtet sind, was im Hinblick auf die eignungsdiagnostische Qualitätssicherung, als besonders kritisch zu bewerten ist. Auch diesbezüglich eröffnet sich somit weiterer Forschungsbedarf, um die gefundenen Effekte weiter zu unterstützen oder zu widerlegen. Erhöhter eignungsdiagnostischer Handlungsbedarf hinsichtlich der Implementierung nützlicher organisationaler Rahmenbedingungen zeigt sich in der vorliegenden Arbeit vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen (vgl. auch Stephan & Westhoff, 2002). Da die einzelnen Faktoren Rechenschaftsverpflichtung, Strukturiertheit des Interviews, Konkretheit des Anforderungsprofils und Systematik des Feedbacks als sehr effektive kontextuelle Rahmenbedingungen zur Kontrolle intuitiver Entscheidungsmuster identifiziert werden konnten, sollten deren positive Effekte auch von kleineren Unternehmen stärker ausgenutzt werden. Hier zeigt sich für alle aufgeführten Faktoren allerdings noch dringender Optimierungsbedarf. Die Evaluation des eignungsdiagnostischen Prozesses zeigt sich in der vorliegenden Arbeit grundsätzlich – auch in Großunternehmen – unzureichend. Hier könnten kleinere Unternehmen insofern einen Vorteil genießen, als dass dort potenzielle Evaluationskriterien leichter verfügbar sein sollten als in Unternehmen mit komplexeren Strukturen. Hier liegen also möglicherweise validere Lernumgebungen für den einzelnen Recruiter vor. Dies gilt auch für stellenrelevante Informationen, die für die Erstellung von Anforderungsprofilen genutzt werden können. Grundsätzlich ist eine standardisierte unternehmensweite Evaluation des eignungsdiagnostischen Entscheidungsprozesses anzustreben, die aktuell allerdings eher theoretisches Ideal als gelebte Praxis zu sein scheint. Auch dieses Thema sollte in zukünftigen Forschungsarbeiten stärker berücksichtigt werden. Die Entwicklung von Leitfäden könnte dabei ein wichtiger Schritt für die Implementierung sinnvoller und effektiver evaluativer Elemente in der eignungsdiagnostischen Praxis sein. 197 8 Literatur __________________________________________________________________________________________ 8. Literatur Acker, F. (2008). New findings on unconscious versus conscious thought in decision making: additional empirical data and meta-analysis. Judgment and Decision Making, 3(4), 292–303. Aegisdottir, S., White, M. J., Spengler, P. M., Maugherman, A. S., Anderson, L. A., Cook, R. 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Als Programme für die vorliegende Arbeit wurden - zur Datenerhebung: EFS-Survey verfügbar unter www.unipark.info - zur statistischen Datenauswertung: IBM SPSS 19 und AMOS 19 - zur Literaturverwaltung: Mendeley Desktop verfügbar unter www.mendeley.com genutzt. 211 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 9. Anhang Anhang 1: Online-Erhebung in unipark 1. Demografischer Teil 212 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 213 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 2. Persönliche Lernprozesse 214 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 3. Persönliches Involvement 215 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 4. Organisationale Rahmenbedingungen 216 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 5. Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses 217 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 6. Entscheidungsdissonanz 7. Fallstudie 218 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ Bedingung A Bedingung B 219 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ Gesprächsprotokoll als Beurteilungsgrundlage Skala Analytik der Beurteilung 220 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ Skala Analytik der Entscheidung ENDE 221 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ 8. Fragebogenaufbau 222 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ Anhang 2: Übersicht über alle Items Skala Expertise Nun folgen Fragen zu Ihrer berufsspezifischen Erfahrung, die Sie bisher gesammelt haben. Klicken Sie bitte die jeweils passende Ausprägung auf der Zustimmungsskala an. (q_4219031 - Typ 311) v_10 Ich stehe noch am Anfang meiner Recruiting-Karriere. v_11 Ich beschreibe mich als eignungsdiagnostisch sehr erfahren. v_12 Ich bin ein eignungsdiagnostischer Experte. v_13 Ich bin noch wenig routiniert in der eignungsdiagnostischen Entscheidungsfindung. Skala subjektive Entscheidungsregeln Zu Beginn meiner Tätigkeit als Recruiter/in... (q_4219103 - Typ 311) wurde ich systematisch eingearbeitet und habe dabei von dem eignungsdiagnostischen Wissen v_37 Anderer profitiert. v_38 habe ich zu keiner Zeit auf das Wissen erfahrener Kollegen zurückgreifen können. v_39 gab es entweder keine praxiserprobten Erfahrungswerte, um „richtige“ eignungsdiagnostische Entscheidungen zu treffen, oder mir wurden diese nicht bekannt gemacht. habe ich im Rahmen der Einarbeitung bewährte Entscheidungsregeln erlernt, und diese für meine v_40 eignungsdiagnostischen Entscheidungen übernommen. v_41 habe ich explizit vermittelt bekommen, was einen „geeigneten“ Mitarbeiter auszeichnet. v_42 musste ich völlig selbstständig ein Gefühl dafür entwickeln, wie der „geeignete“ Mitarbeiter sein soll. Skala Anwendung von Schemata In Bewerbungsgesprächen... (q_4219136 - Typ 311) v_43 kann ich den Typ eines Bewerbers schnell kategorisieren. v_44 kann ich die Gesamtpersönlichkeit eines Bewerbers schnell erfassen. v_45 fällt es mir leicht, Eigenschaften zu erkennen und zu beschreiben, wenn sie den meinen ähneln. v_46 hilft mir meine Erfahrung dabei, den Bewerber richtig einzuschätzen. v_47 hilft mir meine Erfahrung dabei, die richtigen Ableitungen zu treffen. v_48 v_49 v_50 zeigen sich häufig starke Parallelen zu anderen Bewerbern. treffe ich manchmal Schlussfolgerungen, die eher auf meine Erfahrung als auf die Äußerungen eines Bewerbers zurück zu führen sind. weiß ich in der Regel schon nach wenigen Minuten, ob jemand zum Unternehmen passt oder nicht. v_51 weiß ich in der Regel schon nach wenigen Minuten, ob jemand für die Stelle geeignet ist oder nicht. v_52 hat sich mein Ersteindruck häufig nicht bestätigt. v_53 versuche ich stets, Erfahrungen mit anderen Bewerbern auszublenden. v_54 v_55 behindert mich meine Erfahrung manchmal dabei, den Bewerber objektiv einzuschätzen. ist die Fähigkeit, fundierte eignungsdiagnostische Entscheidungen treffen zu können, nicht von der Erfahrung abhängig. Skala Verantwortlichkeitsgefühl Klicken Sie bitte die jeweils passende Ausprägung auf der Zustimmungsskala an. (q_4219142 - Typ 311) v_56 Ich fühle mich verpflichtet, stets eine fachkompetente und differenzierte eignungsdiagnostische Entscheidung zu treffen. v_57 Ich stelle hohe fachliche Ansprüche an meine eignungsdiagnostische Kompetenz und entwickle diese stets aktiv weiter. v_58 Ich fühle mich verantwortlich für den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg eines Bewerbers auf einer bestimmten Stelle. v_59 Letztlich haben meine eignungsdiagnostischen Einschätzungen nur wenig Einfluss auf den tatsächlichen Erfolg eines Bewerbers. 223 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ v_60 v_61 Meine eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten. Wenn ich ehrlich bin, gehe ich manchmal etwas nachlässig oder oberflächlich bei meinen eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen vor. Skala Kenntnis des Anforderungsprofils Über das offizielle Anforderungsprofil hinaus... (q_4219143 - Typ 311) v_62 informiere ich mich grundsätzlich durch ein detailliertes Gespräch mit dem Vorgesetzten oder anderen Stelleninhabern über die Anforderungen der Stelle. v_63 schaue ich mir den Arbeitsalltag immer gezielt vor Ort an, um die konkreten Anforderungen wirklich zu kennen. v_64 habe ich in der Regel selber konkrete Arbeitserfahrungen auf der Stelle bzw. in der Abteilung sammeln können. v_65 kann ich die relevanten Arbeitsabläufe und konkreten Tätigkeiten bei einer Stelle ganz genau beschreiben. v_66 könnte ich bei Bedarf konkrete stellenspezifische Arbeitssituationen im Bewerbungsgespräch simulieren. Skala Rechenschaftsverpflichtung Nun folgen Fragen zu den organisationalen Rahmenbedingen Ihrer eignungsdiagnostischen Tätigkeit. Klicken Sie bitte die jeweils passende Ausprägung auf der Zustimmungsskala an. (q_4224200 - Typ 311) v_105 Ich muss meine eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen gegenüber Kollegen, Vorgesetzten oder Auftraggebern differenziert begründen können. v_106 Finale eignungsdiagnostische Entscheidungen werden in der Regel von mehreren Entscheidungsträgern nach einer intensiven Diskussion getroffen. v_107 Ich bin dazu verpflichtet, über jede meiner eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen ein ausführliches Protokoll oder Gutachten anzufertigen. v_108 Ich muss meine eignungsdiagnostischen Einschätzungen oder Entscheidungen in der Regel nicht erklären. v_109 Ich muss meine Entscheidungen „eingestellt“ oder „abgelehnt“ vor niemandem begründen. Skala Konkretheit des Anforderungsprofils Das Anforderungsprofil für eine bestimmte Stelle ist in der Regel...formuliert. (q_4224190 - Typ 311) v_69 abstrakt v_70 konkret v_71 schlagwortartig v_72 detailliert v_73 eigenschaftsbezogen v_74 verhaltensbezogen Skala Strukturiertheit des Interviews Das Bewerbungsgespräch beinhaltet in der Regel... (q_4224196 - Typ 311) v_93 den standardisierten Einsatz eines Interviewleitfadens. v_94 standardisierte anforderungsbezogene Fragen. v_95 standardisierte situative Fragen. v_96 kleine anforderungsbezogene Rollenspiele. v_97 ein ausführliches Protokoll des Gespräches. Skala Systematik des Feedbacks Feedback über die Qualität meiner eignungsdiagnostischen Einschätzungen und Entscheidungen erhalte ich in der Regel durch... (q_4224197 - Typ 311) v_99 die Probezeit bzw. Übernahmequote. v_100 informelle Gespräche mit dem Vorgesetzten. v_101 die direkte Zusammenarbeit mit dem zukünftigen Mitarbeiter. v_102 die Ergebnisse von standardisierten Mitarbeiterbeurteilungen oder Mitarbeitergesprächen. 224 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ v_103 die systematische Evaluation der Einstellungsentscheidungen. Skala Analytik des Urteils- und Entscheidungsprozesses Nun folgen Fragen zu Ihren ganz individuellen und für Sie persönlich typischen eignungsdiagnostischen Entscheidungsprozessen. Klicken Sie bitte die jeweils passende Ausprägung auf der Zustimmungsskala an. In Bewerbungsgesprächen... (q_4224213 - Typ 311) v_126 gehe ich eher intuitiv vor. v_127 verlasse ich mich vor allem auf mein Bauchgefühl. v_128 kann ich häufig schon frühzeitig eine Entscheidung treffen. v_129 v_130 v_132 kann ich meine Eindrücke nicht immer explizit begründen. lasse ich den Bewerber sich selbst beschreiben, um einen Eindruck von seinen Eigenschaften zu bekommen. versuche ich, einen möglichst ganzheitlichen Eindruck über die Eigenschaften und die Persönlichkeit des Bewerbers zu bekommen. ist mein Gesamteindruck von dem Bewerber wichtig, um eine Entscheidung treffen zu können. v_133 nutze ich meine Intuition, um eine Entscheidung treffen zu können. v_131 v_115 gehe ich eher rational-analytisch vor. v_116 überlege ich mir genau, welche Informationen ich erhalten möchte. v_117 sind meine Fragen strukturiert und zielgerichtet. v_118 suche ich systematisch nach Argumenten für sowie gegen den Bewerber. v_119 teste ich alle relevanten Anforderungen durch gezieltes Fragen systematisch ab. versuche ich grundsätzlich, jeden von mir gewonnenen Eindruck mit konkreten Argumenten zu untermauern. lasse ich mir alle relevanten Anforderungen mit konkreten Verhaltensbeispielen vom Bewerber schildern. leite ich aus den einzelnen Schilderungen und Verhaltensweisen des Bewerbers jeweils Eigenschaften oder Kompetenzen ab. begründe ich meine Einschätzungen mit konkreten Verhaltenshinweisen und Schilderungen des Bewerbers. wäge ich systematisch alle relevanten Aspekte in einem Für und Wider ab, um eine Entscheidung treffen zu können. nutze ich für meine Entscheidung Schwellen- oder Grenzwerte, z.B. ob ein Bewerber die Anforderungen erfüllt oder nicht. v_120 v_121 v_122 v_123 v_124 v_125 Skala Entscheidungsdissonanz Klicken Sie bitte die jeweils passende Ausprägung auf der Zustimmungsskala an. Nach einer eignungsdiagnostischen Entscheidung... (q_4224218 - Typ 311) v_137 bin ich vollkommen zufrieden mit meiner eignungsdiagnostischen Einschätzung. v_138 bin ich grundsätzlich sicher, die richtigen Ableitungen und Entscheidungen getroffen zu haben. v_139 bin ich mir häufig unsicher, ob meine Einschätzungen und Entscheidungen tatsächlich richtig waren. v_140 hat sich schon häufiger herausgestellt, dass ich mich in meiner Prognose geirrt habe. Skala Analytik Beurteilung Nehmen Sie nun bitte Stellung zu den Einschätzungen von Frau Meier! Die Einschätzungen und Beurteilungen von Frau Meier wirken auf mich... (q_4224299 - Typ 311) v_141 subjektiv v_142 analytisch v_143 intuitiv v_144 konkret v_145 abstrakt v_146 logisch nachvollziehbar v_147 mehrdeutig interpretierbar 225 9 Anhang __________________________________________________________________________________________ v_148 anforderungsbezogen v_149 zu wenig bezogen auf die Anforderungen v_150 fundiert v_151 oberflächlich v_152 fachkompetent v_153 lückenhaft v_154 vollständig v_155 strukturiert v_156 willkürlich Skala Analytik Entscheidung Zu welcher Entscheidung gelangen Sie nun auf Grund der Zusammenfassung von Frau Meier? (q_4224304 Typ 311) v_157 Ich kann Frau Mustermann mit gutem Gewissen als geeignet empfehlen. v_158 Ich werde Frau Mustermann die Stelle anbieten. v_159 Ich werde Frau Mustermann die Stelle vorerst nicht anbieten. Ich kann noch keine Entscheidung treffen, da ich nicht genügend Informationen über die Erfüllung der einzelnen Anforderungen besitze. Ich kann keine zuverlässige Aussage darüber treffen, ob Frau Mustermann die Anforderungen für die Stelle erfüllt. Ich werde noch ein weiteres Bewerbungsgespräch mit Frau Mustermann führen, um eine Entscheidung treffen zu können. v_160 v_161 v_162 226 Erklärung __________________________________________________________________________________________ Erklärung zur eigenständigen Verfassung der Dissertation Ich versichere, dass ich diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegeben Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Die vorliegende Dissertation hat vorher noch keiner anderen Fakultät oder Universität vorgelegen. Nadja Koppers 227 Lebenslauf Nadja Koppers PERSÖNLICHE DATEN Geburtsdatum und -ort: 11.März 1985 in Aachen Familienstand: ledig HOCHSCHULBILDUNG UND AKADEMISCHE PRÜFUNGEN 10.`07 - 10.`09 Studium M.Sc. Psychologie Schwerpunkt: Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum Tag der Prüfung: 12.10.2009 10.`04 - 08.`07 Studium B.Sc. Wirtschaftspsychologie an der Ruhr-Universität Bochum Tag der Prüfung: 24.08.2007 SCHULBILDUNG 09.`95 - 06.`04 Pestalozzi Gymnasium Unna Abschluss: Allgemeine Hochschulreife BERUFSERFAHRUNG 07.`09 - 09.`12 Beratende Psychologin bei Leonard Consulting, Essen Personalauswahl und -entwicklung 11.`06 - 06.`09 Werkstudentin bei Leonard Consulting 09.`06 - 10.`06 Praktikantin bei Leonard Consulting Nadja Koppers Unna, 02. Oktober 2012
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