Hintergrundvermerk Energiegipfel

HINTERGRUNDVERMERK
» ENERGIEGIPFEL 1. JULI 2015
(KOHLE-ABGABE, NETZAUSBAU, STROMMARKT-DESIGN)
BZ, CR, CS, DK, GB, GPK, TR
07. Juli 2015
Datum
Merkel ist die Kohlekanzlerin
IN KÜRZE
Der Energiegipfel am 1. Juli gab verschiedene Antworten auf lange unbeantwortete Fragen zur
Energiepolitik und soll gemeinsam mit dem einen Tag später vorgestellten „Weißbuch Strommarkt“ die
Leitplanken der Energiepolitik bis zur kommenden Bundestagswahl stellen. Die Entscheidungen sind
miteinander verwoben, teilweise aber noch höchst unklar. Dennoch wissen wir jetzt die Eckdaten
dieser Geisterfahrt: Airbag nur für die Kohlekonzerne, keine Kindersicherung für die Klimaziele und
dicker Bodennebel rund um alle anderen Ankündigungen von Energieeffizienz bis Netzausbau.
Talking-Points:
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Merkel hat Klimaschutz versprochen und nun gebrochen. Egal ob mit Blick auf das
Aktionsprogramm Klimaschutz von 2014, wonach die Energiewirtschaft zusätzliche 22 Mio. t
CO2-Reduktion erbringen soll, oder auf dem G7-Gipfel von Elmau, der eine „Dekarbonisierung
der Weltwirtschaft“ ankündigte: wenn es hart auf hart kommt ist diese Regierung windelweich.
Das 2020-Klimaziel, wonach Deutschland 40% CO2 gegenüber 1990 bis 2020 einsparen will, ist
mit diesen Maßnahmen nicht zu erreichen.
Neue Subventionen statt Strategie für den Strukturwandel. Mit der neuen Kohle-Reserve wird
das Gezocke der Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit nun auch noch belohnt. Damit kauft
die Allgemeinheit den Kohlekonzernen ihre schmutzigsten Kraftwerke ab, anstatt sie mit den
erforderlichen Auflagen – z.B. CO2-Grenzwerte – zu versehen. Das ist Klimapolitik ad
absurdum. Selbst Gabriels Vorschlag einer „Kohle-Abgabe“ war da noch deutlich besser, doch
die Kohlelobby hat ihn einkassiert.
Das ‚Weißbuch Strommarkt‘ gibt eine Richtung vor, schweigt aber zu entscheidenden Fragen.
Mit 20 konkreten Vorschlägen will Gabriel den Strommarkt reparieren. Es ist aber unklar, ob der
Strommarkt damit wirklich Energiewende-fit gemacht wird. Statt des von uns geforderten
„ökologischen Flexibilitätsmarktes“ soll eine Kapazitätsreserve – deren Vorläufer die nun
beschlossene Kohle-Reserve ist – in Höhe von etwa vier Gigawatt kommen. Der Markt wird
insgesamt flexibler, aber weder Akteursvielfalt noch Dezentralität werden gestärkt.
Beim wichtigen Thema Energieeffizienz baut die Regierung nur ein wackliges Kartenhaus
auf. Wieder gibt es hier nur Ankündigungen. Bereits im Dezember gab es im Rahmen des
Aktionsplans Energieeffizienz bzw. Aktionsprogramms Klimaschutz nur einen Haufen warmer
Worte. Das allein hilft dem Klima aber nicht.
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Längst überfällige Entscheidungen zum Netzausbau. Horst Seehofer, der Stromtrassen durch
Bayern um jeden Preis verhindern wollte, wurde auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Es
wurden einige Änderungen der Trassenverläufe beschlossen. Endlich ist die Regierung nun auch
aufgewacht und setzt mehr auf Erdkabel. Die Frage ist jetzt aber: Wie lange bleibt der bayrische
Löwe bei seinem Zugeständnis und wann brüllt er wieder?
Neuer Atom-Kommission angekündigt. Bei den Atom-Rückstellungen ist der Kurs der
Regierung weiterhin nicht erkennbar.
1. Klimaschutz und Kohle
WAS WURDE BESCHLOSSEN
Die Bundesregierung plant eine Kapazitätsreserve in Höhe von 2,7 GW für Braunkohlekraftwerke. In
diese sollen RWE, Vattenfall und die MIBRAG ihre Uralt-Kraftwerke stellen. Begonnen werden soll mit
dem Aufbau der Reserve 2017, 2020 soll er abgeschlossen sein. Nach vier Jahren in der Reserve sollen
die Blöcke schließlich stillgelegt werden. Laut Eckpunktepapier sollen damit 11 Mio. t CO2 eingespart
werden. Damit soll dort zwar eine Kernbelegschaft noch weitere vier Jahre arbeiten können, doch die
entstehenden Kosten werden auf die Stromkunden abgewälzt. Somit bekommen die größten
Klimakiller noch eine saftige Abfindung von der Bundesregierung. Dabei geht es um mehrere hundert
Millionen Euro pro Jahr, die über eine Umlage erhoben werden sollen! Wissen tut dies aber keiner
genau, da in Hinterzimmer gedealt wird.
Weil selbst das nicht ausreicht, um die versprochenen 22 Mio. t CO2 bis 2020 aus dem Stromsektor zu
erbringen, sondern lediglich die Hälfte davon, werden nun weitere Maßnahmen angekündigt. Neben
einem zusätzlichen Deal außerhalb der Kohle-Reserve – wahrscheinlich handelt es um die Stillegung
des Kraftwerks Buschhaus – sollen Kraft-Wärme-Kopplung und Energieeffizienz stärker gefördert
werden (s.u.). Das vollständige Maßnahmenpaket will die Bundesregierung im Herbst vorlegen.
DAS MUSS MAN WISSEN (HINTERGRUND)
Der Projektionsbericht 2015 der Bundesregierung hat ergeben, dass mit den bis 2014 beschlossenen
Maßnahmen zum Klimaschutz nur eine Minderung der Gesamtemissionen um 33% bis 2020 erreicht
wird. Die Gesamtemissionen würden damit auf 840 Mio. t. CO2e sinken. Das Ziel der Bundesregierung
ist jedoch eine Einsparung von 40% (gegenüber 1990) bzw. Emissionen von 750 Mio. t. CO2. Das ergibt
eine Einsparungslücke von etwa 90 Mio. t. CO2. Zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung sollen 22
Mio. t. CO2 aus der fossilen Energiewirtschaft, v.a. dem Stromsektor, kommen.
Auf massiven Druck der Kohlelobby und Teilen beider Regierungsfraktionen ist die vom
Bundeswirtschaftsministerium im März vorgeschlagene Abgabe für alte Kohlekraftwerke von der
Bundesregierung begraben worden. Jetzt sollen nicht mehr die Verursacher der Klimakrise zur Kasse
gebeten werden, sondern diese bekommen jetzt im Gegenteil auch noch Milliarden dafür, dass sie
wenige alte und längst abgeschriebene Kohlekraftwerke vom Netz nehmen.
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Die 2,7 GW Reserve soll über die schrittweise Stilllegung von voraussichtlich folgenden
Kraftwerksblöcken erreicht werden:
Kraftwerksblock
Frimmersdorf P
Frimmersdorf Q
Niederaußem C
Weisweiler E
Weisweiler F
Jänschwalde C
Jänschwalde D
Buschhaus
Revier
Rheinland
Rheinland
Rheinland
Rheinland
Rheinland
Lausitz
Lausitz
Mitteldeutschland
Betreiber
RWE
RWE
RWE
RWE
RWE
Vattenfall
Vattenfall
MIBRAG
Inbetriebnahme
1966
1970
1965
1965
1967
1984
1985
1985
Kapazität in MW
284
278
294
312
304
465
465
352
Zusätzlich sieht das Eckpunktepapier folgende Maßnahme vor: „Ergänzend zur Kapazitätsreserve sagt
die Braunkohlewirtschaft verbindlich zu, eine gegebenenfalls notwendige zusätzliche Minderung in
Höhe von 1,5 Mio. t CO2 pro Jahr ab 2018 zu erbringen. In welcher rechtlichen Form dies umgesetzt
wird, ist noch zu entscheiden.“ Diese zusätzliche CO2-Minderung könnten die Kraftwerke Goldenberg
(Rheinland, RWE) und Deuben (Mitteldeutschland, MIBRAG) erbringen.
Für das Klima ist das fatal, denn eigentlich planten die Konzerne sowieso aus wirtschaftlichen
Gründen bis 2020 Kraftwerke einzumotten – nun gibt die Große Koalition dafür noch Geld. Denn
insbesondere die vorgesehenen RWE-Blöcke aus dem Rheinischen Revier sind schon heute am Rande
der Rentabilität. Nach Berechnungen von Umweltverbänden produzieren sie Strom für rund 24-43
Euro/MWh. Der durchschnittliche Börsenstrompreis lag 2014 aber bei nur noch 35,7 Euro/MWh.
Ursprünglich sollten die Kraftwerksbetreiber in Form einer Kohleabgabe zahlen. RWE und Co.
profitieren jetzt also doppelt: Sie lassen sich das Stilllegen der Kraftwerke teuer bezahlen und steigern
durch den dadurch höheren Börsenstrompreis ihre Einnahmen aus den restlichen Kraftwerken.
Perfider geht es nicht.
Im Aktionsprogramm Klimaschutz hat die Bundesregierung eine Reduktion von 22 Mio. t CO2 bis 2020
aus dem Stromsektor angekündigt. Dieses Versprechen ist nun endgültig gebrochen. Dabei war selbst
das schon zu wenig, da sich die Bundesregierung von Anfang an an falschen Prognosen orientiert hat.
Eigentlich braucht es einen viel größeren Beitrag v.a. der fossilen Kraftwerksbetreiber.
GRÜNE BEWERTUNG
Das Klimaziel wurde faktisch aufgegeben, um die Kohlelobby zu schonen. Die Kohleabgabe wäre
immerhin ein kleiner Schritt in Richtung Klimaschutz gewesen. Doch kurz vor dem Ziel biegt die
Bundesregierung wieder mal falsch ab. Damit ist Gabriel nun auch zum Klima-Pinocchio geworden
und Kohlekanzlerin Merkel zeigt, dass ihre warmen Worte vom G7-Gipfel nur Worthülsen waren.
Statt in Klimaschutz und Strukturwandel zu investieren, wirft die Große Koalition RWE und Vattenfall
Milliarden hinterher für Methusalem-Kraftwerke, die die Konzerne selbst schon stilllegen wollten. Das
Ergebnis des Energiegipfels ist eine klimapolitische Bankrotterklärung der Bundesregierung auf Kosten
der Stromkunden. Laut Papier soll die Stilllegung schrittweise gesteigert werden: Es kann aber nicht
sein, dass der Großteil erst 2020 vom Netz geht, sondern wenn möglich schon vor 2017.
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Die Flickschusterei der Regierung ist im Detail noch unklar, EU-rechtlich fragwürdig, kostet die
Haushalte und den Mittelstand Milliarden und verzögert den dringend anzugehenden Strukturwandel
in den Kohlerevieren. Zudem setzen diese Entscheidungen einen gefährlichen Präzedenzfall, denn
echter Klimaschutz ist preiswerter und wesentlich planungssicherer zu haben, z.B. durch CO2Grenzwerte.
2. Kraft-Wärme-Kopplung
WAS WURDE BESCHLOSSEN
Die Bundesregierung hebt die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) von derzeit 750 Mio. Euro
auf 1, 5 Mrd. Euro an. Das wird über eine Erhöhung der KWK-Umlage über die Stromkund_innen
bezahlt. Angeblich soll es aber eine gerechtere Lastenteilung zwischen kleinen und großen Abnehmern
geben. Daraus zu fördernde Bestandsanlagen dürfen aber nicht kohlegefeuert sein. Somit soll ein
Umstieg hin zum klimafreundlicheren Gas angetrieben werden. Hinzu kommt die Umstellung der
Bezugsgröße beim KWK-Ziel auf die thermische Erzeugung statt der Gesamtstromproduktion. Zudem
will die Regierung die KWK flexibilisieren, um sie besser ins Stromsystem zu passen. Zum Zeitplan der
Umsetzung dieser Vorschläge macht die Regierung keine Aussage.
DAS MUSS MAN WISSEN (HINTERGRUND)
Der Anteil der Stromerzeugung aus KWK an der gesamten Nettostromerzeugung stagniert (2014:
16,3%; 2013: 16,4 – Angaben des BDEW). Die Bundesregierung ist also weit davon entfernt, ihr Ziel
aus dem Koalitionsvertrag zu erreichen, die KWK auf 25% auszubauen.
Hinzu kommt nun noch die Umstellung der Bezugsgröße beim KWK-Ziel auf die thermische Erzeugung
statt der Gesamtstromproduktion. Diese ist zwar sachlich schlüssig, doch sie wird faktisch lediglich
dazu genutzt, den zugesagten Ausbau der KWK einzukassieren. Mit dem neuen Ziel – 25% Anteil an
der thermischen Erzeugung – wird der ursprünglich geplante KWK-Zubau um mehr als die Hälfte
gekappt. Oder andersrum: Bezogen auf die thermische Stromerzeugung müsste die angestrebte KWKRate bis 2020 deutlich höher ausfallen, mindestens 30%.
Die übrigen im Weißbuch bzw. Eckpunkte-Papier genannten Maßnahmen gehen zwar in die richtige
Richtung (stärkere Flexibilisierung der Anlagen durch größere Wärmespeicher; vorübergehende
Förderung für Gas-KWK, die von der Stilllegung bedroht sind; Umstellung von Kohle- auf Gas-KWK im
Bestand). Doch entscheidend ist der Zeitpunkt: Entgegen früherer Zusagen der Bundesregierung
hängen Stadtwerke und andere KWK-Betreiber nun schon seit einem Jahr in der Luft. Ihre
wirtschaftliche Lage wird dadurch immer schwieriger. Bis die KWK-Novelle in Kraft tritt, vergeht nach
derzeitiger Einschätzung mindestens noch ein weiteres halbes Jahr. Damit dürfte die Hilfe für viele
bedrohte Gas-KWK-Anlagen zu spät kommen.
GRÜNE BEWERTUNG
Wir Grüne fordern, das neue KWK-Gesetz unverzüglich vorzulegen und den Ausbau der hocheffizienten
KWK auf Basis von Erneuerbaren Energien oder Erdgas so deutlich voranzubringen.
07/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Hintergrundvermerk zum Energiegipfel im Juli 2015 | 4
Die allgemeine Ankündigung einer zusätzlichen Förderung der KWK gibt es unverändert bereits seit
März. Das hilft noch keinem. Stattdessen müssen die alten Methusalem-Kraftwerke endlich vom Netz.
Die massiven fossilen Überkapazitäten sind die eigentliche Belastung für die modernen KWK-Anlagen
– in Deutschland und in ganz Europa.
3. Weißbuch Strommarkt
WAS WURDE BESCHLOSSEN
Im Weißbuch spricht sich die Bundesregierung klar für einen sogenannten „Strommarkt 2.0“ aus. Das
heißt, der aktuelle Strommarkt soll mit vielen kleineren und größeren Reparaturen verbessert werden.
So sollen explizit hohe Preisspitzen an der Strombörse zugelassen werden. Das Scharnier, wo Angebot
und Nachfrage über den Preis zusammenkommen, sind die Bilanzkreis-Verantwortlichen. Es soll aber
kein grundsätzlich anderes System geben, z.B. durch sogenannte „Kapazitätsmärkte“.
Die Regierung will den Strommarkt durch eine „Strategische Reserve“ absichern. Diese
Kapazitätsreserve soll rund vier Gigawatt groß sein und zusätzlich zur „Netzreserve“ – die v.a.
regionale Engpässe in Süddeutschland vermeiden soll – aufgebaut werden.
Das BMWi hat drei Bausteine vorgelegt, mit denen der bestehende Strommarkt zum Strommarkt 2.0
entwickelt werden sollen:
1) Baustein „Stärkere Marktmechanismen“: Er stärkt die bestehenden Marktmechanismen,
sodass der Strommarkt aus sich heraus die benötigten Kapazitäten refinanziert und
Versorgungssicherheit gewährleistet, damit die teure Reserve erst gar nicht zum Zug kommt.
Geplante Maßnahmen in diesem Bereich sind:
-
Faire Preisbildung am Strommarkt garantieren
-
Kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht transparenter machen
-
Bilanzkreistreue stärken
-
Bilanzkreise viertelstündlich abrechnen.
2) Baustein „Flexible und effiziente Stromversorgung“: Er sorgt dafür, dass die Marktakteure die
Kapazitäten kosteneffizient und umweltverträglich einsetzen. Relevant dabei ist nicht nur das
Strommarktdesign im engen Sinne, sondern auch der gesamte Ordnungsrahmen für den
Stromsektor. Die Maßnahmen in diesem Bereich sollen sein:
-
Weiterentwicklung des Strommarktes europäisch einbetten
-
Regelleistungsmärkte für neue Anbieter öffnen
-
Zielmodell für staatlich veranlasste Preisbestandteile und Netzentgelte entwickeln
-
Besondere Netzentgelte für mehr Lastflexibilität öffnen
-
Netzentgeltsystematik weiterentwickeln
-
Regeln für die Aggregation von flexiblen Stromverbrauchern klären
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-
Verbreitung der Elektromobilität unterstützen
-
Vermarktung von Netzersatzanlagen ermöglichen
-
Smart Meter schrittweise einführen
-
Netzausbaukosten durch Spitzenkappung von EE-Anlagen reduzieren
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Mindesterzeugung evaluieren
-
KWK in den Strommarkt stärker integrieren
-
Mehr Transparenz über Strommarktdaten schaffen.
3) Baustein „Zusätzliche Absicherung“: Er sichert den Strommarkt 2.0 mit einer Kapazitätsreserve
(oder „Strategische Reserve“) und einer stärkeren Überprüfung der Versorgungssicherheit
zusätzlich ab. Vorübergehend (um die Klimaschutzziele 2020 zu erreichen) werden zudem alte
Braunkohlekraftwerke in die Kapazitätsreserve (deshalb „Kohlereserve“) überführt und
anschließend stillgelegt. Dies soll aber nicht wettbewerblich in einer Ausschreibung geschehen,
sondern über eine vertragliche Lösung mit den Energiekonzernen. Also faktisch als
Hinterzimmer-Deal. Maßnahmen in diesem Baustein zur „zusätzliche Absicherung“ sind:
-
Europaweite die Versorgungssicherheit besser überwachen
-
Die neue (Kohle-)Kapazitätsreserve einführen
-
Die bestehende Netzreserve weiterentwickeln
DAS MUSS MAN WISSEN (HINTERGRUND)
Mitte Oktober 2014 hat die Bundesregierung ein Grünbuch Strommarktdesign vorgelegt und damals für
Mai 2015 ein Weißbuch Strommarkt nach Konsultationen mit der Energiebranche angekündigt. Knapp
700 Beiträge aus der Energiebranche wurden eingereicht. Auf Grundlage dessen und vier Studien des
BMWi zum Strommarktdesign wurde am 2.7.2015 mit knapp zweimonatiger Verspätung das Weißbuch
Strommarkt vorgelegt. Es soll im Rahmen der Plattform Strommarkt im Sommer 2015 mit den
Bundestagsfraktionen, den Ländern, den Nachbarstaaten und der EU-Kommission diskutiert werden.
Danach sollen noch in diesem Jahr Regelungsvorschläge für die entsprechenden Änderungen auf
Gesetzes- und Verordnungsebene verabschiedet werden.
Nachdem in der Fachszene zwischen Politik und Wirtschaft bereits seit 2011 über das Für und Wider
von Kapazitätsmärkten und deren unterschiedliche Ausgestaltungsformen diskutiert wird, liefert die
Bundesregierung nun endlich – vier Jahre später – erste Antworten auf die Zukunft des Strommarktes
mit einem immer höheren Anteil Erneuerbarer Energien.
Mit den o.g. 20 Maßnahmen will die Bundesregierung einen Strommarkt 2.0 schaffen. Doch die Details
lässt sie aus und verweist auf noch zu führende Gespräche im Rahmen der Plattform Strommarkt im
Sommer 2015. Projekte wie die Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik, der Schaffung von
Regularien für Smart Meter oder die Stärkung der Bilanzkreistreue sind lang angekündigt, doch auch
das Weißbuch liefert dazu keine Antworten. Die Entscheidung gegen Kapazitätsmärkte und für eine
Kapazitätsreserve ist gefallen, doch wie die Reserve konkret aussehen wird, wer mitbieten darf etc.
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bleibt unbeantwortet. Zu all diesen Punkten finden sich nur Allgemeinsätze statt konkretem Inhalt
geschweige denn Zeitpläne.
GRÜNE BEWERTUNG
Das Weißbuch stellt einige Sachen klar, aber lässt immer noch entscheidende Fragen offen. Somit ist
weiterhin unklar, wie die Stromwelt von morgen aussehen soll. Es wird die Grundsatzentscheidung für
einen Strommarkt 2.0 geschaffen – doch als erste Amtshandlung wird ohne Ausschreibung die
Braunkohle in eine Reserve geschoben. Das ist ein Hinterzimmer-Deal statt eines transparenten
Verfahrens. Mit Vorhalteprämien in Form von Kapazitätsreserven für alte (Kohle-)Kraftwerke beschert
die Bundesregierung den Stromkunden eine teure Rechnung, die zudem nur einen minimalen Effekt
auf die idealen Partner der Erneuerbaren wie hochflexible Gaskraftwerke, Laststeuerungsmaßnahmen
oder Speicher hat.
Wir brauchen keine alten Dreckschleudern, die per Prämie künstlich am Leben gehalten werden. Wir
brauchen einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb um die flexibelsten und klimafreundlichsten
Kapazitäten. Ein ökologischer Flexibilitätsmarkt ist dazu ein pragmatischer, gut steuerbarer und
kalkulierbarer Weg, den Herausforderungen hin zu einer sicheren Versorgung und wirksamen
Klimaschutz zu begegnen. Diesem Weg hat die Regierung nun eine Absage erteilt. Bei den vielen
fachlichen Vorschlägen der Regierung werden wir genau hinschauen müssen, dass diese nicht unseren
Vorstellungen einer dezentralen, ambitionierten und bürgernahen Energiewende entgegen laufen.
4. Energieeffizienz
WAS WURDE BESCHLOSSEN
Um für die fossile Stromwirtschaft die Kohlen aus dem Feuer zu holen, muss der ohnehin
stiefmütterlich behandelte Effizienzbereich nun insgesamt 5,5 Mio. t CO2-Reduktion bis 2020
zusätzlich erbringen. Diese sollen aus „Effizienzmaßnahmen in Gebäudebereich, in den Kommunen, in
der Industrie sowie im Schienenverkehr“ hervorgehen. Es werden jedoch keinerlei konkrete
Maßnahmen genannt und die Gelder sollen aus dem Energie-und-Klimafonds (EKF) kommen. Das
vollständige Maßnahmenpaket will die Bundesregierung im Herbst vorlegen.
DAS MUSS MAN WISSEN (HINTERGRUND)
Bereits die Maßnahmen aus dem bereits letztes Jahr beschlossenen Nationalen Aktionsplan
Energieeffizienz (NAPE) der Bundesregierung kommen nur schleppend oder gar nicht in die Gänge.
Beispielsweise lassen wettbewerbliche Ausschreibungen für Energieeffizienz im Strombereich, das
Effizienzlabel für Heizungsaltanlagen oder eine Nationale Top-Runner-Initiative bisher vergeblich auf
sich warten.
Die erneuten Versprechen der Koalition, mehr Geld fürs Energiesparen auszugeben, sind wenig
glaubwürdig. Das hat die Bundesregierung bei einem zentralen Punkt ihres bisherigen
Energiesparplans – dem Steuerbonus für die energetische Gebäudesanierung – erst Anfang des Jahres
bewiesen. Jetzt sattelt sie mit vagen Ankündigungen von „Effizienzmaßnahmen in Gebäudebereich, in
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den Kommunen, in der Industrie sowie im Schienenverkehr“ weiter drauf. Was davon am Ende
wirklich passiert, bleibt fraglich.
Die Regierung möchte diese Maßnahmen mit „bis zu 1,16 Mrd. Euro pro Jahr“ unterlegen. Diese sollen
aus dem Energie-und-Klimafonds kommen, der mit den Einnahmen aus dem kriselnden
Emissionshandel gespeist wird. Der Beschluss einer europäischen „Markstabilitätsreserve“ hat dieses
Jahr zu leichten Mehreinnahmen von 300 Mio. Euro geführt und die Regierung rechnet offenbar mit
weiteren Aufwüchsen. Ob diese kommen, darf aber bezweifelt werden.
GRÜNE BEWERTUNG
Für jeden Abstrich, den die Regierung bei Klimaschutzmaßnahmen im Stromsektor macht, muss
inzwischen die Energieeffizienz als Lückenbüßer herhalten. Doch um die Klima- und Energieziele bis
2020 zu erreichen, brauchen wir beides nebeneinander – und zwar in voller Höhe.
Von Energieeffizienz hat die Bundesregierung bisher vor allem viel geredet, aber wenig geliefert. Das
Wenige, was sie im Bereich Effizienz zustande bringt, will sich die Regierung dann auch gleich
mehrfach auf die Klimaschutzziele anrechnen. Die Koalition setzt bei der Effizienz also auf billige
Rechentricks statt auf eine wirksame Energiesparpolitik. Mit diesem energiepolitischen Kartenhaus
trägt Schwarz-Rot nicht zur Lösung der Klimakrise bei und macht sich selbst unglaubwürdig.
Es darf nicht dazu kommen, dass bestehende oder geplante Klimaschutzprojekte nun entfallen oder
verschoben werden, weil die Regierung zusätzliche Ausgaben aus dem EKF plant. Ob es wirklich
ausreichend viele Mehreinnahmen aus dem kaputten Emissionshandel geben wird, ist sehr
zweifelhaft. Und auch wenn die neuen Programme – wenn sie sich konkretisieren – sicher
grundsätzlich gut sind, holen sie nur für die fossile Lobby die Kohlen aus dem Feuer. Denn diese
schafft ihre zugesagten 22 Mio. t CO2-Reduktion nicht alleine. Es wäre fatal, wenn dafür nun auch
noch andere Klimaschutzprojekte warten müssten.
5. Netzausbau
WAS WURDE BESCHLOSSEN
Es gibt zwei wesentliche Beschlüsse, die Seehofer beruhigen und den Netzausbau voranbringen sollen.
Zum einen wird verstärkt auf Erdkabel gesetzt werden, zum anderen wird die Trassenführung der
umstrittenen Leitungen SuedLink (Korridor C) und Südost (Korridor D) verändert. Die
Bundesnetzagentur wird angewiesen, im laufenden Verfahren zum Netzentwicklungsplan die
Verlegung der Südost-Leitung zu prüfen. Auf dem Korridor C sollen die beiden großen HGÜ-Trassen
zusammengelegt werden und dabei die Region Unterfranken spürbar entlastet werden.
DAS MUSS MAN WISSEN (HINTERGRUND)
Der Vorrang von Erdkabeln, die ebenfalls einen Eingriff in die Natur darstellen aber oft für die
Anwohner_innen als verträglicher empfunden werden, soll nur für Gleichstrom-Trassen gelten. Auf der
Ebene des Wechselstroms (die allermeisten Projekte sind hier angesiedelt) soll es mit Verweis auf
„technische Gründe“ lediglich weitere Pilotprojekte geben.
07/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | Hintergrundvermerk zum Energiegipfel im Juli 2015 | 8
Korridor D verläuft von Sachsen-Anhalt über Thüringen nach Bayern. Er soll nun nicht mehr in
Meitingen, sondern in Isar bei Landshut enden. Dies ist eine deutliche Verschiebung (innerhalb
Bayerns) nach Osten. Ziel ist es, bereits vorhandene Stromtrassen besser nutzen zu können. Isar stellt
tatsächlich einen bestehenden Netzknotenpunkt dar. Es entfielen damit z.B. neue Querungen der
Altmühl und der Donau.
Zudem sollen vorgesehene Wechselstromleitungen (EnLAG) nach Grafenreinfeld nicht „neu“ geplant
und gebaut werden, sondern ein Stromfluss nach Süden über bestehende Trassen erfolgen. Damit
entfielen zwei Trassen in Nord-Bayern. Welche Trassen die neunen erforderlichen Leitungen auffangen
sollen ist bisher nicht klar.
GRÜNE BEWERTUNG
Beim Thema Netzausbau fragt man sich, weshalb die Bundesregierung Erdkabeln bei neuen
Gleichstromtrassen erst jetzt den Vorrang geben will? Hätte man dies von Anfang an festgelegt – wie
wir Grüne immer gefordert haben -, hätten Akzeptanzprobleme vor Ort von vornherein vermindert
werden können. Außerdem soll diese Regelung wieder nur für einen Teil der neuen Stromleitungen
gelten und nicht für alle neuen Leitungsvorhaben im Wechselstrombereich.
Es ist gut, dass Seehofers Blockade-Irrsinn ein Ende gefunden hat. Aber es ist fraglich, an welchen Teil
des Kompromisses sich der Energiewende-Populist in den nächsten Wochen noch erinnern kann.
Somit lässt der Beschluss zum Netzausbau viel zu viele Fragen offen.
Die Verschiebung der Leitungen und gerade die Bündelung mit bestehenden Trassen macht Sinn. Aber
dies sollte in einem geordneten Verfahren geprüft und ggf. beschlossen werden. Auch wenn es
sinnvoll erscheint, darf es nicht zum Regelfall werden, dass die Politik von oben Mikado spielt.
Wichtiger sind effektive Beteiligungsprozesse.
6. Atom
ZUSAMMENFASSUNG UND GRÜNE BEWERTUNG
Bei den Rückstellungen der Atomkonzerne für den Rückbau scheint es der Bundesregierung vor allem
darum zu gehen, die Konzerne nicht zu sehr zu belasten. Zudem ist es fraglich, ob wieder eine neue
Kommission, die zudem nur im Einvernehmen mit Mitgliedern der Regierungsparteien besetzt werden
soll, wirklich der richtige Weg ist. Die Unionsfraktion hatte zur Bundestagsanhörung zu diesem Thema
ausschließlich Sachverständige nominiert, die den Konzernen nahe stehen.
Dringend muss die Konzernhaftung hinsichtlich Konzernumstrukturierungen novelliert werden, um
rechtzeitig vor der für 1.1.2016 angekündigten Eon-Aufspaltung sicherzustellen, dass beide Eon-Teile
weiter in der finanziellen Verantwortung bleiben. Diese gesetzliche Neuregelung darf nicht in die neue
Kommission verlagert werden, sonst kommt sie zu spät.
In Bezug auf die Verteilung von 26 Castoren auf mehrere Bundesländer rudert die Vereinbarung hinter
das Konzept von Ministerin Hendricks zurück. Das ist armselig und gefährlich zugleich. Damit wird
Bayern für seine zweijährige Totalverweigerung belohnt und die Aufnahmebereitschaft anderer
Bundesländer aufs Spiel gesetzt, die sich zu Recht fragen, warum Bayern eine Extrawurst bekommt.
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7. Gesamtfazit bzw. Grüne Forderungen
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Statt Hinterzimmer-Deals wollen wir verbindliche CO2-Grenzwerte für Kohlekraftwerke
einführen. Damit würde der schrittweise Kohleausstieg planungs- und rechtssicher für alle
Beteiligten. Zunächst würden die schmutzigsten Kohlekraftwerke ihre Emissionen reduzieren
müssen. Hierbei orientieren wir uns am britischen Modell der „Jahresemissionsfrachten“.
Wir brauchen langfristig ein Strommarktmodell, das die Erneuerbaren in den Mittelpunkt stellt.
Das Weißbuch bringt etwas Klarheit, doch der Großteil an Fragen und Aufgaben liegt noch vor
der Bundesregierung.
Anstelle einer teuren Kohle-Reserve wollen wir den „ökologischen Flexibilitätsmarkt“. Bei
diesem würden Energiespeicher, Lastverschiebungen z.B. bei der Industrie und hochflexible
Gaskraftwerke durch grüne Kriterien (Emissionen, Effizienz usw.) mit einer wettbewerblichen
Ausschreibung endlich eine Chance bekommen. Zudem wäre er kosteneffizienter als das
aktuelle Modell von Minister Gabriel.
Die Regierung muss die Energieeffizienz durch konkrete Maßnahmen voran treiben und
aufhören, nur Ankündigungen zu machen. Effizienz ist mehr als Lückenbüßer der Klimapolitik
und verdient eine sichere Finanzierung.
Erdkabel sind beim Netzausbau grundsätzlich zu ermöglichen. Die Entscheidung über Art und
Strecke einer Leitung muss aber in einem ordentlichen und transparenten Verfahren mit den
Menschen entschieden werden.
Kein Konzern darf sich seiner Verantwortung beim Rückbau der AKWs und der Entsorgung von
Atommüll entziehen. Die Konzernhaftung muss hinsichtlich Konzernumstrukturierungen
novelliert werden und es bedarf endlich eines Öffentlich-Rechtlichen-Fonds.
Kontakt/Rückfragen:
Georg Kössler, Referent für Energiepolitik: [email protected]; T: 51025
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8. Anhang
Welchen Beitrag zum Klimaschutz muss die fossile Energiewirtschaft bei der Bundesregierung erbringen
und was fordern wir Grüne?
Plan der Bundesregierung vom 1. Juli 2015
Maßnahme
prognostizierte Einsparung
Kapazitätsreserve von Braunkohlekraftwerken in Höhe
von 2,7 GW
11,0 bis 12,5 Mio. t CO2
Ggf. eine zusätzliche Minderung der
Braunkohlewirtschaft ab 2018
1,5 Mio. t CO2
Zusätzliche KWK-Förderung
4 Mio. t CO2
Effizienz-Maßnahmen (z.T. im Gebäude- und
Verkehrsbereich)
5,5 Mio. t CO2
Gesamt : 22 Mio. t CO2
Forderungen nach "Grünem Klimaschutz Aktionsprogramm 2020"
» Feedback an [email protected]
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