Richterliche Unabhängigkeit und Leistungsbeurteilung*

REZENSION
Richterliche
Unabhängigkeit und
Leistungsbeurteilung*
Mit Engagement hat sich die Schweizer Vereinigung der Richterinnen und Richter 2013 dem Thema der „Richterlichen Unabhängigkeit und Leistungsbeurteilung“ angenommen. Hieraus
entstanden ist das vorliegende Werk, welches die in St. Gallen
gehaltenen Vorträge zusammenfasst und um internationale
Dokumente ergänzt.
Bereits die Einleitung von Gass/Stadelmann macht das Thema
des Buches deutlich, wenn sie einerseits ausführen, dass
Gerichte „in einem vorgegebenen Rahmen qualitative und
besonders auch quantitative Leistungen erbringen“ müssen
(S. 6), und andererseits betonen, dass „die Vorgabe, wieviel Zeit
eine Richterin für einen bestimmten Fall aufwenden darf, mit
welcher Gründlichkeit sie Abklärungen treffen darf und wie tief
sie dabei gehen kann“, zweifellos einen unerlaubten Eingriff
in die richterliche Unabhängigkeit darstelle. Schwerpunkt des
Buches sind strukturierte Berichte zu den jeweiligen Systemen
in 31 Ländern des Europarates sowie Aufsätze von Praktikern.
Der Band bietet so die Möglichkeit, sich schnell ein umfassendes
Bild über die europaweite Wirklichkeit der richterlichen Leistungsbeurteilung zu verschaffen. Dabei wird deutlich, dass
die meisten, aber eben nicht alle europäischen Staaten eine
Leistungsbeurteilung für Richter kennen, deren Zweck, Durchführung und Bedeutung jedoch sehr unterschiedlich sind. Die
Spannbreite der Aussagen reicht von „there is no system of judicial appraisal“ (McCombe, S. 47, für England) bis zum Hinweis,
dass das Prinzip der Leistungsbeurteilung „est inscrit dans l’art
151, § 6 de la Constitution (van Iseghem für Belgien, S. 163). Und
während in Finnland richterliche Leistungsbeurteilungen in der
Öffentlichkeit „not widely“ diskutiert wurden (Vanne/Judström,
S. 193), beschäftigen sie in Kroatien seit Jahrzehnten „society,
governmental establishment and judiciary“ (Sessa, S. 179).
Das Buch zeigt, dass die Leistungsbeurteilung in einigen Ländern für eine endgültige Einstellung eines Richters oder für eine
Versetzung in eine höhere Instanz entscheidend ist, während­
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sie in anderen Ländern „nur“ einer gerichtsinternen Qualitätssicherung dient. Die Durchführung der Leistungskontrolle
obliegt zumeist den Selbstverwaltungsorganen der Justiz. Als
unbefriedigend angesehene Leistungen können zu negativen
Auswirkungen auf eine Beförderung führen, zu disziplinarischen Maßnahmen oder sogar zur Amtsenthebung. Teilweise
dient die Beurteilung aber auch „nur“ einer gerichtsinternen
Maßnahme. Im Beitrag zur Schweizer Situation wird dieses der
deutschen Beförderungsbeurteilung unbekannte System unter
„Zusammenarbeit statt Zensuren verteilen“ vorgestellt. Dabei
spricht der Autor (Mosimann, S. 105) auch die Schwäche des
Schweizer­ Systems an: Bliebe „die formelle Beurteilung folgenlos, wäre sie reiner Leerlauf. Hätte sie Folgen, würde sie
die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen“.
Ein Blick in die Aufsätze und die Dokumentation der Diskussion
von St. Gallen zeigt, dass die Spannung zwischen Benotung und
Unabhängigkeit von Richtern viele Probleme aufwirft und die
Lösungsansätze, von nationalen Traditionen geprägt, zu wenig
hinterfragt werden. Die Anforderungen an Gerichte („wieso sollen wir Vertrauen haben in diese Richter“, van Zutphen, S. 117)
und damit der Druck, Leistungsnachweise zu erbringen (Pfisterer, S. 123, zum Justizbarometer), werden zunehmen. Das
Buch von Stadelmann / Gass / McCombe bietet eine lesenswerte
Übersicht über die damit verbundenen Schwierigkeiten und die
europaweiten Lösungsversuche, macht Mut und fordert auf,
richterlicher Leistungsbeurteilung auch in Deutschland die
Beachtung zuzumessen, die sie verdient.
Dr. Peter Schneiderhan
ist Oberstaatsanwalt in Stuttgart und Mitglied des Präsidiums.
*
Stadelmann/Gass/McCombe, Richterliche Unabhängigkeit und Leistungsbeurteilung – Die Beurteilung richterlicher Tätigkeit im Spannungsverhältnis
zur richterlichen Unabhängigkeit im europäischen Vergleich, 2015, XI, 311 S.,
Kartoniert, Dike Verlag AG Zürich/St. Gallen, 978-3-03751-637-9, 49 CHF.
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