Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung im

Sophie Reppenhorst - Vortrag zur Alltagsintegrierten Sprachbildung und Beobachtung in NRW
Vortrag auf der Auftaktveranstaltung in Bielefeld am 29.04.2015
Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung
im Elementarbereich
Warum die Neuausrichtung?
Studienergebnisse belegen, dass die Sprachförderung der vergangenen Jahre meist ohne Wirksamkeitsnachweis geblieben ist:
 „Punktuell eingesetzte Programme führen zur Unterbrechung des Kindergartenalltags und
isolieren Sprachförderung und Bildungsprozesse voneinander“ (DBL, 2008)

Grundlegende Aspekte der Sprachentwicklung (z.B. Sprechfreude, Dialogfähigkeit, Umgang
mit Verständnisschwierigkeiten) wurden vernachlässigt

Die Sprachförderung, die als reines Funktionstraining umgesetzt wurde, hat keine Vermittlung notwendiger kognitiver Einsichten in den Aufbau von Sprache vermittelt
(DBL, 2008; Wolf, Stanat & Wendt, 2011)
Die Neuausrichtung verfolgt das Ziel, den defizitorientierten Blick auf Sprache aufzugeben. Die
Sprachbildung hat nun eine stärker kompetenzorientierte Ausrichtung. Damit das breite Spektrum
der kindlichen Sprach- und Kommunikationsmittel berücksichtigt werden kann, sollen die pädagogischen Fachkräfte für die alltagsbasierten, authentischen Erlebnisse, die zum Sprechen verlocken,
sensibilisiert werden.
(EVAS, 2007; EkoS, 2011)
Neuausrichtung (2014/2015)
Die alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung soll dazu beitragen, alle Kinder unabhängig
von Herkunft und sozialen Rahmenbedingungen in ihrer sprachlichen Bildung zu unterstützen, um
ihnen den Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe zu gewährleisten. In allen Kindertageseinrichtungen soll die Qualität des sprachlichen Angebots für alle Kinder bis zur Vollendung des
sechsten Lebensjahres gesichert und verbessert werden.
„Nichts von dem, was die moderne Forschung zeigt, ist einer guten pädagogischen Fachkraft inhaltlich neu. Der Erkenntnisfortschritt besteht vielmehr darin, dass man inzwischen besser zeigen kann,
warum das funktioniert, was ein guter Pädagoge tut“ (Roth in: Caspary, 2012, S. 9). Das Konzept der
Alltagsintegrierten Sprachbildung wurde aus der Praxis aufgenommen und bildungspolitisch definiert. In der Veröffentlichung „Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich für das Land Nordrhein-Westfalen“ (2014) hat das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport Grundlagen formuliert, die die Neuausrichtung beschreiben. Diese umfassen schwerpunktmäßig die Themen alltagsintegrierte Sprachbildung, prozessbegleitende Beobachtung und Dokumentation sowie nachhaltige Qualifizierung.
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Bildungsverständnis
Einhergehend mit der Neuausrichtung der Sprachbildung sollte auch auf das zugrundeliegende Bildungsverständnis eingegangen werden. Bildung wird als ganzheitlicher, konstruktiver Prozess angesehen, der vom Kind aus gestaltet wird und die Körperlichkeit des Kindes berücksichtigt. Über die
körpereigenen Sinne nimmt das Kind seine Umwelt wahr. Durch Bewegung und Handlung interagiert
es mit seiner Umwelt. Bewegung ist die natürlichste und elementarste Ausdrucksform von Kindern.
Um sich mitteilen und verständigen zu können, stehen dem Kind unterschiedliche Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung – verbale und nonverbale. „Bewegung und Sprache sind zwei zentrale
Dimensionen der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung, die zwar in ihrer Entwicklung getrennt voneinander betrachtet werden können, die sich jedoch gleichzeitig in Abhängigkeit voneinander entfalten und sich gegenseitig beeinflussen“ (Zimmer, 2005, S. 22). Gerade mehrsprachig aufwachsende
Kinder können auf ihren bereits vorhandenen sprachunabhängigen Bewegungskompetenzen aufbauen und durch diese einen leichteren Zugang zur deutschen Sprache erlangen.
Sprachbildung
Sprachförderung
Sprachtherapie
Abbildung 1: (modifiziert nach Wolf, Felbrich, Stanat & Wendt, 2011)
Sprachbildung stellt ein durchgängiges Prinzip im Kindergartenalltag dar, das sich durch den pädagogischen Alltag zieht. Sie erfolgt alltagsintegriert, aber trotzdem gezielt (Bildung durch Sprache und
Schrift (BISS), 2012). Die pädagogischen Fachkräfte haben die Aufgabe eine sprachanregende Umwelt
bereitzustellen. Sie sollten sich ihrer Rolle als wichtiges Sprachvorbild für die Kinder bewusst sein und
mit ihrem Angebot alle Kinder der Gruppe bzw. Einrichtung erreichen.
Alltagsintegrierte Sprachbildung = inklusive Sprachbildung
 Erreicht alle Kinder der Einrichtung von Beginn an
 Zieht sich in natürlicher Weise durch den pädagogischen Alltag
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Umfasst alle Sprachbereiche
Nutzt vielfältige Sprachanlässe (z.B. in Bewegungslandschaften, im Spiel, beim Vorlesen und
Bilderbuchbetrachten)
Ist nicht festgelegt auf vorgegebene Materialien und feste Zeiten
Sieht pädagogische Fachkräfte als Sprachvorbild
Bezieht die Eltern aktiv ein
Berücksichtigt auch die Interaktion zwischen den Kindern
Entwicklungs- und prozessbegleitende Beobachtung
Relevante Sprachkompetenzen werden nicht in künstlich herbeigeführten Situationen (punktuelle
Testverfahren) erhoben, sondern in realen Alltagssituationen beobachtet und dokumentiert. Für eine
Sprachbildung, die sich an den Ressourcen eines Kindes orientiert, sind seine intraindividuellen Entwicklungsschritte von Bedeutung.
Verbindlich einzusetzende Verfahren
Die strukturierten Beobachtungsverfahren erlauben eine gezielte Beobachtung der Sprachentwicklung, sie sind wissenschaftlich begründet und empirisch abgesichert.
Beobachtung Kinder unter drei Jahren
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Liseb (Literacy und Sprachentwicklung beobachten)

DJI – Sprachliche Bildung und Förderung für Kinder unter Drei

BaSiK (Begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen)
Beobachtung Kinder über drei Jahren
 Sismik (Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen)
 Seldak (Sprachentwicklung und Literacy bei deutschsprachig aufwachsen den Kindern)
 BaSiK (Begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen)
Eines dieser Verfahren ist verbindlich einmal im Jahr einzusetzen (§ 13b Abs. 1/ § 13c Abs. 2 KiBiZ).
(MFKJKS, 2014, S. 13)
Nachhaltige Qualifizierung
Die isolierten und zeitlich terminierten Programme zur Förderung einzelner sprachlicher Kompetenzen der Kinder rücken zugunsten einer angemessenen Qualifizierung professioneller Kompetenzen
der pädagogischen Fachkräfte in den Hintergrund. Diese Qualifizierungsmaßnahmen sollen die
Sprachbildungskompetenz der Fachkräfte unterstützen (Tracy, Thoma, Michel & Ofner, 2014). Damit
die alltagsintegrierte Sprachbildung nicht beliebig und zufallsbedingt bleibt, ist eine auf Beobachtungen ausgerichtete gezielte Anregung der pädagogischen Fachkräfte entscheidend. Die Qualität der
Anregungen, die auch vom sprachförderlichen Verhalten der pädagogischen Fachkraft und der Anwendung von Sprachbildungsstrategien abhängt, gilt es weiterzuentwickeln:
 Die pädagogische Qualität der Kita sowie die Qualität der Erzieher-Kind-Interaktion im päd. Alltag beeinflusst die (Sprach-) entwicklung von Kindern (Sylva et al. (EPPE-Studie), 2003)
 Sprachentwicklungsunterschiede von bis zu einem Jahr können dadurch erklärt werden
(Tietze, 1998; Fried, 2011)
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Dadurch wird deutlich welche Bedeutung den pädagogischen Fachkräften zukommt. Das Personal ist
die größte Ressource von Kitas. Mit ihren Qualifikationen, Haltungen und Handlungen nehmen sie
einen bedeutenden Einfluss auf die Erreichung der jeweiligen pädagogischen Ziele (Böttcher et al.,
2012).
Die Sprachbildungskompetenz der pädagogischen Fachkräfte
hat einen hohen Stellenwert. Ihr Wissen über Sprachentwicklung und -begleitung, ihr Repertoire an Spielen und zur Gestaltung von Interaktionen und nicht zuletzt ihre sprachförderliche Haltung sind wichtiger als die Umsetzung eines der zahlreichen Programme zur Sprachförderung. Studien belegen,
dass das Engagement und die (Sprech-)Freude der Fachkräfte
ausschlaggebender für die Wirkung der Sprachbildung und
-förderung sind, als die Wahl des „Trainingsprogramms“.
Sprachbildungskompetenz im Team
Sprachbildung und Sprachförderung sind nicht nur Aufgabe einzelner spezieller Fachkräfte in der
Kindertagesstätte. Vielmehr wird es Aufgabe des gesamten Teams sein, die sprachliche Bildung aller
Kinder im Sinne einer Querschnittsaufgabe im Alltag zu unterstützen. Bewusste Gespräche in Teams
(mindestens 2-mal im Monat) von Kindertageseinrichtungen über Sprachförderkonzepte und deren
Möglichkeiten wirkte sich positiv auf die Sprachentwicklung der Kinder aus. Ebenso erreichten Kinder
in Kindertageseinrichtungen, die Wert auf Teamfortbildungen legten, eine günstigere Entwicklung im
Sprachstand auf (Micheel, Niedig, Ratermann & Stöbe-Blossey, 2013).
Literatur
Bildung durch Sprache und Schrift (BISS) (2012). Expertise „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS).“ BundLänder-Initiative zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung [Online]. Verfügbar unter:
http://www.bmbf.de/pubRD/BISS_Expertise.pdf.
Böttcher, W., Kanning, P. & Pahlke, M. (2012). Personalmanagement. In W. von Böttcher & J. N. Dicke
(Hrsg.), Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online, Fachgebiet Bildungsorganisation –Bildungsplanung – Bildungsrecht. Weinheim: Juta. [Online]. Verfügbar unter: http://www.erzwissonline.de/
Caspary, R. (2012): Lernen und Gehirn: Der Weg zu einer neuen Pädagogik. Freiburg: Herder.
Deutscher Bundesverband für Logopädie (2008). Sprachstandserhebung - Sprachförderung dbl – Positionspapier (August 2008).
[Online]
Verfügbar
unter:
https://www.dblev.de/fileadmin/Inhalte/Dokumente/der_dbl/pospapier_sprachstandserh.pdf
Fried, L. (2011): Sprachförderstrategien in Kindergartengruppen – Einschätzungen und Ergebnisse mit DO-RESI.
Empirische Pädagogik, 25 (4), S. 543-562.
Micheel, B., Niedig, I., Ratermann, M. & Stöbe-Blossey, S. (2013). Sprachförderung im Elementarbereich – Evaluationsstudie –. Abteilung „Bildung und Erziehung im Strukturwandel“ (BEST) am Institut Arbeit und
Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (Hrsg.). [Online] Verfügbar unter:
https://media.essen.de/media/wwwessende/aemter/51/elementarbereich/Vorlaeufiger_Gesamt
bericht.pdf
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Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2014). Alltagsintegrierte Sprachbildung und Beobachtung im Elementarbereich – Grundlagen für NordrheinWestfalen. [Online] Verfügbar unter: www.mfkjks.nrw.de/publikationen.
Roos, J., Polotzek, S. & Schöler, H. (2009). Wissenschaftliche Begleitung der Sprachfördermaßnahmen im Programm `Sag mal was´- Unmittelbare und längerfristige Wirkungen von Sprachförderungen in Mannheim und Heidelberg. Abschlussbericht. EVAS – Evaluationsstudie zur Sprachförderung von Vorschulkindern. Heidelberg: Pädagogische Hochschule Heidelberg.
Sylva, K. et al. (2003). The Effective Provision of Pre-School Education Project. Findings from the Preschool
Period. London: Institute of Education. University London.
Tietze, W. (1998) (Hrsg.). Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen
Qualität in deutschen Kindergärten. Neuwied: Luchterhand.
Tracy, R., Thoma, D., Michel, M., & Ofner, D. (2014). SprachKoPF: Sprachliche Kompetenzen pädagogischer
Fachkräfte. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (Ed.), Bildungsforschung 2020 - Herausforderungen und Perspektiven Berlin: BMBF. S. 285-287.
Wolf, K.M., Felbrich, A., Stanat, P. & Wendt, W. (2011). Evaluation der kompensatorischen Sprachförderung in
Brandenburger Kindertagesstätten. In S. Roux & G. Kammermeyer (Hrsg.), Sprachförderung im Blickpunkt. Empirische Pädagogik, 25(4), S. 423-438.
Wolf, M., Stanat, P. & Wendt, W. (2011). EkoS – Evaluation der kompensatorischen Sprachförderung.
Abschlussbericht. [Online] Verfügbar unter: http://www.isq-bb.de/uploads.media/ekos-bericht-3110216.pdf [2.5.2014].
Zimmer, R. (2005). Bewegung und Sprache. Verknüpfung des Entwicklungs- und Bildungsbereichs Bewegung mit
der sprachlichen Förderung in Kindertagesstätten. Expertise DJI, München.
Sophie Reppenhorst
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung
Mail: [email protected]
Tel.: 0541/9696407
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