Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen Rechtsbehelfe in Haftsachen / Überblick Haftprüfungsantrag i.S.d. § 117 I StPO I. Zulässigkeit: 1. Antragsberechtigung: Inhaftierter selbst (§ 117 StPO) oder Verteidiger (§§ 118b, 297 StPO). Nicht: StA oder Nebenkläger (M-G, § 117, Rn. 3), da keine Verweisung auf § 296 bzw. §§ 395 ff. StPO in § 118b StPO. 2. Form: Nicht vorgeschrieben; daher mündlich (etwa bei Vernehmung), schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle. Einlegung beim zuständigen Gericht (§ 126 StPO), oder auch beim Amtsgericht, in dessen Bezirk die Haftanstalt liegt, möglich: §§ 118b, 299 I StPO. 3. Keine Fristen. 4. Bei Antragsrücknahme durch Verteidiger beachten: Nach § 118b i.V.m. § 302 II StPO besondere Vollmacht nötig! II. Verfahrensgang: 1. Zuständigkeit für Entscheidung: a. Vor Anklageerhebung: Grds. Ermittlungsrichter am Amtsgericht (§ 126 I 1 StPO). b. Nach Anklageerhebung: Das mit der Anklage befasstes Gericht, also oft das Landgericht (§ 126 II 1 StPO). RA C. Daxhammer Seite 1 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen 2. Gemäß § 118 I StPO ist bei entsprechendem Antrag grds. mündlich zu verhandeln. Ausnahmen in § 118 III oder IV StPO. III. Begründetheit: Dann (+), wenn Aufhebung nach § 120 StPO oder Aussetzung des Vollzugs nach § 116 StPO möglich ist. Ansatz dabei: "Auswechseln" von Tatvorwurf und/oder Haftgründen möglich! 1. Dringender Tatverdacht: Def.: Wenn nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat. Dabei ist nicht die Prognose erforderlich, dass die Verurteilung wahrscheinlich ist; es genügt die Möglichkeit der Verurteilung (M-G, § 112, Rn. 5). - Anforderungen an diesen dringenden Verdacht sind im Vergleich zum hinreichenden Verdacht i.S.d. §§ 203, 170 I StPO graduell höher. - Andererseits sind aber keine abgeschlossenen Ermittlungen nötig; es genügt die Prognose aufgrund des vorläufigen Ermittlungsergebnisses (M-G, § 112, Rn. 6).1 Beachte: Rechtsfragen können allerdings nicht mit der Begründung offen gelassen werden, es sei sehr wahrscheinlich, dass eine Tat einen bestimmten Straftatbestand erfüllt. Solche reinen Rechtsfragen müssen viel1 Der dringende Tatverdacht darf aber nur aus belegbaren bestimmten Tatsachen, nicht aus künftigen möglichen Ermittlungsergebnissen hergeleitet werden, LG Frankfurt NStZ 2009, 477. RA C. Daxhammer Seite 2 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen mehr vom Richter genau geprüft werden (M-G, § 112, Rn. 5). => An dieser Stelle Prüfung des materiellen Rechts (StGB) und evtl. auch der Beweislage, etwa von Beweisverwertungsverboten! 2. Haftgründe: a. Flucht, § 112 II Nr.1 StPO: Nur solange noch nicht inhaftiert. b. Fluchtgefahr, § 112 II Nr.2 StPO: Definition: Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (M-G, § 112, Rn. 17 m.w.N.). Hier ist eine Abwägung aller greifbaren Indizien nötig, etwa vorherige Flucht, Arbeitsplatz, Wohnsitz, verwandtschaftliche Beziehungen usw. c. Verdunklungsgefahr, § 112 II Nr.3 StPO. Def: Verdunklungsgefahr besteht, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird (M-G, § 112, Rn. 26). Dabei muss es um die Taten gehen, die dem Haftbefehl zugrunde liegen. Das Verhalten des Verdächtigen muss prozessordnungswidrig und anstößig sein (M-G, § 112, Rn. 29). Legitimes Verhalten begründet auch dann keine RA C. Daxhammer Seite 3 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen Verdunklungsgefahr, wenn dadurch eine mögliche Verurteilung erschwert oder gar verhindert werden würde.2 Beispiel: Eine Drohung gegenüber einem Zeugen kann die Verdunklungsgefahr begründen. Der Haftgrund der Verdunklungsgefahr ist dann aber nicht mehr gegeben, wenn der Sachverhalt schon in vollem Umfang aufgeklärt ist und die Beweise so gesichert sind, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlungen nicht mehr behindern kann. Dies ist nach h.M. der Fall, wenn richterlich protokollierte Aussagen von zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung unbeeinflussten Zeugen vorliegen (OLG Karlsruhe NJW 1993, 1148; M-G, § 112, Rn. 35 m.w.N.). Grund: Ausreichende Beweismittel (Einführung des Protokolls in den Prozess nach § 251 StPO, Vernehmung des Richters als Verhörsperson). 3. Keine Unverhältnismäßigkeit: Diese stellt damit einen Haftausschließungsgrund dar, der den Erlass des Haftbefehles nur hindert, wenn die Unverhältnismäßigkeit feststeht (M-G, § 112, Rn. 8). Abzuwägen sind die Schwere des Eingriffs in die Lebenssphäre des Beschuldigten gegen die Bedeutung der Strafsache und die Rechtsfolgenerwartung (vgl. Sie im Einzelnen M-G, § 112, Rn. 11). 4. "Haftgrund" des § 112 III StPO: Erleichterungen bei bestimmten ganz schweren Delikten. 2 Das bloße Einwirken auf eine Beweisperson mit dem Ziel, dass diese von einem etwaigen Zeugnisverweigerungsrecht gemäß §§ 52, 53 StPO Gebrauch macht, kann nicht als anstößig angesehen werden. Dieses Recht steht jedem Beschuldigtem grundsätzlich zu. Er muss dabei aber den Rahmen wahren, darf insbesondere die Willensentschließungsfreiheit des Ausübungsberechtigten nicht einschränken bzw. nicht ein bestehendes Autoritätsverhältnis ausnutzen (vgl. M-G, § 112, Rn. 33). RA C. Daxhammer Seite 4 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen Aus Verfassungsgründen (Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) ist aber einschränkende Auslegung der Norm notwendig (hierzu M-G, § 112, Rn. 37). 5. Beachte die 1997 eingeführte Sonderregelung "Hauptverhandlungshaft" gemäß § 127b StPO: a. Voraussetzungen / Bedeutung: der (Nur) im Zusammenhang mit dem beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff. StPO) möglich, erfordert also letztlich einen einfachen Sachverhalt und eine klare Beweislage. • Ausreichend ist dann die auf "bestimmte Tatsachen" begründete Befürchtung, dass der Festgenommene der Hauptverhandlung fernbleiben wird. • Weitere Voraussetzung ist aber, dass "die Durchführung der Hauptverhandlung binnen einer Woche nach der Festnahme zu erwarten ist" (§ 127b II 1 StPO). • Der Haftbefehl ist auf höchstens eine Woche ab dem Tage der Festnahme befristet (§ 127b II 2 StPO). b. Kritisch hierzu etwa Hartenbach in ZRP 1997, 227 f.; ebenso M. Wenske in NStZ 2009, 63 ff. Haftbeschwerde I. Zulässigkeit: 1. Statthaftigkeit nach § 304 I StPO; § 305 S.1 StPO (-). 2. Beschwerdeberechtigung: §§ 296, 297 StPO direkt. 3. Keine Frist, da keine sofortige Beschwerde gemäß § 311 StPO. RA C. Daxhammer Seite 5 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen 4. Form: Schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim "iudex a quo" (§ 306 I StPO). 5. Beachte: Evtl. unzulässig wegen Subsidiarität gemäß § 117 II 1 StPO! Beispiel: Der Inhaftierte stellt in der JVA selbst einen Haftprüfungsantrag, der Verteidiger legt gleichzeitig oder (in Unkenntnis davon) kurz darauf eine Haftbeschwerde ein. Dann ist die Haftbeschwerde unzulässig. Erst gegen die Abweisung des Haftprüfungsantrages ist (später) ein weiteres Vorgehen nach § 117 II 2 StPO möglich. 6. Die Rücknahme einer Haftbeschwerde kann der Verteidiger gemäß § 302 II StPO (direkt) nur mit einer besonderen Vollmacht wirksam erklären. 7. Wichtiges Sonderproblem: Anklage zum LG nach Einlegung der Beschwerde gegen einen Haftbefehl des AG. Wegen § 126 II 1 StPO wurde nun eigentlich eine Doppelzuständigkeit des Landgerichts begründet: Künftig „erstinstanzliche“ Zuständigkeit (also für Haftprüfung und etwaigen Neuerlass), gleichzeitig aber Beschwerdegericht gemäß § 73 I GVG für die frühere Beschwerde. Lösung des Problems: Die Beschwerde muss umgedeutet werden in einen Antrag auf Haftprüfung (M-G, § 117, Rn. 12). Erst gegen die Abweisung des umgedeuteten Haftprüfungsantrages ist dann die Beschwerde nach § 117 II 2 StPO möglich, die dann zum OLG geht (§ 121 I Nr.2 GVG; vgl. Sie auch M-G, § 121 GVG, Rn. 3). RA C. Daxhammer Seite 6 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen II. Verfahrensgang: 1. Zuständigkeit: Für Entscheidung: übergeordnetes Gericht, also Devolutiveffekt gegeben (vgl. §§ 73 I, 121 I Nr.2 GVG; vgl. M-G, § 121 GVG, Rn. 3) 2. Haftbeschwerde-Verfahren kann wahlweise nach Aktenlage oder mit mündlicher Verhandlung erfolgen, § 118 II StPO. I.d.R. ergeht die Entscheidung nach Aktenlage (MG, § 117, Rn. 11). III. Begründetheit: Grds. wie oben. Auch hier ist wegen § 309 II StPO "Auswechseln" von Tatvorwurf und/oder Haftgründen möglich (vgl. M-G, § 117, Rn. 11). Sonderfälle I. Sicherungshaftbefehl gemäß § 453c StPO 1. Besonderheit beim Erlass: Neben Flucht und Fluchtgefahr (vgl. Sie Verweisung in § 453c I 1 StPO) besteht hier ein Haftgrund der Wiederholungsgefahr (vgl. M-G, § 453c, Rn. 10), nicht aber der Verdunklungsgefahr (rechtskräftiges Urteil liegt vor!). 2. Besonderheit bei den Rechtsbehelfen: In § 453c II 2 StPO ist (u.a.) keine Verweisung auf die §§ 117, 118 StPO vorgesehen. Folge: Es gibt hier nach h.M. keine Haftprüfung, sondern nur die Haftbeschwerde (vgl. M-G, § 453c, Rn. 16, 17)! RA C. Daxhammer Seite 7 Kurzübersicht/ Rechtsbehelfe in Haftsachen II. Haftbefehl zur Strafvollstreckung gemäß § 457 II StPO. Vgl. Sie zur Haftbefehlsproblematik auch Hemmer / Wüst / Gold / Mielke / Daxhammer, Assessor-Basics - Die öffentlichrechtliche und die strafrechtliche Anwaltsklausur / Klausurentraining, Strafrechtsklausur Nr.3 __________________ RA C. Daxhammer Seite 8
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