Manifesta Episode 5

Hallo Dania, schön, dass
es mit unserem Treffen
geklappt hat!
Manif esta
Episode 5:
Masturbation
Hier in meinem Zimmer zeichne ich; die
Modelle ma­sturbieren auf meinem Bett.
Die Beziehung zwischen Fantasie und
dem Effekt auf den Körper ist zentral.
Ich befrage die Frauen immer, woran
sie beim Masturbieren denken. Für die
Entwicklung der Arbeit ist das sehr
wichtig, und in einem nächsten Schritt
mit grösseren Formaten wird das
thema­tisiert.
Hallo Andrea, ja,
ich bin schon
sehr gespannt!
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Man kommt sofort zur Sache.
Das Treffen von Andrea und Dania findet in der
Manifesta-Wohnung an der Dialogstrasse in Oerlikon
statt. Hier gibt es insgesamt zehn Zimmer, die den
Künstlern während ihrer Recherchen in Zürich zur
Verfügung stehen.
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Die Zeichnungen sind «Masturbationsporträts». Pro
Blatt ist es eine Masturbation; normalerweise erreicht
die Frau den Orgasmus.
Diese Frau zieht sich bei der
Masturbation stark zusammen.
Ich habe gefragt, woran sie
dabei denkt, und sie antwortete, es seien schlimme Sachen,
die mit ihr in der Kindheit
passiert sind. Sie mag diese
Gedanken nicht, aber sie kann
sie nicht abstellen und muss
manchmal sogar abbrechen.
Sehr schön, ein richtiges Geschlecht!
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Dania macht Sendungen auf Joiz und Radio 1, zudem hat
sie ihre eigene Praxis in Zürich. Als eine der wenigen
Spezialistinnen auf ihrem Gebiet in der Schweiz fallen ihr
sofort Besonderheiten auf.
Das hier verstehe ich nicht.
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Wenn du einen engen Körper
machst, werden auch enge Gedanken aktiviert; man holt automatisch Sachen aus der Erinnerung, die dazu passen. Viele
geniessen das überhaupt nicht,
es ist körperlich sehr aufwendig. Manche Frauen können
Vergewaltigungsfantasien während ihrer Erregung erotisieren, doch erschrecken, sobald
sie fertig sind. Oder sie versuchen, an etwas Schönes zu
denken, aber es klappt einfach
nicht, weil sie derart angespannt sind.
Ich finde es wichtig, alles selbst
auszuprobieren. Wenn du den Eindruck hast, eine Frau sei total
locker, doch sie erzählt dir, in Wichtig ist, was der Körper
macht; ist er locker und entihrer Fantasie werde sie so
richtig durchgebumst, kann das spannt, gibt es andere Fanta-­
sien. Achte auf die Gesichter,
eigentlich nicht sein. Ist die
Fantasie harter Sex, kann man wenn du zeichnest: Der Mund­
nicht komplett locker sein. 99% boden hat eine Verbindung zum
Becken­bodenmuskel. Also wenn
der Fälle sind körperlogisch,
die Frauen verbissen aussehen,
Fantasie und Körper arbeiten
zusammen: Also kannst du dich dann ist automatisch der Beckenboden angespannt.
fragen, wo die Spannung ist,
die du nicht siehst.
Und beim Orgasmus kann
man sich fragen, wie sehr
Anspannung mit Genuss zu
tun hat. Es heisst nicht,
dass keiner stattfindet,
aber die Genusskurve ist
tendenziell tiefer. Hast
du ein Blatt Papier und
zwei Stifte?
Also wenn jemand sehr viel
Spannung im Unterleib hat, dann
automatisch auch oben im Gesicht.
Das ist eigentlich extrem logisch.
Manche machen ein sehr entspanntes Gesicht, andere gar nicht.
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FOKUS // MANIFESTA / EPISODE 5
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Blau ist die Erregungskurve. Einige Frauen
können sich über den
Busen sehr schnell und
hoch erregen, bis zur
Entladung; dann ist es
vorbei. Die rote Genusskurve folgt dem
häufig nicht, sie geht
vielleicht schnell rauf
zum Höhepunkt, doch
flacht dann schnell
wieder ab; manchmal
sogar in den negativen
Bereich, etwa als
schlechtes Gewissen.
Das ist interessant, das
müsste man für alle Positionen überlegen.
Eine andere deiner Zeichnungen entspricht eher
dem unteren Schema: Am Anfang gibt es in
der Fantasie eine Verführung, die Frau wird begehrt und ist aufgeregt, er schaut sie an, geht
auf sie zu; sie beginnt mit Druck auf die Vulva bis
zu einer Erregung von sagen wir Stufe 5 von 10.
Dann werden in Gedanken vielleicht verschiedene
Sexpositionen durchgespielt, sie beginnt mit
sich zu spielen, mal locker, mal heftiger. Hier ist
die Frage, ob die Erregung konstant bleibt, hochoder sogar runtergeht. In Stufe 8 bis 10 denkt
sie beispielsweise daran, richtig hart genommen
zu werden; sie macht wieder etwas Stärkeres mit
vollem Druck, um die Erregung nochmals zu steigern und zu kommen. Gerade beim Zeichnen ist
diese Änderung kurz vor dem Orgasmus wohl am
interessantesten.
Ich verstehe: Bei Frauen,
die gerne spielen, ist der
Beginn nicht so spannend,
doch in der Spielphase wird
ihr Genuss häufig sehr hoch
und geht danach eher wieder zurück. Sie haben im
Mittelteil eine höhere Lust
bei tieferer Erregung, ehe
es wieder wechselt.
Viele Frauen können
mit diesem Diagramm
verstehen, weshalb sie
eine so hohe Erregung
haben und es dennoch
nicht schön finden.
Das ist spannend, man
kann es für alle Positionen machen. Es ist
auch sehr logisch und
weniger emotional.
Frag deine Modelle, was sie
an den jeweiligen Punkten
fan­tasieren und was sich verändert. Oft beginnt es mit
etwas Starkem, dann kommt
ein Wechsel zu etwas eher
Romantischem, dann wieder zu
etwas Stärkerem. Aber vielleicht triffst du eine Frau, bei
der das ganz anders ist!
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Nach dem wissenschaftlichen Einblick in die
Masturbation stehen wieder organisatorische
Belange im Vordergrund.
Wie sieht es eigent­lich
mit dem OrgasmusKurs aus, darf ich dabei sein?
Ich denke, es würde mir sehr
helfen. Und dann geht es ja
noch um die Frage, einen Teil
der Manifesta am jeweiligen
Wirkungsort stattfinden zu
lassen. Ich könnte in der
Praxis ein Werk platzieren
oder ein Gespräch machen.
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Ja, in der Rolle als Praktikantin.
Du kannst dir Notizen machen, aber
wir sagen den Kursteilnehmerinnen
nicht, dass du an einem Kunst­
projekt arbeitest; für sie ist das
eine sehr persönliche Angelegenheit. Aber du solltest jedes Mal
dabei sein. Ansonsten gäbe es den
Wochenendkurs; es sind fast gleich
viele Stunden, aber konzentriert
auf ein Wochenende.
Mittlerweile habe ich die
Idee, eine Art Handbuch
mit den Zeichnungen und
Diagrammen zu machen.
Das Buch könnten die Pa­
tienten in der Praxis dann
anschauen und gleich etwas
dabei lernen.
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Ich habe mit den anderen gesprochen und
sie finden beides
grundsätzlich möglich.
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Das Treffen der beiden Frauen endet mit einem Kompliment.
Wie stark das neue Wissen Andreas Zeichnungen beeinflussen
wird, kann man ab dem 11. Juni 2016 an der Manifesta sehen.
Ich finde wirklich toll an
deinem Projekt, dass du
die Sache richtig zu verste­
hen versuchst. Viele Kunstprojekte schliessen einfach
von sich auf andere und
machen unter dem Vorwand
künstlerischer Freiheit
etwas, das überhaupt nicht
stimmt. Also ich freue mich
auf unser nächstes Treffen!
Ja, ich auch,
Tschüss!
Fortsetzung
folgt
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Mitwirkende: Andrea Eva Gyori (Künstlerin, Berlin) und Dania Schiftan (Doktorin in Sexologie und Fachpsychologin in
Psychotherapie, Zürich). Script: Oliver Kielmayer; Fotografie: Livio Baumgartner.
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