Hallo Dania, schön, dass es mit unserem Treffen geklappt hat! Manif esta Episode 5: Masturbation Hier in meinem Zimmer zeichne ich; die Modelle masturbieren auf meinem Bett. Die Beziehung zwischen Fantasie und dem Effekt auf den Körper ist zentral. Ich befrage die Frauen immer, woran sie beim Masturbieren denken. Für die Entwicklung der Arbeit ist das sehr wichtig, und in einem nächsten Schritt mit grösseren Formaten wird das thematisiert. Hallo Andrea, ja, ich bin schon sehr gespannt! 1 Man kommt sofort zur Sache. Das Treffen von Andrea und Dania findet in der Manifesta-Wohnung an der Dialogstrasse in Oerlikon statt. Hier gibt es insgesamt zehn Zimmer, die den Künstlern während ihrer Recherchen in Zürich zur Verfügung stehen. 2 Die Zeichnungen sind «Masturbationsporträts». Pro Blatt ist es eine Masturbation; normalerweise erreicht die Frau den Orgasmus. Diese Frau zieht sich bei der Masturbation stark zusammen. Ich habe gefragt, woran sie dabei denkt, und sie antwortete, es seien schlimme Sachen, die mit ihr in der Kindheit passiert sind. Sie mag diese Gedanken nicht, aber sie kann sie nicht abstellen und muss manchmal sogar abbrechen. Sehr schön, ein richtiges Geschlecht! 3 Dania macht Sendungen auf Joiz und Radio 1, zudem hat sie ihre eigene Praxis in Zürich. Als eine der wenigen Spezialistinnen auf ihrem Gebiet in der Schweiz fallen ihr sofort Besonderheiten auf. Das hier verstehe ich nicht. 4 60 5 Kunstbulletin 4/2016 Wenn du einen engen Körper machst, werden auch enge Gedanken aktiviert; man holt automatisch Sachen aus der Erinnerung, die dazu passen. Viele geniessen das überhaupt nicht, es ist körperlich sehr aufwendig. Manche Frauen können Vergewaltigungsfantasien während ihrer Erregung erotisieren, doch erschrecken, sobald sie fertig sind. Oder sie versuchen, an etwas Schönes zu denken, aber es klappt einfach nicht, weil sie derart angespannt sind. Ich finde es wichtig, alles selbst auszuprobieren. Wenn du den Eindruck hast, eine Frau sei total locker, doch sie erzählt dir, in Wichtig ist, was der Körper macht; ist er locker und entihrer Fantasie werde sie so richtig durchgebumst, kann das spannt, gibt es andere Fanta- sien. Achte auf die Gesichter, eigentlich nicht sein. Ist die Fantasie harter Sex, kann man wenn du zeichnest: Der Mund nicht komplett locker sein. 99% boden hat eine Verbindung zum Beckenbodenmuskel. Also wenn der Fälle sind körperlogisch, die Frauen verbissen aussehen, Fantasie und Körper arbeiten zusammen: Also kannst du dich dann ist automatisch der Beckenboden angespannt. fragen, wo die Spannung ist, die du nicht siehst. Und beim Orgasmus kann man sich fragen, wie sehr Anspannung mit Genuss zu tun hat. Es heisst nicht, dass keiner stattfindet, aber die Genusskurve ist tendenziell tiefer. Hast du ein Blatt Papier und zwei Stifte? Also wenn jemand sehr viel Spannung im Unterleib hat, dann automatisch auch oben im Gesicht. Das ist eigentlich extrem logisch. Manche machen ein sehr entspanntes Gesicht, andere gar nicht. 6 FOKUS // MANIFESTA / EPISODE 5 61 Blau ist die Erregungskurve. Einige Frauen können sich über den Busen sehr schnell und hoch erregen, bis zur Entladung; dann ist es vorbei. Die rote Genusskurve folgt dem häufig nicht, sie geht vielleicht schnell rauf zum Höhepunkt, doch flacht dann schnell wieder ab; manchmal sogar in den negativen Bereich, etwa als schlechtes Gewissen. Das ist interessant, das müsste man für alle Positionen überlegen. Eine andere deiner Zeichnungen entspricht eher dem unteren Schema: Am Anfang gibt es in der Fantasie eine Verführung, die Frau wird begehrt und ist aufgeregt, er schaut sie an, geht auf sie zu; sie beginnt mit Druck auf die Vulva bis zu einer Erregung von sagen wir Stufe 5 von 10. Dann werden in Gedanken vielleicht verschiedene Sexpositionen durchgespielt, sie beginnt mit sich zu spielen, mal locker, mal heftiger. Hier ist die Frage, ob die Erregung konstant bleibt, hochoder sogar runtergeht. In Stufe 8 bis 10 denkt sie beispielsweise daran, richtig hart genommen zu werden; sie macht wieder etwas Stärkeres mit vollem Druck, um die Erregung nochmals zu steigern und zu kommen. Gerade beim Zeichnen ist diese Änderung kurz vor dem Orgasmus wohl am interessantesten. Ich verstehe: Bei Frauen, die gerne spielen, ist der Beginn nicht so spannend, doch in der Spielphase wird ihr Genuss häufig sehr hoch und geht danach eher wieder zurück. Sie haben im Mittelteil eine höhere Lust bei tieferer Erregung, ehe es wieder wechselt. Viele Frauen können mit diesem Diagramm verstehen, weshalb sie eine so hohe Erregung haben und es dennoch nicht schön finden. Das ist spannend, man kann es für alle Positionen machen. Es ist auch sehr logisch und weniger emotional. Frag deine Modelle, was sie an den jeweiligen Punkten fantasieren und was sich verändert. Oft beginnt es mit etwas Starkem, dann kommt ein Wechsel zu etwas eher Romantischem, dann wieder zu etwas Stärkerem. Aber vielleicht triffst du eine Frau, bei der das ganz anders ist! 7 62 Kunstbulletin 4/2016 Nach dem wissenschaftlichen Einblick in die Masturbation stehen wieder organisatorische Belange im Vordergrund. Wie sieht es eigentlich mit dem OrgasmusKurs aus, darf ich dabei sein? Ich denke, es würde mir sehr helfen. Und dann geht es ja noch um die Frage, einen Teil der Manifesta am jeweiligen Wirkungsort stattfinden zu lassen. Ich könnte in der Praxis ein Werk platzieren oder ein Gespräch machen. 8 Ja, in der Rolle als Praktikantin. Du kannst dir Notizen machen, aber wir sagen den Kursteilnehmerinnen nicht, dass du an einem Kunst projekt arbeitest; für sie ist das eine sehr persönliche Angelegenheit. Aber du solltest jedes Mal dabei sein. Ansonsten gäbe es den Wochenendkurs; es sind fast gleich viele Stunden, aber konzentriert auf ein Wochenende. Mittlerweile habe ich die Idee, eine Art Handbuch mit den Zeichnungen und Diagrammen zu machen. Das Buch könnten die Pa tienten in der Praxis dann anschauen und gleich etwas dabei lernen. 10 Ich habe mit den anderen gesprochen und sie finden beides grundsätzlich möglich. 9 Das Treffen der beiden Frauen endet mit einem Kompliment. Wie stark das neue Wissen Andreas Zeichnungen beeinflussen wird, kann man ab dem 11. Juni 2016 an der Manifesta sehen. Ich finde wirklich toll an deinem Projekt, dass du die Sache richtig zu verste hen versuchst. Viele Kunstprojekte schliessen einfach von sich auf andere und machen unter dem Vorwand künstlerischer Freiheit etwas, das überhaupt nicht stimmt. Also ich freue mich auf unser nächstes Treffen! Ja, ich auch, Tschüss! Fortsetzung folgt 11 Mitwirkende: Andrea Eva Gyori (Künstlerin, Berlin) und Dania Schiftan (Doktorin in Sexologie und Fachpsychologin in Psychotherapie, Zürich). Script: Oliver Kielmayer; Fotografie: Livio Baumgartner. FOKUS // MANIFESTA / EPISODE 5 63
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