Das neue Finanzdienstleistungsgesetz bleibt ein Bürokratiemonster U nter der Führung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich die Finanzbranche innert kurzer Zeit komplett verändert. Mit einer Reihe von Reformen sollte die Stabilität des Finanzsystems erhöht werden. Zuerst standen neue Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften, Bestimmungen für systemrelevante Banken, verbesserter Kundenschutz sowie eine höhere Markttransparenz im Fokus. Anfangs November 2015 wurde die bundesrätliche Botschaft zum Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und zum Finanzinstitutsgesetz (FINIG) veröffentlicht. Diese werden noch viel zu reden geben. Nach einem fragwürdigen und aussergewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit der sog. «Lex USA», die der Nationalrat ablehnte, stellt das FATCA-Abkommen mit Amerika seit der Einführung im Jahre 2014 die Branche vor neue Herausforderungen. Um den Datenaustausch über Konten von ausländischen Kunden in der Schweiz mit den anderen Ländern zu ermöglichen, wird im Eilzugstempo der AIA verhandelt, beraten und umgesetzt. Der Austausch von Daten zwischen den Staaten erhitzt die Gemüter nicht nur aus grundsätzlichen Überlegungen. Ob die Partnerstaaten in derselben geforderten Qualität Daten liefern können und wollen, wie es die Schweiz beabsichtigt, ist fraglich und wird sich zeigen. Und ob der Austausch vertraulicher Kundendaten auch mit Ländern, welche für die Korruption ihrer staatlichen Bürokratie bekannt sind, politisch vertretbar ist, wird schlussendlich vom Parlament und allenfalls auch von den Bürgern zu entscheiden sein. Der Entscheid über das Bankgeheimnis im Inland, das auf einer jahrhundertealten Kultur der Vertraulichkeit der finanziellen Privatsphäre beruht, liegt in den Händen der Schweizer Stimmbevölkerung. Die hohe Kadenz der Übernahme ausländischer Empfehlungen und die damit verbundene Regulierungswut des Gesetzgebers mindern die Rechtssicherheit und erhöhen die Verunsicherung. Wie es weitergeht, wird auch von den Bundesratswahlen vom 9. Dezember 2015 abhängen. Besonders wichtig für die Finanzbranche ist, dass Werte wie Eigenverantwortung, Rechtssicherheit, Stabilität und Diskretion in der nationalen Politik wieder mehr Anerkennung finden. Insbesondere für kleine und mittlere Finanzdienstleister ist dies von existenzieller Bedeutung. Diese wollen sich auf eine gute Betreuung der Kunden konzentrieren, denn sie leben von den Kunden und nicht von der Administration. Dr. oec. Arthur Loepfe Präsident alliancefinance Anfangs November publizierte der Bundesrat die seit langem angekündigte Botschaft zum neuen Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG) und Finanzinstitutsgesetz (FINIG). Die über 100 Seiten Gesetzestext wurden aufgrund der Kritik in der Vernehmlassung angepasst, bleiben aber ein Bürokratiemonster. Als unfair, teuer, unnötig, kompliziert und bürokratisch sind die präsentierten Gesetzesentwürfe zu taxieren. Für kleine Finanzunternehmen ist die Vorlage existenzbedrohend. Aber auch die Anleger gehören zu den grossen Verlierern. Eine viel einfachere Lösung, nämlich die Einführung der europäischen Regelung MiFID, der sich Schweizer Anleger freiwillig unterstellen können, lehnte der Bundesrat ab. A uch wenn der Bundesrat punktuell Augenmass walten liess und das FIDLEG/FINIG in wichtigen Punkten abschwächte, bleibt die Branche von Bürokratie und vor allem von enormen Kosten nicht verschont. Leidtragende sind vor allem die Anleger, weil die Banken neue Gebühren zulasten der Kunden einführen werden. Die höheren Kosten haben in Ländern wie Deutschland dazu geführt, dass Anlageberatung so teuer geworden ist, dass sie für kleine Kunden praktisch verschwunden ist. Diese Entwicklung wird auch in der Schweiz stattfinden, sollte das Parlament die Vorlage annehmen. Derweil werden die kleinen Finanzunternehmen gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken, andernfalls bleibt die Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit eine Frage der Zeit. Selbst der Verzicht auf Einführung der Beweislastumkehr, der Einführung eines Prozesskostenfonds, auf die Abschaffung des Bankengesetzes und der Einführung der erweiterten Sorgfaltspflicht zur Verhinderung unversteuerter Gelder vermag es nicht, dem Vorhaben nach besserem Kundenschutz auch nur einen Hauch von Sympathie abzugewinnen. Statt den Kundenschutz in den bestehenden privatrechtlichen Gesetzeswerken zu verbessern, sollen nach Ansicht des Bundesrates die geltenden Regelungen neu auch straf- und aufsichtsrechtlich sanktioniert werden können. Das öffnet der staatlichen Willkür Tür und Tor. Zudem werden die Finanzdienstleister kleineren Kunden aus wirtschaftlichen Gründen den Zugang zu Vermögensverwaltungs- und Anlageberatungsdiensten verweigern. Kleine Kunden werden von interessanten Finanzanlagen faktisch ausgeschlossen werden. Und der Kunde, der sich eine Anlageberatung noch leisten kann, wird mit Dutzenden von Seiten Papier belästigt werden. Unnötige Vorschriften Mit Einführung einer gesetzlichen Angemessenheitsprüfung verlangt der Bundesrat beispielsweise, dass sich der Finanzdienstleis- alliancefinance | Arbeitsgemeinschaft für Rechtssicherheit und Stabilität | Postfach 470 | 8702 Zollikon Telefon: 044 391 32 32 | [email protected] | www.alliancefinance.ch Newsletter 3/2015 ter über die Kenntnisse und Erfahrungen seiner Kunden erkundigt und vor der Empfehlung von Finanzinstrumenten prüft, ob diese für den Kunden angemessen sind. Die Erfassung der Bedürfnisse und Erwartungen der privaten Kunden gehört bereits heute zu einer guten Anlageberatung und Vermögensverwaltung und leitet sich aus den Sorgfalts- und Treuepflichten des Zivilrechts ab. Es ist nicht nötig, dies in einem weiteren Regelwerk vorzuschreiben und von der Aufsichtsbehörde durchzusetzen. Auch die Eignungsprüfung, welche vom Finanzdienstleister die gleiche Beurteilung bezüglich des gesamten Kundenportfolios verlangt, ist nicht notwendig und wird bereits durch die Rechtsprechung des Bundesgerichts nach Massgabe des Auftragsrechts verlangt. Mit solchen Bestimmungen werden Banken und Vermögensverwalter dazu angehalten, sich mit einzelnen Finanzinstrumenten zu beschäftigten, anstatt für den Anleger ein optimales Portfolio bereitzustellen. Der Anleger auf der anderen Seite wird vom Staat bevormundet und in seiner Wahlfreiheit eingeschränkt oder gar ausgeschlossen. Kostentreibender Ausbau staatlicher Aufsicht Eine zentrale Neuerung stellt schliesslich auch die Unterstellung der unabhängigen Vermögensverwalter unter eine prudenzielle Aufsicht dar. Die Anbindung aller Finanzdienstleister an eine Ombudsstelle, Beraterregister, Ausbildungs- und Weiterbildungsvorschriften sowie ausgedehnte Prospektpflichten für Finanzanlagen, welche von staatlichen oder halbstaatlichen Aufsichtsinstitutionen überwacht werden, sind nur Stichworte in diesem Zusammenhang. Die Vorlage sieht insgesamt einen kostentreibenden Ausbau der Finanzmarktaufsicht vor, der letztlich vom Kunden zu tragen sein wird, oder der dazu führt, dass die Finanzdienstleister den kleineren Kunden die Anlageberatungs- und Vermögensverwaltungsdienstleistungen gar nicht mehr anbieten werden. Es erstaunt daher nicht, dass eine vertiefte Regulierungsfolgeabschätzung (RFA) nicht vorliegt. Diese müsste vom federführenden Bundesamt zusammen mit dem SECO gemacht werden. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Eine Begründung fehlt. Dass eine vertiefte RFA angezeigt ist, ist kaum bestritten. Gemäss den Richtlinien des Bundesrates sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen nach den folgenden fünf Prüfpunkten zu untersuchen und darzustellen, an die sich das Finanzdepartement nicht gehalten hat, dies aber in der Einleitung behauptet: 1)Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns 2)Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen 3)Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft 4) Alternative Regelungen 5) Zweckmässigkeit im Vollzug Das Dokument stellt eine parteiische Verteidigung der bundesrätlichen Vorlagen dar und dient nicht der Abwägung deren Vor- und Nachteile. Auf eine Darlegung von alternativen Regelungen wird gänzlich verzichtet, obschon solche vorhanden und vorgeschlagen sind. Kein garantierter Marktzutritt Das Ziel eines besseren Kundenschutzes und einheitlicherer Wettbewerbsbedingungen hat der Bundesrat mit diesen Vorlagen verfehlt. Die Annahme des Gesetzes würde den hiesigen Finanzdienstleistern den Zutritt zum europäischen Markt nicht gewährleisten. Zur Übereinstimmung mit dem EU-Recht ist weder FIDLEG noch FINIG nötig. Wenn heute ein Einwohner der EU Anlageberatung bei einer Bank in der Schweiz bezieht, entsteht eine Rechtsbeziehung. Gemäss den Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens, das die Schweiz unterzeichnet hat, können und teils müssen Forderungen aus dieser Rechtsbeziehung am Wohnort des Kunden unter Anwendung europäischen Rechts, d. h. unter MiFID, eingeklagt werden. Das Urteil des europäischen Richters muss in der Schweiz vollzogen werden, wenn der Kunde dies verlangt. Die Bank (oder der Vermögensverwalter) in der Schweiz tut gut daran, sich direkt an die Bestimmungen von MiFID zu halten und seine Beratung auf das europäische Recht, d. h. auf MiFID, auszurichten. Einfachere Lösung lehnte der Bundesrat ab Eine einfachere Lösung statt FIDLEG/FINIG liegt auf der Hand: Die Banken, die europäische Kunden bedienen wollen, d. h. die grosse Mehrheit, führen MiFID ein. Schweizer und alle anderen Kunden haben die Wahlfreiheit, ob sie unter MiFID oder nach (dem allenfalls angepassten) Schweizer Recht beraten werden wollen. Diese Wahlmöglichkeit bildet einen echten Kundennutzen, der die Finanzinstitute in der Schweiz von den europäischen Konkurrenten abhebt. Das Parlament sollte auf die Vorlagen daher nicht eintreten. Die Schweiz hätte auf diesem Weg viele Vorteile: keinen garantierten, aber einen einfacheren Marktzutritt in die Europäische Union und in den EWR, die freie Wahl der Regulation für Anleger ausserhalb dieser beiden Wirtschaftsräume und einen insgesamt günstigeren, faireren und wettbewerbsstärkeren Finanzplatz mit mehr attraktiven Arbeitsplätzen. alliancefinance | Arbeitsgemeinschaft für Rechtssicherheit und Stabilität | Postfach 470 | 8702 Zollikon Telefon: 044 391 32 32 | [email protected] | www.alliancefinance.ch Newsletter 3/2015
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