osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Themen und Veranstaltungen präsentiert vom Team Arbeitsrecht von Osborne Clarke Wir möchten Sie auf folgende Veröffentlichung unseres Teams aufmerksam machen: • „Alles oder nichts? Im Blickpunkt: Das Tarifeinheitsgesetz - Arbeitgebern dürften unruhige Zeiten bevorstehen“ von Dr. Anke Freckmann und Jörg Puppe, Deutscher AnwaltSpiegel, Ausgabe 13 In dieser Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen: Top Thema: Personalarbeit Schadenersatzansprüche nach AGG auch für Scheinbewerber? ............................................. 3 Sachlicher Grund für Befristung und Vermeidung von Rechtsmissbrauch ............................... 4 Kündigungsrecht Verdachtskündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses .................................................... 5 Betriebs- und Verfassungsrecht Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung .................................................................... 7 2 von 11 © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Top Thema: Personalarbeit Schadenersatzansprüche nach AGG auch für Scheinbewerber? Stellenbewerber, die aufgrund eines in § 1 AGG genannten Merkmals bei der Stellenbewerbung benachteiligt werden, haben gem. § 15 Abs. 2 AGG einen Entschädigungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Die Frage, ob dies auch für einen Bewerber gilt, der sich nur beworben hat, um später einen solchen Anspruch geltend zu machen, hat das BAG nun zur Entscheidung dem EuGH vorgelegt (Beschluss. v. 18. Juni 2015 – 8 AZR 848/13 (A). Der Sachverhalt Der Kläger hat im Jahr 2001 seine Ausbildung zum Volljuristen mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Seitdem ist er hauptsächlich als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Er war vorübergehend leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung und nahm an einem Fachanwaltslehrgang für Arbeitsrecht teil. Außerdem besitzt er medizinische Grundkenntnisse aufgrund eines umfangreichen medizinrechtlichen Mandats. Die beklagte Gesellschaft hatte als Tochterunternehmen eines großen Versicherungskonzerns ein „TraineeProgramm 2009“ ausgeschrieben. Laut Stellenbeschreibung sollten ein nicht länger als ein Jahr zurückliegender oder demnächst erfolgender sehr guter Hochschulabschluss und qualifizierte berufsorientierte Praxiserfahrung durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit für die Stelle vonnöten sein. Für die Fachrichtung Jura wurde zudem eine arbeitsrechtliche Schwerpunktsetzung oder aber medizinische Kenntnisse erwünscht. Seine auf diese Ausschreibung gerichtete Bewerbung des Klägers lehnte die Beklagte ab. Der Kläger war daraufhin der Ansicht, dass sowohl sein Alter als auch sein Geschlecht der Grund für die Ablehnung seiner Bewerbung waren. Er machte daher Entschädigungsansprüche in Höhe von EUR 14.000,00 wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 i.Vm. § 1 AGG geltend. Ein im Anschluss von der Beklagten angebotenes Vorstellungsgespräch lehnte der Kläger ab und verfolgte stattdessen seine geltend gemachten Ansprüche weiter. mehr sei es dem Kläger von Anfang an um einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG gegangen. Ein solcher „Scheinbewerber“, der sich nicht mit dem Ziel einer Einstellung um eine Stelle bewirbt, falle aber nicht unter den Begriff des „Bewerbers“ bzw. „Beschäftigten“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG. Damit scheide in der Konsequenz jedoch auch ein Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften des AGG aus. Allerdings verwendet die rechtliche Grundlage auf EUEbene, wie das BAG zurecht feststellt, nicht den Begriff des „Bewerbers“. Es müsse daher geklärt werden, ob das Unionsrecht ebenfalls voraussetzt, dass man eine tatsächliche Einstellung verfolge. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse der bisher vertretene nationale Bewerberbegriff und ggf. der Kreis der Entschädigungsberechtigten erweitert werden. Für eine endgültige Klärung der Rechtsfrage hat das BAG daher eine Auslegungsfrage an den EuGH gestellt. Hinweise für die Praxis Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Bewerber eine tatsächliche Einstellung nicht anstreben muss, hätte dies für Unternehmen weitreichende rechtliche und schlimmstenfalls auch finanzielle Konsequenzen. Für den Fall, dass eine Stellenausschreibung auch nur indirekt eine Benachteiligung wegen der Rasse, ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung oder aber wegen einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung nahelegt, können erfolglose Bewerber eine Entschädigung in Höhe von bis zu drei Monatsgehältern geltend machen. Sogenannten „AGG-Hoppern“ würde eine Erweiterung des Bewerberbegriffs Tür und Tor öffnen. Für die Personalabteilungen würde dies viel Ärger und Mehraufwand im Recruitment-Prozess bedeuten. Doch selbst für den Fall, dass der EuGH die bisherige, enge Auslegung des Bewerberbegriffs billigen sollte, bleibt das Thema Stellenausschreibung hoch aktuell. Bereits jetzt muss der Arbeitgeber einem Bewerber nachweisen, dass dieser es nicht ernsthaft auf die ausgeschriebene Stelle abgesehen hat, um Entschädigungsansprüche zu vermeiden. Die Rechtsprechung legt dabei hohe Maßstäbe an. Die Entscheidung Das Arbeitsgericht und das LAG haben die Klage abgewiesen. Folge dessen war eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers beim BAG. Das BAG vertritt nun die Ansicht, dass aufgrund der Bewerbungsgestaltung und des Klägerverhaltens im Zusammenhang mit dem Angebot eines Vorstellungsgesprächs gar keine ernsthafte Bewerbung vorgelegen habe. Viel- 3 von 11 Andreas Grillo Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 221 5108 4118 E [email protected] © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Top Thema: Personalarbeit Sachlicher Grund für Befristung und Vermeidung von Rechtsmissbrauch Ein sachlicher Grund für eine Befristung liegt vor allem dann vor, wenn der Arbeitnehmer als Vertretung für Personen im Mutterschutz, Elternzeit etc. eingestellt wird. Teil des sachlichen Grundes ist hierbei die Prognose, dass der Vertretungsbedarf später wieder wegfällt, so das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 29. April 2015 – 7 AZR 310/13). weiß, wann mit der Rückkehr des zu vertretenen Arbeitnehmers zu rechnen ist. Daher besteht für die zu erfüllenden Aufgaben durch die Vertretungskraft bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis. Der sachliche Grund besteht folglich zum Teil aus der Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Hierbei sind insbesondere bei mehreren einzelnen aufeinanderfolgenden Verträgen die Voraussetzungen an die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses anzustellenden Prognosen, nicht zu erhöhen. Der Sachverhalt Der Kläger war 15 Jahre lang aufgrund von zehn befristeten Arbeitsverträgen als stellvertretender Leiter in der einzigen Küche des städtischen Alten- und Pflegeheims der Beklagten beschäftigt. Der Kläger vertrat jeweils die stellvertretende Küchenleiterin, die in diesem Zeitraum aufgrund der Geburt von drei Kindern wegen schwangerschaftsbedingter Erkrankung, Mutterschutz, Erziehungsurlaub, Elternzeit und Sonderurlaubs, ausfiel. Die Laufzeiten der jeweiligen Arbeitsverträge entsprachen hierbei immer dem prognostizierten Ausfall der stellvertretenden Küchenleiterin. Das letzte befristete Arbeitsverhältnis endete am 31. August 2013. Auch darf kein Fall eines institutionellen Rechtsmissbrauchs vorliegen. Im Rahmen der Prüfung des Rechtsmissbrauchs sind die Gerichte unionsrechtlich dazu verpflichtet durch Überprüfung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Auch wenn hier eine missbräuchliche Nutzung der Sachgrundbefristung aufgrund der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses von fast 15 Jahren und der Anzahl von 10 befristeten Verträgen indiziert ist, wird die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs jedoch durch die besonderen Umstände des Einzelfalles widerlegt. Für die Beschäftigung des Klägers bestand zu keiner Zeit ein dauerhafter Bedarf. Der Kläger beantragte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung beendet ist, sondern vielmehr als unbefristetes Arbeitsverhältnis hinaus fortbesteht. Hinweise für die Praxis Das Urteil stellt noch einmal klar, dass die gerichtliche Befristungskontrolle neben der Überprüfung des Sachgrundes auch die unionsrechtliche Missbrauchskontrolle umfasst. Es muss ausgeschlossen werden, dass der Arbeitgeber befristete Arbeitsverträge missbräuchlich verwendet, indem ein Dauerbedarf gedeckt wird. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Entscheidung Das BAG hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und soweit der Beklagten Recht gegeben. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG gerechtfertigt, wenn ein sachlicher Grund vorliegt. Überprüft wird durch die Arbeitsgerichte immer nur die letzte Befristung. Im vorliegenden Fall ist die Befristung des letzten Arbeitsvertrages durch den Sachgrund der Vertretung eines anderen Arbeitnehmers gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG gerechtfertigt, so das BAG. Insbesondere die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers für die Dauer eines Beschäftigungsverbotes nach dem MuSchG, Elternzeit, einer auf Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglicher Vereinbarung beruhenden Arbeitsfreistellung zur Betreuung eines Kindes wird durch § 21 Abs. 1 BEEG als sachlicher Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG anerkannt. Auch hier liegt der Grund für eine Befristung darin, dass der Arbeitgeber bereits am Anfang der Beschäftigung 4 von 11 Insbesondere bei zunehmender Anzahl von Verträgen, kann gegenüber einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer eine missbräuchliche Befristung angenommen werden, wenn trotz der vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Arbeitsverträge zurückgegriffen wird und bereits bei Abschluss des ersten Vertrages eine Weiterbeschäftigung über den befristeten Vertrag hinaus geplant ist (vgl. BAG Urteil vom 18. Juli 2012, 7 AZR 443/09) Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Viktoria Winstel Rechtsanwältin Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 221 5108 4156 E [email protected] © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Kündigungsrecht Verdachtskündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung der Ausbildung objektiv unzumutbar macht (BAG, Urteil vom 12. Februar 2015 – 6 AZR 845/13). Der Sachverhalt Der Kläger stand in einem Ausbildungsverhältnis zum Bankkaufmann bei der beklagten Bank. Er war an einem Tag damit betraut, das im Nachttresor befindliche Geld mit einer Zählmaschine zu zählen. Nach Weiterleitung der Gelder an die Zentralbank, stellte diese einen Kassenfehlbestand von EUR 500,00 fest. Die beklagte Bank bat den Kläger um ein Personalgespräch. Über den geplanten Inhalt informierte sie den Kläger vorher nicht. Der genaue Gesprächsverlauf ist zwischen den Parteien streitig geblieben. Nach Angaben der Bank hat der Kläger von sich aus die Höhe des Fehlbetrages genannt. Die Bank kündigte das Ausbildungsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Der Auszubildende erhob Klage gegen die Kündigung und beantragte zugleich vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer ein Schlichtungsverfahren, welches ohne Einigung endete. Die Entscheidung Nachdem bereits die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, hat auch das BAG die Wirksamkeit der Kündigung bestätigt. Das Gericht sieht in dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Zwar fordern Teile der Literatur und Rechtsprechung eine nur ausnahmsweise Zulässigkeit einer Verdachtskündigung im Berufsausbildungsverhältnis bei Vorliegen einer vertieften Vertrauensbasis zwischen den Vertragsparteien. Dies lehnt das BAG aber wegen der Unbestimmtheit einer solchen Voraussetzung ab. Die besondere Vertrauensstellung komme bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses im Rahmen der Interessenabwägung zum Tragen. Ein dringender Verdacht sei vorliegend begründet, da der Kläger im damaligen Gespräch von sich aus die genaue Höhe der festgestellten Kassendifferenz genannt und damit fundamentales Täterwissen preisgegeben habe. Die Bank habe zudem alles Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhaltes getan, indem sie dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Eine vorherige Unterrich- 5 von 11 tung hinsichtlich des beabsichtigten Gesprächsinhaltes sei nicht erforderlich. Ebenso sei die beklagte Bank nicht verpflichtet gewesen, den Auszubildenden auf die Möglichkeit der Kontaktierung eines Rechtsanwaltes hinzuweisen. Bei der Anhörung im Rahmen des Personalgesprächs handele es sich darüber hinaus nicht um eine nach § 32 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) unzulässige Datenerhebung, weil eine solche nur bei Kontroll- bzw. Überwachungsmaßnahmen zur Aufdeckung einer Straftat vorliegen könne. Die bloße Anhörung sei aber keine Überwachungsmaßnahme. Der Beschäftigte werde in offener Weise mit Verdachtsmomenten konfrontiert und erhalte die Gelegenheit zu deren Entkräftung. Er könne sich bei der Anhörung – im Gegensatz zu einer Überwachungsmaßnahme – entziehen, indem er eine Einlassung verweigere. Hinweise für die Praxis Das Urteil gibt klare Richtlinien für den Umgang mit Verdachtskündigungen im Ausbildungsverhältnis an die Hand: Ein Arbeitgeber kann einem Arbeitnehmer kündigen, wenn der bloße Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung vorliegt. Die notwendigen Voraussetzungen für eine solche „Verdachtskündigung“ sind nach der ständigen Rechtsprechung geklärt. Neu ist allerdings, dass das BAG auch im Ausbildungsverhältnis in dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden einen wichtigen Grund im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG sieht. Das Gericht stellt klar, dass der Ausbilder im Rahmen einer vorherigen Anhörung den Auszubildenden weder über den vorherigen Gesprächsinhalt, noch auf die Möglichkeit der Konsultation eines Rechtsanwalts hinweisen muss. Das Gericht stellt aber fest, dass im Einzelfall bei erkennbarer Überforderung oder Verlangen nach einer Konsultation mit einem Rechtsanwalt oder einer sonstigen Vertrauensperson, ein Gespräch unterbrochen und vertagt werden muss. Für die Praxis ist weiterhin von Bedeutung, dass gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG zur Beilegung von Streitigkeiten die Anrufung eines bestehenden Schlichtungsausschusses erforderlich ist. Zudem schafft das BAG Klarheit über datenschutzrechtliche Anforderungen. Arbeitgeber laufen bei der im Rahmen einer Verdachtskündigung erforderlich werdenden Anhörung nicht gleich Gefahr, gegen die Bestimmungen des BDSG zu verstoßen. © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Sofern Sie weitere Informationen wünschen oder Fragen zu diesem Thema haben, kontaktieren Sie bitte: Jörg Puppe Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 221 5108 4352 E [email protected] 6 von 11 © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Betriebs- und Verfassungsrecht Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung Eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG beginnt erst dann, wenn unumkehrbare Maßnahmen getroffen wurden, die zwangsläufig in die Betriebsänderung münden. Der Sachverhalt Die Beklagte, eine Zeitungsvertriebsgesellschaft mit 57 Arbeitnehmern, zu denen auch der Kläger gehörte, verlor durch Kündigung vom 30. November 2011 mit Wirkung zum 29. Februar 2012 ihren einzigen Auftraggeber. Die Gesellschafterinnen der Beklagten beschlossen, den Geschäftsbetrieb zum Ablauf des 29. Februars einzustellen und den Betrieb stillzulegen. Seit dem 1. März 2012 wurden die Zusteller nicht mehr beschäftigt. Die zur Erledigung der Zustellung benötigten Haustürschlüssel, Bücher sowie Transportmittel wurden an den Auftragsnachfolger übergeben. Die Beklagte informierte den Betriebsrat mit Schreiben vom 12. Januar 2012 über die beabsichtigte Betriebsstilllegung. Das Scheitern der Verhandlungen über den Interessenausgleich wurde am 27. April 2012 festgestellt. Am 24. April 2012 schaltet die Beklagte ordnungsgemäß Massenentlassungsanzeigen und kündigte nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats am 28. April 2012 ihren Arbeitnehmern zum Ablauf des 31. Juli 2012. Der Kläger machte Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG in Verbindung zu dem Kündigungsschutzgesetz geltend, da die Beklagte schon vor Beginn der Verhandlungen über Interessenausgleich unumkehrbare Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsstilllegung getroffen hätte. Die Entscheidung Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat der Revision der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe keine unumkehrbaren Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsstilllegung getroffen. Die Durchführung einer Betriebsänderung beginnt nach ständiger Rechtsprechung des BAG erst dann, wenn der Arbeitgeber eine unumkehrbare Maßnahme ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Dies ist spätestens dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt. Das BAG betont in dieser Entscheidung, dass eine solche unumkehrbare Maßnahme noch nicht in dem Entschluss besteht, eine Betriebsänderung vorzunehmen, bspw. den Betrieb still zu legen. § 113 Abs. 3 BetrVG sichert kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an der unternehmerischen Entscheidung, sondern nur bei deren Umsetzung. Die Beteiligungsrechte nach § 111 BetrVG setzen vielmehr eine solche Entscheidung sogar voraus. 7 von 11 Entsprechende endgültige, unumkehrbare Maßnahmen habe der Arbeitgeber in diesem Fall nicht getroffen. So sei weder in der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung noch in der Massenentlassungsanzeige eine unumkehrbare Maßnahme zu sehen. Der Arbeitgeber sei auch nach Anhörung des Betriebsrats und Erstattungen der Massenentlassungsanzeigen nicht gezwungen, die Kündigungen tatsächlich auszusprechen. Auch die Einstellung der Geschäftstätigkeit stellt noch keine unumkehrbare Maßnahme dar. Es ist dem Arbeitgeber unbenommen, den Geschäftsbetrieb wieder aufzunehmen. Es sei vielmehr notwendig, dass der Arbeitgeber bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt. Die von der Beklagten durchgeführten Maßnahmen, wie die Übergabe von Haustürschlüsseln, Büchern und Transportmittel stellten keine solche Auflösung der betrieblichen Organisation dar, sondern folgten lediglich aus dem Verlust des Auftrags. Die genannten Betriebsmittel seien nur für diesen Auftrag benötigt gewesen. Die Durchführung anderer Aufträge sei durch deren Verkauf daher nicht gehindert gewesen. Das Gleiche gelte für die Kündigung von Mietverträgen für Verteilstellen. Dies könne nur dann eine unumkehrbare Maßnahme sein, wenn diese zwingend notwendig für die Aufrechterhaltung des Betriebes gewesen seien. Dies sei in diesem Fall nicht zu erkennen gewesen. Auch die Freistellung der Arbeitnehmer sei keine solche unumkehrbare Maßnahme. Vielmehr sei es der Beklagten möglich gewesen, die Arbeitnehmer, sofern wieder Arbeit vorhanden gewesen wäre, bspw. durch einen neuen Auftrag, erneut zu beschäftigen. Es handelte sich gerade nicht um eine unwiderrufliche Freistellung. Schließlich sei auch nicht die Ausführung der vorher von der Beklagten ausgeführten Aufträge durch eine andere Gesellschaft als Hinweis auf die Durchführung einer Betriebsstilllegung zu sehen. Dies sei vielmehr nur auf die Neuvergabe der bisherigen Aufträge der Beklagten durch den Auftraggeber an eine andere Gesellschaft zurückzuführen. Hinweise für die Praxis Das Bundesarbeitsgericht hat hier erneut festgestellt, dass dem Arbeitgeber bei der Vorbereitung einer Betriebsänderung wie bspw. einer Betriebsstilllegung gewisse Spielräume bleiben, um die Betriebsänderung vorzubereiten. Es ist ihm unbenommen, solche Vorbereitungsmaßnahmen durchzuführen, solange diese nicht unumkehrbar sind. Auch rechtlich notwendige Beteiligungen Dritter, wie des Betriebsrats oder der Agentur für Arbeit über die Massenentlassungsanzeige, sind noch nicht als solche unwiderruflichen Maßnahmen zu sehen. © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Newsletter Arbeitsrecht August 2015 Eine vor Abschluss der Verhandlungen zum Interessenausgleich verbotene unwiderrufliche Maßnahme liegt erst dann vor, wenn auch der Arbeitgeber diese Maßnahme nicht mehr umkehren kann bzw. wenn die Auflösung der betrieblichen Strukturen begonnen hat. Es ist einem Arbeitgeber dringend zu raten, bei geplanten Betriebsänderungen diese Grenze strikt einzuhalten, um sich nicht in die Gefahr zu begeben, nachteilsausgleichspflichtig zu werden. Die Maßnahmen, die in Vorbereitung auf die Betriebsänderung durchgeführt werden, müssen steht darauf überprüft werden, ob es sich hierbei um endgültige, unumkehrbare Maßnahmen handelt oder ob diese Maßnahmen in ihrer Wirkung umgekehrt werden können, also bspw. ob der Betrieb trotz der vorherigen Maßnahmen wieder fortgeführt werden kann. Sofern Sie Fragen zu diesem Thema haben oder weitere Informationen wünschen, kontaktieren Sie bitte: Michael Hoffmann Rechtsanwalt Innere Kanalstr. 15 50823 Köln T +49 221 5108 4156 E [email protected] 8 von 11 © Osborne Clarke August 2015 osborneclarke.de Beratungsspektrum Wir beraten Ihr Unternehmen in allen Bereichen des Arbeitsrechts, sowohl bei der täglichen Personalarbeit als auch bei Unternehmenskäufen und Restrukturierungen. Machen Sie sich unsere Kompetenz zu Nutze und vermeiden Sie kostspielige Überraschungen! Unsere Experten Ohne Grenzen Setzen Sie auf ein Team aus Juristen mit großer praktischer Erfahrung. 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Dr. Anke Freckmann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4042 F +49 221 5108 4043 E [email protected] Annabel Lehnen Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4050 F +49 221 5108 4051 E [email protected] Dr. Timo Karsten Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4192 F +49 221 5108 4193 E [email protected] Dr. Thomas Leister, MBA Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht T +49 89 5434 8060 F +49 89 5434 8061 E [email protected] Dr. David Plitt, LL.M. (LSE) Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht T +49 40 55436 4042 F +49 40 55436 4043 E [email protected] Sonja Riedemann, LL.M. (LSE) Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4118 F +49 221 5108 4119 E [email protected] Sabine Wahl, LL.M. (Köln / Paris I) Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4352 F +49 221 5108 4353 E [email protected] Katharina Müller, LL.M. oec. Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht T +49 221 5108 4352 F +49 221 5108 4353 E [email protected] Andreas Grillo Rechtsanwalt T +49 221 5108 4118 F +49 221 5108 4119 E [email protected] 10 von 11 © Osborne Clarke Juli 2015 osborneclarke.de Unser Team Karoline Kettenberger, LL.M. (Köln/Paris I), Rechtsanwältin T +49 89 5434 8060 F +49 89 5434 8061 E karoline.kettenberger @osborneclarke.com Sylvia Wörz Rechtsanwältin T +49 221 5108 4480 F +49 221 5108 4481 E [email protected] Yann Brugière Rechtsanwalt T +49 221 5108 4276 F +49 221 5108 4277 E [email protected] Viktoria Winstel Rechtsanwältin T +49 221 5108 4156 F +49 221 5108 4157 E [email protected] Rebecca Fischer Rechtsanwältin T +49 40 55436 4042 F +49 40 55436 4043 E [email protected] Michael Hoffmann Rechtsanwalt T +49 221 5108 4156 F +49 221 5108 4157 E [email protected] Köln T +49 (0) 221 5108 4000 München T +49 (0) 89 5434 8000 Jörg Puppe Rechtsanwalt T +49 221 5108 4352 F +49 221 5108 4353 E [email protected] Tanja Diepold Rechtsanwältin T +49 89 5434 8060 F +49 89 5434 8061 E [email protected] Hamburg T +49 (0) 40 55436 4000 www.osborneclarke.com Diese Publikation wird monatlich erstellt und kostenfrei per E-Mail versandt. 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