Die Ukraine – wenn der Krieg zu Gewohnheit wird

Die Ukraine – wenn der
Krieg zu Gewohnheit wird
Rückschlüsse über den deutschen Journalismus
I
m siebten Jahr meines Berufslebens fand ich mich
sich damit nicht die Vorbereitung, sie fängt erst an. Ver-
im Krieg wieder. Niemand hatte mich gezwungen,
antwortungsvolle Kriegsberichterstattung ist teuer –
im Frühjahr 2014 in den Osten der Ukraine zu fahren,
die Kurse, die Schutzausrüstung, die lokalen Mitarbeiter
als die ersten Menschen durch Mörsergranaten star-
kosten viel Geld, von Beratungen durch Sicherheitsfir-
ben. Ich wollte hin. Nicht etwa, weil Krieg war. Ich bin
men, wie sie Reuters oder New York Times beispielswei-
keine Kriegsreporterin. Mein Interesse gilt einem Land,
se haben, ganz zu schweigen. Die Recherchen brauchen
nicht etwa einem bestimmten Zustand dieses Landes.
Zeit und intensive Betreuung. Kein deutsches Medium
Für die Ukraine fühlte ich mich zuständig. Nun war in
schien zu Beginn des Ukrainekrieges auf Berichte von
diesem Land eben Krieg.
vor Ort verzichten zu wollen – aber waren alle auch
wirklich bereit, die Kosten und die Verantwortung dafür
Wer das hohe Pfeifen von Gradraketen hört, die gleich
zu tragen?
neben einem explodieren; wem der Geruch eines Massengrabes entgegenschlägt; wer mit Soldaten spricht,
Zweitens: Die Ukraine widerlegte gängige Narrative,
die zwar am Leben sind, aber kein Gesicht mehr haben;
aber sie loszulassen fiel schwer. Da waren vornehmlich
wer die Körper toter Kinder sieht; wem Todesanzeigen
deutsche Linke, die ihre internationale Solidarität mit
Namen verkünden, die er kennt – der erfährt zunächst
Wladimir Putin oder den Separatisten bekundeten, aber
schmerzhaft viel über sich selbst. Erst mit etwas Ab-
geflissentlich ignorierten, dass der Krieg nur durch Waf-
stand wurde mir klar, dass mich diese Erfahrungen
fen aus Russland möglich ist und im Osten der Ukraine
auch etwas über den deutschen Journalismus gelehrt
Separatisten entführen, foltern und exekutieren. Die
haben.
Proteste auf dem Maidan waren kein von den Amerikanern gekaufter Aufstand, von Rechten ausgeführt, wie
Erstens: Sehr viele von uns waren auf diesen Krieg in
manche Online-Kolumnisten nahelegten; es ging aber
Europa nicht vorbereitet. Während des Kosovokriegs
auch nicht nur um die EU, wie andere meinten. Es ging
griffen deutsche Fotoredaktionen manchmal auf fran-
darum, sich zu erheben gegen die Korruption und Skru-
zösische oder amerikanische Fotografen zurück, ihre
pellosigkeit der Machthaber, es ging um die Zukunft
Länder hatten in der jüngsten Geschichte Kriege ge-
der Ukraine. Es gab Rechtsradikale auf dem Maidan;
führt, damit waren sie oft kriegserfahrener als deut-
Menschen, die Polizisten töteten – doch die Masse,
sche Reporter. Für die deutsche Berichterstattung hätte
das waren Verkäuferinnen, Rentner, Ärzte, Studenten,
der Kosovokrieg eine Zäsur bedeuten können. Man hätte
Schwule, die genug hatten.
anfangen können, gezielt Reporter für Kriegssituationen
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auszubilden, Sicherheitstrainings anzubieten und me-
Drittens: Die Meinungshoheit fiel bedauerlicherweise
dizinisches Rüstzeug für den Fall schwerer Verwun-
den Daheimgebliebenen zu. In Deutschland gibt es die
dung. Tatsächlich hatten einige Reporter, die nun in der
anglosächsische Tradition nicht, zwischen Reportern
Ost-Ukraine unterwegs waren, den Bundeswehrkurs in
und Kommentatoren zu trennen. Aber auf den Titel-
Hammelburg absolviert. Aber im besten Fall erschöpft
seiten deutscher Zeitungen, in den Kommentaren und
VDZ 2016
Es macht einen Unterschied, ob man von
dort oder über dort schreibt. Wer vor Ort
ist, wird vorsichtiger und abwägender, das
© Sebastian Bolesch
geht auf Kosten der steilen Thesen.
Alice Bota
Journalistin und Auslandskorrespondentin
des Büros Moskau, Die Zeit
den Kolumnen waren die Meinungen jener, die vor Ort
einer Konsensgarantie. Doch wer in Deutschland bei
waren, selten zu lesen. Es macht einen Unterschied, ob
einem großen Medium arbeitet, der muss nicht um sei-
man von dort oder über dort schreibt. Wer vor Ort ist,
ne Freiheit bangen. Sicher, es gibt wirtschaftliche Zwän-
wird vorsichtiger und abwägender, das geht auf Kosten
ge und es gibt Angriffe von Rechten auf Reporter. Aber
der steilen Thesen. Am stärksten ließ sich die Tendenz in
körperliche Gefahr ist für die allerwenigsten das Pro-
den Fernseh-Talkshows beobachten. In manchen Wo-
blem. Die größten Schwierigkeiten liegen woanders.
chen saßen lauter Experten zusammen und sprachen
Wie sehr bleiben wir an einem Thema dran? Wann ver-
über den Krieg zwischen Ukraine und Russland, waren
lieren wir das Interesse? Wann fahren wir nicht mehr
aber nie oder schon lange nicht mehr vor Ort gewesen.
hin, weil neue Krisen und Kriege die alten, noch immer
andauernden, verdrängen? Wann berichten wir nicht,
Viertens: Die deutsche Ukraine-Berichterstattung
weil es zu aufwändig und zu teuer wird? Wann werden
krankte nicht an Fehlern, sondern an Versäumnissen.
Themen lediglich dazu benutzt, um Narrative zu stüt-
Ich habe faktische Fehler gemacht, so wie andere Jour-
zen? Ich kenne die Antworten nicht, aber ich glaube,
nalisten auch, aber diese Fehler waren meistens nicht
auch von ihnen hängt ab, wie glaubwürdig wir Journa-
gravierend. Gravierend war, worüber unzureichend be-
listen sind.
richtet wurde. Ich habe ausgelassen: die Tragödie in
Odessa mit über 40 Toten, fast alle von ihnen prorus-
Nun ließe sich einwenden, dass die Ukraine nicht jeden
sisch. Den Mord an dem Journalisten Oles Busyna. Die
so brennend interessiert wie eine, die dort um ihr Leben
Repression gegen die Krimtataren nach der Krim-An-
fürchtete. Aber es geht nicht nur um die Ukraine. Es
nexion. Manchmal fehlte es schlichtweg an Kapazitäten,
geht darum, wie schnell die Gewöhnung eintritt. Seit
manchmal aber auch an Interesse. Die Kritik an der Uk-
zwei Jahren herrscht nunmehr Krieg in der Ukraine,
raine-Berichterstattung, von manchen Medienjourna-
die vereinbarte Waffenruhe hält nicht, gilt aber auch
listen fast neurotisch betrieben, war übrigens keine Hil-
nicht als gescheitert. Ein merkwürdiger Schwebezustand
fe, mit der eigenen Fehlerkultur umzugehen, weil sie
dauert an, und auf einmal schrumpft ein Krieg, der vor-
entweder diffus blieb oder sich an handwerklichen Feh-
her für die großen geopolitischen Fragen stand, wie-
lern abarbeitete, die zwar ärgerlich, aber eben nicht
der zum Regionalkonflikt. Ist es bei anderen Themen
intentional waren. Dabei hätten wir eine Debatte darü-
anders?
ber gebraucht, was wir Reporter nicht abbilden und warum nicht. Doch in einer Atmosphäre, in der Reporter
als Kriegshetzer, Propagandahuren und Agenten verhöhnt werden, fällt es schwer, laut über die eigenen
Schwächen nachzudenken.
In Deutschland wird oft betont, wie wichtig die Pressefreiheit ist. Natürlich ist sie das, der Satz kommt mit
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