Vorsatz und Fahrlässigkeit, Mehraktiger Geschehensablauf

Konversatorium Strafrecht
Allgemeiner Teil I
5. Stunde: Mehraktige Geschehensabläufe,
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Viviana Thompson
Lehrstuhl Prof. Dr. Schuster
Vorsatz und Fahrlässigkeit
Voluntatives Element
(Wollen)
Intellektuelles Element
(Wissen)
Vorsatz
- dolus directus 1. Grades (= Absicht)
(+)
möglich / (+)
- dolus directus 2. Grades (= direkter Vorsatz)
möglich
(+)
- dolus eventualis (= Eventualvorsatz)
möglich
möglich
- bewusste Fahrlässigkeit
(-)
möglich
- unbewusste Fahrlässigkeit
(-)
(-)
Fahrlässigkeit
Abgrenzungsschwierigkeiten vor allem zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit!
Abgrenzung Vorsatz ↔ bewusste Fahrlässigkeit
• Möglichkeitstheorie und Wahrscheinlichkeitstheorie
 das Wollen/die innere Einstellung des Täters ist kein Element des Vorsatzes
 Eventualvorsatz ist schon gegeben, wenn der Täter die konkrete Möglichkeit der
Rechtsgutsverletzung erkennt und dennoch handelt (Möglichkeitstheorie) bzw. den Erfolgseintritt
für wahrscheinlich hält und dennoch handelt (Wahrscheinlichkeitstheorie)
→ Kritik:
o voluntatives Element wird vernachlässigt, beim Vorsatz geht es nicht nur um das Wissen, sondern gerade auch um das
Wollen; es kann nicht gleichgültig sein, aus welcher Erwägung heraus der Täter trotz Gefahrerkennung an seinem
Entschluss zu handeln festhält (etwa Sorglosigkeit/Leichtsinn oder Gleichgültigkeit/krasse Eigensucht etc.)
• (Gleichgültigkeitstheorie)
• Billigungs-/Einwilligungstheorie (h.M.)
 auch für den bedingten Vorsatz ist ein voluntatives Element erforderlich
 Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter die Gefahr des Eintritts des tatbestandlichen Erfolges
als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (ernst nimmt) und damit in einer Weise
einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt.
Bewusst fahrlässiges Handeln ist hingegen gegeben, wenn der Täter ernsthaft und nicht bloß vage darauf vertraut, dass
„alles gut gehen“ und dass es ihm gelingen werde, den drohenden Erfolgseintritt zu vermeiden.
 zu bestimmen anhand einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände
 bei Tötungsdelikten zu beachten: sog. Hemmschwellentheorie!
Der mehraktige Geschehensablauf
→ es ist umstritten, wie sich ein mehraktiger Geschehensablauf auf den Vorsatz auswirkt:
• Lehre vom dolus generalis:
 mehrere Teilakte sind als einheitliches Geschehen zu betrachten, wenn der Täter alle Teilakte von
vornherein geplant hat, so dass sich der Vorsatz als dolus generalis auch auf die nachfolgenden
Handlungen/das Gesamtgeschehen bezieht
→ Kritik: der Täter muss gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vorsätzlich „bei Begehung der Tat“ handeln;
mehrere Handlungsabschnitt können deshalb nicht als Gesamtgeschehen betrachtet werden
• sog. Versuchslösung:
 mehrere Teilakte sind als selbstständige Handlungen zu betrachten, so dass Vorsatz nur zum
Zeitpunkt der ersten Handlung gegeben ist, während für die nachfolgende(n) Handlunge(n) nur
eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht kommt
→ Kritik: die Versuchslösung spaltet einheitliche Geschehensabläufe künstlich auf
• sog. Vollendungslösung (h.M. + BGH):
 hat sich der Vorsatz des Täters auf alle Teilakte in ihren Grundzügen erstreckt, liegt eine
Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf vor, wenn der Erfolg nicht schon
mit dem ersten (wie vorgestellt), sondern erst mit einem späteren Teilakt eintritt; es ist daher wie
bei einem Irrtum über den Kausalverlauf bei einaktigen Geschehensabläufen für die Frage des
Vorsatzes zu differenzieren, ob eine wesentliche oder eine unwesentliche Abweichung des
vorgestellten vom tatsächlichen Kausalverlauf gegeben ist
Annex: Definitionen zu § 224 StGB
• § 224 Abs. 1 Nr. 1:
 Alt. 1 Beibringung von Gift: Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der durch chemische oder chemischphysikalische Wirkung gesundheitsschädlich ist. Beibringen bedeutet das Herstellen einer Verbindung des Gifts mit dem
Körper des Opfers, so dass das Gift seine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten kann.
 Alt. 2 andere gesundheitsschädliche Stoffe:
• § 224 Abs. 1 Nr. 2:
 Alt. 1 Waffe: Waffe ist eine Waffe im technischen Sinn, womit nur solche gebrauchsbereiten Werkzeuge umfasst sind, die
nach der Art ihrer Anfertigung dazu bestimmt sind, Menschen durch mechanische oder chemische Wirkung zu verletzen.
 Alt. 2 anderes gefährliches Werkzeug: Jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art
seiner Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.
• § 224 Abs. 1 Nr. 3:
 hinterlistigen Überfalls: Ein Überfall ist jeder plötzliche und unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen. Hinterlist liegt vor,
wenn der Täter seine wahre Absicht planmäßig berechnend verdeckt, um gerade dadurch dem Angegriffenen die Abwehr zu
erschweren.
• § 224 Abs. 1 Nr. 4:
 mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich: Diese bedeutet, dass mindestens zwei Personen unmittelbar am Tatort
aktiv und einverständlich zusammenwirken.
• § 224 Abs. 1 Nr. 5:
 eine das Leben gefährdende Behandlung (umstr.): Eine solche liegt vor, wenn die Verletzungshandlung den konkreten
Umständen nach objektiv und abstrakt geeignet ist, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen. (a.A. konkrete
Lebensgefährdung notwendig)