2015 - Universität Mannheim

Erfahrungsbericht zur Teilnahme am Landesprogramm Ontario Kanada
Universität Ottawa August 2014 bis Mai 2015 - Bachelor Politikwissenschaft
Die Erfahrungsberichte werden von Studierenden verfasst und spiegeln nicht die Meinung der Universität Mannheim wider. Jeder Bericht wird vor der
Veröffentlichung geprüft; die Universität behält sich das Recht zur Kürzung vor.
Aus Spam- und Datenschutzgründen werden Name und E-Mail-Adresse des Verfassers nicht im Internet veröffentlicht. Bei Interesse an weiteren
Informationen kann das Akademische Auslandsamt eine Anfrage an den Verfasser des Berichts versenden, in welcher dieser gebeten wird, sich mit dem
Interessenten/der Interessentin in Verbindung zu setzen.
1.
Vorbereitung (Planung, Organisation und Bewerbung bei der Gasthochschule) und Ankunft
Vorab: Ja – Überseeprogramme bedürfen mehr Zeit und Mühe, aber ja – es lohnt sich auch! Wer möglichst unkompliziert und ohne großen
Vorbereitungsaufwand ins Ausland möchte, sollte eher ein Erasmus-Semester, als die Teilnahme am Landesprogramm Ontario in Betracht ziehen. Man sollte
sich auf jeden Fall früh über sein Auslandsstudium Gedanken machen und sich darüber im Klaren sein, warum man wohin möchte. Der Bewerbungsschluss für
Landesprogramme (fortan LP), also Partnerschaftsabkommen zwischen deutschen Bundesländern und amerikanischen Staaten/Provinzen, sind Ende
September für eine Ausreise im Sommer des Folgejahres. Den TOEFL kann man trotz verwirrender Darstellungen online nachreichen, wenn man den Uni
internen Englischtest bei der Bewerbung vorlegt. Bekam man Anfang Dezember eine Zusage für das LP muss man nochmal Bewerbungen schreiben, diesmal
nicht für seine erste Priorität für das Auslandssemester allgemein und zwei Alternativen (wie bei Bewerbung Nummer 1), sondern seine erste Priorität
innerhalb des LP und zwei Alternativen. Hat man dann Anfang des Jahres die Zusage für eine Uni im Partnerland, muss man nochmal direkt mit der Uni Kontakt
aufnehmen, seine Unterlagen einreichen und Kurse für das komplette Jahr wählen. Möchte man französische Kurse wählen, muss man zusätzlich einen
Französischtest absolvieren (ich hatte das offizielle B2 DELF eingereicht, was aber nicht anerkannt wurde). Das hat mich beunruhigt, aber im Nachhinein war es
kein Problem. Der Test ist online, ziemlich einfach und in zwei Stunden erledigt.
Das akademische Auslandsamt ist aber bei Fragen stets eine große Hilfe und. Das LP Ontario (obw) ist sehr gut organisiert, man hat immer nette
Ansprechpartner und ein gutes Netz von Ehemaligen, die einem jederzeit behilflich sind. Auf einem Vorbereitungsseminar in Bad Herrenalb im Mai, das für
Mannheimer leider in die Prüfungsphase fällt, aber zu dessen Teilnahme ich dringend rate, lernt man die andere Baden-Württemberger sämtlicher
Fachrichtungen (Bachelor und Master) kennen und trifft auf Alumni. Dort wird einem auch noch einmal alles bezüglich Visum, Versicherung, Studium, etc.
erklärt. Selbiges gilt für das Einführungsseminar in Toronto Mitte August, sodass ich mich trotz des Organisationsaufwands nie überfordert oder nicht
ausreichend informiert gefühlt habe. Nach dem Seminar in Toronto organisiert die deutsche Gruppe einen mehrtägigen wundervollen Camping- und Kanutrip
in den Algonquin Provincial Park – eine weitere Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen, sodass man schon nach einer Woche sämtliche Schlafmöglichkeiten in ganz
Ontario hat. Oft finden sich dann auch noch spontan kleine Reisegruppen, sodass man die Zeit bis zum Semesterstart gut nutzen kann.
1. Unterkunft (Kosten, Unterbringung allgemein, etc.)…
Ich habe meine Wohnung während des Seminars in Toronto online über die Facebook-Seite des International Office der Universität Ottawa gefunden. Ich habe
mich auf den Post gemeldet, meine zukünftigen Mitbewohnerinnen und ich haben geskypet, wir hatten das Gefühl, es passt und die Sache war erledigt. Der
Wohnungsmarkt ist entspannt und man muss sich keine Sorgen machen, nichts zu finden (Kijii, das schwarze Brett an der Uni, die uniinterne
Wohnungsvermittlung online, facebook…es gibt viele Möglichkeiten an eine passende Unterkunft zu kommen). Ich habe mit zwei Frankokanadierinnen
zusammengewohnt, die beide aus der Gegend kamen und mir vor allem am Anfang mit Rat und Tat zur Seite standen. Die Wohnung war zwar etwas außerhalb
und nicht im beliebten Viertel „Sandy Hill“, wo man alles per pedes erreichen kann, aber ein gutes Zusammen- und nicht nur „Nebeneinander“-Wohnen mit
meinen Mitbewohnern waren mir wichtiger als die Lage. Das Appartement war groß und hell und der Preis war mit 500 $ leicht unterdurchschnittlich
(allgemein sind die Lebenshaltungskosten etwas höher als in Mannheim). Die Residences on campus sind sehr teuer und vor allem von gerne und häufig Party
feiernden Erstsemestern, die in Kanada häufig gar minderjährig sind, bewohnt. Exchange students bekommen kein Semesterticket und eine Monatskarte kostet
fast 100 $. Allen Sports- und Outdoorfreunden, die unter den Kanadainteressenten vermutlich überdurchschnittlich vertreten sind, empfehle ich möglichst bald
nach Ankunft in Ottawa ein Rad zu erstehen (eine gute Adresse für günstige, gebrauchte Räder ist cycle salvation; meines kostete 40 $ und leistete mir all die
Monate beste Dienste). Das Radwegnetz ist für kanadische Verhältnisse grandios ausgebaut und vor allem der Radweg entlang des Rideau-Kanals, der sich
durch die ganze Stadt schlängelt, ist eine wahre Freude. Zum Bussystem kann ich nicht viel sagen, da ich das ganze Jahr über Rad fuhr – im tiefen Winter mit
Skianzug und Skibrille. Ich hielt das bei der Kälte und dem vielen Schnee zunächst für unmöglich, aber die Straßen und selbst die Radwege sind im Winter
erstaunlich gut geräumt und fast immer befahrbar und mit der richtigen Kleidung ist das kein Problem. An die Kälte im Januar und Februar (meine tiefsten
Temperaturen hier waren -32 Grad) wird man peu à peu herangeführt und sie scheint dann auch gar nicht so schlimm.
2. Studium an der Gasthochschule
Teilnehmer des LP studieren zwei terms an Unis in Ontario: von September bis Dezember und von Januar bis April. Campus (Lage, Ausstattung, Architektur) und
Studium (Inhalt, Lehrende) übertrafen meine Erwartungen. Der Campus ist mitten in der Innenstadt, die sozialwissenschaftliche Fakultät nagelneu und gleicht
in ihrem Inneren dem schicken Europaparlament in Strasbourg, wie ich finde. Das Kursangebot ist enorm. Pro Semester muss man visabedingt vier Kurse
belegen. Angerechnet wurden mir nur drei der acht Kurse, da ich schon genügend ECTS in Mannheim gesammelt hatte. Ich konnte also ziemlich frei und nach
Interesse wählen. An der Uni Ottawa, der größten bilingualen Uni der Welt, werden fast alle Kurse auf beiden Sprachen angeboten. Ich hatte vier auf Englisch
und vier auf Französisch. In den ersten beiden Wochen eines jeden Semesters („shopping weeks“) kann man sich in alle Kurse, die in Frage kommen, anschauen
und dann entscheiden, was man belegt. Das Niveau in Ottawa ist mit dem in Mannheim vergleichbar – wobei Mannheim einer quantitativ-analytischen Schule
folgt und mehr Verständnis für Zahlen erfordert, während Ottawa sehr qualitativ-dialektisch ausgerichtet ist und oft Erörterungs- oder gar normative Fragen
gestellt wurden. Die Profs hier kennen noch nicht mal t-tests. Eine meiner quantitativen Hausarbeiten hier wurde zu meinem großen Unmut schlecht beurteilt,
weil der Prof die Methodik – einfache OLS Regression mit Datenbeschreibung wie man es in Mannheim beigebracht bekommt – nicht verstand. Der
Arbeitsaufwand liegt aber deutlich höher, weil in allen Kursen während des Semesters kleinerer Projekte abgegeben oder Präsentationen gehalten werden
müssen und auch in Vorlesungen Hausarbeiten geschrieben werden. Ferner gibt es finals und midterms. So setzt sich die Note am Ende aus vielen kleineren
Arbeiten zusammen. An das kanadische Französisch muss man sich gewöhnen. Am Anfang war es frustrierend, nicht alles zu verstehen. Ich empfehle
französische Kurse dennoch, da sie tendenziell kleiner sind und eine gute Möglichkeit bieten, Kanadier kennen zu lernen, da die meisten Austauschstudenten in
englische Veranstaltungen gehen. Außerdem kann man alle Klausuren und Hausarbeiten auch in französischen Kursen auf Englisch schreiben. Ich habe sogar
manche Fragen auf Englisch und manche auf Französisch beantwortet – in derselben Klausur. Die Profs spricht man meist mit Vornamen an und das Verhältnis
ist persönlicher als in Deutschland.
3. Alltag und Freizeit
Der Campus ist außergewöhnlich international, gerade weil alles bilingual abläuft. Es gibt viele Möglichkeiten, sozial Anschluss zu finden: Religiöse Gruppen, ein
großes Sportangebot, Tanz- und Theatervereine, soziale Initiativen, … Der Outdoorclub organisiert auch immer tolle Ausflüge. Con Fakultätsseite gibt es auch
häufig sehr interessante Vorträge von Rednern aus der Praxis. Weil das LP ein ganzes Jahr geht, bekommt man alle Jahreszeiten mit – und Ottawa hat in jeder
etwas zu bieten. Im Sommer bieten sich Kanu- und Wandertouren im nahe gelegenen Gatineaupark, sowie ausgiebige Radtouren entlang des Rideaukanals und
–flusses an. Die allabendliche Lichtershow am Parlament ist ebenso sehr empfehlenswert (August und erste zwei Septemberwochen). Auch Toronto, Montreal
und Quebec City empfehle ich in den wärmeren Monaten – alle Städte sind von Ottawa aus innerhalb von maximal 5 1/2 Stunden zu erreichen (mein Tipp:
Amigoexpress, die kanadische Version von Mitfahrgelegenheiten). In der reading week um thanksgiving wird auch ein günstiger und toller New York Trip von
der Uni organisiert. Im Herbst ist der Algonquinpark mit seinem berühmten „Indian Summer“ besonders sehenswert, aber auch in andere nahere Parks zeigt
sich der Herbst in seiner vollen Farbenpracht. Thanksgiving kann man bei einer kanadischen Familie verbringen – organisiert von einer Hochschulgruppe. Auch
Halloween steht im Herbst an und wird groß gefeiert. Im Winter kann man dann Langlaufen, Abfahrtski und Hundeschlitten fahren, Schneeschuhen und das
Beste: auf dem zugefrorenen Rideaukanal, der zur größten Eislaufbahn der Welt wird, Schlittschuhlaufen. Das Winterludefestival mit Eisskulpturen und vielem
mehr ist ein weiterer Höhepunkt. Außerdem gibt es viele sehenswerte Museen, die donnerstags gratis sind. Ottawa ist zwar die Hauptstadt, aber keine
Metropole wie Toronto oder Montreal. Wer sich für Outddorsachen und tolle kleinere Festivals mehr begeistern kann als für ein wildes Nachtleben ist in
Ottawa auf jeden Fall richtig.
4. Fazit (beste und schlechteste Erfahrung; Abschlusswort an Ihre Nachfolger)
Was mir am allerbesten gefiel ist keine einmalige Erfahrung, sondern ein Zustand während des gesamtes Aufenthalts: die allgegenwärtige Zweisprachigkeit. In
der Uni, in meinem WG- Haushalt, ja in der ganzen Stadt, ist das Leben ein Mix aus beiden Sprachen. Die Leute wechseln ständig hin und her – oft auch mitten
im Satz („Oh my god, c’est tellement cute“). In Geschäften wird man stets mit „Hi, bonjour!“ begrüßt und signalisiert dann durch die Antwort in welcher
Sprache man gerne bedient werden möchte. Gottesdienste, Konferenzen, Führungen – egal, wo man ist, immer existieren beide Sprachen gleichberechtigt
nebeneinander. Auch ich kann mittlerweile problemlos von Englisch auf Französisch wechseln – das hat am Anfang noch zu stockenden Sätzen und Verwirrung
gesorgt.
Schlechte Erfahrungen gab es eigentlich nur eine einzige: den 22. Oktober. An jenem Tag erschoss ein 43-Jähriger bereits Polizei bekannter Mann einen 24Jährigen unbewaffneten Soldaten, der grade Ehrenwache vor dem Kriegsdenkmal hielt und stürmte danach weiter ins Parlament, wo er wild um sich schoss,
ehe er von einem Polizisten getötet wurde. Alle, die sich zum Tatzeitpunkt in Gebäuden auf dem Campus (also in nächster Nähe zum Parlament) befanden –
darunter auch ich – wurden eingeschlossen, mussten im selben Raum bleiben, Licht ausschalten und sich ruhig verhalten (das hielt 5 ½ Stunden an.) In der
gesamten Stadt herrschte absoluter Ausnahmezustand. Die Kanadier ließen sich aber nicht einschüchtern und erhöhten die Sicherheitsbedingungen nicht
unverhältnismäßig – das Parlament und der Rasen davor sind weiter frei zuganglich. Ein von Studenten durchgeführtes Experiment in den Folgetagen
verdeutlicht die Toleranz der Kanadier: Ein arabisch aussehender Student zog sich besonders traditionell an und wartete so an einer Bushaltestelle. Ein weißer
Student sagte, er wolle nicht mit ihm in einem Bus fahren, er fühle sich dabei nicht sicher. An allen Orten in Ottawa verteidigten die Passanten den muslimisch
aussehenden Student vehement, da man niemals generalisieren und Menschen nach ihrem Äußeren beurteilen könne.
Das LP Ontario kann ich voll und ganz empfehlen. Der Mehraufwand bei der Bewerbung und der größere Stress beim Bachelorarbeitverfassen lohnen sich
allemal und ich habe die Entscheidung für ein Auslandsjahr keine Sekunde bereut. Für alle, die gerne viel in der Natur unternehmen, sprachbegeistert sind, viel
lernen wollen und in einer weltoffenen Hauptstadt mit Kleinstadt- Charme leben wollen, empfehle ich eine Bewerbung für die Uni Ottawa ganz besonders.
An der ausländischen Partnerhochschule besuchte Kurse:
Kursbezeichnung
POL3511A
Kurs
Organisations internationales universelles
SWS/
Credits
3
Anerkennung an
der Universität
Mannheim
Ja
Bemerkungen
Anders als der Titel suggeriert ging es ausschließlich um die VN.
Seminar IB1
POL3573
Politique agro-alimentaire
3
Nein
Sehr lehrreicher und spannender Kurs über Lebensmittel-/Agrarund Entwicklungspolitik. Anstelle eines final exams konnte man
sich ehrenamtlich im relevanten Bereich engagieren und darüber
einen Bericht verfassen.
POL3515A
Politique comparée de développement
3
Ja
Seminar VR2
Sehr guter Kurs mit einem herausragenden Prof. Alle Kurse mit
diesem Professor kann ich nur wärmstens empfehlen. Er hat hohe
Ansprüche, aber man lernt unglaublich viel und er ist sehr nett und
hilfsbereit.
POL4178B
Poltical economy of development
3
Ja
VL IB2
POL3142A
Comparative politics of Western Europe
3
Nein
Interessant, aber wie alle Kurse hier, (zu) qualitativ gehalten. Auch
hier keine Zahlen….
Sehr gute Zusammenfassung der westeuropäischen politischen
Systeme und der EU. Auch für Europäer mit Vorwissen sehr
lehrreich mit vielen Diskussionen über aktuelle Entwicklungen.
POL4170D
The politics of foreign aid
3
Nein
Ein sehr enthusiastischer Prof und das Seminar überschaubar,
sodass jeder mitdiskutieren kann.
POL4176C
International political economy
3
Nein
Der Kurs ist interessant, erfordert aber Vorwissen in VWL. Die
exzellente Dozentin mit hohen Ansprüchen vor allem bezüglich des
Lesevolumens.
POL3575A
Écopolitique
3
Nein
Ein Kurs für alle, die sich für Umweltfragen interessieren – auch
aus philosophischer Sicht. Gute Französischkenntnisse sind für das
Verständnis der komplizierten Lektüren Voraussetzung.
SWS = Semesterwochenstunde