Die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit Ein Phänomen und seine rechtlichen Auswirkungen Datum: Mai2015 Verfasst von: KurtMettler,Rechtsanwalt,GeschäftsführerderSIZCareAG Den Begriff der „arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit“ kannte man bis vor wenigen Jahren noch nicht. In jüngerer Zeit häufen sich allerdings solche Fälle, in denen ein Arbeitnehmer nur an seiner konkreten Stelle an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit verhindert ist. Dies im Gegensatz zu einer berufsbezogenen Arbeitsunfähigkeit, bei der die betroffene Person aus gesundheitlichen Gründen generell nicht mehr in der Lage ist, ihrer angestammten beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Zweifel bei Arbeitgebern und Taggeldversicherern Ausgangspunkt für Fälle einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit sind meistens psychische Belastungen am Arbeitsplatz, oft in Verbindung mit Konfliktsituationen oder allgemeiner Stressbelastung am Arbeitsplatz. Auch bei Arbeitsunfähigkeiten, die unmittelbar im Anschluss an eine ausgesprochene Kündigung attestiert werden, liegt die Vermutung nahe, dass diese – sofern überhaupt ausgewiesen – rein arbeitsplatzbezogen sein könnten. In solchen Konstellationen entsteht sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Taggeldversicherern vermehrt der Eindruck, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht unter einem rein medizinischen Fokus, sondern eher im Lichte einer (beruflichen oder sozialen) Unzumutbarkeit beurteilt wird. Bezeichnend für diese Fälle ist denn auch, dass die Betroffenen in ihrer privaten Lebensgestaltung kaum eingeschränkt sind. Wie sieht es aus mit der Lohnfortzahlungspflicht? Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ist grundsätzlich unabhängig davon, ob eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit Krankheitswert hat oder nicht. Art. 324a OR umfasst nebst den Fällen der medizinisch begründeten Arbeitsunfähigkeit auch solche der Unzumutbarkeit. Schwierig wird es hingegen, wenn die Krankentaggeldversicherer ihre Leistungen nach einer gewissen Zeit einstellen oder ihre Zuständigkeit – oft erst nach Monaten – gar gänzlich verneinen. Hier ist es besonders wichtig, den Passus zur Lohnfortzahlungspflicht im Anstellungsreglement korrekt zu formulieren. Was geschieht mit der Sperrfrist? Bei einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit kommen die Sperrfristen gemäss Art. 336c Abs. 1 OR – je nach Dienstalter maximal 30, 90 oder 180 Tage – zur Anwendung. Hier stellt sich die Frage, ob auch eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit eine solche Sperrfrist auslöst oder nicht. Nachdem der zeitliche Kündigungsschutz über Jahre hinweg auch in solchen Fällen bejaht wurde, haben nun einige (kantonale) Gerichtsentscheide das Vorliegen einer Sperrfrist verneint. Begründet wird dies damit, dass durch eine rein arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit die Anstellungschancen bei einem neuen Arbeitgeber nicht geschmälert würden. Damit fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des zeitlichen Kündigungsschutzes. Eine Frage des Beweises Damit sich ein Arbeitgeber mit gutem Gewissen auf den Standpunkt stellen kann, es gelte keine Sperrfrist, ist ein entsprechender Nachweis erforderlich. Eine wichtige Voraussetzung ist die explizite ärztliche Bestätigung, wonach die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich rein arbeitsplatzbezogen ist. Die blosse Annahme des Arbeitgebers genügt nicht. Im Zweifelsfall ist der behandelnde Arzt anzufragen, ob die attestierte Arbeitsunfähigkeit rein arbeitsplatzbezogen ist bzw. ob die betroffene Person bei einem anderen Arbeitgeber arbeitsfähig wäre. Praxistipps: • Stellen Sie sich als Arbeitgeber die Frage, ob die arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit die Anstellungschancen bei einem neuen Arbeitgeber schmälert oder nicht. Wenn nein, stehen die Chancen gut, dass keine Sperrfrist gilt. • Wird die Kündigung ohne Berücksichtigung der Sperrfrist ausgesprochen, empfiehlt es sich aber, diese nach deren Ablauf sicherheitshalber nochmals auszusprechen. (Textvorschlag: „Für den Fall, dass die per … ausgesprochene Kündigung vom … nichtig sein sollte, kündigen wir das Arbeitsverhältnis hiermit eventualiter per …). Dies für den Eventualfall, dass die ursprünglich ausgesprochene Kündigung von gerichtlicher Seite allenfalls dennoch als nichtig beurteilt werden sollte. Achtung: Fürsorgepflicht bei Konfliktsituationen Der Wegfall der Sperrfrist bei einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit darf aber nicht dazu verleiten, die gesetzliche Fürsorgepflicht (Art. 328 OR) ausser Acht zu lassen. Demnach hat der Arbeitgeber alles zu unternehmen, um Konflikte und Mobbingsituationen zu verhindern bzw. zu lösen. Gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat der Arbeitgeber vor dem Aussprechen einer Kündigung sämtliche zumutbaren Massnahmen zu ergreifen. Andernfalls besteht die Gefahr der Missbräuchlichkeit einer Kündigung. Zum Autor: Kurt Mettler ([email protected]), Rechtsanwalt, ist Geschäftsführer der SIZ Care AG. Er verfügt über langjährige Erfahrung im Absenzen/Case Management und ist spezialisiert in Fragen des Sozialversicherungs- und Arbeitsrechts. www.sizcare.ch
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