das magazin von hornbach Ausgabe 1 / 2015 macher Sei dein eigener Schöpfer Leseprobe HARLEY KRISHNA Früher war Hubertus Nees ein harter Hund, Rocker, Kneipenbesitzer und dem Grundgesetz nicht immer grün. Heute macht er Messer. Das ist für Nees keine Arbeit. Es ist Leben, es ist Glück, es ist Meditation Im Süden Portugals lebt nees und fertigt einzigartige Messer. manche sagen die besten D er Morgen graut. Hubertus Nees rast mit seinem Jeep durch das Hinterland der Algarve. Tief flug über Schotterpisten, der Mann hat es eilig. Für den ersten Eindruck gibt es nun Mal keine zweite Chance, und dieser Stausee, zu dem er will, sieht bei Sonnenaufgang am schönsten aus. Danach: auch noch schön, aber nicht mehr so schön. Also Gas geben. Nees mag es nicht, wenn er Zeit verliert. „Jesus liebt dich“, steht auf dem Aufkleber am Kofferraum, „Alle anderen halten dich für ein Arschloch.“ Der Wagen hält an einer Böschung, Pri vatgelände, „kameraüberwacht“ steht auf einem Schild. Sei’s drum. Ab durchs Unterholz. Den Hang hinunter in Rich tung See. Ziel: Nees’ Angelplatz. Zu spät. Die Sonne ist schon da, das heißt: Sie wäre da, wenn nicht die Wolken wären. So oder so: Was jetzt kommt, kann nur noch ein Kompromiss sein, und Kompromisse mag Nees auch nicht. Erst recht nicht bei den Dingen, um die es hier eigentlich geht: Messer, hand gefertigte Einzelstücke. Irgendwo an Seite 6 / 7 der Grenze zwischen Kunstwerk und Gebrauchsgegenstand; das Stück für mehrere Tausend Euro. Macht Nees sel ber, der Autodidakt. Fertigungsdauer? Stückzahlen? Falsche Fragen, weiß er nicht. Dauert so lange, wie es eben dauert. Manchmal Monate. Messer wie ein Bremsmanöver für das eigene Leben. Dass man mal runter fährt. Nees ist 61 Jahre alt und hat streng genommen zwei Tricks, um zur Ruhe zu kommen: Meditation und Messer machen. Jetzt hier, portugiesischer Morgen am See, Nees’ Stammplatz, Zeit für Trick eins: hinsetzen auf eine Bank, durchatmen. „So lade ich meine Batterien auf“, sagt er. Augen zu, Ruhe. Vielleicht zehn Sekunden verge hen, dann Augen wieder auf, aufsprin gen, weiter. Sieht so aus, als hätte Trick Nummer eins nicht geklappt. Was ist mit Nummer zwei? Abflug, zurück zum Auto, zurück zu Nees’ Grundstück in die Schmiede. Messer machen. Es ist 26 Jahre her, dass Nees Deutsch land verließ und hierher zog, an Euro pas westlichsten Zipfel am Atlantik. TEXT: MARTIN PANTHER FOTOS: DOMINIK BUTZMANN Für seine Klingen verarbeitet Nees Stahlteile alter Motorräder.Griffe fertigt er aus kaukasischem Nussbaumholz. Oder Mammut. Oder irgendwas Messer machen – für Nees meditation. nicht selten verbringt er die ganze Nacht in seiner Werkstatt SCHÖN SCHNITTIG Gute Messer sind Sammlerstücke, Lebensretter, Kultobjekte. Und Qualität gibt‘s auch von der Stange. Eine Auswahl für kleines und großes Geld SEEMANNSMESSER, PASSION FRANCE: Stark, schnörkellos und handfest – nicht nur Seemänner sollten so sein, sondern auch ihre Messer. Das London von Passion France schneidet Taue, Segel, Holz oder Fisch, also eigentlich alles, was einem auf hoher See unter die Klinge kommen kann. Ca. 80 Euro, classic-kontor.com TASCHENMESSER, VICTORINOX: Wer hat’s erfunden? Die roten Offiziersmesser aus der Schweiz sind preiswerte Alleskönner. Von Victorinox gibt’s auch die deutliche edlere Variante RangerWood 55. Ca. 80 Euro, victorinox.com JAGDMESSER, PUMA: Für die Arbeit am erlegten Wild. Mit diesem Jagdmesser präsentiert der Solinger Traditionshersteller Puma ein handgefertigtes Profiwerkzeug. Der mit Hirschhorn beschalte Griff macht jedes Messer zum Unikat. Ca. 140 Euro, pumaknives.de PILZMESSER, OPINEL: Vorn eine gebogene Klinge aus Sandvik-Stahl, hinten eine Bürste aus harten Wildschweinborsten. Spezielles Pilzmesser mit Buchenholzgriff aus der Schmiede des französischen Herstellers Opinel. Ca. 20 Euro, opinel.com RASIERMESSER, BÖKER: Rasieren? Muss Mann sich eigentlich längst nicht mehr. Wer doch mal wieder nachschauen will, wie er unter dem Vollbart aussieht, greift zum Rasiermesser Böker Damast Stainless. Ca. 720 Euro, boker.de Auf ein Landgrundstück, darauf ein rundes Haus. Rund wie ein In dianerzelt. Nees mag Indianer, sam melt Flöten der Navajos, nimmt immer eine mit, wenn er auf Reisen ist. Nees selber: eher Cowboy, Hut, Schnurrbart wie eine Robbe. Neben dem Haus zwei Hütten an einem Teich. Zum Meditieren, für sich und seine 20 Jahre jüngere thailändische Frau. Stets bewacht von zwei Hunden, denen man nur ungern be gegnen möchte, wenn sie nicht angeket tet vor dem Haus liegen. Früher,als Rocker, war Nees' leben nicht immer im Gleichgewicht. Heute, als Messermacher, hat er seine Balance gefunden Ein paar Hundert Meter vom Wohnhaus entfernt: die Werkstatt und die Gara gen. Vollgestopft mit alten Motorrä dern, die Überbleibsel der Vergangen heit: sieben Harleys, aus Zeiten, in denen Nees Motorradläden betrieb. Zei ten, in denen er zwischen Karlsruhe und Mannheim Kneipen besaß, er, der ehemalige „Hardcore-Motorradfahrer“, der als Mitglied einer Biker-Gruppe auch mal in „handfeste Auseinanderset zungen“ geriet, wie er sagt. Keine Seite 10 / 11 weiteren Fragen dazu. Heute: „Yoga statt Karate.“ Vor ein paar Jahren die Entscheidung, dass Schluss sein müsse mit dem wilden Leben. Also Heirat. Und Messer. Hinein in die Werkstatt, hinein ins Kuriositätenkabinett. Wenn es nach Nees geht, dann ist ein Messer mehr als eine Klinge mit Griff. Es ist ein Kunstwerk, für das man auch mal Mam mutknochen für die Schalen verwenden kann, 30.000 Jahre alt, Backen- oder Stoßzahn. Die Knochen des Woll nashorns, die Nordseefischer gelegent lich in ihren Netzen finden, geben auch schöne Griffe. Fossilien verar beitet er grundsätzlich gern, haltbar gemacht durch eine Acrylbehandlung. Die Klingen aus Harley-Stahl, gutes Material, sagt er. Und außerdem ge fällt es den Käufern. Motorradstahl, das kommt immer gut. Die Werkstatt ein zugerümpelter Raum. Schachteln voller Rohmaterialien, auf dem Boden, auf den Tischen seltene Hölzer. Kaukasischer Nussbaum bei spielsweise. Wie kommt man da ran? Man kauft ihn – Möglichkeit eins. Oder man fliegt – Möglichkeit zwei – nach Sibi rien und geht in den Wald. So wie Nees es macht. Auf dem Rückweg am Omsker Flughafen hätten sie zwar seltsam ge schaut, als er da mit einem 40 Kilo gramm schweren Holzstamm auf dem Rü cken auftauchte: „Einmal Handgepäck, bitte“. Dauert dann etwas, kostet Überredungskunst. Aber Nees kann gut reden. Ende vom Lied: Holz in seiner Werkstatt. Handwerklich begabt sei er schon immer gewesen, schon früher, als er unter seinen Bikerkollegen als der Techniker galt. Als derjenige, der seltsame Sa chen mit seltsamen Dingen macht. Sowas bleibt. „Was ich tue, ist Kunst“, sagt er. Dazu gehört, dass er seine Messer, gemessen an der Arbeitszeit, die in ihnen steckt, regelmäßig zu billig verkauft. Handarbeit, Einzelstücke – das dauert halt, will aber meist kei ner bezahlen. Normalerweise will er seine Kunden persönlich kennenlernen, sagt er. Will erfahren, wer sie sind und was für ein Messer sie wirklich brauchen. Geht aber nicht immer, manchmal bleibt‘s beim Briefkontakt. Wie bei dem Famili envater aus Deutschland, dessen letz ter Brief in seiner Werkstatt auf dem Tisch liegt. Der Kunde möchte ein Mes ser, in das Teile der Nabelschnüre seiner drei Kinder eingearbeitet sind. Die Nabelschnüre hat er mitgeschickt: drei kleine Fetzen, die Nees in den Griff einlassen wird, ausgelegt mit Blattgold, ausgegossen mit Harz. Fin det er das selber hübsch? Falsche Frage, schon wieder. Ungewöhnlich sol len die Messer sein, sagt er, indivi duell. Alles außer Standardware. Frem der Kinder Nabelschnüre also: gar nicht so schlecht. Streng genommen geht es kaum individueller. Sterneköche bestellen bei Nees ihre Messer. Hans Neuner zum Beispiel, ein Österreicher, der an der Algarve die Küche eines Luxushotels leitet. Vor einigen Jahren geriet er an Nees. Wo sonst wird die Hand des Kochs vermes sen, bevor der Messermacher an die Ar beit geht? Und lange scharf bleiben sie. Vielleicht drei oder vier Mal jährlich müssen die Klingen nachge schliffen werden, sagt Neuner, und dass es andere Messer gäbe, wo das alle zwei Tage nötig sei. Begegnungen wie die mit Neuner, pures Glück für Nees. Kann schon sein, dass andere Schmieden den Härtegrad ihrer Klingen technisch messen lassen. Für Nees ist das nichts. Er hat kein Gerät dafür, wie ihn generell moderne Geräte nicht sonderlich interessieren. Das eigene Handy: uralt. Die Esse zum Nees kann auch anders: Totenköpfe zum Beispiel STAHLKRAFT Härtegrade? Bei Hubertus Nees kein Thema. Er vertraut auf Erfahrung und Augenmaß. Wer es allerdings genau wissen will, schaut beim Messerkauf auf den HRC-Wert (Härte nach Rockwell) des Klingenstahls. DEUTSCHER STAHL Deutschem Stahl wird Chrom jedes messer ein unikat, Wie dieses aus der Kette einer alten Motorsäge beigefügt. Mindestens 13 Prozent. Damit die Messer rostfrei bleiben. Härtegrad: maximal 50 bis 56 HRC. AMERIKANISCHER STAHL Messerstahl aus den USA enthält ebenfalls hohe Chromanteile und gilt als eher spröde. Die Härtegrade liegen zwischen 57 und 59 HRC. JAPANISCHER STAHL Japanischer Stahl gilt als der beste. Aogami und Shirogami nennen sich die bekanntesten Sorten. Sie enthalten mindestens ein Prozent Kohlenstoff und erreichen Härten von 63 bis 66 HRC. IMPRESSUM Verlag und Sitz der Redaktion: G+J Corporate Editors GmbH, Stubbenhuk 10, 20459 Hamburg, 040/3703-0, E-Mail: [email protected] Redaktionsleiter (V. i. S. d. P): Tobias Pützer (fr), Adrian Pickshaus Druck: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh Schmieden: selbstgemacht. Rockwellwer te? Nicht sein Thema. Wenn trotzdem jemand nach Härtegraden fragt, dann nimmt er eines seiner Messer, legt es quer mit der Schneide über die Schnei de eines handelsüblichen Messers und haut mit einem Hammer darauf ein. So lange, bis sein eigenes Messer die Klinge des anderen einschneidet. Här teprüfung nach Art des Hauses. Schär feprüfung? Wenn das Messer nur vom Ei gengewicht gezogen durch ein Blatt Papier gleitet. Oder den Unterarm epi liert – der Klassiker in Sachen Schär febeweis. Der Abend graut. Nees‘ Lieblingszeit. Weil seine Schmiede dann kein dunkles Loch ist, sondern eine vom Feuer er leuchtete Werkstatt. Und weil er eine heiße Klinge dann besser beurteilen kann. Weiß, ob sie hell genug glüht, um sie zu schmieden. Dann ist es Zeit für Trick Nummer zwei: zur Ruhe zu kommen, einfach nur dadurch, dass man auf glühenden Stahl drischt, fast wie in Trance. Und irgendwann ist es draußen stockfinster, die Klinge fertig, und im Grunde Zeit zum Schlafen. Und Nees entlässt einen in die Nacht, und man liegt im Bett und könnte eigentlich wegdösen. Doch dann beginnt da jemand, mit einem Hammer auf ein Stück glühen des Metall zu schlagen. Nees legt noch einen drauf. Kontakt: [email protected] # Kampfroboter # Ein Neuwagen aus Schrott # Waldabenteuer # Die Neuerfindung der Kühlbox # Feiste Pausenbrote # Raketenbauer # Skurrile Baumhäuser # Schmiedekunst # Vom Glück des Schaffens # Großstadtgärten # Feierabend
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