Definition von Trauma

Stets ein sicherer Ort …
Grundsätze und Möglichkeiten der pädagogischen
Arbeit mit traumatisierten Pflegekindern
Vortrag von Margarete Udolf
26. Hamburger Pflegeelterntag
05.09.2015
Inhalte
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Entstehung von Trauma
Traumafolgen bei Kindern und Jugendlichen
Traumapädagogische Haltung
Psychoedukation
Stabilisierung
Anregungen zum Umgang mit Wutausbrüchen
Traumatisierter
7. Selbstfürsorge der Pflegeeltern: Schutz vor Sekundärer
Traumatisierung
Definition von Trauma
•
•
•
•
seelische Verletzung
ein oder mehrere lebensbedrohliche Ereignisse
Erleben als Opfer oder Zeug_in
Bewältigungsmechanismen überfordert
Definition von Trauma
• extreme Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht
• völliger Kontrollverlust
• führt zur Erschütterung des Selbst- und
Weltverständnisses
→ langanhaltende Belastungsreaktionen möglich
Traumatypen
Single-Traumata (einmaliges Erlebnis/Beobachtung) z.B:
• Unfälle
• Krankheiten
• Natur- und andere Katastrophen
• Verlust naher Bezugspersonen
Traumatypen
Poly-Traumata (wiederholte, andauernde Ereignisse) z.B:
•
•
•
•
Emotionale, körperliche, sexuelle Misshandlung
Vernachlässigung
Krieg, Folter
Flucht
Traumareaktion
• Stress-Reaktion: Kämpfen oder Flüchten
• sonstige Bewältigungsmechanismen
→
kein Nachlassen der Bedrohung
→
Ohnmacht, Ausgeliefertsein,
Kontrollverlust
Traumareaktion
• No Fight
• No Flight
↓
•
Freeze
•
Fragment
(= Einfrieren, Lähmen)
- Entfremdung vom aktuellen Geschehen
- Ausschütten von Endorphinen und Noradrenalin
- Dissoziation als Überlebensstrategie
(Fragmentieren der Wahrnehmung und der
Erinnerung)
Traumareaktion
Dissoziation als Überlebensstrategie
•
•
•
•
hilft Situationen auszuhalten, die unaushaltbar sind
Veränderung des Fühlen, Erleben und Wahrnehmen
vergleichbar Trancezustand
sich wegbeamen
→ lebt als Traumafolgesymptom weiter
Traumafolgesymptome PTBS
Intrusionen:
Konstriktion:
- Erinnerungsfetzen
- Grübeln
- Alpträume
- Flashbacks
- Posttraumatisches Spiel
- Lähmung, Untererregung
- Einschränkung der Vitalität
- Abstumpfen / Numbing
- Soziale Isolation
- Regression
Hyperarousal:
Dissoziation:
- Anspannung
- Schreckhaftigkeit
- Schlafstörung
- Konzentrationsstörung, Schulprobleme
- Aggressives Verhalten, Wutausbrüche
- Innere Leere
- Depersonalisation / Derealisation
- Veränderung von Wahrnehmung und
Bewusstseins
- Taubheit der Haut oder Körperteile
Täterintrojekte und täterloyale Anteile
• Täter-Introjekte = innere Repräsentanzen der TäterInnen
und deren Verhaltensweisen, Rechtfertigungen etc.
• Täterloyale Anteile = dem Opfer gegenüber gleichgültige
Eltern(teile)
• Entstehen während traumatisierender Erlebnisse als
innere Repräsentanzen der Täterhaltungen und –
einstellungen
• Glaubenssätze und Verhaltensweisen
Niedrige Frustrationstoleranz
Trauma → Beeinträchtigung der Frustrationstoleranz :
• bei geringer Frustration Wutausbrüche oder
verzweifeltes Weinen
• Reaktionen auf kleinste Reize wie auf eine
lebensgefährdende Bedrohung
• besondere Anfälligkeit bei vernachlässigten Mädchen
und Jungen
Mangelhafte Mentalisierung
Mentalisierung
= Fähigkeit, das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer
Menschen durch Zuschreiben mentaler Zustände zu
interpretieren
Folgen mangelhafter Mentalisierung
Schwierigkeiten in Stress-Situationen:
• über eigene und fremde Gefühle und Verhalten
nachzudenken
• sich selbst und wichtige Bezugspersonen als durch
Bedürfnisse und Wünsche motiviert wahrzunehmen
• unterschiedliche Perspektiven einzunehmen ohne sofort zu
handeln
• ohne Anwesenheit anderer Menschen in der „Container“ –
Funktion auszukommen
Was tun?
Traumapädagogische Haltung
• Traumatisierte Mädchen und Jungen werden mit ihrer
Geschichte angenommen
• Anpassungsbemühungen, Verhaltensauffälligkeiten und
Symptome = Überlebensstrategien und Zeichen von
Überlebenswillen, Kompetenz und Ressourcen der
Betroffenen
Traumapädagogische Haltung
• Respekt bisherigen Lebensleistungen gegenüber
• Ressourcen sind immer vorhanden!
• Vermeiden von pädagogischen Interventionen, die die
Grundgefühle und Annahmen der Traumatisierten
bestätigen
Psychoedukation
„Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“
Marie Curie - Skłodowska
• Psychoedukation = Information und Erklärung von
Symptomen und posttraumatischen Verhaltensweisen
• Fördern des Verstehens der eigenen Gefühle und
Reaktionen
Achtung: Keine Erzählung detaillierter traumatischer
Erinnerungen ohne psychotraumatologisch orientierte
Therapie!
Psychoedukation
• Konzept des Guten Grundes von W. Weiss:
Erfragen des „guten Grundes“ für irritierende, bizarre,
selbst- und/oder fremdschädigende Verhaltensweisen, die
aber in den traumatischen Situationen das Überleben
sicherten
Stabilisierung
• die wichtigste Aufgabe der Traumapädagogik (und
Traumatherapie)
• Ziel: Verbesserung der Lebensqualität (subjektiv)
• oft jahrelange Dauer, mühevoll und von Rückschlägen
geprägt
• Arbeit der kleinen und kleinsten Schritte
• realistische Ziele (Hilfeplan!)
Achtung: Stabilisierung ist nur in „Friedenszeiten“ möglich!
Grundlage der Stabilisierung
Sicherer Ort
Traumatisierte brauchen einen sicheren äußeren Ort
für einen sicheren inneren Ort:
•
•
•
•
Schutz
Sicherheit
Verlässlichkeit
Kontrollierbarkeit
Stabilisierung
Gedanken und Gefühle wahrnehmen
Achtsamkeitsübungen zur Wahrnehmung von
Veränderungen im Körper und den Gefühlen
„Skills“ zur Selbstkontrolle üben z.B:
Dissoziationsstopps
Imaginationsübungen zur Prävention von
Intrusionen und Dissoziationen
„Ich-bin“-Übung
Notfallkoffer packen und benutzen
Ressourcen realisieren, ausprobieren, nutzen
Umgang mit Wutausbrüchen Traumatisierter
Deeskalation als oberstes Gebot bei Traumatisierten!
Was tun bei aggressivem Verhalten?
• Unterscheiden zwischen gezieltem Einsatz von Aggression
und traumabezogenen Wutausbrüchen
• Daran denken, dass Gewalt auch von uns ausgehen kann
ohne dass wir es merken!
Ursachen für Wutausbrüche
• als direkte Traumafolge der Übererregung
• als Abwehrverhalten
• traumabezogene Wutausbrüche durch Überflutung von
Gefühlen
• begünstigt durch Täterintrojekte
• verstärkt durch niedrige Frustrationstoleranz
Deeskalation
Prophylaktische Maßnahme
• routinemäßig Wutausbrüche dokumentieren, um Trigger
(Auslösereize) zu finden:
− Art, Ort, Zeit des Auftretens
− Anwesende
− hilfreiche Interventionen
− unwirksame Interventionen („Öl ins Feuer“) etc.
• Ziel: Identifizieren, Minimieren, Vermeiden von / Triggern
Was brauchen traumatisierte Pflegekinder noch?
• nach Bedarf traumatherapeutische Unterstützung
Was brauchen traumatisierte Pflegekinder noch?
• Freude und Spaß!!!
„Es gilt daher die Freudenseite zu beleben und ihr einen
besonderen Schwerpunkt zu geben, um die Belastung und
Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ins Gleichgewicht zu bringen.“
Standards der BAG Traumapädagogik zur traumapädagogischen
Arbeit in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe
Das ist aber noch nicht alles!
Was brauchen Pflegeeltern?
Entlastung
• im Alltag: Freundeskreis, Freizeit, Jugendamt
• emotional: Achtung Schuldgefühle!
Schutz vor
• Gewalt durch das Pflegekind
• Burnout und Sekundärer Traumatisierung
→ das heißt manchmal auch: Abschied vom Pflegekind…
Eigene Psychotherapie nach Bedarf
Selbstfürsorge der Pflegeeltern
Berufsrisiko Sekundäre Traumatisierung
„Ansteckung“ mit typischen posttraumatischen Symptomen
im Verlauf der Arbeit mit traumatisierten Menschen“
•
eine übertragene Traumatisierung, die zustande kommt,
obwohl die HelferInnen nicht selbst mit dem
traumatischen Ereignis konfrontiert sind
• Unterschied zur primären Traumatisierung: zeitlicher
Abstand zum Geschehen und Fehlen eigener sensorischer
Eindrücke
(Definition nach Judith Daniels)
Gefährdungen der Pflegeeltern
• akute externe Gefährdung der Pflegekinder
(Kontakte zu leiblichen Eltern!)
• Belastungen aus der direkten Arbeit mit dem Pflegekind:
das Ausmaß ihres/seines Leides und Schilderungen der
Qualen
Sekundäre Traumatisierung - Prophylaxe
A wie Achtsamkeit:
auf sich selbst, die eigenen Bedürfnisse, Grenzen und
Ressourcen zu achten, um gesund zu leben
Sekundäre Traumatisierung - Prophylaxe
B wie Balance:
Gleichgewicht zwischen Arbeit, Freizeit und Ruhe, zwischen
der Vielfalt der Aktivitäten im Pflegeverhältnis und den
anderen Lebensbereichen als „Krafttankstelle“
Sekundäre Traumatisierung - Prophylaxe
C wie connection:
Verbundenheit mit sich selbst, anderen Menschen, der Natur,
dem Leben (auch spirituell) als Gegenstück zu den Belastungen
und den Einschränkungen des Berufes
Was brauchen Pflegeeltern…
„Wer mit traumatisierten Menschen arbeitet muss drei Dinge
unbedingt beherzigen:
• Erstens: gut essen
• Zweitens: viel feiern
• und Drittens: wütend putzen!“
(Veronika Engl)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!