MS EUROPA°Indien - AZUR° Das Kreuzfahrtmagazin

MS Europa° Indien
www.azur.de
Suche nach der
Seele Indiens
Havelock Island in der
Andamanensee ist ein Refugium
für Strandliebhaber, Schnorchler
und Sonnenanbeter.
26 °azur.de
3/2012
Fotos:Hapag-Lloyd
Foto:
PR
Kreuzfahrten
Die MS Europa-Kreuzfahrer reisten
von Birma über die Andamanen,
Sri Lanka und Indien bis nach Dubai.
Sie erlebten ein Kontrastprogramm
aus heilem Luxusleben an Bord
und einfachstem Dasein.
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27 °
MS Europa° Indien
Die goldene Shwedagon-Pagode in Rangun
(Myanmar) mit ihrem Stupa, den kleinen
Tempeln und unzähligen Buddhafiguren ist
ein Ort der Meditation.
Die Millionen-Megametropole Mumbai
pendelt zwischen Kolonialarchitektur,
Shiva und normalem Alltag: Real oder
eine Szene aus Bollywood?
Fotos: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten
Port Blair auf den Andamanen ist ein typisches
hässliches, indisches Provinznest. Chaos in den
Straßen, keine Infrastruktur. Unnötig der Stopp
der MS Europa hier, so denken viele Gäste.
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Die Fischer von Cochin in Kerala (Indien) mit ihren
chinesischen Netzen (links) bei der Arbeit, als die
MS Europa in den Hafen einläuft. Erfolgreicher Fang,
stolz präsentiert (oben).
▼
Fotos: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten
E
ine abenteuerlich
ausstaffierte Karawane zieht
übers Lidodeck. Sie ist
auf dem Weg
zum Magrodom, dem überdachten Teil des
Pooldecks. Das ist heute Abend ausstaffiert wie ein Wüstenzelt. Überall
flackern und lodern „echte“ Feuer,
die Tische bersten vor indisch-orientalischen Spezereien, ein Musiker
singt „Que sera“ im arabischen Stil.
Begleitet wird er von DarbukaTrommel und Klarinette. Für all die
Wüstensöhne und Haremsdamen,
all die Lawrences von Arabien, Suleikas und ihre Bollywood-Schwestern wird heute Abend ein Märchen
aus 1001 Nacht wahr: eine Überraschungsparty mit Dresscode „Morgenland“ für diejenigen Passagiere,
für die ihre Weltreise mit der MS Europa in Dubai zu Ende gehen wird.
Wir sind nämlich genau jetzt an
Bord, auf der letzten, zwölftägigen
Teilstrecke, die in Rangun begann
und weiter über Indien und Sri Lanka eben nach Dubai führen wird.
Das Motto dieser Kreuzfahrt:
„Die Seele Indiens“. Gibt es sie wirklich? Und wenn ja, wo findet man
sie, wo hat man sie zu suchen? Auf
dem Crawford Market in Mumbai,
in den Backwaters von Kerala, in
der Farbenpracht der Saris? In den
schluchzenden Geigenkantilenen der
Bollywood-Schnulzen?
Seit gestern liegt die MS Europa
in Thilawa, dem Industriehafen
nahe Ranguns im Süden von Myanmar – vielen noch als Birma geläufig. In Rangun befindet sich die
wohl beeindruckendste Tempelanlage Asiens: die Shwedagon-Pagode.
Wir fahren mit dem Shuttlebus über
holprige Straßen vorbei an Reisfeldern, sehen Ochsenkarren, abgemagerte Rinder am Wegrand und
hie und da ein paar Feldarbeiter.
Dann: der erste Stupa! Gestern
Abend, auf dem Weg vom Flug3/2012
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32 °azur.de
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uf der MS Europa wird
eben jeder nach seiner Fasson selig. Und
gesünder. Ein Ayurveda-Arzt referiert über die drei
„Doshas“. Jene Bioregulanten, die
unser Leben steuern, sind für ihn der
Schlüssel zu langem Leben. „Ayurveda geht uns alle an“, beschwört er
uns. Wir lernen: Kapha-gesteuerte
Menschen hätten ein gutes Immunsystem, bräuchten aber „Feuer unterm Hintern“. Als er beim Thema
Übergewicht angelangt ist, schlägt
es „zwölf Glasen“ aus den Decklautsprechern: Wachwechsel auf der
Brücke.
U
nd Zeit fürs Mittagessen. Immerhin lernten
wir soeben, man solle
seine Hauptmahlzeit bis
14 Uhr einnehmen. „Alles Curry“
ist die Devise im „Lido-Café.“ Mit
Rinder-, Lamm- oder Hühnercurry,
Garam Masala, Mulligatawny auch,
der berühmten englisch-indischen
Gemüsesuppe. Curry, so lernten wir
später bei einem Gewürzvortrag,
leite sich ab von „Kari“, und Masala heiße Mischung. Für Hausfrauen
gibt es noch einen Gratis-Tipp: „Ersetzen Sie doch mal Paniermehl
durch Koriander.“ Diese Tipps über
„wärmende“ Aromen heizen die
Vorfreude auf Indien an.
Ein „Indischer Abend“ findet
passend zum Ziel schon heute auf
der MS Europa statt! In farbenfrohen
Stoffen gehüllt, kommen die Gäste
nun aus ihren Suiten, Damen aus
Deutschland und der Schweiz, die
hier in Workshops gelernt haben,
sich in Saris zu wickeln für just jenes Fest.
Port Blair am anderen Morgen:
Bevor wir an Land gehen, gibt’s
noch einmal wichtige Hinweise des Bordlektors. „Das hier ist
tiefste Provinz, das ist nicht Indien. Sondern so, als wenn man als
Amerikaner Deutschland kennen
lernen wolle und lande in Bremerhaven.“ Vorm Gandhi-Denkmal
in der Innenstadt setzt der Shuttle die Gäste ab. Zuckerrohr-Maschinen am Wegrand versorgen
die einkaufenden Einwohner mit
Saft, Händler bieten Plastik-Kü-
chengeräte oder Elektro-Bedarf an.
Warum bloß hält die MS Europa in
Port Blair?, fragen sich spätestens
jetzt viele Gäste. Hässlich, keine
Bürgersteige, kaum Infrastruktur,
nix zu kaufen. Als Ausflugsziel nur
eine alte, ehemals berüchtigte Strafkolonie. Da ist es besser, eine Fahrt
nach Ross Island zu empfehlen, zum
„Angkor Indiens“. Zur Genugtuung
vieler Naturfreunde hat diese sich
hier ihren Raum zurückgeholt:
Frühere Gebäude der britischen Besatzer sind kaum noch zu erkennen
– überwuchert wurden sie im Laufe
der Jahre von Rhizomen und Wurzeln der allgegenwärtigen Würgefeigen. Dennoch: Ein Highlight war
dieser Stopp wahrlich nicht. Und
die Seele Indiens? Die haben wir
hier erst gar nicht gesucht...
K
leine, tuckernde Bötchen begleiten uns,
winzige Vögel flattern
ums Schiff, als wir
schließlich ablegen. Aus den Bordlautsprechern tönt dazu die „Stella Maris“-Auslaufhymne, gesungen von einer Mezzosopranistin.
Keine Sängerin befindet sich an
Bord auf unserer Reise ins Land
der
Bollywood-Geigenglissandi,
stattdessen ein Klavierprofessor,
der eine Hand voll erstklassiger
Musiker um sich geschart hat. Die
spielen sich auf Anhieb in die Herzen der Passagiere ein: ein Geiger,
eine Geigerin, die Bratscherin, der
Cellist und der Klarinettist. Jeder
von ihnen ist ein perfekter Virtuose,
erweist sich als Meister über Lagenwechsel, Legato-Töne, Doppelgriffe.
Im „Club Belvedere“, man ist mitten auf dem Indischen Ozean, erklingen Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.
Passt halt – wie immer - und wird
gebührend bejubelt. Beim nächsten Halt auf Havelock Island spielt
dann die MS Europa-Bordband zum
Badeausflug mit Grillwürstchen
„Am Sonntag will mein Süßer mit
mir segeln gehn“ mit DixielandMusik auf. Die hätten jeden billigen
Schlager spielen können. Denn Havelock Island, dessen flacher, weißsandiger Strand vorm badewannenwarmen, türkis schimmernden
Meer vom „Time Magazine“ im Jahr
2004 zum „schönsten Strand Asiens“ ernannt wurde, ist schlicht der
„Garten Eden“ in der Andamanensee. Gleich hinter den Stränden beginnt ein üppiger tropischer Regenwald, dessen Wipfel viel singendes,
zwitscherndes Vogelgetier bewohnt:
242 Arten sind es, davon 32 endemisch.
Hier werden wir Touristen „bewacht“ von einigen
mit
Gewehren
und
dekorativen
Schlagstöcken
ausgerüsteten,
mehr
neugierig
als
grimmig
schauenden
indischen
Polizisten. Ob die denken, wir
woll-ten auf diesem anscheinend unbewohnten Inselchen
bleiben?
K urs auf Sri Lanka. Seit
Port Blair haben wir 563
Seemeilen zurückgelegt, 282
liegen noch vor uns bis Galle. Der Sonnenaufgang heute
Morgen fand pünktlich auf
die Minute um 6.16 Uhr statt,
genau wie im Schiffstagesplan angekündigt. Wie eine Riesenkugel tauchte die Sonne knallrot aus dem Meer hervor. Schöner
als auf jeder Kitschpostkarte. Um
10 Uhr ist wieder Vortragszeit. Ein
ausgewiesener Asien-Experte, ZDFKorrespondent mit Wohnort Singapur, spricht über das „Erwachen“
des „Elefanten“ Indien. Der Elefant
bewege den Rüssel, trample auf der
Stelle, erst danach beginne er zu
laufen. „Nichts ist sicher hier, alles
muss täglich neu verhandelt werden
– Italien ist dagegen ein Operettenland“, sagt er. Und die Emanzipation in Indien, na ja, die befinde sich
noch „wie zu Zeiten der Suffragetten
in Europa“.
H
ier an Bord indes findet man dagegen ganz
schön viele Frauen in
leitenden Positionen. Die
Sicherheits-offizierin auf der Brücke
zum Beispiel, die mit uns noch vor
dem Auslaufen aus Rangun die
so wichtige Notfallrettungsübung
ausführte, die Kreuzfahrtdirektorin und auch die EntertainmentManagerin
Stefanie
Lämmerhirt. Sie kommt vom Fach, stand
selbst jahrelang auf der Bühne.
Nun sorgt sie dafür, dass sowohl
die Gäste als auch die Künstler
▼
T
rubelig-asiatisches Großstadtleben wuselt um
uns herum: überfüllte
Busse, an deren Türen
sich Trauben von Menschen festhalten. Auf den Bürgersteigen haben geschäftige Straßenhändler
Holzfeuerchen angezündet und
bieten Tee an. Andere wieder halten Heuschrecken feil, gegrillt hier
eine Delikatesse, und verkaufen Unmengen der gewöhnungsbedürftig
duftenden „Stinkfrucht“ Durian.
An den Häuserwänden hat man
Plakate von Myanmars „Lichtgestalt“, der Politikerin Aung San Suu
Kyi, aufgehängt. Vor wenigen Monaten wäre das noch undenkbar und
sehr gefährlich gewesen. Wie auch
die Tatsache, dass hier Poster von
Hillary Clinton und Aung Kyi an
Ständen verkauft werden. Für fünf
Dollar. So viel kosten auch die Buddha-Figürchen aus zart duftendem
Sandelholz im riesigen, überdachten
Scott’s Market. Einen Dollar kostet
ein Blattgold-Papierchen, das vor den
Pagoden der Shwedagon-Tempelanlage erworben werden kann. Damit wird der Erhalt dieses Bauwerks
mitfinanziert. „Leuchtend in ihrem
Gold, wie eine plötzliche Hoffnung
in der Seele dunkler Nacht“, so
beschrieb sie einst der Schriftsteller
Somerset Maugham.
Überwältigt, ja ehrfürchtig bleiben wir kurz darauf vor dem 107
Meter hohen Stupa stehen, der mit
60 Tonnen purem Gold überzogen
sein soll. Von jeder Himmelsrichtung aus führen prächtige Aufgänge
hinauf auf die Plattform, auf der der
Stupa und rings um ihn zahlreiche
kleinere Tempel und Andachtshallen
stehen. Nur unsere Schuhe bleiben
draußen vor den Teakholz-Stufen.
Barfuß folgen wir einer Prozession
von Menschen, die Opfergaben – Kerzen, Früchte – mit sich tragen. Die
Kinder unter ihnen werden als kleine Novizen einige Wochen in Klöstern verbringen. Ein großer, festlicher Anlass für die Familien, um
in all den unzähligen Schreinen,
Chedis und Pavillons den Göttern
ihre Opfer-gaben darzubringen.
Alles glänzt im Sonnenlicht, selbst
der Fußboden. Der werde von der
Allgemeinheit geschrubbt, erzählt
unser Reiseleiter. Jeder Einwohner
Ranguns ist einmal pro Jahr an der
Reihe, am Tag seines Geburtstags!
Fegen für die Ewigkeit...
Weiter geht’s nach Port Blair, der
größten Stadt auf den Andamaneninseln. 30 Grad in Luft und Wasser.
Unser Schiff gleitet durch den ruhigen, dunkelblau schimmernden Indischen Ozean. Wir frühstücken am
nächsten Morgen in aller Ruhe im
„Lido-Café“. Treffen auf einen älteren Herrn, einen der Weltreisenden.
Sechs Monate ist er schon an Bord.
Was er so den ganzen Tag mache?
Lange schlafen, spät frühstücken,
Mittagessen nie. Abends ein Drink
in der „Clipper Lounge“, einer in
der „Sansibar“. Und heute Nachmittag gehe er auf den „Witwenball“,
schmunzelt er, das sei das Treffen für
Alleinreisende. Ausflüge mache er
grundsätzlich nicht, da er schon überall war, zehnmal allein in Hongkong.
Foto: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten
hafen zum Schiff, sahen wir ihn
schon. Aber noch sind wir nicht am
Ziel unseres Ausflugs. Wir fahren
weiter durchs ländliche Myanmar,
begegnen Mönchen in roten Gewändern und Dorfbewohnern, die
Schirme gegen die Sonne aufgespannt tragen. Ihre Gesichter sind
eingerieben mit weißer SandelholzPaste. Ebenfalls ein Schutz gegen
das UV-Licht. Vorbei am Kandawgyi-See und der prächtigen königlichen Barke „Karaweik“ gelangen
wir endlich in die Innenstadt, halten vor dem Trader’s Hotel, einem
der prächtigsten Bauten, die an
längst vergangene briti-sche Kolonialzeiten erinnern.
Zahnlos, aber aus tiefstem
Herzen kommt dieses
Lachen einer alten Birmanesin in Rangun.
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azur.de
33 °
Indische Polizsten
patrouillieren am
Strand von Havelock Island – mehr
zur Show als zur
Abschreckung.
W
ir freuen uns auf Sri
Lanka, das „glückliche
Land“. Wieder bringt
uns ein Bus vom Liegeplatz in Galle ins Zentrum. Wir
fahren vorbei an der Festungsmauer der Stadt, hinter der soeben ein
Kricket-Länderspiel gegen England
veranstaltet wird. 7500 englische
Fans seien deswegen angereist, hören wir. Viele von ihnen stehen hoch
oben auf der Fortmauer, sie wurden mit etlichen Bussen aus ihren
Urlaubshotels hierher gekarrt. Mit
mürrischen Gesichtern kehren sie
am Spätnachmittag zurück zu ihren
Bussen – England hatte verloren.
Ganz anders erleben wir die freundlichen Einheimischen. Fröhlich, gelassen rattern sie auf Mopeds und
mit Tuk-Tuks durch die Straßen, bringen uns Kreuzfahrer zu den entlegenen, paradiesischen Stränden und
den quirligen Basaren der Stadt.
Die Sonne strahlt, der Himmel ist
azurblau, und eine weiße (!) Pagode
leuchtet aus den Wipfeln eines Palmenhains hervor. All das entzückt
die MS Europa-Gäste. Angesichts
34 °azur.de
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der 7 Grad Kälte zu Hause genießen
sie das badewannenwarme Meerwasser umso mehr.
Wir nähern uns der indischen
Küste mit 17 Knoten. Nur 45 Meter beträgt die Wassertiefe, deshalb
tummeln sich hier so viele Fische –
hören wir von der Brücke. Nur noch
82 Seemeilen sind es bis Cochin, wo
wir wenig später schon die „Wahrzeichen“ der Umgebung erspähen,
riesige Fischernetze.
Gibt’s irgendwo Brotkörbchen?,
fragt ein Passagier beim Frühstück.
Die Vielfalt ist einfach zu groß.
Croissants, Laugenwecken, Käsebrötchen, Knäckebrot – Letzteres nach
Ayurveda-Empfehlung möglichst
getoastet – scheinen sowieso das
einzig Wahre zu sein, um gefährlich anwachsender Leibesfülle entgegen- zuwirken. Später geht es
um geistige Erweiterung. Lektor
Peters referiert über Mumbai. Und
ermahnt einmal mehr: „Hören Sie
auf, nur den Schmutz zu sehen.
Seien Sie froh, dass Sie wenigstens
einmal in Ihrem Leben Indien sehen durften.“
Und das Taj Mahal! 80 Gäste
gehen morgen sehr früh von Bord,
fliegen nach Delhi und fahren weiter
nach Agra, um dort das berühmte
„Grabmal einer großen Liebe“ zu
besichtigen und dann in Mumbai
wieder zum Schiff zu stoßen, das
dort warten wird. Wenn man schon
mal hier ist, dachten sie sich wohl,
sind die 2300 Euro für dieses Ausflugspaket doch ein Schnäppchen.
Hin zum Mausoleumpalast wollten
mehr als 80 der MS Europa-Gäste.
Wir gleiten vorbei an Kirchlein,
Reisfeldern, begegnen Krabbenfischern. Üppig tragende Mangobäume und Bananenstauden stehen
vor kleinen, dicht ans Wasser gebauten Häuschen, die vor allem in
Pink oder Gelb strahlen. An einem
Fenster liest ein beleibtes Familienoberhaupt seine Zeitung. Wir hören
Hähne krähen, sehen Entenküken
schwimmen, entdecken Reiher,
Störche, Kormorane. Eine wunderbare, friedliche Idylle, ja heile
Welt. Da scheint sie tatsächlich zu
sein, die Seele Indiens. Man will
sie greifen, festhalten, bewahren.
Nur, um sie Augenblicke später
wieder zu verlieren: Der Blick fällt
auf ein Vodafone-Plakat. Es schafft
Kaufanreize in diesem Land, in dem
angeblich „jeder Bettler ein Mobilephone“ besitze. Wehmütig nehmen
alle Teilnehmer Abschied von den
Backwaters. Doch das Schiff wartet.
Noch 324 Seemeilen bis Mumbai, noch ein weiterer Seetag. Und
der zweite Vortrag des ZDF-Korrespondenten. Er war unterwegs in den
Slums von Mumbai, kennt sich aus
in der Lebenswirklichkeit „des Inders“, den es so gar nicht gebe. Sondern eher den „Cambridge-Inder“
mit Upperclass-Akzent oder denjenigen, dessen Englisch durchsetzt
sei mit Hindi-Ausdrücken. Dann
beim Vortrag in der „Europa Lounge“ „droht“ noch der Lektor: „Der
Großraum Mumbai hat 25 Millionen
Einwohner. Und Sie werden das Gefühl haben, dass Sie die alle sehen
werden.“
A
m nächsten Morgen dann
indisches Festland: Tatsächlich, Mumbai gleicht
einem Ameisennest! Wir
versuchen das endlose Gewimmel so
gut es geht zu ignorieren – mit dem
schon oft erprobten Tunnelblick –,
durchqueren den Indira-GandhiTerminal, passieren Jugendstilfassaden, Gebäude im Tudorstil, wollen
zum „Gateway of India“. Hunderte
von Menschen stehen hier, war-
▼
an Bord auf ihre Kosten kommen,
alle Konzerte, Vorträge und Events
gerecht verteilt werden. „Man muss
mit Herausforderungen und Druck
leben können, flexibel sein und anderen zuhören wollen“, definiert sie
ihre Stellenbeschreibung.
Heute Abend allerdings haben
alle Künstler frei. Der Film „Slumdog Millionaire“ wird auf einer Riesenleinwand überm Swimmingpool
gezeigt, Popcorn inklusive.
Viel mehr sogar,
hört man.
Die
Zurückgebliebenen,
die
auf der „schönsten
Yacht der Welt“
ausharren
„müssen“, freuen sich
derweil auf ihren
Hausboot-Ausf lug
auf den Backwaters, einem von
44 Flüssen gespeisten Wasserstraßennetz aus natürlichen Seen
und künstlich angelegten Kanälen.
Wohl nicht zuletzt wegen dieser
Wasserlandschaft wurde Kerala im
„National Geographic Traveler“ als
eines der weltweit 50 lohnendsten
Reiseziele aufgeführt, die man „wenigstens einmal im Leben besucht
haben muss“. „Genau deswegen sind
wir auch hier“, sagt eine Dame aus
Köln. „Namaste“, begrüßt uns später
unser Führer Safir im Bus: „Willkommen im Land der Kokosnuss!“
Kerala sei der fortschrittlichste Staat
Indiens, so Safir. „Hier kann jeder
lesen und schreiben.“ Vorbei an
Palmenhainen und Raintrees geht’s
durch Dörfer mit geschäftigen
Menschen. Man sieht Sportplätze,
auf denen Kricket gespielt wird,
grasende Kühe am Wegrand, viele
Tempel und Kirchen.
Nach einstündiger Busfahrt
betreten wir in der Stadt Alleppey
eines der Hausboote, das uns mit
sechs weiteren Gästen durch die
Kanäle dieses „Venedigs Asiens“
führen soll. Unser Hausboot transportierte einst nur Reis, wurde umgebaut mit Küche, Schlafraum, Bad
und WC. Gemütlich bahnt sich das
Schiffchen seinen Weg durch den
ruhigen Wasserlauf. Am Ufer sieht
man Frauen bei ihrer Morgenwäsche, andere gehen, gut beschirmt
gegen die Sonne, am Wasser entlang.
Auch unser Bootsführer sitzt unter
einem riesigen Sonnenschirm. Sein
Assistent serviert Mangosaft, zum
Mittag köstliche Samosas, mit Gemüse gefüllte Teigtaschen.
Dubai
A ra b i sc h es
M eer
Fotos: Hapag-Lloyd Kreuzfahrten, Infografik: www.AxelKock.de für AZUR
MS Europa° Indien
VAE
INDIEN
Mumbai
Golf von
B e ng a l e n
M YA N M A R
(Birma)
Rangun
Andamanen
Port Blair
0
500 km
Neill
Island
Cochin
SRI LANKA
In d i sc h er O z ea n
Bangkok
Havelock
Island
THAILAND
Anda m a ne nsee
Galle
Märchen aus 1001 Nacht
Myanmar, Indien und Sri Lanka faszinieren mit unberührter Natur,
ursprünglichem Leben und Prachtbauten.
Rangun/myanmar
Rangun (4,4 Mio. Einwohner) liegt im Süden des
Landes am Ostrand des
Irrawaddydeltas an einem
Meeresarm der Andamanensee. Panoramafahrt
nach Rangun mit Führung
durch die ShwedagonAnlage (Kosten: 69 Euro).
Tipp: ein Ballonflug bei
Sonnenaufgang über die
goldenen Pagoden (Kosten:
245 bis 270 Dollar).
www.ananda-travel.com
Souvenirs: Jade, Holzund Lackarbeiten.
Währung: 1 Euro =
1059,37 Myanmarische
Kyat (gesprochen tschat).
Port Blair/Andamanen
(Indien). Die Andamanen
sind eine zum indischen
Unionsterritorium Andamanen und Nikobaren
gehörende Gruppe aus 204
Inseln in der Andamanensee. Größte Stadt ist Port
Blair (50.000 Einwohner).
Ausflug: dreistündige
Stadtrundfahrt (33 Euro).
Galle/Sri Lanka
Naturhafen an der Südwestküste, wichtigster
Umschlagshafen für Tee.
Das Lighthouse-Hotel
wurde gebaut von Geoffrey
Bauer, dem „Oscar Niemeyer
von Sri Lanka“. Der Ort Unawatuna bietet traumhafte
Sandstrände. Vor allem die
Heilkunst Ayurveda machte
aus der Insel ein beliebtes
Touristenziel. Souvenirs:
geschnitzte Buddhas, ayurvedische Tees (z. B. Elephant
Tea). Währung: 1 Euro =
173,30 Sri-Lanka-Rupien.
indien
Cochin (Kerala): Ausflug in
die Backwaters (Kosten:
63 Euro), ein 1500 Kilometer
langes Netz von Lagunen,
Kanälen und Binnenseen.
Ausflug zum Taj Mahal in
Agra (Kosten: 2300 Euro).
Mumbai (20 Mio. Einwohner): Stadtrundfahrt mit Fotostopps (Kosten: 29 Euro).
Der fünfstündige Ausflug
„Die Märkte von Mumbai“:
in englischer Sprache. Ist
nichts für Gäste mit Gehproblemen (Kosten: 32
Euro). Währung: 1 Euro = 70,30 Indische Rupien.
Dubai (VAE)
Tipp: Besichtigung des
höchsten Gebäudes der
Welt, des Burj Kalifa, 828
Meter hoch, inkl. Besuch
der weltgrößten Mall
(Kosten: 88 Euro). Jeepsafari
ins Wüstencamp mit Lunch
(Kosten: 189 Euro). Hoteltipp: nach der Cruise ins
Hotel Park Hyatt (182 Euro/
Zimmer). Währung:
1 Euro = 4,84 VAE-Dirham.
Klima
Beste Reisezeit für Birma:
Oktober bis Februar, kühl
und trocken, 21 bis 28 Grad.
Anreise
Nach Rangun, mit Zwischenstopp z. B. in Bangkok
(mit Thai Airways, Air Asia,
Myanmar International,
jeweils ca. 1,5 Stunden
Flugzeit) oder in Singapur
(Silk Air, 3,5 Stunden).
Ab Herbst 2012 auch Direktflüge Frankfurt–Rangun
mit Condor.
Lesen
Das Taj Mahal ist Ziel eines Drei-Tages-Ausflugs
ab Cochin bis Mumbai.
Indien, Baedeker AllianzReiseführer,
25,95 Euro
3/2012
azur.de
35 °
MS Europa° Indien
Die MS Europa
bietet viele
Extras wie
Stoffservietten,
frische Blumen,
exquisite Küche
sowie elegante
Galaabende
und niveauvolle
Abendunterhaltung.
Kundenservice
ten auf ihre Fähren und Boote. Rund
um das berühmteste Wahrzeichen
Mumbais riecht es streng. Im Innern
des gegenüberliegenden Taj-Hotels
jedoch duftet es intensiv nach weißen Lilien. Der Duft ist umsonst, der
Tee dagegen, serviert von Kellnern in
Fantasieuniformen, kostet 400 Rupien, umgerechnet knapp sechs Euro.
Nach dem Überfall auch auf dieses
Hotel im Jahr 2008 muss jeder Gast
erst eine Sicherheitsschleuse passieren. Weiter geht’s hinein ins „wirkliche“ geschäftige Leben Mumbais,
auf den vibrierenden Crawford Market. Auch hier eher ein Hexenkessel.
Dann weiter zum Zaveri-Basar mit
seinen vielen Geschäften mit Seidenstoffen, den Lädchen mit den indischen Goldschmuck-Imitaten und
den „Herbal Henna“-Angeboten für
die gepflegte indische Damenwelt.
Erschöpft – und zugegeben auch etwas erleichtert – kehren wir Stunden
später dieser Metropole den Rücken.
Und die Seele Indiens? Ist hier schon
lange an Bollywood verkauft worden.
„Let us fight against terrorism
together“ konnten wir auf etlichen
Schildern lesen in der durch viele Anschläge gebeutelten Stadt Mumbai.
Und auch an Bord ist dies ein
Thema – besser gesagt: die Gefahr
der Piraterie. Kapitän Hagen Damaschke bittet die Passagiere zu
einem Informationsvortrag in die
„Europa Lounge“. Schließlich werden wir während der nächsten Tage
36 °azur.de
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ziemlich gefährliche Gewässer befahren bis Dubai, dem Ziel unserer
Traumreise. Aber keine Angst, vier
Militärschiffe im Abstand von je
25 Seemeilen „bewachen“ uns ja.
Später dann wird unser Schiff von
Helikoptern internationaler Streitkräfte überflogen. Beruhigend,
dass man so auf uns aufpasst.
A
blenkung bietet am letzten Seetag unserer Reise noch ein Gesundheitsvortrag.
Selbst
anfängliche Skeptiker, die die Ayurveda-Lehre gern als „Esoterik“
abqualifizieren, sieht man heute
ganz konzentriert in der „Clipper
Lounge“ dem Vortrag des Arztes
folgen. Beim nächsten Frühstück
quillt das Buffet über vor gesunden Sachen, selbst Sauerkrautsaft ist dabei. Hier treffen wir ein
Arzt-Ehepaar, das den Trip zum Taj
Mahal mitgemacht hat. Glücklich
sind beide, wenn auch erschöpft.
Sehr früh morgens habe man das
Mausoleum besuchen dürfen. Ohne
Touristenströme drumherum, die
die Pracht, das Licht, die meditative
Mystik dieses Ortes störten. Und der
Reiseleiter habe sehr gut Deutsch
gesprochen. „Für diesen Preis kann
man das auch erwarten.“ Man
wünscht ihnen, dass sie dafür auch
einen Blick in die Seele Indiens haben erhaschen können.
Es ist merklich kühler gewor-
den. „Nur“ noch 27 Grad warm sind
Luft und Wasser. Bis Dubai sind es
noch 350 Seemeilen. Ein letzter Besuch zum Tee im „Café Belvedere“.
Der Bordpianist spielt „Sound of Silence“. Er trägt einen Longyi-Rock
wie die Bevölkerung in Rangun,
wo unsere Reise begann. Eine der
angebotenen Torten trägt die Aufschrift „Dubai“, und die Gäste sind
heute ausgesprochen nett zueinander. Eine Dame fragt eine andere:
„Möchten Sie Gesellschaft oder
soll ich mich lieber woanders hinsetzen?“ Die Angesprochene, eine
pensionierte Juristin aus München,
bleibt lieber allein. Gibt sich ganz
dem Abschiedsschmerz hin, reflektiert mit Blick aufs weite Meer
wohl noch einmal die einzelnen
Kreuzfahrt-Stationen. Später treffen wir sie in Dubai wieder, wo
sie ebenfalls das Nachprogramm im
Hotel Park Hyatt, direkt am Creek,
dem Kanal in Dubai, gebucht hat.
Jetzt schaut sie vom Balkon aufs
glitzernde Wasser, sieht die träge
vor sich hin dümpelnden Dhaus
und denkt wohl auch an die hinter ihr liegende Backwaters-Fahrt
in Kerala. Ja, dort haben wir sie
zwar nur kurz, aber am intensivsten erlebt, die Seele Indiens.
Viele Inder arbeiten in Dubai als
Gastarbeiter. Ob sie die „Seele Indiens“ mit hierherbrachten? Diese Suche wäre eine weitere Kreuzfahrt
wert.
Text: Dagmar Zurek
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