Frauen und Demenz Ein internationaler Forschungsüberblick ZUSAMMENFASSUNG Wichtige Erkenntnisse Ziel dieses Berichts ist es, die wichtigsten demenzbedingten Probleme aufzuzeigen, mit denen Frauen weltweit konfrontiert sind. Untersucht werden geschlechtsspezifische Besonderheiten in drei verschiedenen Gruppen: demenzkranke Frauen; weibliche Fachkräfte, die Demenzkranke pflegen; Frauen, die Demenzkranke im häuslichen Umfeld pflegen. Darüber hinaus behandelt der Bericht verwandte Themen wie Probleme von Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, Familienstrukturen und Angehörige, sowie die Auswirkungen von Migration. Dieser Bericht gibt einen Überblick über die englischsprachige Forschungsliteratur zu demenzbedingten Problemen von Frauen weltweit. Frauen machen den grösseren Anteil an der älteren Bevölkerung aus. 2014 waren 62 Prozent aller Menschen über 80 Jahren Frauen. In Afrika, Lateinamerika, in der Karibik und in Asien schreitet die Bevölkerungsalterung besonders schnell voran. Die Prävalenz von Demenz nimmt weltweit zu. Bis 2050 werden über 71% aller Demenzkranken in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben. Davon sind Frauen aus folgenden Gründen stärker betroffen als Männer: • • • Es leben mehr Frauen mit Demenz als Männer. Die Prävalenz von Demenz ist bei Frauen höher als bei Männern. Frauen haben daher ein höheres Risiko, an Demenz zu erkranken. Betroffene Frauen zeigen zudem schwerwiegendere Symptome als Männer. Meist sind es Frauen, die Menschen mit Demenz pflegen: Ungefähr zwei Drittel aller Hauptbetreuungspersonen sind Frauen, wobei der Anteil in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wesentlich höher ist. Die Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden von Pflegepersonen sowie die finanziellen Folgen sind für Frauen daher wahrscheinlich grösser. Das für Demenzkranke zuständige Pflegepersonal ist hauptsächlich weiblich und Frauen erbringen sowohl in der Gemeinschaft als auch in Spitälern und Pflegeeinrichtungen den Grossteil der Gesundheits- und Sozialfürsorge. Die überwiegende Mehrheit an Forschungsarbeiten über die Auswirkungen von Demenz auf Frauen betrifft Länder mit hohem Einkommen. Daher besteht ein Bedarf, auch die Probleme von Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu beleuchten. Zudem gibt es nur wenige Forschungsarbeiten über demenzkranke Frauen, die die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Krankheit untersuchen. Für die demenzkranken Frauen selbst sowie für ihre Angehörigen ist es mitunter schwierig, ihre veränderte Rolle und Identität zu akzeptieren. Oft sträuben sie sich dagegen, Pflege in Anspruch zu nehmen, nachdem sie bisher als Hauptverantwortliche für Familie und Haushalt tätig waren. In Ländern mit höherem Einkommen leben ungefähr zwei Drittel aller Demenzkranken zu Hause. Die Pflege von Demenzkranken wird hier hauptsächlich von der Gemeinschaft erbracht. Für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen wird ein wesentlich höherer Anteil angenommen, der sich jedoch schwer beziffern lässt. Meist werden Demenzkranke von Angehörigen (vor allem von Töchtern oder Schwiegertöchtern) gepflegt. Zu den positiven Faktoren der Pflege gehören unter anderem das Gefühl von Stolz und Zufriedenheit. Die Motivation für die Pflege von Demenzkranken ergibt sich oft aus einer Mischung von Erwartungen und Verpflichtung sowie Liebe und Dankbarkeit gegenüber der demenzkranken Person. Auch der Wunsch, die Fürsorge zurückzugeben, die ihnen als Kind zuteilwurde, ist mitunter Motivation für die Tätigkeit. Für Angehörige, die Demenzkranke pflegen, steigt das Risiko, psychische Probleme wie Depressionen oder Angstzustände zu entwickeln. Weibliche Pflegepersonen berichten länderübergreifend sowie unabhängig von der Betreuungssituation im Vergleich zu männlichen Pflegepersonen von einer höheren Belastung sowie vermehrt von Stress und depressiven Symptomen. Pflegepersonen von Demenzkranken sind oft gezwungen, ihre Arbeitssituation zu verändern: Bei Frauen kommt es häufiger vor als bei Männern, dass sie zur Pflege einer demenzkranken Person ihr Arbeitspensum auf halbtags reduzieren oder ihre Arbeit ganz aufgeben. Im Ländervergleich wurden grosse Unterschiede bei der Pflege und bei unterstützenden Strukturen für Pflegepersonen von Demenzkranken festgestellt, wobei es selbst innerhalb einzelner Länder je nach Pflegesituation und Region Unterschiede gibt. Während in den meisten Ländern mit hohem Einkommen Leistungen für Demenzkranke in Anspruch genommen werden können, ist dies in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, insbesondere in ländlichen Gebieten, weniger der Fall. In vielen Ländern bestehen traditionell ausgedehnte Familienstrukturen, in denen kulturell erwartet wird, dass Familienmitglieder innerhalb der Familie gepflegt werden. Da sich Familienstrukturen jedoch durch Scheidung, Wiederheirat, sinkende Geburtenraten, höhere Mobilität und die vermehrte Berufstätigkeit von Frauen verändern, können traditionelle Strukturen die Pflege nicht mehr im gleichen Masse sicherstellen. Fachkräfte, die Demenzkranke pflegen, sind zum Grossteil Frauen, die Gesundheits- und Sozialfürsorge für Demenzkranke erbringen und pflegende Angehörige unterstützen. Viele Frauen, die in der Pflege tätig sind, haben zudem Kinder und Eltern im höheren Alter, die sie versorgen müssen. Ihre Tätigkeit schränkt dabei ihre Möglichkeiten ein, sich um die Familie zu kümmern, was sich wiederum auf die Lebensqualität der gesamten Familie einschliesslich der Demenzkranken auswirkt. Das Gesundheits- und Sozialwesen weist zudem ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle auf: Frauen erhalten bei vergleichbarer Tätigkeit durchschnittlich einen 10% niedrigeren Stundenlohn als Männer. Empfehlungen In allen Regionen der Welt sind Frauen überproportional stark von Demenz betroffen. Mehr Frauen als Männer entwickeln eine Demenz und sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld wird die Pflege grösstenteils von Frauen übernommen. Obwohl die höhere Prävalenz von Demenz bei Frauen in der Forschungsliteratur beschrieben wird, gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass entsprechende Massnahmen entwickelt und implementiert werden. Die wenigen Forschungsarbeiten, die sich mit Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen beschäftigen, lassen erkennen, dass es oft keine staatlichen Stellen oder Programme zur Bewältigung der Probleme von Demenzkranken oder zur Unterstützung von Pflegepersonen gibt. In vielen Ländern wird erwartet, dass Angehörige ältere Familienmitglieder einschliesslich Demenzkranker pflegen. Meist sind es die weiblichen Familienmitglieder, die die Hauptbetreuung übernehmen müssen. Wichtig ist daher, dass Frauen mit geringer oder keiner Bildung insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen einen leichteren Zugang zu Gemeinschaftsleistungen erhalten. Demenz ist ein öffentliches Gesundheitsproblem, das aufgrund der alternden Bevölkerung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zunehmend an Bedeutung gewinnt. In allen Ländern ist jedoch ein besseres Verständnis der derzeitigen und zukünftigen Prävalenz der Krankheit erforderlich, wobei beachtet werden muss, dass Frauen überproportional stark von Demenz betroffen sind. Bei der Analyse der Auswirkungen auf Frauen in den einzelnen Ländern muss die derzeit verfügbare sowie die notwendige Unterstützung berücksichtigt werden, die zur Erfüllung künftiger Bedürfnisse erforderlich ist. Die Bedürfnisse von Demenzkranken und Angehörigen, die die häusliche Pflege übernehmen, müssen auch in ländlichen Gebieten von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen erfüllt werden, in denen bislang nur wenige Gesundheits- und Sozialleistungen verfügbar sind und sich der Zugang zu Gesundheitsleistungen aufgrund von fehlender Infrastruktur, lokaler Verfügbarkeit und Transportproblemen schwierig gestaltet. Frauen leisten in sämtlichen Szenarien einen Grossteil der Pflege Demenzkranker unentgeltlich. Diese Frauen müssen daher unterstützt werden, um die Pflege weiterhin übernehmen zu können, wobei gesundheitliche und finanzielle Probleme, die mit der Betreuerrolle verbunden sind, berücksichtigt werden müssen. Durch intensivere Bewusstseinssteigerung und eine verbesserte Kommunikation zu formellen und informellen Leistungen durch Gesundheits- und Sozialorganisationen, einschliesslich Informationen über die Inanspruchnahme, müssen Frauen auf verfügbare Unterstützungsleistungen aufmerksam gemacht werden. Alle Fachkräfte der jeweiligen Gemeinschaften sollten Zugang zu Schulungen zum Thema Demenz erhalten, um ein besseres Verständnis über das Verhalten von Demenzkranken sowie die Auswirkungen für Betreuungspersonen zu entwickeln und ihre Tätigkeit fachgerecht ausüben zu können. Der niedrige Status, die geringe finanzielle Entschädigung und inadäquate Schulungen und Unterstützung für bezahlte Pflegearbeit wirken sich auf Frauen, ihre Familien und Demenzkranke aus. Es besteht ein Bedarf, die Pflegekompetenzen von Gesundheits- und Pflegepersonal von Demenzkranken mit komplexen Bedürfnissen und Komorbiditäten auszubauen. Es gibt nur wenige Forschungsarbeiten über demenzkranke Frauen mit Fokus auf den geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Krankheit. Es bedarf einer weiteren Untersuchung der Auswirkungen von Demenz auf Frauen als Pflegepersonen durch Längsschnittstudien, um die langfristigen Auswirkungen der Demenz zu beurteilen. Der Fokus sollte dabei vor allem auf Kohortenstudien liegen, um Frauen in verschiedenen Kontexten im Zeitverlauf vergleichen zu können. Die Forschung sollte den Schwerpunkt zudem auf Faktoren legen, die Betroffenen helfen, sich an die Situation anzupassen und sie langfristig zu bewältigen. Alzheimer’s Disease International www.alz.co.uk Alzheimer’s Disease International (ADI) ist ein internationaler Zusammenschluss von Alzheimerverbänden weltweit. Unsere Vision ist es, Demenzkranken und ihren Angehörigen eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen. Frauen und Demenz: Der internationale Forschungsüberblick wurde unabhängig erarbeitet und von Rosie Erol, PhD, Dawn Brooker, PhD, und Elizabeth Peel, PhD der Association for Dementia Studies der University of Worcester, verfasst. Dieser Bericht wurde durch eine Spende von Red & Yellow Care und WomenAgainstAlzheimer's unterstützt. Der vollständige Bericht kann von der ADI-Webseite unter alz.co.uk/women-and-dementia oder www.alz.ch heruntergeladen werden.
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