Was sich demenzkranke Menschen wünschen - EHRENAMT UND

„Vergiss nicht, dass ich viel
vergesse!“
Was sich demenzkranke Menschen
wünschen
Im Laufe ihrer Krankheit sind Demenzerkrankte immer weniger in der Lage, sich in der
Gegenwart zu orientieren.. Sie ziehen sich
mehr und mehr in ihre „eigenen Lebenswelten“
zurück. Ihre Fähigkeit, Situationen zu deuten
und einzuordnen, schränkt sich zunehmend
ein. Das führt häufig dazu, dass Erklärungen
und
Überzeugungen,
die
Demenzkranke
äußern, nicht mehr mit der Realität übereinstimmen. Sie tun und sagen deshalb Dinge,
die aus unserer Sicht oftmals höchst
eigenwillig sind und uns manchmal geradezu
absurd anmuten. So gibt es beispielsweise
Situationen, in denen demente Personen auf
uns zukommen und sagen: „Gib mir mal das
Ding“! – und wir haben nicht die leiseste
Ahnung, wovon sie sprechen.
Der
folgende
Text
ist
eine
Art
„Vorsorgevollmacht“ eines Menschen für den
Fall, dass er an einer Demenz erkranken soll.
Der in der Ich-Form gehaltene Text gibt
Hinweise, welchen Umgang er sich wünscht. In
dieser „Vollmacht“ werden zwischen den Zeilen
Dingen vom Bevollmächtigten verlangt, die er
nicht wissen kann – dennoch sollte er sich
bemühen, sie zu tun.
Es bleibt uns als Menschen, die mit
Demenzkranken zu tun haben, nichts anderes
übrig, als den Versuch und gleichzeitig die
Chance anzugehen, die Brücke zum Erkrankten auf der emotionalen Ebene zu begehen.
Die Autorin Bianca Artz leitet die gerontopsychiatrische Beratungsstelle an der
Vitosklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Heppenheim/Bergstraße. Die
ausgebildete Casemanagerin (DGCC) berät und informiert dort demenziell erkrankte und ihre Angehörigen unabhängig und trägerneutral. Bei Bedarf und
Wunsch bietet sie demenziell Erkrankten
eine kontinuierliche Begleitung an.
Autorenkontakt: Bianca Artz
Vitos Heppenheim gemeinnützige GmbH
Ludwigstraße 54, 64646 Heppenheim
Telefon 06252 / 16-1 (Zentrale)
www.vitos-heppenheim.de
Hinter jedem uns befremdlich erscheinenden
Verhalten eines Demenzkranken stecken
Bedürfnisse und Gefühle. Diese führen dazu,
dass der Kranke die Situation anders sieht, als
wir Gesunden. Die große Herausforderung
besteht darin, sich in die veränderte
Wirklichkeit des Demenzkranken hineinzuversetzen, ihn in seiner Verwirrtheit zu begleiten.
Informationen über Demenz können helfen,
die Krankheit als Krankheit zu akzeptieren und
nicht an der Beziehung zu zweifeln.
Was sich demenzkranke Menschen wünschen
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„Vorsorgevollmacht“ wenn ich
dement werden sollte…..
…. Soll mein Leben einfach übersichtlich und voraussehbar sein. Und so sein, dass ich das Gleiche
mache – jeden Tag zur gleichen Zeit, auch wenn es
dauert, bis ich es begreife. Habe Geduld mit mir!
….. und ich Panik bekomme, dann nur, weil ich an
zwei Dinge gleichzeitig denken soll. Halte meine
Hand fest und hilf mir, mich auf eine Sache zu
konzentrieren.
….. musst du ruhig zu mir sprechen, damit ich keine
Angst bekomme und nicht das Gefühl erhalte, dass
du böse mit mir bist. Du sollst mir immer erzählen,
was du tust. Du sollst mich wählen lassen und
respektieren, was ich wähle – auch wenn es für dich
nicht einsichtig ist.
….. bin ich leicht zu beruhigen – nicht mit Worten,
sondern indem du ganz ruhig neben mir sitzt und
meine Hand festhältst.
…..denke daran, dass es für mich gut wäre, schöne
Erlebnisse zu haben – auch dass du sie mir erzählst,
bevor ich sie erlebe – auch wenn ich es wieder
vergesse.
…..brauche ich und bekomme ich viel mehr Schlaf,
als ich eigentlich will. Und wenn ich schlafe, habe ich
immer Angst, dass ich nicht mehr wach werde. Gib
mir Mut zu schlafen!
….. kann ich vielleicht nicht mehr mit Messer und
Gabel essen, aber bestimmt sehr gut mit den
Fingern. Lass mich das tun!
….. kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich
gerne möchte. Dann musst du lernen, mir das zu
zeigen.
…. und ich bin eigensinnig und boshaft und habe
schlechte Laune, dann bin ich das, weil ich mich so
machtlos und hilflos fühle. Das hasse ich.
Was sich demenzkranke Menschen wünschen
….. verstehe ich nicht das Abstrakte, schwach
Formulierte. Ich will sehen, spüren und begreifen,
wovon du sprichst.
…… habe ich das Gefühl, dass andere mich schwer
verstehen. Genauso schwer ist es für mich, andere
zu verstehen. Mache deine Stimme ganz leise und
sieh mir ins Gesicht – dann verstehe ich dich am
besten. Mache nur wenige Worte und einfache Sätze
und versuche herauszufinden, ob ich alles verstanden . Schau mich an, berühre mich und lache, bevor
du mit mir sprichst.
…. und sage: „ich will nach Hause“, dann antworte
mir ernsthaft, damit ich merke, dass du weißt, dass
ich mich im Moment sehr unsicher fühle.
….. und schimpfe, dann gehe einen Schritt zurück
von mir, denn so spüre ich, dass ich immer noch
Eindruck machen kann.
Vergiss nicht, dass ich viel vergesse! Ich bin oft
verzweifelt. Verzweifle nicht auch du!
Die Verfasserin des Urtextes ist I. Riedl. Der
vorliegende Text wurde von Bianca Artz
überarbeitet.
….. habe ich häufig keine Lust, spazieren zu gehen.
Aber ich weiß hinterher, dass es mir besser geht.
….. möchte ich gute Musik hören – von damals, aber
ich habe vergessen, welche. Lass sie uns zusammen
hören. Ich vermisse das. Ich mag auch gerne
singen, aber nicht allein.
….. dann ist da manchmal gar nichts, wenn ich
etwas begreifen soll, aber vielleicht begreife ich
besser, als du denkst. Ich vermisse schöne Dinge:
Bilder, Sonnenuntergang und gutes Essen und spüre
das tiefer als du.
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