Trost finden – trösten können

Evang.-meth. Kirche, Alterszentrum Wesley-Haus, Basel
Predigt von Pfarrer Josua Buchmüller, 23. Januar 2016
Trost finden – trösten können
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. Er
tröstet uns in all unserer Bedrängnis, so dass auch wir
andere in ihrer Bedrängnis zu trösten vermögen mit dem
Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.
2. Korinther 1,3-4
Trost finden ist ein Geschenk.
Trösten ist eine Kunst.
Eine Diakonisse hat mir von zwei Frauen
erzählt, die sie in einer Alterseinrichtung
angetroffen hatte. Es hätte auch im WesleyHaus sein können. Eine der beiden Frauen
weinte, die andere sass ratlos neben ihr und
sagte zu der ihr bekannten Schwester: „Da
muss man doch trösten! Ich tröste, aber es
tröstet nicht!“
Vielleicht kennen Sie das auch: Sie haben zu trösten versucht, aber es hat nicht
getröstet. Oder jemand hat Sie trösten wollen, aber es hat Ihnen in Ihrer Traurigkeit
nicht geholfen. Menschliches Trösten ist oft
nur ein hilfloses Vertrösten, das uns oder
andere in unserer Traurigkeit nicht erreicht.
Können wir das Trösten lernen, so dass es
wirklich „tröstet“?
Im Eingangsteil des 2. Korintherbriefs
braucht der Apostel Paulus auffallend oft die
Wörter Trost, trösten, getröstet: in fünf
Versen zehnmal, allein in den beiden oben
abgedruckten Versen fünfmal. Trost finden
ist ein Geschenk. Trösten ist eine Kunst.
Wo finden wir Trost? Wie lernen wir trösten?
Paulus sagt: Aller wirkliche Trost kommt von
Gott. Er ist der Gott allen Trostes.
Wie tröstet Gott?
Die Jahreslosung für 2016 sagt es so: Ich
will euch trösten, wie einen seine Mutter
tröstet (Jesaja 66,13). Ich will jetzt nur kurz
darauf eingehen, weil über die Jahreslosung
hier sicher schon gepredigt worden ist. Gott
tröstet uns, wie einen seine Mutter tröstet.
Wie tröstet denn eine gute Mutter ihr
Kind? Sie tröstet es durch ihre Gegenwart,
durch ihr Dasein für das Kind. Auch Gott ist
treu für uns da, „alle Tage“, wie Jesus es
uns versprochen hat.
Wie tröstet die Mutter? Sie tröstet auch
mit ihrer Stimme. Sie zu hören ist beruhigend, gibt dem Kind das Gefühl der Sicherheit, lenkt es von Angst und Schmerz ab.
Jesus, der gute Hirte, sagt: „Meine Schafe
hören auf meine Stimme; ich kenne sie und
sie kennen mich“ (Joh 10,14.27). Seine
Stimme zu hören gibt uns Sicherheit.
Die Mutter tröstet ihr Kind, indem sie
Tränen abtrocknet und Wunden verbindet.
Gott wird einst alle Tränen abtrocknen und
es wird keinen Grund zum Weinen mehr
geben, keinen Schmerz und kein Leid, denn
der Tod wird nicht mehr sein (Offb 21,4).
Aber Gott tröstet uns schon jetzt, wenn wir
verlassen, einsam und traurig sind und uns
in der Angst, in Leid und Schmerzen ihm zuwenden. Bei Gott finden wir Geborgenheit
und Zuversicht: Trost, der wirklich tröstet –
wie einen seine Mutter tröstet.
Es gibt im Buch Jesaja noch eine andere
Stelle, wo vom Trösten durch Gott die Rede
ist. Ich wünschte, wir könnten jetzt aus dem
Oratorium „Der Messias“ von G. F. Haendel
die erste Arie miteinander hören: Tröstet,
tröstet mein Volk! Redet freundlich mit Jerusalem und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat (Jesaja 40,1-5). Gott
hat diese Trostworte durch seinen Propheten
den nach Babylon verbannten Israeliten zusprechen lassen. Der Trost hat sich also an
Menschen gerichtet, die alle Hoffnung aufgegeben hatten. Sie glaubten, sie seien von
Gott verlassen und vergessen. Und jetzt
hören sie in ihre Hoffnungslosigkeit hinein
dieses Tröstet, tröstet mein Volk!
Da horchen die Hoffnungslosen auf: Gott
nennt uns immer noch sein Volk! Er hat uns
nicht vergessen, hat uns nicht aufgegeben.
Und sie hören weiter, wie der Trost konkretisiert wird. Gott lässt ihnen sagen, dass ihre
Knechtschaft ein Ende hat. Bald werden sie
die Freiheit erlangen und in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Und sie hören, dass Gott
ihnen ihre Schuld vergeben hat.
So tröstet Gott: Er lässt uns sagen, dass er
uns nicht vergessen und verlassen hat, auch
wenn es uns so vorkommt; auch wenn wir
Gott vergessen und verlassen hätten. Gott
redet mit uns, auch wenn wir das Gespräch
mit ihm nicht gesucht, nicht gepflegt oder
es bewusst abgebrochen haben. Er spricht
uns an als Menschen, die trotz allem, was
zwischen uns und Gott nicht gut gewesen
ist, zu ihm gehören.
So hat Gott damals, in der Zeit des Alten
Testaments, das verstörte, trostlose Volk
Israel durch seinen Propheten getröstet.
Und so tröstet Gott heute uns durch das
Evangelium von Jesus Christus.
Gott ist der Gott allen Trostes
Er tröstet uns, er tröstet Sie und mich, indem er uns alle als Menschen anspricht, die
zu ihm gehören, ob uns das bewusst ist oder
nicht. Es ist wie im Gleichnis vom Verlorenen Sohn: Dem hat sein schlechtes Gewissen gesagt, er sei nicht mehr wert, der Sohn
seines Vaters zu sein. Aber noch bevor er
daheim ist und sein Unrecht bekennen kann,
kommt ihm sein Vater entgegen und fällt
ihm um den Hals. Für den Vater ist er auch
als der Verirrte und Verlorene immer noch
sein Sohn gewesen.
So denkt Gott auch von uns, auch wenn
wir vielleicht lange nicht an ihn gedacht
haben. Und so redet er auch mit uns, wenn
wir zu ihm kommen, woher auch immer. Da
sind alle unsere Entschuldigungen fehl am
Platz und die Ausreden erst recht. Gott
spricht uns an wie der Vater im Gleichnis
den Sohn: liebevoll, barmherzig, verstehend
und verzeihend. Gott macht uns keine Vorwürfe, er macht uns das Angebot seiner
Vergebung. Wie der Vater im Gleichnis, so
lädt Gott uns ein an seinen Tisch. Da ist
keine gedrückte Stimmung, da wird ein Fest
gefeiert. Wenn wir bei der Feier des Abendmahls Gäste an Gottes Tisch sein dürfen,
kommen wir zwar als Mühselige und Beladene, aber wir müssen das nicht bleiben; wir
werden erquickt, wir werden entlastet. Wir
dürfen das Gespräch mit Gott aufnehmen
über alles, was uns bewegt. Wir werden ermutigt, mit Gott und seinen Möglichkeiten
zu rechnen gerade dort, wo wir am Ende
sind mit unserer Weisheit und am Ende mit
unserer eigenen Kraft.
So können wir getrost werden, getröstet
vom Gott allen Trostes. Und so lernen auch
wir andere trösten, und zwar so, dass es
wirklich „tröstet“.
Einander trösten mit seinem Trost
Paulus sagt: So können wir andere in ihrer
Bedrängnis trösten mit dem Trost, mit dem
wir selbst von Gott getröstet werden.
Trösten ist eine Kunst. Wir können sie
ein Stück weit lernen, aber letztlich ist wirkliches Trösten keine Technik, nichts von uns
Menschen Machbares. Wirkliches Trösten hat
immer damit zu tun, dass wir Menschen erfahren, dass und wie Gott tröstet. Er hat ein
Herz und ein Ohr für mich. Darum habe ich
jetzt auch ein Herz und ein Ohr für meinen
bedrängten Mitmenschen. Ich kann zuhören
ohne zu urteilen und ohne zu belehren. Ich
kann auch schweigen und warten. Ich kann
vielleicht nicht alles verstehen, aber ich
weiss, dass Gott alles versteht.
Trösten heisst: einander in dieser Haltung begegnen, den andern zum Kontakt
mit Gott ermutigen. Und wenn es möglich
ist: miteinander und füreinander das Gespräch mit Gott aufnehmen im Gebet. So
werden wir gemeinsam getröstet von dem
Gott allen Trostes.
Trost finden ist ein Geschenk und Trösten ist
eine Kunst. Der Gott allen Trostes hält das
Geschenk für uns bereit, damit wir einander
trösten können mit dem Trost, mit dem wir
selbst von Gott getröstet werden.