DOSSIER PSYCHOLOGIE & GESELLSCHAFT Kind, Job, Leben – geht doch. . . . . . aber um welchen Preis? Zehn Wahrheiten zur Vereinbarkeit – und sieben Frauen, die erst an einen Wendepunkt kommen mussten, um ihre Antwort zu finden ILLUSTRATIONEN EVA HILLREINER BR IGI TTE .DE 21/2015 117 DOSSIER So wollten wir doch nie sein Zerrissen, gestresst. Muss das sein? Nein, findet BRIGITTE-Autorin Daniela Stohn: Wenn wir ehrlich zu uns sind – und Mut haben, uns zu ändern 1. Wir lügen uns was vor vor Vor einigen Jahren stand Annette vor einer schweren Entscheidung: Sollte sie Vollzeit in einer Werbeagentur weiter arbeiten – oder ihre Ehe retten, die kurz davor war, wie eine vernachlässigte Pflanze einzugehen? Denn so wie bisher, mit Überstunden, Abendkonferenzen und ständiger Erschöpfung, konnte es nicht weitergehen. Sie entschied sich für ihren Mann und die Familie, kündigte und suchte sich ein Jahr später einen Job mit geregelten Arbeitszeiten. Heute ist sie immer noch verheiratet. Kerstin bekam das Angebot, als Part nerin in eine Personalagentur einzu steigen, als ihre Kinder sieben und vier waren. Jeden Tag fuhr sie acht bis zehn Stunden herum, um neue Kunden zu gewinnen. Anderthalb Jahre später wech selte sie zurück in die Selbständigkeit, weil ihr Sohn in der Schule Probleme hatte und Unterstützung brauchte. Klingt extrem? Vielleicht. Aber auch mutig. Denn wir haben die Botschaft von der Vereinbarkeit so verinnerlicht, dass wir es als Schwäche empfinden, wenn wir sie nicht hinbekommen. Also machen wir weiter und erleben, dass es zwar irgend wie funktioniert mit Arbeit und Fami lie, aber zu einem verdammt hohen Preis: der Vernachlässigung der wichtigsten Menschen in unserem Leben, der Kinder und des Partners. Oder uns selbst. Manchmal höre ich mich reden und denke: So wolltest du nie sein. Eine Meckerziege, die ihre Kinder kritisiert, ständig erschöpft ist und sich abends nicht mehr aufraffen kann, mit dem Mann 118 B R I GI T TE . DE 21 / 2015 noch ein Glas Wein trinken zu gehen. Mein Leben ist straff durchgetaktet. Und wenn nur ein Rädchen entgleist – das Kind Grippe hat, der Wagen in die Werk statt muss – haut es mich aus der Kurve. In einer Allensbach-Studie sagten 82 Prozent der deutschen Frauen zwischen 40 und 59, sie fühlten sich von Beruf, Familie und der Pflege von Angehörigen immer wieder überfordert. Weil wir spä ter Kinder bekommen als unsere Mütter, fällt die Erziehung oft zusammen mit den ersten Karrieresprüngen, manchmal sogar mit der Pflege der Eltern. Wir sind also doppelt bis dreifach belastet. Das gefühlte Fazit der heute 35- bis 50-Jährigen lautet daher: Wirklich kom patibel sind Familie und Job nicht. Jeden falls nicht so, dass wir entspannt leben können. Die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach behaupten in ihrem viel diskutierten Buch „Die Alles ist möglich-Lüge“ sogar, dass Familie und Beruf gar nicht zu vereinbaren seien. Der Ansatz scheint mir lebensfern, aber wahr ist: Kinder, Arbeit und Partner brauchen Zuwendung, Zuwendung kostet Zeit, und diese Zeit fehlt woanders. Das Leben als berufstätige Mutter ist oft ganz schön hart. Das mal offen auszusprechen tut gut und ist wichtig. 2. Unsere Wünsche passen nicht zu unserem Leben Leider können wir kaum jemanden um Rat fragen, wie es funktioniert mit der Vereinbarkeit und der Gleichberechti gung. Unsere Eltern haben diese Situa tion ja meist nicht erlebt. Wir sind die erste Generation, die es ausprobiert, und wie so viele Generationen vor uns, die bei irgendetwas die Ersten waren, profitieren meistens erst unsere Nachkommen von den Kämpfen, die wir durchgestanden haben. Wenn wir also mal wieder erschöpft sind, weil uns alles zu viel wird, hilft es, daran zu denken, dass wir das vor allem für unsere Kinder tun. U nd dass wir schon Wichtiges erreicht haben – nämlich die Möglichkeit zu wählen, welche Rolle wir ausfüllen. Wollen wir KarriereMutter sein, die Haupt-Ernährerin, die Zuverdienerin oder die Mehrfach-Job berin? „Dass Frauen erwerbstätig sein sollen, ist heute gesellschaftlicher Kon sens“, sagt die Arbeitssoziologin Kerstin Jürgens von der Universität Kassel. „Und auch, dass wir Vereinbarkeit wollen – und zwar nicht mehr nur die Frauen, sondern auch die Männer, die Politik und die Unternehmen. Nur die Rahmenbe dingungen stimmen noch nicht. Wir befinden uns in einer Phase des Über gangs.“ Und die macht es vor allem für uns Frauen schwierig. Denn die meisten von uns arbeiten nach der Geburt nach wie vor maximal Teilzeit oder in Mini jobs und setzen damit ihre Unabhängig keit und Altersvorsorge aufs Spiel. Dabei hatten wir uns das mal ganz anders vorgestellt: 60 Prozent der Eltern mit Kindern zwischen einem und drei Jahren wünschen sich, dass beide Partner gleich viel arbeiten und sich gemeinsam um die Betreuung kümmern. Aber nur 14 Prozent geben an, dass das auch wirklich klappt. Vor der Geburt des ersten Kindes arbeiten 71 Prozent der Frauen Vollzeit, danach nur noch 15 Prozent. Laut DOSSIER Statistischem Bundesamt sind 69 Prozent der Mütter Teilzeit beschäftigt, aber nur sechs Prozent der Männer. Nach der Geburt rutschen die meisten Familien nach wie vor in alte Rollenbilder zurück. Wie kann es passieren, dass unsere Wünsche und die Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen? Das hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel, dass die familienpolitischen Rahmenbedingungen noch nicht stimmen. Dass es noch nicht überall ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt. Dass die Aufgaben zu Hause nicht fair verteilt sind. Dass beruflicher Erfolg in den meisten deutschen Unternehmen immer noch an Vollzeitstellen, lange Anwesenheit und Verfügbarkeit gekoppelt ist. Dass sich Wirtschaft und konservative Parteien nach wie vor am klassischen Modell orientieren: Mann Haupternährer, Frau Zuverdienerin in Teilzeit. Und dass wir uns mit all dem viel zu einfach abfinden. 3. Familienpolitik ist eine Insel Rund 200 Milliarden Euro gibt der Staat jedes Jahr für Familien aus. Das Problem dabei: Er hat kein einheitliches Konzept. Noch immer gibt es die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und das Ehegattensplitting, das die Alleinverdiener-Ehe unterstützt. Das Betreuungsgeld, das die Regierung eingeführt und das inzwischen vom Bundesverfassungsgericht wieder kassiert wurde, belohnt Frauen, die ihr Kind lieber zu Hause lassen, als es in eine Kita zu geben, um arbeiten zu können. Gleichzeitig baut die Regierung die Kinderbetreuung aus und schafft das ElterngeldPlus, das gleichberechtigte Fa milienmodelle unterstützt. „Die Familienpolitik ist in vielen Aspekten fortschrittlich, aber sie ist eine Insel in der politischen Landschaft“, meint Dr. Christina Boll, Forschungs direktorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), und fordert „eine Politik aus einem Guss“, auch von Seiten der anderen Ministerien und Parteien, um bessere Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen. Die Journalistin Stefanie Lohaus kritisiert in der „FAS“: „Zwei Vätermonate und Betreuungsplätze für unter Dreijährige reichen bei Weitem nicht aus. Was ist mit Ganztagsschulen, Home-Office, Job-Sharing für Führungskräfte, 32-Stunden-Woche, flexible Kinderbetreuung für Menschen mit Schichtdienst?“ Dass diese Werkzeuge nicht eingesetzt würden, glaubt sie, liege auch daran, dass die Menschen an den Schaltstellen in Politik und Wirtschaft aus einer älteren Generation stammen, die immer noch das konservative Fami lienmodell favorisiert. Nehmen wir nur mal die 32-Stunden-Woche. Die Idee: Väter arbeiten weniger, Frauen mehr, Väter haben mehr Zeit für die Familie und Mütter verlieren im Beruf nicht den Anschluss. Leider wurde der Vorschlag von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sofort wieder kassiert. Ihr Argument: zu starre Raster für die Unternehmen, Wettbewerbs nachteile. Schade, dass bislang noch niemand untersucht hat, wie wettbe werbsfähig Deutschland mit ausgeruhten und motivierten Eltern wäre. 4. Zu Hause bleiben, ist keine Option. Keine Kinder kriegen auch nicht Solange das mit dem Ausgeruhtsein und der Motivation eine Zukunftsvision ist, entscheiden sich immer mehr Frauen für eines von beidem: Kind oder Karriere. Nora ist Lehrerin. Seit ihr Sohn Leon vor zwölf Jahren auf die Welt kam, hat sie nicht mehr gearbeitet. Warum? „Weil mein Mann viel arbeitet und ich alles selbst organisieren müsste. Wenn ich sehe, wie gestresst berufstätige Mütter sind, bleibe ich lieber gleich zu Hause. “ W as sie nicht sagt: Wenn ihr Mann sie morgen verlassen würde, stünde sie vor dem Nichts. Keine Rente, das Haus erst zur Hälfte abbezahlt, kaum Berufserfahrung. Und Unterhalt müsste er nach dem neuen Scheidungsrecht für sie auch nicht zahlen. Nora weiß das zwar alles, aber sie glaubt, dass ihr das nicht passieren wird. Helma Sick, Finanzberaterin der BRIGITTE, warnt: „Ich beobachte immer noch eine große Blauäugigkeit vieler Frauen, die auf ein traditionelles Familienmodell vertrauen. Mit einem langen Ausstieg aus dem Beruf gehen sie existenzielle Risiken ein.“ Die Alternative ist nicht besser: Das Kinderkriegen gleich ganz sein zu lassen, weil beides zusammen, Arbeit und Familie, eben nicht funktioniert. Nur noch 1,41 Kinder bekommen deutsche Mütter im Schnitt. Unsere Geburtenrate, so das HWWI, ist die niedrigste weltweit. Mal ganz ehrlich: Beide Optionen können wir nicht wollen, weder die finan zielle Abhängigkeit vom Mann noch den erzwungenen Verzicht auf eines der schönsten Erlebnisse des Lebens überhaupt. Wir wollen zumindest die Freiheit haben, zu wählen. 5. Die Zeit für Veränderung war nie besser Tatsächlich? Ja! Aber wie bei einer Hausrenovierung sieht man die Fortschritte kaum, wenn man mitten im Chaos steht. Durch den Druck des Fachkräftemangels besinnen sich immer mehr Unternehmen darauf, als Arbeitgeber attraktiv für uns Frauen zu werden und passende Arbeitsbedingungen für Eltern zu schaffen. „Frauen können heute mehr durchsetzen als vor 20 Jahren“, meint die Soziologin Kerstin Jürgens. „Wir haben die historische Chance, als Fachkräfte gebraucht zu werden – und damit endlich ein Druckmittel in der Hand.“ Die Expertin, die eine Kommission zur „Arbeit der Zu kunft“ leitet, weiß, dass Unternehmen und Gewerkschaften verstärkt darüber nachdenken, wie sie die berufliche Laufbahn der Beschäftigten in Deutschland so gestalten können, dass diese genug Zeit für Erholung, Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen haben. Der Trendforscher Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut glaubt, dass Frauen die Arbeitskultur in den kommenden Jahren nachhaltig verändern werden. Dafür müsse die Wirtschaft neue Karriere modelle zulassen und den beruflichen Erfolg von der Präsenzpflicht in Unternehmen entkoppeln. Was konkret bedeutet: andere Arbeitszeiten, Home-Office, Videokonferenzen statt Reisen und Phasen im Berufsleben, in denen man auch mal kürzertreten kann. Wären Karrieren nämlich noch jenseits der 50 möglich, wäre die Lebensphase davor nicht so überfrachtet. Was sich für uns wie ein wunderbarer Traum anhört, ist gar nicht so weit entfernt. 80 Prozent der Führungskräfte, die für eine Studie von Roland Berger Strategy Consultants befragt wurden, sind überzeugt davon, dass partnerschaftliche Modelle, bei denen Frauen und Männer Familien- und Jobzeiten unter sich aufteilen, bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren Standard sein werden. 6. Wir müssen raus aus unserer Wohlfühlzone Wir können die Verantwortung aber nicht nur den anderen zuschieben. Für die Volkswirtin Christina Boll vom HWWI fängt das Dilemma bereits bei der Berufswahl an. „Frauen bevorzugen noch immer stark die herkömmlichen Frauenberufe. Sie trauen sich zu wenig zu und begnügen sich mit kargen Verdiensten. Dadurch verdienen sie bei der Familiengründung weniger als ihr Partner, übernehmen die Betreuungslast, stecken weiter zurück und landen in der Teilzeitfalle.“ Fast 200 000 Euro verliert eine Frau mit mittlerer Bildung bis zu ihrem 46. Lebensjahr brutto an Lohn, wenn sie drei Jahre Elternzeit nimmt und danach drei Jahre Teilzeit arbeitet, hat Boll ausgerechnet. Doch ihr Fazit nach diversen Forschungsarbeiten zum Thema Vereinbarkeit ist: Diese Zahlen sind bei vielen Frauen noch nicht angekommen. „Sie sehen sich oft in der Opferrolle, nur: Das bringt sie nicht weiter. Sie müssen mehr einfordern. Aber ich habe den Eindruck: Viele Frauen wollen das gar nicht.“ Sind wir vielleicht zu bequem? „Das Beharrungsvermögen in Teilzeit ist groß“, bestätigt Boll. „Viele Frauen arbeiten auch dann noch Teilzeit, wenn die Kinder schon groß sind, bei Kindern im Alter von 15 bis 18 im Schnitt 22 Stunden pro Woche. Die Mütter wollen ihr Mehr an Freizeit nicht mehr hergeben. Das verträgt sich nur bedingt mit der Forderung nach Männer-gleichen Verdiensten und einer auskömmlichen Rente.“ H inzu komme eine weitere deutsche Besonderheit: Die verbreitete Überzeugung, Kinder könnten nur in einer traditionellen Familienstruktur glücklich aufwachsen, mit einer Mutter, die sich rund um die Uhr um sie kümmert. Wissenschaftlich belegt sei diese Vorstellung nicht, so Boll, im Gegenteil: „Umfragen zeigen: Kinder sind froh über zufriedene Eltern. Und auch Kinder berufstätiger Eltern sind nicht der Meinung, dass ihre Eltern zu wenig Zeit für sie haben.“ Etwas mehr Gelassenheit ist also erlaubt. Und setzt Energien frei für wichtige Auseinandersetzungen im Büro, nämlich um ein angemessenes Gehalt. Immer noch verdienen Frauen im Schnitt weniger als ihre männlichen Kollegen. „Der Arbeitsmarkt profitiert zurzeit von den Frauen, die sich mit wenig Geld zufrieden geben und froh sind, wenn sie überhaupt arbeiten dürfen“, bestätigt die Soziologin Kerstin Jürgens. Forscherin Boll nennt diese Frauen polemisch „Sparmodelle aus Arbeitgebersicht“ und rät: „Frauen müssen ihre Rechte stärker einfordern und auch, wenn der Job Spaß bringt, ein angemessenes Gehalt verlangen, das sie finanziell absichert.“ 7. Wir können nicht alles haben Wir können aber noch mehr tun, um unser Leben zu vereinfachen. Eine Freundin sagte neulich zu mir: „Du bist eine von diesen typischen Servietten-Muttis, die sich auf den Listen für Klassenfeiern bei den Dingen eintragen, die am wenigsten Arbeit machen.“ Trotzig dachte ich: Sie hat zwar recht, aber auf diese ollen Käse-Trauben-Spieße, die eh keiner isst, habe ich keine Lust. Und Zeit, sie aufzuspießen, schon mal gar nicht. Warum müssen Mütter bloß so schrecklich perfektionistisch sein? Es ginge doch viel einfacher, wenn man zum Geburtstag der Tochter statt 30 selbst gebackener Muffins fertiges Eis am Stiel mit in die Schule gibt. Die Wohnung nicht sofort, sondern erst am Wochenende aufräumt. Die Kinder zu Fuß zur Schule gehen und die Hausaufgaben selbst erledigen lässt. Klar, das entspricht nicht immer den Ansprüchen, die wir eigentlich an uns stellen. Aber es macht vieles leichter. Ach ja, auch bei uns selbst ist natürlich nicht alles möglich. Wir können nicht aussehen wie Penélope Cruz, eine Firma leiten, für einen Marathon trainieren und drei Kinder großziehen. Vielleicht brauchen wir eine andere Haltung zu Erziehung und Leben. Etwas weniger Helikoptern und Selbstoptimierung und etwas mehr Pragmatismus täten uns gut. 8. Schluss mit dem Kontrollwahn Der Vater meiner Kinder hat eine andere Vorstellung davon, wie ordentlich und sauber es bei uns zu Hause sein soll. Er kauft ein, wenn er im Kühlschrank nichts mehr findet, und stellt die Waschmaschine an, wenn der Kleiderschrank leer ist. Solange mag ich nicht warten, dann mache ich es lieber gleich selbst. Ex perten haben ein Fachwort für die ses Phänomen: „Maternal Gatekeeping“. Kurz zusammengefasst bedeutet es, dass wir unser Selbstbewusstsein aufpäppeln, wenn wir uns unseren Männern gegenüber als Herrscherinnen der Haushaltsdomäne aufspielen. Noch immer erledigen Frauen den Großteil der Arbeit zu Hause: 37 Stunden pro Woche verbringen sie mit putzen, waschen und bügeln, Männer nur 16. „Hausarbeit“, sagt die Soziologin Kerstin Jürgens, „bleibt in Frauenhand, auch in Beziehungen, in denen Frauen mehr arbeiten und verdienen als ihre Männer.“ Schuld sei unsere Sozialisation: Weil wir bei unseren Eltern gesehen haben, dass diese Aufgaben Frauensache sind. „Bei den 30- bis 50-Jährigen sind diese Rollenbilder tief verankert.“ Keine Frage, BR IGI TTE .DE 21/2015 121 DOSSIER wir müssen dringend mit unseren Partnern reden und die Verteilung der Hausund Familienarbeit neu verhandeln. Gleichzeitig sollten wir uns aber fragen, was schlimm daran ist, wenn eine Windel schief gebunden ist. Und wie viel wir bereit sind abzugeben. Wir können nicht einerseits mehr Hilfe bei Kinderbetreuung und Haushalt verlangen und gleichzeitig ständig kontrollieren, wie unsere Männer ihre Aufgaben erledigen. Vereinbarkeit bedeutet auch: loslassen können. Und zwar auch, damit unsere Kinder das mal besser machen, wenn sie groß sind. 9. Vereinbarkeit ist nicht gleich Vereinbarkeit Was wir in der Debatte um die Vereinbarkeit gerne vergessen: Viele Frauen stehen gar nicht vor der Frage, ob sie arbeiten gehen wollen oder nicht – sie müssen, weil ein Gehalt für die Familie gar nicht ausreicht. Für sie ist laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen die Diskussion um mehr Zeit für Freunde und Sport eine abgehobene Mittelschichtsdebatte. „Vereinbarkeit ist in den verschiedenen Bildungsmilieus auch ein unterschied liches Problem“, bestätigt die Arbeits soziologin Kerstin Jürgens. „Geringer qua- lifizierte Frauen sind im Betrieb in der Regel nicht unverzichtbar und haben eine schlechtere Verhandlungsposition. Ihr Lohn ist so niedrig, dass sie sich keine Putzhilfe oder Babysitter leisten können. Viele dieser Frauen können ihre Arbeitszeit nicht reduzieren, weil sie es sich gar nicht leisten können. Die arbeitspolitischen Akteure müssen sich überlegen, wie sie Vereinbarkeit auch für die unteren Lohngruppen herstellen können.“ Und: Für alleinerziehende Mütter ist Vereinbarkeit noch mal ein ganz anders gelagertes Problem, weil kein Partner da ist, der zur Not mal einspringen kann. 10. Zusammen ist man weniger allein Meine ideale Vereinbarkeits-Welt sieht so aus: Konferenzen fänden nur zwischen 9 und 15 Uhr statt, und wenn das Kind mal krank ist, würde meine Chefin verständnisvoll sagen: Kein Problem, du kannst von zu Hause arbeiten. Ich würde ohne schlechtes Gewissen zur Arbeit gehen und mich nachmittags freuen, dass um diese Zeit noch andere Kinder im Hort sind. Und was das Schönste ist: Andere Eltern würden mir verschwörerisch zublinzeln, denn wir sitzen schließlich alle im selben Boot. Vielleicht ist es genau das, was wir brauchen: mehr Solidarität und Teamgeist. Klar, Vereinbarkeit ist individuell, sie hängt ab von der Branche, vom Partner (und ob man einen hat), vom Gehalt und vom Arbeitgeber, vom Wohnort und der Kita-Dichte, ob Großeltern in der Nähe sind und von der eigenen Belast barkeit. Aber wenn wir zusammenhalten und unsere Wünsche laut äußern, dann wären wir plötzlich eine Gruppe und kein zerstrittener Haufen mehr. Erst der Chor vieler kritischer Stimmen bringt die Veränderung. Wir sollten außerdem unsere Männer in die Pflicht nehmen, selbst wenn wir nicht mehr mit ihnen zusammenleben. Denn wenn mehr Männer länger zu Hause blieben, kranke Kinder und Eltern pflegten und abendliche Konferenzen boykottierten, würde die Arbeitswelt schneller familienfreundlich werden. Und der Chor der Unzufriedenen wäre mit einem Schlag doppelt so groß. DANIELA STOHN hat zwei Kinder (10 und 12) und einen Job. Beim Fertigstellen des Dossiers stieß sie mal wieder an die Grenze der Vereinbarkeit: Weil sie nicht fertig wurde und zu spät zu Hause war, verpasste ihr Sohn sein Training. Ihre Strafe: ein Wutanfall und ein Spaghetti-Eis. „Endlich Schluss mit Chauffeur-Diensten!“ Sabrina Klix, 32, arbeitet als Personalreferentin in Teilzeit und hat zwei Kinder (6 und 3) W ie jede Mutter hatte ich im Kopf: Mein Sohn soll eine schöne Kindheit haben – und zu der gehört das volle Freizeitprogramm. Jedenfalls machten das die anderen Muttis so: Geigenunterricht, Ballett, Tennis, bei uns im Ort ist vieles schon ab drei Jahren möglich. Als Moritz so alt war, meldete ich ihn beim Turnen an, ein 122 B R I GI T TE . DE 21 / 2015 Schwimmkurs kam dazu und einmal die Woche Fußball. Als Moritz vier war, hing mir die Zeit im Nacken: Arbeiten bis 14 Uhr, zur Kita, ohne Verschnaufpause zum 15-Uhr-Training, danach noch zum Spielfreund. Mit dem Ergebnis, dass ich am Abend total gestresst nach Hause kam. Irgendwann fragte ich mich: Wer will das eigentlich? Moritz? Nein, ich hatte alles gesteuert – und ich konnte es än dern. Kinder müs sen nicht dauerbespaßt werden, um glücklich zu sein. Fußball ist das Einzige, wo Moritz wirklich hinwill, also haben wir den Rest gestrichen. Verabredungen gibt es inzwischen bei uns nur noch freitags, wenn ich kürzer arbeite, oder am Wochenende. Das hat nicht nur mich entspannt, auch Moritz ist ausgeglichener.“ PROTOKOLL: CHRISTINE RITZENHOFF DOSSIER „Ich arbeite 115 Prozent“ Nadine Reithmayer, 31, ist Krankenschwester und Mutter eines dreijährigen Sohnes A ls ich vor vier Jahren schwanger wurde, einigten wir uns darauf, dass mein Mann zwölf Monate Elternzeit nimmt und ich sofort in Vollzeit zurückgehe in meinen Beruf auf der Leukämiestation. Als Krankenschwester kann ich mir Zeit nehmen für die Sorgen der schwer kranken Menschen, ich lache und weine mit ihnen, und das liebe ich sehr an meinem Beruf. Als die Elternzeit vorüber war, fingen dann die Probleme an. Hatte ich Frühschicht, musste ich mein Kind um Punkt sechs in der Kita abliefern. Kilian war immer als Erster da, und ich spürte die kritischen Blicke der anderen Eltern. „Wieso kriegt die überhaupt ein Kind, wenn sie immer arbeitet“, wurde getuschelt. Ich war verunsichert und fragte mich, ob Kilian ausbaden muss, dass ich nicht bereit war, meinen Traumberuf aufzugeben. Schichtdienst ist für die Familienorganisation eine Vollkatastrophe. Ich konnte weder regelmäßig zum Pekip noch zur Babymassage gehen, und für den Spielplatz war mein Frühaufsteher-Kind am Nachmittag viel zu kaputt. Irgendwann saß ich heulend in meiner Küche und gestand mir ein, dass es so nicht weitergehen kann. Schweren Herzens bewarb ich mich um eine Vollzeit-Stelle mit Home-OfficeAnteil im Case-Management einer anderen Klinik. Statt kranke Menschen zu pflegen, würde ich für entlassene Patienten Rollstühle und spezielle Nahrung organisieren. Aber sollte ich wirklich all das aufgeben, was mich viele Jahre glücklich gemacht hat? Mein Herz sagte mir: Du brauchst auch die Krebsstation – und sie braucht dich. Nach vielen schlaflosen Nächten entschied ich mich schließlich für beides: eine Vollzeitstelle im Büro und zusätz liche Wochenenddienste auf meiner Station. Ich arbeite jetzt 115 Prozent, es ist anstrengend, ich bin müder als früher, aber Kilian und ich können morgens gemütlich frühstücken, mittwochs zur Musikschule und nachmittags spontan in den Tierpark. Für ihn ist es besser so. Für mich ist es ein Kompromiss. Denn eigentlich mache ich das, wofür ich in nerlich brenne, gerne mit Haut und PROTOKOLL: SILIA WIEBE Haaren.“ „Alle Entscheidungen muss ich allein treffen“ Annette Loers, 44, leitet ein Kulturzentrum in Vollzeit und zieht ihre Kinder (8 und 10) alleine auf V or fünf Jahren bin ich mit den Kindern ausgezogen und war plötzlich für alles verantwortlich: die Erziehung, die Organisation des Alltags, die finanzielle Absicherung. Als Leiterin eines Kulturzentrums arbeite ich auch abends und an Wochenenden, um Konzerte und Lesungen zu organisieren. Das geht nur mit Babysittern, Hortbetreuung bis 17 Uhr, einem guten Netzwerk und sehr selbständigen Kindern, die überall alleine hinlaufen und -fahren. Wir sind zwar sehr durchgetaktet, aber es klappt. Zumindest, wenn niemand krank wird. Was mich am meisten belastet, ist der Druck: immer die Verantwortung zu 124 B R I GI T TE . DE 21 / 2015 tragen, Entscheidungen alleine treffen zu müssen. Welche Schule ist die beste für mein Kind? Wann darf es ein Smartphone bekommen? Ist es normal, dass es so oft Streit hat? Mir fehlt der Austausch. Und auch mal eine Auszeit. Jedes zweite Wochenende sind die Kinder zwar beim Vater, aber die Zeit geht für Arbeiten, Großeinkauf oder Haushalt drauf. Andere Mütter sagen: Mein Mann ist auch die ganze Woche unterwegs. Ja, aber sie sind trotzdem nicht allein! Sie treffen Entscheidungen gemeinsam, und sie müssen sich nicht allein um ihre Altersvorsorge kümmern und darum, dass immer genug zu essen da ist. Und warum zahlen Alleinerziehende eigentlich mehr Steuern als Verheiratete ohne Kinder und müssen außerdem noch die Kosten für die Kinderbetreuung berappen? Ich bin seit zehn Jahren nicht ohne meine Kinder weggefahren. Wenn ich von der Arbeit komme, fängt mein Job als Mutter an. Und danach falle ich erschöpft ins Bett. Das muss doch auch vom Staat honoriert werden. Etwas besser läuft es, seit ich mich alle zwei Wochen mit meinem Exmann zum Mittagessen treffe, um mit ihm über die Kinder zu sprechen. Wir ver suchen an einem Strang zu ziehen, gemeinsam wichtige Dinge zu entscheiden. Das tut den Kindern sehr gut. Und PROTOKOLL: DANIELA STOHN mir auch.“ DOSSIER „Ich bin jetzt wieder zu Hause bei den Kindern“ Hannah Panten, 39, hat drei Kinder (7, 7 und 5 Jahre alt) F rüher, als ich noch als Teilzeitkraft in der PR-Abteilung eines Unternehmens arbeitete, habe ich mich ständig als diejenige gefühlt, die sich aus der Affäre zieht. Die nicht anpacken kann, wenn die Kita Sommerfest feiert, und geht, wenn es im Büro stressig wird. Nie konnte ich wenigstens 90 Prozent geben. Und dazu das permanente Pendeln! Als mein Mann den Job wechselte und ich plötzlich für den Familienalltag allein zuständig war, brach das System zusammen. Ich ließ den Schlüssel im Schloss stecken, fuhr mit nur einem geschminkten Auge ins Büro, baute fast einen Unfall. Eine Mutter-Kind-Kur half mir zu sehen: Ich muss was ändern. Der ständige Spagat, das Gefühl, keinem gerecht zu werden, stresste mich zu sehr. Ich kündigte. Heute, ein Jahr danach, sind meine Batterien wieder voll. Ich finde es nicht mehr komisch, vormittags zu Hause zu sein, während alle anderen arbeiten. Anfangs war das ein ganz neuer Kosmos für mich, mit Müttern, die aus Überzeugung daheim oder in der Babypause waren. Ich hatte das Gefühl: Ich gehöre gar nicht dazu, bereute meine Kündigung oft und dachte, vielleicht wäre es doch besser, einen Ausgleich zu haben. Inhaltlich gefordert zu werden und den Austausch mit den Kollegen, das vermisse ich nach wie vor. Dafür nehme ich mehr Anteil am Leben meiner Kinder, kriege mit, wie sie Lesen lernen, bin nah dran. Das macht mich ruhiger, und auch die Kinder sagen: So schön war’s noch nie.“ PROTOKOLL: CHRISTINE RITZENHOFF „Tschüs, Hamsterrad“ Nataly Bleuel, 47, Autorin und Mutter von zwei Söhnen (12 und 10) J etzt, genau in diesem Moment, bin ich doch wieder ganz nah dran. Am Überdrehen. Ich koche, habe den Laptop neben mich auf den Küchentisch gestellt, ich muss noch schnell diesen Job erledigen. Was hat mein Sohn gesagt? Was sollte ich noch einkaufen? Warum habe ich diesen Auftrag auch noch übernommen, es sind schon zu viele. Das Handy klingelt. Die Pfannkuchen brennen an. Was? Hab dich nicht gehört. Deckst du bitte den Tisch? Nein, jetzt, so-fort. Mein Ton wird schrill. Ich schreie mein Kind an. Verdammt! Warum bringe ich mich, uns alle, immer wieder in diese Situation? Erst denke ich, reflexartig: Aber ich kann doch nichts dafür, ich muss Geld verdienen, ich habe Kinder, ich muss, das Essen brennt, ich, ich schaff das alles nicht, es ist alles zu viel! Und dann gehe ich raus. Aus der Wohnung. Ich ziehe die Tür an. Einatmen, ausatmen. Time out. So, und jetzt noch mal von vorn. 126 B R I GI T TE . DE 21 / 2015 Ich habe das geübt, mit meinen Kindern. Früher haben sie mich, wenn ich so wurde, mit großen Augen angestarrt. Der Kleine duckte sich weg. Eines Tages sagte der Große: Du solltest dich hören, ich nehm das mal auf! Das hat gewirkt. Ich gehe wieder zur Tür rein und sage so freundlich wie möglich: Hallo, ich hatte wieder diesen Scheiß-Ton drauf. Es tut mir leid. Und dann klappe ich den Laptop zu und mache das Handy aus. Mittlerweile ist dieser Sound, den ich früher an mir gar nicht wahrgenommen habe, für mich ein Alarmsignal. Zum ersten Mal hörte ich ihn bei meinen Freundinnen: Wie sie mit ihren Männern sprachen, mit ihren Eltern und Kindern. Wie Gouvernanten, gereizt, grässlich, schrill! So wollte ich nicht sein, so unlustig und gehetzt, ständig am Anschlag. Obwohl ich mich, das muss ich zugeben, ganz gut fand: Wie ich das hinbekam, das war doch genau das, was man von einer berufs- tätigen Mutter erwartete: Job, Kinder, Partner, Haushalt, Sport, Freunde. Das Hamsterrad anzuhalten war nicht leicht. Aber ich treffe jetzt jeden Tag viele kleine Entscheidungen: gegen das Weiter-So. Ich will keine Funktioniererin mehr sein, die sich anpasst und selbst optimiert. Also gehe ich Mittag essen und schlürfe die Tütensuppe nicht vor dem Bildschirm. Ich nehme mir nicht zehn Minuten, sondern 30 für den Einkauf. Währenddessen gucke ich nicht dauernd, ob eine Mail gekommen ist. Und stelle den Laptop nicht auf den Küchentisch, vor die Kinder. Von denen ich nicht will, dass sie sich dauernd zum Daddeln zurückziehen. Das Anhalten hat auch Folgen. Ich komme nicht mehr überall mit. Ich muss mich entscheiden. Für das, was mir wichtig ist. Am Anfang war es komisch zu sagen: Nein, das schaffe ich leider nicht. Auf die Dauer aber macht es stark.“ ANZEIGE Doppelte Pflege ist bessere Pflege. WARUM MAN TROCKENES TOILETTENPAPIER MIT FEUCHTEN TOILETTENTÜCHERN ERGÄNZEN SOLLTE. Jede Frau kennt das: Die sensiblen Gesichtspartien lassen sich leichter, schonender und gründlicher mit feuchten Pflegetüchern reinigen. Warum sollte das beim Reinigen des Pos anders sein? Hier bietet sich ein systematisches Vorgehen an, bei dem sich trockenes Toilettenpapier und feuchte Tücher perfekt ergänzen. Empfohlen wird eine 3-Schritte-Routine: 1 2 3 trocken feucht trocken soft deluxe Das Resultat sind eine hygienische, gründliche und doch schonende Reinigung und ein sicheres Gefühl von Sauberkeit. WISSENSWERT: Die Deutsche Haut- und Allergiehilfe empfiehlt feuchte Toilettentücher von Zewa. Sie wurden auf Empfohlen von: ihre Verträglichkeit für Hautpatienten und Allergiker untersucht und von unabhängigen Gutachtern positiv bewertet. To i l e t t e n p a p i e r u n d fe u c h t e To i l e t t e n t ü c h e r – rundum sauber mit System. Dank Zewa. DOSSIER „Ich musste an meine Grenze stoßen, bevor ich mir Hilfe holte“ Susanne Schlösser, 37, hat zwei Kinder (8 und 5) und eine eigene PR-Agentur A uf dem Weg zu einem Kunden wurde mir plötzlich schwindelig, mein Blick verengte sich. Mit einer Schmerztablette stand ich den Ter min durch – aber beim zweiten Mal half auch die nicht. Ich konferierte gerade mit meinem Team, als ich merkte: Ich sehe nichts mehr! ‚Aura-Migräne‘, meinte der Arzt nach etlichen Tests. Und: ‚Sie soll ten etwas an Ihrem Alltag verändern.‘ Der war bis oben hin vollgepackt. Was mal eine entspannte Teilzeit-Selbstän digkeit sein sollte, war zu einer PR-Agen tur mit drei Angestellten geworden. Wäh rend die Kinder aus Schule und Kita vom Papa oder der Babysitterin abgeholt, zum Schwimmunterricht und ins Bett gebracht wurden, war ich oft bis Mitternacht im Büro, fuhr zu Kunden, organisierte Krea tiv-Workshops. Höchstens einmal die Woche schaffte ich es, nachmittags zu Hause zu sein – saß jedoch danach bis zwei Uhr nachts am Rechner. Die Belas tung war extrem groß, aber die Agentur musste ja laufen. Am meisten stresste mich, dass meine Kinder zu wenig von mir hatten und mich vermissten. Nach der Migräneattacke nahm ich mir zwei Tage frei, zum Nachdenken. Dabei wurde mir bewusst, dass ich mit mei- nem Anspruch, alles 120-prozentig hinzu kriegen, auf Dauer selbst baden ging. Die Lösung war für mich, zwei weitere Leute anzustellen, die mich entlasten. Mein Mann übernahm noch mehr zu Hause und meine Mutter bot an, eine Woche im Monat vorbeizu kommen. So habe ich mein Arbeitspensum von 60, 70 Stunden auf 40 herunter geschraubt und gelernt, Dinge, die eh keinen Spaß machen, abzugeben. Mittags gehört jetzt eine Stunde meinem Sohn: Er kommt nach der Schule in die Agentur, und wir machen zusammen Hausauf PROTOKOLL: CHRISTINE RITZENHOFF gaben.“ Stefanie Hentschel, 42, stellvertretende Redaktionsleiterin BRIGITTE MOM, zwei Töchter (9 und 7) Z u Beginn war ich sicher, das per fekte Modell für uns gefunden zu haben. Nach einem Jahr Eltern zeit kam ich zurück in meinen Job als Redakteurin in Teilzeit mit 27 Stunden und holte um 15 Uhr unsere Tochter vom Kindergarten ab. Doch je länger ich mich durch dieses vermeintlich perfekte Modell wurschtelte, desto erschöpfter wurde ich. Es war nämlich alles andere als perfekt – es war ständige Hetze. Weil ich nie fertig war, wenn ich den Schreibtisch verlassen musste. Immer hastete ich in Eile zum Kindergarten, kaufte meistens auf dem Weg noch schnell ein, um das Kind nicht später noch in den Super markt schleppen zu müssen. Ich kam 128 B R I GI T TE . DE 21 / 2015 gestresst in der Kita an und konnte die gemeinsamen Nachmittage selten genie ßen, weil ich an all das dachte, was noch gemacht werden musste. Und sobald unsere Tochter schlief, klappte ich den Laptop auf und arbeitete ab, was ich tags über nicht geschafft hatte. Nachdem unsere zweite Tochter auf der Welt war, wurde mir klar: So geht’s nicht weiter. Wir müssen das anders ver teilen. Ich schlug meinem Mann vor, dass ich einen Tag voll arbeiten und er an die sem Tag die Kinder abholen könnte. Prin zipiell fand er das gut, aber für ihn als Redakteur bei einer Tageszeitung sei das unmöglich. Ich beharrte. Wir stritten. Irgendwann war er zermürbt und sprach mit seinem Chef. Der sagte: Die Zeitung schreibe schließlich ständig darüber, wie das Leben arbeitender Eltern verbessert werden könne, da wäre es ja noch schöner, wenn er sich dagegen sperren würde. Woraufhin mein Mann, ungläubig, aber erfreut, seine Arbeitszeit um zwei Nach mittage pro Woche reduzierte. Das war der Moment, der unser Fami lienleben gerettet hat. An zwei Tagen habe ich kein aufgezwungenes Ende meines Arbeitstages vor Augen. Mein Mann ver bringt zwei Nachmittage mit den Kin dern, kennt ihren Alltag und ihre Schul freundinnen, kauft ein, kocht Abendessen. Ich bin an diesen beiden Tagen einfach nicht zuständig, und er genießt die ge meinsame Zeit. Es ist perfekt für uns.“ F OT O S P R I V A T ( 8 ) ; P L AY S T U F F, T S I U M PA , N A T I K A , D I G I F O O D, S T E V E Y O U N G „Mut, für das eigene Modell zu kämpfen“
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