Für die sind wir kleinen Firmen doch nur ein

20 Wirtschaft
der Freitag | Nr. 4 | 28. Januar 2016
E
lektromotorengehäuse,
Hydraulikzylinder oder
Mischer für die Lebensmittelindustrie: Unter
anderem mit dem Bau
solcher Maschinen macht das Familienunternehmen Fella mehr als
fünf Millionen Euro Umsatz pro
Jahr. Martina Römmelt-Fella ist die
Geschäftsführerin und Chefin der
rund 50 Mitarbeiter der Firma im
unterfränkischen Amorbach, auf
halber Strecke zwischen Würzburg
und Mannheim gelegen. Sie hätte
mit Blick auf das Transatlantische
Freihandelsabkommen TTIP allen
Grund zum Optimismus – wenn es
nach den TTIP-Befürwortern geht:
„TTIP ist ein Abkommen gerade
auch für KMU, kleine und mittlere
Unternehmen“, erklärte gerade erst
Wirtschaftsstaatssekretär Matthias
Machnig von der SPD. Stattdessen
hat Römmelt-Fella die Initiative
„KMU gegen TTIP“ mitgegründet
und überzeugt immer mehr andere
Mittelständler vom Protest gegen
das Abkommen.
„Wir zahlen
hier einen
Großteil der
Steuern.
Ikea drückt
sich“
F o t o : M i g u e l H a h n f ü r d e r F r e i ta g
der Freitag: Frau Römmelt-Fella,
Ihre Initiative sieht durch TTIP
Sozial- und Umweltstandards sowie die lebendige Demokratie
in Gefahr. Seit wann sind das denn
typische Wirtschaftsinteressen?
Martina Römmelt-Fella: Meine
Überzeugung als Unternehmerin
ist, dass neben den ökonomischen auch gesellschaftspolitische
Interessen relevant sind: die Art
und Weise, wie man arbeitet, ein
gutes Verhältnis zu Kunden, Lie­
feranten und Mitarbeitern – und
der Schutz unserer Lebensgrund­
lagen. Es kann nicht immer nur um
das Materielle gehen, es gibt auch
andere Werte, die in unserer Verantwortung liegen.
Ihre Kritik an TTIP widerspricht
der Darstellung der Industrieund Handelskammern. Die prognostizieren dem Mittelstand
große Chancen.
Diese Prognosen sind leider mehr
im Bereich „Hoffen und Glauben“
angesiedelt. Es gibt keine sektorspezifischen Untersuchungen
darüber, wie sich TTIP auf den Mittelstand auswirkt. Ich hatte 2015
den Eindruck, dass der Mittelstand
als Werbeträger für TTIP genutzt
wird. Dabei hat niemand mich oder
meine Unternehmerkollegen gefragt. Kritische Fragen können die
Kammern vor Ort nicht umfassend
beantworten, obwohl sie sich nach
außen klar positioniert haben.
Aber die Unternehmen sind doch
über die Gremien der Kammern
in deren Positionsfindung eingebunden.
Das Abstimmungsverhalten in den
Vollversammlungen dort möchte
ich nicht pauschal bewerten. Aber
unsere Recherche zur Frage, ob
und welche TTIP-Beschlüsse bei
den Kammern gefasst wurden, hat
ergeben, dass die Lage sehr, sehr
divers ist. Viele Kammern haben
sogar noch gar keine Beschlüsse
zu TTIP gefasst. Dass sich dieses differenzierte Bild nun so gar nicht
in den „10 guten Gründen für TTIP“
des Dachverbands DIHK wider­
spiegelt, das ist schon ein starkes
Stück.
Ihr Maschinenbauunternehmen
bietet hoch spezialisierte Technik
an. Selbst den kritischen Studien
zufolge gehören Sie daher zu den
Unternehmen mit den größten
Chancen durch TTIP.
Ökonomische Nachteile sehe ich,
wenn regionale Marktstrukturen
durch steigenden Wettbewerbsdruck kaputt gemacht werden. Vor
allem sehe ich aber auch keine
Vorteile. Die größten Versprechen
für unsere Branche sind die vermeintlichen Gewinne durch harmonisierte Standards. Aber die
USA haben bereits in den Vorverhandlungen angekündigt, dass
es auch mit TTIP in den USA keine
einheitlich geregelte Übernahme
von Normen geben wird, weil die
nämlich oftmals Angelegenheiten
der US-Bundesstaaten sind.
Mehr als 2.000 Unternehmen haben den Aufruf von „KMU gegen
TTIP“ unterzeichnet. Knapp 80
Prozent davon sind Einzelunternehmer oder haben weniger als
tives Umfeld. Direkte und indirekte
Subventionen gehen aber doch
in erster Linie an große Konzerne.
Auch steuerlich sieht sich der
Mittelstand oft benachteiligt. Vom
gesamten Steueraufkommen in
Deutschland sind nur rund drei
Prozent Unternehmenssteuern.
Und die werden zum Großteil von
den kleinen und mittleren Unternehmen entrichtet, welche ihren
Standort in Deutschland haben.
Multinationale Konzerne dagegen
nutzen alle Möglichkeiten zur
Steuervermeidung. 2010 hat Ikea
48.000 Euro Unternehmenssteuern in Luxemburg gezahlt, und das
bei einem Nettogewinn von 2,6
Milliarden Euro.
„Für die sind wir
kleinen Firmen doch
nur ein Werbeträger“
Martina Römmelt-Fella
ist Chefin eines Maschinenbauers in Unterfranken und kämpft mit
anderen Mittelständlern gegen das Freihandelsabkommen TTIP
zehn Beschäftigte. Sind es eher die
Kleinstunternehmen als die
klassischen Mittelständler, die so
ihre Probleme mit TTIP haben?
Das lässt sich schwer abschätzen.
Wir können auf die Auswirkungen
bestehender Handelsabkommen
schauen, wie zum Beispiel NAFTA
zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Da waren die Verlierer ganz
klar die kleinen und mittelständischen Unternehmen, nicht nur in
Mexiko, sondern gerde auch beim
US-amerikanischen Mittelstand.
Ich befürchte, dass auch bei TTIP
nur die multinationalen Konzerne
profitieren. Denn der Investorenschutz wird dabei über den Schutz
von Arbeitnehmern, Umwelt und
Verbrauchern gestellt.
Inwiefern ist das für Arbeitgeber
von Nachteil?
KMU können sich nicht an Schiedsgerichte wenden, weil sie nicht
über die dafür nötigen Mittel verfügen. Die Kleinen werden nicht
an globalen Ausschreibungen teilnehmen können. Obwohl sie
oft Qualitätsware bieten, hält die
Preispolitik der Gr0ßen heute
schon von Aufträgen fern.
Ist der deutsche Mittelstand also
ein Verlierer der Globalisierung?
Nicht zwangsläufig. Die Exportkraft
Deutschlands ist vor allem der
Vielfalt der Unternehmen geschuldet, die über Generationen hin­
weg Know-how, Produktivität und
Innovationskraft aufgebaut
haben. Tatsache ist: Wir brauchen
einen globalen Markt. Aber re­
gionale Stärken müssen geschützt
werden.
Deutschlands Exportstärke kann
man auch sehr kritisch sehen,
in Europa etwa ist sie mitverantwortlich für die Defizite im Süden
des Kontinents. Trotzdem will
die Bundesregierung mit ihrem
neuen „Aktionsprogramm Mittelstand“ vor allem KMU weiter
ermuntern, international tätig zu
werden. Braucht der Mittelstand
mehr Export?
Nein. Gegenüber den Vereinigten
Staaten verzeichnet Deutschland
schon jetzt einen enormen Exportüberschuss. Ich sehe da gar kei­nen
Spielraum mehr für diese Wachstumswünsche. Jedenfalls nicht
durch solche Abkommen. Wenn es
innovative Produkte gibt, die
weltweit nachgefragt werden, dann
macht Export Sinn – und funktioniert auch jetzt schon wunderbar,
ganz ohne TTIP. Deutschland hatte
Zur Person
Martina Römmelt-Fella,
54, ist Geschäftsführerin des
Unternehmens Fella
Maschinenbau im Odenwald.
Anfang der 1990er Jahre
übernahm sie die Firma mit
ihrem Mann von dessen
Eltern. Heute ist aus der ehemaligen Schlosserei ein
High-Tech-Unternehmen für
den Bau von Maschinen und
die Erzeugung erneuerbarer
Energien geworden. Martina
Römmelt-Fella ist Mitglied der
lokalen Energiegenossenschaft und war im Herbst 2015
Mitinitiatorin des Aufrufs
„KMU gegen TTIP“
zum Beispiel mit dem EEG, dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz, ein
tolles Exportprodukt. Durch die
Marktanreize in Deutschland hatten innovative mittelständische
Firmen die Möglichkeit, regenerative Produkte zu entwickeln und
diese weltweit zu vermarkten.
Auch vom EEG profitieren doch
vor allem Großkonzerne.
Ja, die Politik, die momentan im
Energiebereich umgesetzt wird,
trägt deutlich die Handschrift der
großen Konzerne. Anstatt das
Erfolgsmodell EEG wirtschaftspolitisch weiterzuentwickeln, wird es
in Zukunft durch Ausschreibungsmodelle ersetzt. Die erheblichen
Kosten im Vorfeld eines solchen
Verfahrens können nur die großen
Player stemmen. Dadurch werden
die kleinen Akteure, zum Beispiel
Bürgergenossenschaften, vom
Markt ferngehalten.
Sigmar Gabriel betont als Wirtschaftsminister immer wieder,
der Mittelstand sei das Rückgrat
der deutschen Wirtschaft. Ihn
gelte es zu stärken. Sind das leere
Worte?
Der Mittelstand wird in Deutschland ausreichend gefördert, die
Unternehmen finden hier ein posi-
Mit dem Mittelstand werden
Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und
langfristiges Denken assoziiert.
Allerdings ist das Feld der KMU
sehr weit, von Soloselbststän­
digen über Start-ups bis zu Weltmarktführern. Sind die Mittelständler wirklich die guten und
ehrlichen Kapitalisten?
Zumindest sind sie da näher dran.
Viele mittelständische Unternehmen sind noch inhabergeführt.
Und die denken in der Regel an die
nächste Generation und haben
deshalb eine ganz andere Herangehensweise. Da ist zumindest
die Chance höher, Unternehmer zu
finden, die eine Beziehung zu
ihren Mitarbeitern haben, zu ihren
Kunden und auch zu ihren Lieferanten.
Aber es sind gerade Vertreter des
Mittelstands, die die Rente mit 63
und den Mindestlohn kritisieren
und noch mehr Flexibilisierung
auf dem Arbeitsmarkt fordern.
Geht der mittelständische Wunsch
nach Bürokratieabbau zulasten
der Arbeitnehmer?
Den Mindestlohn finde ich selbst
wichtig und richtig. Mangelhaft ist
die Umsetzung. Denn die ist für
uns, obwohl wir grundsätzlich weit
höhere Stundensätze als 8,50
Euro zahlen, nur mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu
bewerkstelligen. Außerdem stellt
sich die Frage: Können Unternehmen diese Regelung nicht auch einfach umgehen?
Was sieht die Alternative aus?
Die Fokussierung auf das Thema ist
nicht ausreichend. Man müsste
einen Weg finden, wie die Arbeitnehmer hierzulande von diesem
gewaltigen Produktivitätszuwachs
profitieren können, und zwar
auch, wenn sie nicht an der Wertschöpfung beteiligt sind. Da fin­de ich das bedingungslose Grundeinkommen eine ganz bezaubernde Idee.
Sigmar Gabriel will lieber mehr
mittelständische Unternehmen
an die Börse bringen. Der DGB
meint dagegen, die Mittelständler
hätten kein Finanzierungs-, sondern ein Nachfrageproblem.
Schuld seien die geringe Binnennachfrage und die Rezessionen
in Europa. Wer hat recht?
Beides ist nicht falsch, wobei ein
Börsengang sicher nicht in jedem
Fall erstrebenswert ist. Denn man
schafft sich dadurch ja wieder neue
finanzielle Abhängigkeiten. Wünschenswert wären vielmehr verlässliche politische Rahmenbedingungen. Solche, die den Raum geben,
um nachhaltige Geschäftskonzepte
umzusetzen. Wie das EEG eben,
das war ein perfektes Marktsteuerungsinstrument.
Das Gespräch führte Josephine Schulz