Fachtagung VABB 5.11.2015 Erwartungen an die Beistände Gesetzliche Pflichten für den Beistand, insbesondere Sondereinsätze VABB Herbsttagung 2015 Urs Vogel Übersicht Erwartungen an die Mandatsführung Gesetzliche Pflichten Erwartungen im Speziellen an die Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände Rahmenbedingungen der Mandatsführung Sondereinsätze? Fazit ©2015 Urs Vogel Consulting 1 Fachtagung VABB 5.11.2015 Erwartungen Unterschiedliche Definition o antizipatorische Erwartung: Annahme eines Handelnden darüber, was ein anderer oder mehrere andere tun würden o normative Erwartung: was er oder andere billigerweise tun sollten Wortbedeutung - Synonyme im Duden o Annahme, Aussicht, Vertrauen o Glaube, Hoffnung, Optimismus o Vermutung Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Pflichten ist das Thema meiner Ausführungen fokussiert auf den normativen Erwartungen Was muss der Beistand / die Beiständin im Rahmen seiner / ihrer Mandatsführung alles leisten? Erwartungen an die Mandatsführung Unterschiedliche Erwartungen je nach Position der erwartenden Person Direkt betroffene Person(en) Anordnende KESB Soziales Umfeld der betroffenen Person (Angehörige, Freunde, Nachbarn etc.) Andere Dienstleistungserbringer (Einrichtungen, Sozialdienste, medizinische Fachpersonen, Amtsstellen etc.) o Gesellschaft o o o o Eigene Erwartungen an die Umsetzungen der verschiedenen Mandate Notwendigkeit der Klärung von Erwartungen o Gegenseitige Kenntnisnahme o Allenfalls Korrektur – Steuerung ©2015 Urs Vogel Consulting nicht bei allen Erwartungsgruppen möglich 2 Fachtagung VABB 5.11.2015 Erwartungen an die Mandatsführung Generell abstrakte gesetzliche Vorgaben Gesetzliche Idealvorstellungen mit Interpretationsspielraum Frage der Definitionsmacht im Rahmen der Ausführung des Mandates o o o o o KESB als Aufsichtsinstanz Leitung BB als vorgesetzte Stelle Klient im Rahmen der Beanspruchung der angeordneten Massnahme Mandatsträger/in im Rahmen seiner fachlichen Qualifikation Dritte Notwendigkeit der vertieften Auseinandersetzung o Was ist qualitativ gute Mandatsführung o Was kann als Dienstleistung erwartet werden o Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit die Dienstleistung auch erbracht werden kann Gesetzliche Pflichten Sorgfaltspflicht als genereller Massstab analog Auftragsrecht OR (Art. 413 Abs. 1 ZGB) tendenziell klar definierte, genau umrissene Pflichten je nach Massschneiderung des Mandates o o o o o o o Persönliche Kontaktaufnahme (Art. 405 Abs. 1 ZGB) Inventarpflicht (Art. 405 Abs. 2 ZGB) Vermögensverwaltungspflicht (Art. 408 Abs. 1 ZGB i.V.M. VBVV, Art. 416 ZGB) Angemessene Beträge zur freien Verfügung (Art. 409 ZGB) Rechnungsführungspflicht (Art. 410 ZGB, § 9 ff V-KESR AG) Berichterstattungspflicht inkl. Schlussbericht (Art. 411; 425 ZGB) Verbotene Handlungen (Art. 412 ZGB) ©2015 Urs Vogel Consulting 3 Fachtagung VABB 5.11.2015 Gesetzliche Pflichten Ermessensorientierte Pflichten o o o o o o o o verschafft: nötigen Erkenntnisse für die Erfüllung des Auftrages (Art. 405 Abs. 1 ZGB) erfüllt Aufgabe: Interesse der betroffenen Person (Art. 406 Abs. 1 ZGB) nimmt Rücksicht (soweit tunlich): Eigene Willen der betroffenen Person (Art. 406 Abs. 1 ZGB) achtet: Willen zur selbstbestimmten Lebensführung entsprechend ihrer Fähigkeiten (Art. 406 Abs. 1 ZGB) strebt an: Aufbau eines Vertrauensverhältnisses (Art. 406 Abs. 2 ZGB) strebt an: Linderung oder Verhinderung der Verschlimmerung des Schwächezustandes (Art. 406 Abs. 2 ZGB) schweigt: Interessenabwägung Informiert: Dritte soweit zur Erfüllung der Aufgabe notwendig Zwischenfazit Mit der Revision des Erwachsenenschutzes setzt der Gesetzgeber sehr hohe Erwartungen an die Mandatsführung Mit der Betonung der Selbstbestimmung wird ein Ideal gesetzt, welches ein intensiver Einbezug der betreuten Person fordert, damit diese Ideal in der Praxis umgesetzt werden kann Offen ist: o Wie weit muss der Klient/die Klientin aber auch selber bestimmen? o Kann er/sie auch wählen nicht zu bestimmen? o Ist das gesetzliche Ideal auch das Idel der gesellschaftlichen Meinung? Aus den gesetzlich formulierten Pflichten lassen sich die Erwartungen alleine nicht klären ©2015 Urs Vogel Consulting 4 Fachtagung VABB 5.11.2015 Was fällt weiter auf? Die gesetzlichen Vorgaben an die Mandatsführung beziehen sich sowohl auf den Kindes- wie den Erwachsenenschutz da nicht zwischen Kinder- oder ErwachsenenBeistand/Beiständin unterschieden wird Pflichten der Mandatsführung in Bezug auf die verwaltungsmässige Tätigkeit sind gesetzlich relativ genau erfasst, beziehen sich inhaltlich vor allem auf die Tätigkeit im Erwachsenenschutz Pflichten in Bezug auf die persönliche Sorge, die Beziehungsgestaltung und die Betreuung sind im Einzelfall ermessenorientiert zu interpretieren Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen professionellen Mandatsträger/innen oder Privatpersonen als Beistand/Beiständin Erwartungen an die Professionellen sind jedoch anders! Erwartungen an Berufsbeistände/Berufsbeiständinnen Professionelles Handeln setzt andere Massstäbe an die berechtigten Erwartungen Professionalität zeichnet sich aus durch o Orientierung an berufsspezifischen wissenschaftlichen Erkenntnissen (Fachwissen, Methodik) o Orientierung an einem Berufskodex respektive Berufsethik Die Handlungen der Berufsbeiständinnen/Berufsbeistände haben daher o nach fachlichen Standards, o geplant und strukturiert, o reflektiert und ausgewertet zu erfolgen Nachvollziehbarkeit der Handlungen als weiteres Kriterium der Professionalität o Begründetes Handeln versus reines Reagieren/Agieren ©2015 Urs Vogel Consulting 5 Fachtagung VABB 5.11.2015 Erwartungen an Berufsbeistände/Berufsbeiständinnen Für die professionelle Mandatsführung sind daher folgende Punkte wichtig: o Mandatsauftrag durch die KESB • Analyse der Anlassproblematik • Problemsicht der KESB o Problemdefinition des Klienten o Aushandlung von gemeinsamen Zielvorstellungen, soweit möglich o Erarbeitung eines Handlungsplanes mit überprüfbaren Zielsetzungen als Basis für die Zusammenarbeit o Regelmässige Reflexion und Evaluation o Adaption der Zielsetzungen und des Handlungsplanes soweit notwendig Bildet die Basis für die formalisierte periodische Überprüfung der KESB im Rahmen der Berichts- und Rechnungsprüfung Was es nicht sein sollte…………… ©2015 Urs Vogel Consulting 6 Fachtagung VABB 5.11.2015 Erwartungsklärungen Sind damit zentral für die Mandatsführung Beispiele o Besuchsrechtsbeistandschaft • • • • Bedürfnis des Kindes Anspruch des besuchsbelasteten Elternteils Anspruchs des besuchsberechtigten Elternteils Klärung der Rolle o Beistandschaft mit Vertretung beim Wohnen • Wer sucht wann was? • Wer bestimmt Wohnform? o Beistandschaft mit Begleitung bei der Gesundheit • Was heisst Begleitung? Zwischenfazit Erwartungsdifferenzen in der Kindes- und Erwachsenenschutzarbeit sind normal und liegen in der Natur der Arbeit mit schutzbedürftigen Menschen Gesetzgeber setzt das grundsätzliche Primat bei der Selbstbestimmung der betroffenen Person Grenze bildet die Gefährdungs- respektive die Schädigungssituation Wer jedoch definiert die Grenzen? o o o o Klient? Gesellschaft? KESB? Mandatsträger/in? ©2015 Urs Vogel Consulting 7 Fachtagung VABB 5.11.2015 Institutionelle Rahmenbedingungen Private Mandatsträger/innen – Berufsbeiständinnen/Berufsbeistände Grundsätzlich gleiche Pflichten, aber die Rahmenbedingungen sind vollkommen unterschiedlich Private Mandatsträger/innen relevante Rahmenbedingungen im ZGB und den kantonalen Erlassen Einzelmandate/wenige Mandate Berufsbeiständ/innen relevante Rahmenbedingungen im ZGB und kantonalen Erlassen Personalgesetze/Arbeitsvertrag Vielzahl von Mandaten abhängig von politischen Entscheidungen Konsequenzen der Rahmenbedingungen bei der Berufsbeistandschaft Je höher die Anzahl der Mandate pro Berufsbeistand/Berufsbeiständin desto schwieriger sind die Erwartungen an die professionelle Mandatsführung zu erfüllen Achtung und Realisierung der Selbstbestimmung der Klientinnen und Klienten erfordert zeitliche Kapazität Realität sind die begrenzten personellen Ressourcen Veränderungen sind in der momentanen wirtschaftlichen und politischen Situation nicht absehbar Dilemma/Differenz zwischen Ideal und Realität Daher ist geplanter und gezielter Einsatz der personellen Ressourcen notwendig ©2015 Urs Vogel Consulting 8 Fachtagung VABB 5.11.2015 Konsequenzen der Rahmenbedingungen bei der Berufsbeistandschaft Beurteilung der Investition von zeitlichen Ressourcen in der konkreten Klientenarbeit Trennung von Notwendigem und Wünschbaren unter sorgfältiger Abwägung nach fachlichen Standards Klärung der erfüllbaren Aufgaben gegenüber der KESB o Was kann im Rahmen der Mandatsführung erwartet werden o Was kann nicht erwartet werden o Ziel: Vermeidung von unerfüllbaren Mandaten Möglichst aktive Steuerung durch die mandatsführende Person Notwendigkeit der Unterstützung durch vorgesetzte Personen «Sondereinsätze» Definition: was ist ein Sondereinsatz? o Zeitlich? o Inhaltlich? o Voraussetzung ist daher dass Konsens über die Normleistungen besteht! professionelle Arbeit erfolgt im Rahmen eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages oder eines öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisses Arbeitsvertrag/OR oder Personalgesetze definieren den Arbeitsumfang Allenfalls Diskrepanz zwischen den Bedürfnissen des Klientensystems und den arbeitsvertraglichen/personalrechtlichen Verpflichtungen der mandatsführenden Person ©2015 Urs Vogel Consulting 9 Fachtagung VABB 5.11.2015 «Sondereinsätze» Zeitliche Sondereinsätze sind aus den Normen des Arbeitsverhältnisses nur in ganz beschränktem Ausmass möglich o Kein Pikett-/Bereitschaftsdienst o Keine Wochenendeinsätze o Keine permanente Erreichbarkeit (keine Handynummer an Klientschaft!) Aber: Verantwortung im Rahmen der Mandatsführung für die Organisation entsprechender «Schutznetze» ausserhalb der Arbeitszeiten, soweit zum Auftrag gehörend Grenze bilden oft finanzielle Möglichkeiten der Klienten respektive Klientensysteme (z.B. bei der Organisation von Übergaben im Rahmen von Besuchsrechtskonflikten) Fazit Erwartungen an die professionelle Mandatsführung sind berechtigterweise hoch o Entlohnte Facharbeit o Fachliche Standards aus Wissenschaft und Lehre o Selbstverständnis des Berufsstandes professionelle Mandatsträger/innen Rahmenbedingungen müssen aber so gestaltet werden, dass diese Ansprüche auch erfüllt werden können Teilweise bestehen Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit Lösungen müssen gemeinsam gesucht werden o Klärung Aufgaben KESB – BB o Klärung mit Klientensystem o Sensibilisierung Öffentlichkeit Fachlich begründbare Zuordnung der konkret verfügbaren Ressourcen auf die Klient/innen ©2015 Urs Vogel Consulting 10 Fachtagung VABB 5.11.2015 "Will man eine gute Sache machen, so muss man den Mut haben, sie ganz gut zu machen, sonst wäre viel besser, man liesse sie ganz sein; denn macht man sie halb, so macht man sie schlimmer.« Jeremias Gotthelf, Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen, Bern 1838 (Adresse an den bernischen Kindesschutz) ©2015 Urs Vogel Consulting 11
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