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UNITI Cards- und Automations-Forum 2016
© Rupert Warren/Aral
MA NAG E M E N T
Anwendungsauswahl bei Kartenzahlung
Eine Wahl, die keiner will!
Ab Juni muss der Kunde auswählen dürfen, mit welchem Bezahlsystem auf
seiner Karte er bezahlen möchte. Eigentlich könnte er das schon lange, doch
weil es niemanden interessierte – wird ihm diese Wahl bisher erspart. Für die
Händler bringt die neue Regelung erheblichen Aufwand. Und die Zeit drängt.
A
lter Hut: Schon vor 20 Jahren
durfte der Kunde auswählen,
wenn er mit Karte bezahlen
wollte. „Geldkarte oder ec-cash PIN?“,
wurde er damals via Display vom Bezahlterminal gefragt. Und weil schon damals
die allermeisten Kunden mit der Frage
überhaupt nichts anfangen konnten,
mischte sich meistens der Kassierer ein:
„Drücken Sie auf die grüne Taste. Dann
geht’s automatisch weiter …“
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Jörg Stahl, Sprecher des erst vor einem
halben Jahr geschaffenen Bundesverbands
der electronic cash-Netzbetreiber e.V.
(BecN), weiß, dass sich das Kundenwissen
in Sachen Kartenzahlung seither wenig
verbessert hat. Der Zahlungsspezialist:
„Vielen Kunden ist unbekannt, dass sie
auf ihrer Bezahlkarte in der Regel mehrere Bezahlmöglichkeiten haben – beispielsweise neben dem girocard- das
Maestro-Verfahren. Manche wundern
sich allenfalls, was das für Logos auf ihrer
Karte sind. Was diese bedeuten, wissen
sie aber nicht. Und es interessiert sie auch
nicht!“
NUR NOCH DREIEINHALB MONATE
BIS ZUR UMSTELLUNG
Bei seinem Vortrag auf dem UNITI
Cards- und Automations-Forum 2016
Anfang Januar in Hamburg zeigte Stahl
auf, dass dieses Unwissen und das
tankstellenWelt
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UNITI Cards- und Automations-Forum 2016 MAN AGEM E N T
Nicht-wissen-Wollen zu einem Problem
der Tankstellenbetreiber werden könnte.
Wenn diese nämlich ab Juni dem Kunden
zur Wahl stellen müssen, mit welchem
Kartensystem er bezahlt. Jörg Stahl: „Am
9. Juni wird die Verordnung über die so
genannte ‚Anwendungsauswahl‘ für alle
Händler verpflichtend.“ Betroffen sind
alle Tankstellenbetreiber, die Kartenzahlungen akzeptieren, außer denen, die nur
eine Ringkarte akzeptieren wie manche
Betriebstankstellen.
Die Anwendungsauswahl besagt, dass
das Händlerterminal die Auswahl des
Kunden nicht einschränken darf. Der
Kunde darf also nicht mit automatischen
Mechanismen, Software oder Vorrichtungen auf ein bestimmtes Zahlungssystem „gelenkt“ werden. Das betrifft alle
Bezahlkarten, die mit einem Co-Badging
ausgestattet sind.
Beispiel Postbankkarte: Auf ihr
prangt sowohl das
girocard-Logo als
auch das von V Pay.
Bisher ist es üblich,
dass solche Kunden automatisch in das
(für den Händler günstige) girocard-Verfahren geleitet werden. Das aber wird
nicht mehr erlaubt sein. Im Beispiel
müsste der Kunde vielmehr wählen können: girocard oder V-Pay?
Experte Jörg Stahl weist aber darauf hin,
dass eine „händlerseitige Vorauswahl“ erlaubt ist: „Ich darf als Händler meinem
Kunden etwas vorschlagen.“ Das wird logischerweise ein Bezahlverfahren sein, das
den Händler möglichst wenig kostet.
Im Grunde also das, was schon früher
galt. Nur dass die „Anwendungsauswahl“
von damals heute in den Terminals deaktiviert ist. Jörg Stahl: „Trotz hohem Anteil
von Zahlkarten mit Co-Brand (girocard
plus Co-Badging) wird die Funktion zur
Anwendungsauswahl am POS für gewöhnlich nicht genutzt, sondern es erfolgt
eine Priorisierung im Terminal und auf
der Karte.“ Was zu besagtem günstigsten
Zahlverfahren für den Händler führt.
Doch ab 9. Juni könnte es passieren, dass
sich Kunden – wohl aus Versehen – für
Zahlverfahren entscheiden, die für den
Händler teurer sind. Denn für den Kunden sind die Zahlverfahren meist gleich
– er bezahlt fürs Bezahlen ja nichts!
tW KOMPAKT
Ab 9. Juni 2016 müssen Händler dem
Kunden bei Kartenzahlung die freie
Auswahl lassen, welches auf seiner Karte
hinterlegte Zahlsystem er nutzen
möchte. Diese „Anwendungsauswahl“
betrifft alle Bezahlterminals im Shop.
Sie erfordert ein Update bei aktuellen
Terminals, technisch veraltete Terminals
müssen ersetzt werden.
Mit dem neuen BecN-Verband hat Kartenexperte Stahl nun ein Procedere erarbeitet, das er auf dem Cards-Forum erstmals öffentlich vorstellte.
Demnach unterscheidet das Verfahren
zunächst einmal, ob für den Kunden das
Elektronische Lastschriftverfahren (ELV)
mit Unterschrift in Frage kommt. Dieses
muss nämlich keine Anwendungsauswahl bieten,
weil es sich beim
ELV in strengem
Sinn um gar keine
Kartenzahlung
handelt. Erfolgt aber die Zuweisung des
Kunden zur PIN-basierten Kartenzahlung, ist zukünftig im nächsten Schritt die
Anwendungsauswahl vorgesehen.
Hier sieht der BecN-Vorschlag vor, dass
der Händler das von ihm bevorzugte Zahlungsverfahren priorisiert, beispielsweise,
indem der Kunde den automatisch auf-
tankstellenWelt
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ALTE TERMINALS MÜSSEN
AUSGETAUSCHT WERDEN
Allerdings hat der BecN-Vorschlag den
Nachteil, dass es vermutlich eine rein nationale Lösung für Deutschland bleiben
würde und keine einheitliche Lösung für
Europa. Und weil es terminlich äußerst
„sportlich“ ist, alle Terminals noch bis zum
9. Juni umzustellen, ist momentan nicht
einmal auszuschließen, dass die Finanzaufsicht darauf bestehen könnte, die in〱
© UNITI
Betroffen sind so
gut wie alle Tankstellen
in Deutschland
leuchtenden Begriff „girocard“ mit
Knopfdruck bestätigt. Alternativ könnten
die Zahlungsalternativen sogar überhaupt
nicht mehr erscheinen, der Kunde müsste
dann durch Drücken des Buttons „Auswahl“ bewusst vom Standardprocedere
abweichen. Ob das allerdings den Vorschriften zur Anwendungsauswahl genügt, muss erst noch mit der Finanzaufsicht besprochen werden.
Für den Vorschlag spricht, dass die
Kunden sich gegenüber dem derzeitigen
Zahlungsprocedere nicht umstellen
müssten und so das für den Händler
günstigste Zahlverfahren standardmäßig
zum Zuge käme. Der Kunde hätte dennoch die Wahlfreiheit, ein anderes Zahlsystem zu nutzen. BecN-Sprecher Stahl:
„Unser Konzept zeigt die Auswahlliste nur
auf Anforderung. Zahler ohne Präferenz
wählen dadurch nicht versehentlich ein
für den Händler kostenintensiveres Zahlverfahren.“
Der Sprecher des neuen „Netzbetreiberverbands“ BecN, Jörg Stahl, informierte auf
dem UNITI Cards- und Automations-Forum über die Anwendungsauswahl.
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UNITI Cards- und Automations-Forum 2016
VORSCHLAG DES BECN INKLUSIVE ELV-VERFAHREN
Karte wird gesteckt
Karte wird gelesen ...
bitte
warten ...
Im Hintergrund erfolgt eine
ELV/Sperrdatei-Abfrage
Entscheidung zur
LS Zahlung
positiv
negativ
Zahlverfahren wählen:
1: girocard
2: Co-Brand
Belegdruck für
ELV-Unterschrift
girocard PIN-Eingabe
Co-Brand PIN-Eingabe
© BecN e.V.
Anwendungsauswahl durch Kartenzahler
Zahlung erfolgt
BECN-VORSCHLAG AUS KUNDENSICHT
Sprache
Karte wird gesteckt
bitte
warten ...
Karte wird gelesen
Manu
Auswahl
Transaktionsverarbeitung
Auswahl-Taste
wurde gedrückt
Zur Auswahl
Karte vorhalten
oder einstecken
Karte wird gesteckt
Karte wird gelesen
Auswahl
girocard
Euro ELV
V Pay
© BecN e.V.
10,50 €
Karte vorhanden
oder einstecken
EPC VORSCHLAG
please confirm
girocard
56
<
1 - girocard
20,15 €
PIN entry
xxxx
2 - Maestro
Choose other brand
x
select
payment
method
0
x
<
0
x
<
0
© B+S Card Service
20,15 €
den Terminals enthaltene – derzeit deaktivierte – Auswahlmöglichkeit zu nutzen.
Und die ist ohne Händlerpriorisierung!
Von der Anwendungsauswahl betroffen
sind jedenfalls grundsätzlich alle Terminal-Modelle und -Hersteller. Mit veralteten Terminals lässt sich die Anwendungsauswahl technisch nicht realisieren.
Allerdings müssen die meisten von ihnen
ohnehin im Zuge der TA 7.0-Zulassung
bis Ende 2017 ausgetauscht werden, weshalb von ihren Herstellern kaum ein Update für die Anwendungsauswahl zu erwarten ist. Für alte Terminals gilt also: Der
für spätestens Ende 2017 vorgesehene
Austausch der Geräte muss vorgezogen
werden!
Für die aktuellen Terminals haben die
meisten Hersteller hingegen mit der Aufwandsschätzung zur Umsetzung der Anwendungsauswahl nach dem BecN-Konzept begonnen. Weil aber die Zustimmung der Finanzaufsicht aussteht, ist
noch offen, wann die Terminals aktualisiert sein werden. Alle Experten raten
daher den Händlern, sich dringend mit
ihren Dienstleistern und Lieferanten in
Verbindung zu setzen.
DIE TANKSTELLENBRANCHE SETZT
AUF DAS VERBANDSMODELL
Bei Scheidt & Bachmann heißt es dazu:
„Wir können unsere Kunden jederzeit
über den aktuellen Status informieren.
Ebenso nutzen wir unsere Kontakte zu
den Terminalherstellern und Netzbetreibern direkt, um unseren Kunden eine
fristgerechte Lösung anbieten zu können.“
Für Panik sieht das Unternehmen keinen Grund: „Nach aktuellen Informationen werden Netzbetreiber und Terminalhersteller rechtzeitig die technischen
Anforderungen realisiert haben.“ Weil
seitens der Kassenhersteller und abhängig
vom eingesetzten Verfahren darüber hinaus Aufwände entstehen, die kundenindividuell abgeschätzt werden müssen, rät
Scheidt & Bachmann, sich rechtzeitig mit
dem jeweiligen Kundenbetreuer in Verbindung zu setzen und individuell die
Umsetzung zu besprechen. „Wir werden
mit jedem Kunden dann die notwendigen
Schritte planen, damit eine fristgerechte
Umsetzung realisiert werden kann.“
Huth Elektronik Systeme hat für die
beiden Terminals der Marken ICP (BIA
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und Xenios-O) sowie Worldline (Yomani XR) Softwareerweiterungen beauftragt,
um die BecN-Variante der Anwendungsauswahl zu realisieren. Huth-Vertriebsexpertin Simone Schönbeck: „Unser Ziel
ist es hierbei, für Kunden, die beim Zahlvorgang keinen expliziten Wunsch zur
Anwendungsauswahl haben, den Ablauf
möglichst unverändert und damit genauso schnell wie heute zu gestalten.“ Auch
die Fachfrau möchte, dass nur die Endkunden, die sich vor der Zahlung bewusst
auf ein bestimmtes Zahlverfahren festlegen möchten, eine zusätzliche Eingabe am
Terminal machen müssen. Allerdings
sieht man bei Huth in der großen Zahl an
umzustellenden Terminals ein Problem:
„Von der Änderung betroffen sein dürfte
– bis auf wenige Betriebstankstellen mit
reinen Ringkartensystemen – der gesamte
Tankstellenmarkt“, schätzt Schönbeck
Trotz der wenigen Monate, die bis zur
Anwendungsauswahl noch bleiben, sieht
sich der Systemhersteller gut aufgestellt:
„Dankenswerterweise hat Netzbetreiber
WEAT schon sehr frühzeitig eine detaillierte und mit Verbänden abgestimmte
Spezifikation für eine konkrete Umsetzung im WEAT-Netzbetrieb veröffentlicht. Hierdurch konnten wir mit den
Terminalherstellern bereits im Januar die
Details der Softwareänderungen abstim-
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Massenhaftes Co-Branding: Nur wenige Kunden wissen, dass sie bei Kartenzahlung
unter den Zahlsystemen auswählen können, hier zwischen girocard und Maestro.
men und werden diese im zweiten Quartal verfügbar haben.“
Auch bei B+S Card Service, die den
BecN-Vorschlag als „neuen Industriestandard“ miterarbeitet hat, ist man überzeugt, dass die Terminalhersteller rechtzeitig die Software für die Applikationsauswahl bereitstellen werden. „Die B+S
Card Service wird ihre Kunden rechtzeitig vor Inkrafttreten der Verordnung über
diese Neuerung informieren. In diesem
Zuge werden wir auch unsere Kunden
informieren, was der optimale Zahlungs-Mix im Rahmen der Anwendungsauswahl ist“, erklärt Kommunikationschef
Andreas Klenk. 〱
Manfred Ruopp
Das UNITI Cards- und AutomationsForum 2017 findet am 11. und
12. Januar 2017 in Hamburg statt.
Mehr unter www.uniti.de
Betrüger meiden die girocard
2015 gab es weniger Betrugsfälle als im Vorjahr, aber wenn, dann meistens mit PIN.
Offensichtlich gehen Karteninhaber leichtsinnig mit ihrer PIN-Nummer um.
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Im deutschen Handel wurde bis Sommer 2015 kein Fall von betrügerischen
Kartenfälschungen mit girocard gemeldet.
Experten führen das auf die EMV-Sicherheitstechnik zurück: Beim Geldabheben
oder bei Zahlung an einem Terminal wird
sofort geprüft, ob die Karte gefälscht ist.
Der Betrug mit verloren gegangenen
oder gestohlenen girocards ist auf dem
Vorjahresniveau geblieben. Bei den meisten Betrugsfällen an Geldautomaten wurde übrigens die richtige PIN eingegeben.
Offensichtlich haben die Kartenbesitzer
ihre PIN nicht genug geschützt. 〱
© EURO Kartensysteme
Betrugsfälle mit der girocard sind im Zeitraum Januar bis September 2015 deutlich
zurückgegangen, meldet die Euro Kartensysteme, ein Gemeinschaftsunternehmen
der deutschen Banken und Sparkassen.
Im Ausland wurden demnach weniger
Karten dupliziert. Auch wurden girocards
an ausländischen Geldautomaten weniger
ausgespäht – in 196 zu 265 (2014) Fällen.
In Deutschland gingen die Schäden
durch manipulierte Geldautomaten ebenfalls leicht zurück – von 117 auf 99 Fälle.
Mit 58 Schadensfällen bleibt Berlin der
Brennpunkt dieser Kriminalität.
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